Samstag, 12. April 2014

Nutzen und Grenzen von Transgender-Kategorisierungen

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Nutzen und Grenzen von Transgender-Kategorisierungen

Wie in meinem Abschnitt über Definitionen steht, ist eine Definition von Natur aus miteinbeziehend und ausschließend. Jedesmal wenn man eine Person oder Gruppe miteinbeziehen oder ausschließen möchte, steht viel auf dem Spiel.
Dasselbe gilt für Kategorien, die zur Beschreibung von Typen oder Gruppierungen von Transsexuellen dienen. Bei jeder einzelnen Diskussion über Kategorien wirst du feste und erbittert verfochtene Meinungen hören. Kategorien können in bestimmten Diskussionen hilfreich sein, aber auch begrenzend, denn es wird immer Ausnahmen geben, die sich nicht leicht in fest definierte Parameter zwängen lassen.

Am Anfang war die Benjamin-Skala

Im Jahre 1966 veröffentlichte Dr. Harry Benjamin eine Skala mit Kategorisierungen für Menschen mit Geschlechtsidentitätsproblematik. Dr. Benjamin, ein Endokrinologe, war einer der ersten Fachärzte, die Transsexualität auf der Grundlage standardisierter Prinzipien studierten und behandelten.
Dr. Benjamins Skala geht mit Dr. Alfred Kinseys Skala der sexuellen Orientierung einher. Wie auf der Twenty-Club-Websitevermerkt: "Es sollte erwähnt werden, dass die Beziehung zwischen Geschlechtsidentität (Benjamin-Skala) und sexueller Orientierung (Kinsey-Skala) möglicherweise ein Ergebnis der unterschiedlichen Ausrichtung der beiden Wissenschaftler ist. Einst konnte man sich nicht umwandeln lassen, wenn man nicht völlig 'homosexuell' war, da eine 'echte' Frau *offensichtlich* völlig heterosexuell ist. Als Transsexuelle diesen Ausrichtungsunterschied entdeckten, begannen sie zu lügen, um ihre Operation zu bekommen. Zum Glück betrachten die meisten heutigen Geschlechtskliniken sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als zwei verschiedene Dinge."
Kinseys Skala der sexuellen Orientierung
Typ 0: Ausschließlich heterosexuell ohne homosexuelle Erfahrungen
Typ 1: Überwiegend heterosexuell, nur gelegentlich homosexuell
Typ 2: Überwiegend heterosexuell, aber mehr als gelegentlich homosexuell
Typ 3: Gleichermaßen heterosexuell wie homosexuell
Typ 4: Überwiegend homosexuell, aber mehr als gelegentlich heterosexuell
Typ 5: Überwiegend homosexuell, nur gelegentlich heterosexuell
Typ 6: Ausschließlich homosexuell ohne heterosexuelle Erfahrungen
Benjamins Geschlechtsidentitätsskala
Typ 1 - Transvestit - (Pseudo)
Typ 2 - Transvestit - (fetischistisch)
Typ 3 - Transvestit - (echt)
Typ 4 - Transsexuell - (ohne Operation)
Typ 5 - Transsexuell - (gemäßigt ausgeprägt)
Typ 6 - Transsexuell - (stark ausgeprägt)

Geschlechterkategorien: Wie ordnet man einen Regenbogen in Klassen?

Geschlechtlicher Ausdruck kann entlang eines zusammenhängenden Ganzen gemessen werden. Hierbei spreche ich gerne von einem Spektrum. Unterteilen wir ein Spektrum in Kategorien, malen wir mit einem sehr breiten Pinsel.
Nehmen wir mal an, ich erfände eine willkürliche Gruppierung von Farben und würde das ganze Andreas Farb-Orientierungsskala (AFO) nennen:
Typ 1: Rot
Typ 2: Orange
Typ 3: Gelb
Typ 4: Grün
Typ 5: Blau
Typ 6: Indigo
Typ 7: Violett
Das ist so begrenzend, als wenn man sagt: "Ein Regenbogen wird in sieben Farben unterteilt" oder "Es gibt sieben Arten von Farben in einem Regenbogen." Man kann einen Regenbogen in sieben willkürliche Kategorien unterteilen, aber es gibt unzählige Farben, die nicht in diese niedlichen kleinen Kategorien passen. Es löscht die Individualität jeder einzelnen der vielen Millionen Farben, die es gibt. Und es ignoriert eine Menge: alle Farben in Kombination (weiß), Abwesenheit von Farbe (schwarz) usw.
Siehe auch meine Anmerkung zu Geschlechtertests.

Ein paar typische Transgender-Kategorien

Es gibt diverse Möglichkeiten, Menschen mit Geschlechtsidentitätsproblemen zu kategorisieren, und alle haben Mängel. Das Hauptproblem ist, dass einige diese Kategorien als hierarchisch auffassen. Diese Leute glauben, Post-op sei besser als Non-op oder dass jemand, der mit sich mit 17 umwandeln lässt, besser sei als jemand, der sich mit 43 umwandeln lässt. Zwar gibt es bei diesen Personen offensichtliche Unterschiede, aber anders bedeutet nicht besser.
Operationsstatus: "____ - op"
Die wohl beunruhigendste Art der Kategorisierung von Transsexuellen ist die Einteilung in den Operationsstatus. Ich halte die Vaginalplastik für stark überbewertet, was ihre therapeutische Wirkung angeht. Die Tatsache, dass Pre-op/Post-op/Non-op eine der Hauptunterteilungen für Transgender ist, zeigt die überzogene Bedeutung, die der Vaginalplastik zugeschrieben wird.
Es ist wie der Begriff "vorehelicher Geschlechtsverkehr", der die Ehe künstlich zu einer Art primärem definierendem Charakteristikum für Geschlechtsverkehr erhebt. Es ist ein falsches Konstrukt. Sex hängt nicht mehr von der Ehe ab als Transition von der Vaginalplastik.
Während eine solche Definition anhand des Operationsstatus dabei helfen kann, auf dich persönlich zugeschnitte Ratschläge zu geben, denke ich persönlich, dass die Einteilung transsexueller Frauen auf der Grundlage der An- oder Abwesenheit eines Penis viel zuwenig über das Gesamtbild aussagt. Ich kenne Frauen, die ich als transsexuell ansehe und die sich keiner Operation unterziehen möchten, und ich kenne Männer mit Vaginalplastik, die wieder als Mann leben und die ich nicht als transsexuell betrachten würde.
"Autogynäphilie" und Sexualtaxonomie
Sex als primären Motivationsfaktor für die Geschlechtsumwandlung und Vaginalplastik zu bezeichnen ist äußerst kontrovers. Ein Modell benutzt Begriffe wie Androphilie (sich zu Männern als Sexualpartner hingezogen fühlen), Gynäphilie (Anziehung zu Frauen), Transphilie (Anziehung zu anderen Transgendern), Aphilie (keine sexuelle Anziehung) und "Autogynäphilie" (die Neigung, sich durch die gedankliche Vorstellung von einem selbst als Frau sexuell zu erregen).
Ich behaupte nicht, meine Umwandlung sei sexuell völlig unmotiviert gewesen. Ich mag Sex und genieße meine Sexualität und die Veränderungen an meinem körperlichen Erscheinungsbild. Ich weiß auch, dass es Transgender-Frauen gibt, die sich an der Vorstellung von sich selbst als Frau erregen. Die Andeutung jedoch, Sexualität (oder deren Abwesenheit) sei die nützlichste Art und Weise, Transsexuelle oder die grundlegende Motivation zu kategorisieren, bedient eine Menge problematischer Stereotypen.
Erstens: Transsexualität als Paraphilie zu klassifizieren steckt voller Schlussfolgerungen für das Sozialleben. Das filmische Bild des transvestitenhaften Fetischisten, dessen Fetisch Frauenkleidung nicht von Frauenkörpern unterscheidet, ist eines der lästigsten Klischees, dem Transsexuelle gegenüberstehen. Psycho, Das Schweigen der Lämmer und Texas Chainsaw Massacre könnten alle auf demselben gestörten Mörder basieren, aber diese drei Filme haben Transsexualität in den Augen der Öffentlichkeit unauslöschlich mit ernsthaft gestörten Individuen in Verbindung gebracht, die unaussprechliche, frauenverachtende, sexualisierte Gewalttaten vollbringen.
Zweitens: Geschlechtsvarianz wurde durch die Pornoindustrie bereits extrem sexualisiert. Wie schon gesagt ist Sexualität ein wichtiger Aspekt aller Menschen, aber ich fürchte, dass eine sexuelle Taxonomie den Eindruck vermittelt, Sex sei für Transsexuelle wichtiger als für Nicht-Transsexuelle. Davon bin ich nicht überzeugt.
Für etwas heitere Abwechslung empfehle ich die 7DS-Transsexualitätstheorie.
Transitionsalter
Viele sprechen von "früher Transition" und "später Transition", was manchmal anderen problembehafteten Begriffen entspricht wie z. B. "primäre" und "sekundäre" Transsexualität. In jungen Jahren Transitionierende werden manchmal auch "klassische" oder "echte" Transsexuelle genannt. Jede/r einzelne Transsexuelle, mit der/dem ich gesprochen habe, sagte, sie hätten lieber schon früher angefangen. Das gibt der Vorstellung Nahrung, früh Transitionierende seien irgendwie "transsexueller".
Ich vermute jedoch einen groben Zusammenhang zwischen Ausmaß der Dysphorie und Transitionsalter. Dieser Zusammenhang kann jedoch durch alle möglichen Faktoren negiert werden, vor allem durch Verleugnung.
Ich denke auch, dass es ein paar nützliche Verallgemeinerungen gibt, die zum Thema Transitionsalter gemacht werden können. Jüngere müssen dem Outing gegenüber ihren Eltern mehr Beachtung schenken, speziell wenn sie finanziell von ihnen abhängig sind. Jüngere Frauen haben für gewöhnlich weniger finanzielle Möglichkeiten, für die Transition zu bezahlen. Jüngere haben normalerweise bessere Resultate von den Hormonen und fühlen sich im Durchschnitt mehr zu Männern hingezogen. Diese Verallgemeinerungen sind jedoch wirklich nur Verallgemeinerungen und können nicht für jeden Fall angewandt werden.
Aber wo ist die Grenze? Meine willkürliche Definition lautet: 25 und darunter. Viele Leute setzen jedoch die Grenze so, dass sie selbst noch hineinpassen, sogar wenn sie Mitte 30 oder noch älter sind.
Das Transitionsalter ist zwar nützlich, aber einige wichtige Unterscheidungsmerkmale werden vernebelt, wenn man einfach nur das Alter als Kategorisierungsgrundlage nimmt. Beispielsweise kommen viele der jüngsten Mitglieder unserer Gemeinschaft durch verschiedene "Systeme" herauf. Für viele ist die Lesben-/Schwulen-Gemeinschaft der Ausgangspunkt, besonders für jene, die durch Intoleranz von zuhause oder aus der Schule vertrieben wurden. Diese Personen sind spürbar anders als die Frauen, von denen ich weiß, dass sie mit elterlicher Beteiligung transitionierten, und ihre Motivation scheint oft ganz unterschiedlich zu sein.
Heimlich oder offen?
Obwohl man oft über diesen Punkt spricht, als gäbe es nur das Leben in aller Heimlichkeit oder völlige Offenheit, sind beides nur Punkte entlang einer Achse bzw. in einem Spektrum. Ich kenne keine Transfrau, die 100% offen lebt, und ich kenne auch keine, die 100% getarnt lebt. Irgend jemand weiß es immer. Wer unsere Welt in "heimlich" und "offen" unterteilt, erschafft eine künstliche Trennlinie, wo es keine gibt.
Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie offen oder heimlich man leben will, obwohl einige keine andere Wahl haben, als aufgrund ihres Passings offen zu leben (siehe unten).
Die einzelnen Stufen der Heimlichkeit haben Vor- und Nachteile, und keine ist besser als die andere. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung auf der Grundlage deiner individuellen Bedürfnisse.
Gutes Passing / schlechtes Passing
Auch das wird oft als entweder/oder dargestellt, aber die meisten Frauen bewegen sich im Bereich dazwischen.
Gutes Passing hat Vor- und Nachteile, genau wie schlechtes Passing. Viele Leute in unserer Gemeinschaft betrachten Passing als sehr wichtig und denken, wer ein gutes Passing hat, sei besser als jemand mit schlechtem Passing. Das ist etwas unglücklich, aber es ist ein vorherrschendes Vorurteil, dessen sogar ich selbst mich zuweilen schuldig mache. In manchen Situationen fühle ich mich sehr unwohl, wenn ich mit jemandem unterwegs bin, der kein gutes Passing hat.
Solche mit gutem Passing sind nicht besser oder schlechter als solche mit schlechtem Passing. Ich würde behaupten, sie haben einfach mehr Glück, da sie entscheiden können, wann sie die private Information, transsexuell zu sein, mitteilen möchten.
Gehirngeschlecht: die Fallen der Physiologie
Viele sind sehr erpicht darauf zu beweisen, Transsexualität habe eine biologische Ursache. Diese Entdeckung hätte enorme politische Auswirkungen. Die Ansicht, sie sei ein "selbstgewählter Lebensstil", wäre nicht länger relevant, und vielleicht gäbe es dann eine Methode, jemanden viel früher als transsexuell zu bestimmen und sich entsprechend früher seinen gesundheitlichen Belangen zu widmen.
Zu diesem Zeitpunkt deuten die vorhandenen und ziemlich begrenzten Informationen eventuell eine biologische Ursache an, z. B. hormonelle Schwankungen bei der Entwicklung des Fötus. Es gab auch eine gewisse Zahl an Beobachtungen körperlicher Unterschiede bei Transsexuellen. Nichts davon hat bislang jedoch irgend etwas Schlüssiges bewiesen.
Eines der hartnäckigsten Konzepte, welche die Gedankenwelt einiger Mitglieder der Transgemeinschaft gefangen hält, ist die Idee des Gehirngeschlechts, die in den 1990ern von Moir und Jessel in ihrem populärwissenschaftlichen Buch Brain Sex: Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau postuliert wurde. Die Vorstellung eines weiblichen Geistes, gefangen in einem männlichen Körper, erscheint als Ausweitung des altbekannten Klischees der im Männerkörper gefangenen Frau. Während das Konzept des Gehirngeschlechts oft in die Diskussion eingebracht wird, sind die Prämisse und ihr Zusammenhang mit Transsexualität weit hergeholt. In meiner Anmerkung zu Geschlechtertests gehe ich auf das Buch und seine äußerst kontroversen Schlussfolgerungen ein

.Quelltext:http://www.tsroadmap.com/deutsch/mental/categories.html

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