Montag, 4. Mai 2015

„Transexualität und Strafvollzug“


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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„Transexualität und Strafvollzug“

Das bisher umfassendste Werk zu Trans*Menschen im deutschen Strafvollzug ist das Buch „Transsexualität und Strafvollzug“. Es ist eine juristische Arbeit, aber trotzdem lesbar für Nicht- Juristen, auch wenn einem sicherlich die Feinheiten entgehen, wenn mensch bestimmte Formulierungen nicht in den juristischen Kontext einordnen kann. Damit nicht alle, die am Thema interessiert sind das ganze Buch lesen müssen, stellen wir hier eine Zusammenfassung online:

Das Buch „Transsexualität und Strafvollzug“ ist eine Dissertation, die im Jahr 2008 veröffentlicht wurde. Die Autorin ist durch Presseberichte über eine Person, die in Berlin auf Verlegung in den Frauenknast geklagt und verloren hat, auf das Thema aufmerksam geworden. Sie hat scheinbar keinen außerjuristischen Bezug zum Thema.

Laut der Einleitung geht es der Autorin in der Arbeit darum herauszufinden inwieweit die aktuellen Regeln des Strafvollzugs mit den Gesetzen und Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht von Trans* in Einklang stehen oder gebracht werden können, z.B. durch eine transfreundliche Auslegung von Normen. Die Autorin hat mit dem Werk den Anspruch für eine gewisse Rechtssicherheit und Aufklärung bei allen möglichen betroffenen Stellen, wie Gerichten, Verwaltungsstellen, JVAs usw. zu sorgen. Entsprechend schreibt sie nicht nur zu ihrem Kernthema, sondern beginnt mit einem längeren Teil zu Transsexualität an sich und der rechtlichen Situation.

Im ersten Teil versucht sie Transsexualität zu erklären. Sie erläutert verschiedene wissenschaftliche Erklärungsmuster und versucht diverse Erscheinungsformen von Trans* zu benennen und abzugrenzen. Sie gibt sich insgesamt viel Mühe das Thema zu erfassen und „wohlwollend“ damit umzugehen. Es gibt aber auch mehrere Stellen, die eher durchwachsen sind. In dem ersten Teil geht sie auch ausführlich auf „Behandlungsmöglichkeiten“ und den Standardprozess ein. Dies ist für das Verständnis des späteren Teils besonders wichtig, da es darin auch um die Umsetzung des TSG-Prozesses im Knast geht, bzw. die Lage für Trans*Leute je nach Position im Transprozess anders beurteilt wird.

Im zweiten Teil geht das Buch auf die gesetzliche Situation (TSG) ein und schildert sowohl die historische Entwicklung, als auch kurz die Rechtslage in anderen Staaten. Des Weiteren zeigt dieses Kapitel, dass Geschlecht in der Gesellschaft und im Recht sehr relevant ist und sich daraus viele Probleme für Trans*Leute ergeben. Es werden einige Gebiete jenseits des Strafvollzugs aufgezählt, in denen das Recht nach Geschlecht differenziert und somit Probleme für Trans*Leute hervorbringt; darunter u.a. das Arbeitsrecht, Familien- und Eherecht.

Im dritten Teil kommt es zum eigentlichen Thema Strafvollzug und Transsexualität.

I. Zunächst wird die Relevanz des Themas beleuchtet. Demnach hätte es in früheren Jahren durchaus einen spezifischen Bezug zwischen trans* und Knast gegeben, da Trans*Leute aufgrund der gesellschaftlichen Situation von Ausgrenzung und fehlender rechtliche Anerkennung „deliquent“ geworden sind, z.B. durch Sexarbeit. Dabei wird auch ein Aspekt einer trans*spezifischen Kriminalisierung aufgezeigt. Bis zur Reform des § 175 StGB 1973 waren Transfrauen über die „normale“ Kriminalisierung von Sexarbeit hinaus von der Kriminalisierung durch den § 175 StGB betroffen. Da es noch keine Regelung zur Personenstandsänderung, wie die des TSG, gab, waren alle Transfrauen juristisch männlich und damit jeglicher Sex mit Männern illegal.
In der heutigen Situation geht die Autorin von einer im Vergleich zur Restbevölkerung durchschnittlichen Anzahl von Trans*Leuten im Knast aus. Sie kommt auf eine geschätzte Zahl von ca. 80 inhaftierten Transsexuellen in BRD. Dies ergibt sich aus der angeblichen Anzahl von Trans*Leuten pro 1000 Einwohner und der Gesamtzahl der Inhaftierten. Des Weiten wird ausgeführt, dass Transsexualität im Strafvollzug, trotz vermutlich seit einiger Zeit gleichbleibenden Betroffenenzahlen, vermehrt thematisiert wird, weil die Betroffenen sich vermehrt trauen ihre Rechte einzufordern, bzw. sich überhaupt als trans* zu outen. Dadurch sei es, nach der Wahrnehmung der Autorin, auch zu einer erhöhten Sensibilisierung von „Zuständigen“ gekommen und somit eine Verbesserung der Situation eingetreten. So war es früher quasi unmöglich im Bereich Kleidung und Kosmetika irgendetwas durchzusetzen. Mittlerweile liegt dies wohl durchaus im Bereich des Möglichen.

II. Als nächstes fasst die Autorin die bisher ergangen Entscheidungen zum Thema zusammen.
- 1981, OLG Frankfurt zur Hormonbehandlung – ziemlich schlechtes Urteil, dass den keinerlei Trans*Rechte anerkennt und ein Recht auf Behandlung im Knast verneint.
- 1996, BVerfG zum Recht auf die Anrede als Frau bzw. Herr, je nach Vornamen – unabhängig vom Personenstand (Das Urteil ist nicht knastspezifisch, sondern gilt für alle Behörden. Es wurde aber im Rahmen des Strafvollzugs geklagt, den dort besteht ja auch mehr Kontakt zwischen Staatsbediensteten und Betroffenen)
- 2001, OLG Frankfurt zum Recht auf medizinische Behandlung (schon bedeutend besser als das erste Urteil; ein grundsätzliches Recht auf Behandlung wird bejaht, aber die Durchsetzung ist von den genaueren Umständen abhängig)
- 2002, KG Berlin verneint den Anspruch auf Verlegung in den Frauenknast. Das Berliner Verfassungsgericht bestätigt das Urteil

III. Danach kommt der allgemeine Analyseteil, in dem die bestehenden Probleme und mögliche und nichtmögliche Lösungen aufgezeigt werden.
Die Autorin beschreibt recht treffend, dass die Probleme die Transsexuelle ohnehin haben sich im Knast verschärfen und das Probleme, die Menschen im Knast ohne hin haben sich durch Transsexualität verschärfen. Grundlage der Situation ist das Strafvollzuggesetz, welches vorschreibt, dass Frauen und Männer getrennt unterzubringen sind (Trennungsgrundsatz). Dies widerspricht nach Einschätzung der Autorin der freien Wahl nach geschlechtlicher Identität (welche sie im TSG verwirklicht sieht.) Des Weiteren widerspricht der Trennungsgrundsatz den Grundsätzen des Strafvollzugs nach Resozialisierung. Den für diese soll eine möglichst große Angleichung der Verhältnisse im Knast mit den Verhältnissen draußen stattfinden (Angleichungsgrundsatz). Dabei ist die Geschlechtertrennung ein trans*unabhängiges Problem. Für Trans*Personen ist dies im speziellen ein Problem, da in einer eingeschlechtlichen Umgebung kein Alltagstest stattfinden kann und somit nach der klassischen Mainstream-Meinung eine Voraussetzung für die OP fehlt.

Die verschiedenen Problemfelder:
             - medizinische und psychologische Maßnahmen
             - Verlegung in eine „andersgeschlechtliche“ Anstalt
             - sonstige „Vergünstigungen“ wie Kleidung, Kosmetik, teilweise Unterbringung in einer „andersgeschlechtlichen“ Anstalt

Zu Beginn der Auseinandersetzung mit Einzelthemen wird festgestellt, dass insgesamt nur grundlegende Tendenzen geklärt werden können und keine allgemeinen Handlungsanweisungen festgelegt werden können, da Transsexualität zu individuell für konkrete Vorgaben sei.1

Für die genauere Betrachtung der Rechte von Transsexuellen im Knast untersucht die Autorin die einzelnen Normen des Strafvollzuggesetz, aus denen sich Rechte ergeben könnten. Dabei werden für die Auslegung der einzelnen Normen die Grundrechte, das TSG und die Grundsätze des Strafvollzuggesetzes herangezogen. Bei den zu beachtenden Grundsätzen des Strafvollzuggesetzes handelt es sich um:

§ 2 Aufgaben des Vollzuges
Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel) (Resozialisierung). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

§ 3 Gestaltung des Vollzuges
(1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (Angleichungsgrundsatz)
(2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (Entgegenwirkungsgrundsatz)
(3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.

Das Vollzugziel „Resozialisierung“ hängt nach der Autorin spezifisch mit Rechten für trans*Gefangene zusammen, da die Resozialisierung soziale Problemlösungsstrategien jenseits der Kriminalität voraussetzt und dies unter anderem ein Selbstwertgefühl voraussetzt. Hier sieht die Autorin die Notwendigkeit der Klärung der eigenen geschlechtlichen Identität und das möglichst weitgehende Leben dieser Identität. § 2 StrafVollzG beinhaltet unter anderem, dass „Defizite“ bezüglich der Ausbildung, sozialen Verhalten usw. „behandelt“ werden. Daher sollte der Strafvollzug auch eine Lösung des „Problems“ Transsexualität ermöglichen.

§ 3 StrafVollzG ist konkreter als § 2 StrafVollzG und beinhaltet auch einen Anspruch der Gefangenen auf Umsetzung der Grundsätze des § 3StrafVollzG. Dies kann bei anderen Normen des StrafvollzugsG zu einer Ermessensreduktion2 führen.

§ 3 Absatz 1 StrafVollzG:
Nach Ansicht der Autorin folgt aus § 3 Abs.1, dass die gesellschaftlich gestiegene Anerkennung von Trans* auch im Strafvollzug mit vollzogen werden muss. Daher müssten alle Wahlmöglichkeiten, die Trans* draußen offen stehen, auch Trans* im Vollzug offen stehen. Dies beinhaltet die Entscheidung, ob eine Person medizinische Maßnahmen möchte oder nicht, ob sie eine Vornamensänderung möchte, eine Vornamens- und Personenstandänderung, sowie die Entscheidung, ob das Thema trans* therapeutisch „bearbeitet“ werden soll oder nicht.

§ 3 Absatz 2:
Hierin sieht die Autorin vor allem ein Recht auf Schutz vor Übergriffen und die Verantwortung der JVA zu verhindern, dass eine durch die Transsexualität psychisch labile Situation nicht durch den Vollzug verstärkt wird.

§ 3 Absatz 3:
Zur Verwirklichung des Rechts aus Absatz 3 sollte den Gefangenen über die normalen Besuchsrechte hinaus eine Möglichkeit des Kontakts zu einschlägigen Beratungsstellen und zur Wahrnehmung von Selbsthilfeangeboten ermöglicht werden. Dies kann entweder über erweiterte Besuchsrechte oder, im optimalen Fall, durch „Ausgang“ umgesetzt werden.


1. Recht auf Verlegung

a) § 140 Absatz 2 StrafvollzG3 beinhaltet das sogenannte Trennungsprinzip – also das Prinzip des geschlechtergetrennten Strafvollzugs. Im Ergebnis verneint die Autorin einen Anspruch auf Verlegung in den sogenannten „gegengeschlechtlichen“ Vollzug.
§ 140 Absatz 3 sieht eine Ausnahme für „Behandlung“ vor. Der Begriff Behandlung meint in diesem Kontext alle denkbaren Formen der Alltagsgestaltung (Arbeit, Ausbildung, Freizeit). Geschaffen wurde die Regelung hauptsächlich um inhaftierten Frauen die Teilhabe an den Möglichkeiten des Männerstrafvollzugs zu ermöglichen, da aufgrund der niedrigen Anzahl weiblicher Gefangener weniger Möglichkeiten für diese zu Verfügung stehen. Zum Teil wird von „Reformern“ dafür plädiert diese Regelung sehr extensiv zu nutzen und die Geschlechtertrennung auf die reine Unterbringung zu beziehen. Dies würde den Grundsätzen des § 3 entsprechen.
Der Absatz 3 beinhaltet jedoch keinen Anspruch für Gefangene, sondern nur eine Möglichkeit für die JVA nach ihrem Ermessen vom Grundsatz des Absatz 2 abzuweichen. So das Trans*Gefangene keinen durchsetzbaren Anspruch aus dieser Regelung ableiten können. Darüber hinaus geht es im Absatz 3 nur um zeitweise Ausnahmen für einzelne Maßnahmen, so dass der Absatz nicht für einen generellen Vollzug im Knast des Wunschgeschlechts genutzt werden kann.

b) Die Autorin prüft dann noch § 9 (Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt) und sieht auch dort keine Möglichkeiten für trans*Gefangene eine Verlegung durchzusetzen. Denn zum einen gibt es in den entsprechenden therapeutischen Anstalten keine Spezialisten für trans*Belange und somit keine spezifischen Therapiemöglichkeiten und zum andern bezieht sich die Regelung auf die therapeutische „Bearbeitung“ der strafverursachender Defizite und diese betreffen meistens nicht die Transsexualität.

c) Nach § 854 ist eine Verlegung zum Schutz des Gefangenen möglich. Der Paragraph spricht zwar nur von einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt durch den Gefangenen. Die Regelung ist aber anerkanntermaßen so zu lesen, dass die Gefahr auch mittelbar auf einer „Reaktion“ der Mitgefangenen auf den zu verlegenden Gefangenen bestehen kann. Ein Anspruch aus § 85 ist jedoch durch § 815 beschränkt. Nach diesem Paragraphen muss bei jeder Verlegung die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Vergleich zur Gefahr beachtet werden, unter der besonderen Beachtung der Förderung der sozialen Integration.


2. Recht auf eine medizinische Behandlung

An sich besteht ein Anspruch des Inhaftierten gegenüber der JVA auf medizinische Versorgung und Behandlung.6 Allerdings ist generell der Anstaltsarzt zuständig und er beurteilt auch die Notwenigkeit einer Behandlung bzw. die Art der Behandlung.7 Allerdings liegt es nach Ansicht der Autorin nahe, dass der Anstaltsarzt, da er selber kein Spezialist ist, die Behandlung an einen solchen abgeben muss.
In die Entscheidung sind nach Ansicht der Autorin aber auch Belange der Anstalt mit einzubeziehen, da es auch bei dem Anspruch auf medizinische Behandlung die Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Das heißt der Leidensdruck des Gefangenen ist gegen Anstaltsbelange abzuwägen. Ein Interesse der Anstalt ist dabei die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt welche durch erkennbare trans*Leute gefährdet sein kann. Der relevanteste Punkt der Abwägung ist jedoch die Länge der Haftstrafe. Bei längeren Haftstrafen ist eine Verweigerung der Behandlung nicht rechtmäßig, auch dann wenn bei lebenslänglicher Haft keine Entlassung (und somit kein Leben in Freiheit in dem Wunschgeschlecht) in Aussicht steht. Rechtmäßig verweigert werden könnte eine Behandlung aufgrund der langen Dauer der Behandlung bei kürzeren Haftstrafen, da es dann zumutbar sein kann die Person auf eine Behandlung in Freiheit zu verweisen.

3. Kleidung 8

Grundsätzlich müssen die Gefangenen Anstaltskleidung tragen.9 In den getrennten Männer- und Frauenhaftanstalten gibt es jeweils nur Kleidung des entsprechenden Geschlechtes. § 20 Abs.2 S.2 ermöglicht eine Ausnahme von dem Grundsatz. Bei dieser Entscheidung hat der Anstaltsleiter ein sehr weiten Ermessensspielraum. Es ist also sehr schwer aus der Regelung ein einklagbares Recht abzuleiten. Der Ermessensspielraum wird von verschiedenen Komponenten beeinflusst, unter anderem von dem Vollzugziel der Resozialisierung und dem Angleichungs- und dem Entgegenwirkungsgrundsatz aus § 3. Auch das in § 4 normierte Verbot dem Gefangenen mehr Einschränkungen als notwendig aufzuerlegen muss beachtet werden. Die Interessen der Anstalt, insbesondere wiedereinmal die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, müssen beachtet werden. Trans*spezifisch muss die im TSG angelegte Anerkennung des Transprozesses durch den Gesetzgebers beachtet werden. Schon der Beginn eines Verfahrens nach dem TSG muss bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Der Ermessensspielraum sinkt je mehr Komponenten des Transprozesses bei der betreffenden Person umgesetzt sind, z.B. Vornamensänderung, Hormone etc.
Allerdings muss eine Trans*Identität auch ohne Inanspruchnahme des Verfahrens nach dem TSG bei der Entscheidung beachtet werden, da sich die persönliche Selbstbestimmung direkt aus Art.1 i.V.m Art. 2 GG ergibt und auch der Angleichungsgrundsatz und das Ziel der Resozialisierung es nahe legen die Trans*Identität einer Person zu beachten.

4. Kosmetika

Hygieneartikel können wie Lebensmittel in der JVA eingekauft werden.10 Das Angebot ist an den Bedürfnissen der Gefangenen auszurichten. Grundsätzlich muss also auch der Erwerb von „gegengeschlechtlichen“ Artikel erlaubt sein. Bestimmte Produkte können nur untersagt werden, wenn diese „die Ordnung und Sicherheit“ stören. Eine solche Störung könnte durch die Benutzung femininer Kosmetika in einer Männer-JVA indirekt durch Reaktionen der Mitgefangenen eintreten. Allerdings dürfte dies im Regelfall nicht als Begründung für ein Verbot genügen. Laut der vorliegenden Arbeit ist aber auch der konkrete zu erwartende Gebrauch zu beachten. Dabei soll es relevant sein, ob die Person die Kosmetik „dezent“ benutzt oder „grell und überzogen“. Wenn die Person sich im „Alltagstest“ nach dem Verfahren nach dem TSG befindet, muss ihr der Erwerb der entsprechenden Produkte erlaubt werden.

5. Gemischtgeschlechtliche Unterbringung während Arbeit und Freizeit

Wie schon weiter oben ausgeführt, gibt es nach § 140 die Möglichkeit vom Trennungsgrundsatz für einzelne Maßnahmen eine Ausnahme zu machen. Auch bei geltender Gesetzeslage wäre es demnach möglich die vollzugsinterne Geschlechtertrennung weitestgehend bis auf die Unterbringung in den Ruhezeiten auszudehnen. Dies wird zwar nicht praktiziert, die Regelung bietet aber Möglichkeiten den Bedürfnissen von Trans* zu entsprechen und zumindest teilweise einen Vollzug jenseits der eingeschlechtlichen Zuweisung zum Geburtsgeschlecht zu ermöglichen. Insbesondere bei der Berufsausübung im Strafvollzug gibt die Autorin zu bedenken, dass zumeist nur Arbeits- und Ausbildungsplätze in geschlechtsspezifischen Berufen angeboten werden und so nur durch eine Ausnahme der Geschlechtertrennung das Ausüben oder Erlernen eines Berufes in der sozialen Realität des Wunschgeschlechtes ermöglicht werden kann.
Allgemein sollte bei der Zuweisung eines Arbeitsplatzes die psychische Situation der trans*Personen beachtet werden. Die Autorin sieht es als zweifelhaft an, ob diese Personen eine volle Arbeitsstelle erfüllen könne, da sie dort einen langen Zeitraum am Stück zu (oft problematischer) sozialer Interaktion mit Mitgefangenen und „Chefs“ gezwungen ist. In diesem Abschnitt erwähnt die vorliegende Arbeit zum ersten und einzigen Mal, dass die Betroffenen nicht nur mit negative Reaktionen seitens ihrer Mitgefangenen, sondern auch seitens der Angestellten der JVA konfrontiert werden (können).
Hinsichtlich der Freizeitangebote liegt es bei Trans*Gefangenen besonders nahe von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen. Über den Vorteil des erweiterten Angebots hinaus, besteht so die Möglichkeit mehr Selbstsicherheit im Rollenverhalten und Erprobung dieses zu erlangen. Trotzdem bleibt es eine Ermessensentscheidung der Anstalt auf die der Gefangene keinen Rechtsanspruch hat.

Im Abschlussteil der Arbeit plädiert die Autorin für eine generelle Aufhebung der Geschlechtertrennung im Strafvollzug. Sie bezieht sich dabei auf andere Arbeiten zu dem Thema. Nach ihrer Ansicht würden die positiven Effekte für alle Gefangenen die Bedenken überwiegen, bzw. die Bedenken könnten in der konkreten Umsetzung genügend beachtet werden. Für transsexuelle Gefangene wäre die Geschlechtermischung besonders erstrebenswert, um spezifische Probleme für trans*Gefangene und „Vollzugschäden“ zu vermeiden.
Ein geschlechtsgemischter Strafvollzug könnte mehr oder weniger weitreichend ausgestaltet sein. Einschlägige Erfahrungen gibt es in Deutschland im Bereich des offenen Vollzugs. Dort gab es mehrere Modellprojekte in denen eine völlige Abschaffung der Trennung bestand. In anderen Anstalten gab und gibt es eine beschränkte Mischung, z.B. im Bereich von Schule und Ausbildung. Die bereits gemachten Erfahrungen waren überwiegend positiv. Ähnliche und weitergehende Projekte sind aus den USA, den Niederlanden und Dänemark bekannt.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Schaffung spezialisierter Trans*-Abteilungen. Dort gäbe es dann Austausch mit anderen Betroffen, die Möglichkeit optimierter Behandlungen und das Ausbrechen aus einer Außeneiterrolle der einzelnen Trans*Personen. Dafür entstünde dadurch eine Separierung, die der Resozialisierung und dem Angleichungsgrundsatz entgegen steht. Eine Orientierung in der Geschlechterrolle an CisPersonen würde unmöglich gemacht. Des Weiteren würde es dadurch zur Behinderung von sozialen Außenkontakten durch größere Entfernung zur „Heimat“ und mangelnde sonstige Differenzierung zwischen den Gefangenen aufgrund der kleinen Gruppe kommen.

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Weitere Literatur zur Geschlechtertrennung im Strafvollzug, die in der Arbeit zitiert werden:

Köhne, Michael, Geschlechtertrennung im Strafvollzug in Bewährungshilfe 2002, 221
Stöckle-Niklas, Claudia, Das Gefängnis – eine eingeschlechtliche Institution, 1989
Siekmann, Gerd, Männer und Frauen in derselben Haftanstalt. Ein neues Modell im Hamburger Strafvollzug in Zeitschrift für Strafvollstreckung 1985, 11

Nette Erkenntnis, wenn das mal der Gesetzgeber, die Krankenkassen und Gutachter erkennen würden [zurück]
Ermessensreduktion bedeutet, dass ein vom Gesetz der entscheidenden Stelle (z.B. Anstaltsleiter) gegebener Ermessensspielraum verkleinert wird, also nicht alle denkbaren Entscheidungen rechtmäßig sind. Im Besten Falle wird der Ermessensspielraum auf Null reduziert, so dass ein durchsetzbares Recht auf eine bestimmte Entscheidung entsteht. [zurück]
§ 140 Trennung des Vollzuges
(2) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Aus besonderen Gründen können für Frauen getrennte Abteilungen in Anstalten für Männer vorgesehen werden.
(3) Von der getrennten Unterbringung nach den Absätzen 1 und 2 darf abgewichen werden, um dem Gefangenen die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen. [zurück]
§ 85 Sichere Unterbringung
Ein Gefangener kann in eine Anstalt verlegt werden, die zu seiner sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst sein Verhalten oder sein Zustand eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt. [zurück]
§ 81 Grundsatz
(1) Das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt ist zu wecken und zu fördern.
(2) Die Pflichten und Beschränkungen, die dem Gefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen. [zurück]
§ 56 Allgemeine Regeln
Für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen ist zu sorgen. (…)
§ 58 Krankenbehandlung
Gefangene haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Die Krankenbehandlung umfaßt insbesondere
1. ärztliche Behandlung, (…)
3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
4. medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie, soweit die Belange des Vollzuges dem nicht entgegenstehen. [zurück]
Der Anstaltsarzt ist an die medizinischen Standards gebunden an die alle Ärzte gebunden sind. Allerdings sind seine Entscheidungen als Entscheidungen des einzigen zuständigen Experten schwer überprüfbar. [zurück]
§ 20 Kleidung
(1) Der Gefangene trägt Anstaltskleidung. Für die Freizeit erhält er eine besondere Oberbekleidung.
(2) Der Anstaltsleiter gestattet dem Gefangenen, bei einer Ausführung eigene Kleidung zu tragen, wenn zu erwarten ist, daß er nicht entweichen wird. Er kann dies auch sonst gestatten, sofern der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. [zurück]
Wie so vieles widerspricht diese Regelung den Vollzugsgrundsätzen, insbesondere § 3 Abs.1. Sie wurde eingeführt um die Flucht durch die eindeutige Kleidung zu erschweren. [zurück]
§ 22 Einkauf
(1) Der Gefangene kann sich von seinem Hausgeld (§ 47) oder von seinem Taschengeld (§ 46) aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot Nahrungs- und Genußmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen. Die Anstalt soll für ein Angebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht nimmt.
(2) Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können vom Einkauf ausgeschlossen werden.

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