Dienstag, 23. Januar 2018

Diagnose ‚intersexuell‘ – eine genetische Theorie zur Legitimation von Geschlechtsumwandlungen


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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Diagnose ‚intersexuell‘ – eine genetische Theorie zur Legitimation von Geschlechtsumwandlungen

Durch die Realisierbarkeit von Geschlechtsumwandlungen entwickelte sich zunächst die nicht-diskursive Praxis. Für die Erfüllung transsexueller Wünsche spielten (differential-) diagnostische und ätiologische Fragen kaum eine Rolle.

Nachdem ab den 1930er Jahren das Interesse der medizinischen Forschung an den transsexuellen Experimenten nachgelassen hatte, wurde das Fehlen einer immanenten Begründung und Legitimation von geschlechtsumwandelnden Eingriffen deutlich.

Denn einige Transsexuelle erwiesen sich im Leiden an ihrem Geschlecht als unabweisbar.
Einzelne Ärzte, die aus Empathie, therapeutischem Pragmatismus oder wissenschaftlicher Neugierde schließlich diese Wünsche erfüllten, griffen zur Legitimation derartiger Eingriffe auf eine genetische Theorie der Entstehung sexueller und geschlechtlicher Zwischenstufen zurück.
Nachdem die Steinach-Hirschfeld’sche Theorie der hormonellen Determinierung von Geschlecht und Sexualität allgemein als falsifiziert angesehen worden war, stand diese parallel entstandene Variante der Bisexualitätstheorie zur Verfügung, die bereits vor 1920 aus der Zoologie auf den Menschen spekulativ übertragen worden war.

Das Paradigma der Geschlechtsdetermination verschob sich vom Keimdrüsen- und hormonellen Geschlecht zum genetischen Chromosomengeschlecht. Die strategische Bedeutung dieser genetischen Intersexualitätstheorie für die medizinische Konstruktion der Transsexualität bestand zunächst einmal darin, die (Weiter-)Entwicklung der transsexuellen Praxis zu ermöglichen.
Die physischen und psychischen Folgen solcher Eingriffe wurden nicht als Beweis oder Widerlegung dieser Theorie diskutiert.

Von langfristiger Bedeutung war, dass mit dieser Theorie die Hypothese, transsexuelle Wünsche hätten eine konträrgeschlechtlich kodierte biologische Ursache, in der Welt war.
 Diese Hypothese begründete eine Forschung, die den Entwicklungsbedingungen von Geschlecht und Sexualität auf der Spur war, und führte über die mittels ihr legitimierte transsexuelle Praxis zur nosologischen Konstruktion der Transsexualität.

Die Ulrichs’sche Metapher einer weiblichen Seele im männlichen Körper, die bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts weniger als Kollektivsymbol homosexuellen Begehrens taugte als zu dem einer gegengeschlechtlichen Empfindung, wurde mittels Goldschmidts Theorie in die Genetik übersetzt, als Hypothese eines konträren Chromosomengeschlechts.

Die genetische Theorie Richard Goldschmidts – Erbfaktoren als Erklärungsmodell
sexueller Zwischenstufen

Die Existenz von das Geschlecht bestimmenden Chromosomen war bei Insekten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den folgenden Jahren bei verschiedenen Säugetierarten und auch beim Menschen nachgewiesen worden.
 Es herrschte allerdings Uneinigkeit darüber, ob sich das männliche Geschlecht genetisch durch ‚XY‘ oder ‚X0‘ bestimmen lässt.

„Heute [hat] jede Betrachtung von Geschlechtsproblemen von zwei fundamentalen Tatsachenkomplexen auszugehen (...), den Tatsachen der Mendelschen Vererbung und den Beobachtungen über die Geschlechtschromosomen.

Ihre Quintessenz ist, dass stets das eine Geschlecht in Bezug auf die Geschlechtsfaktoren ein Bastard ist, das andere nicht (...).“

Goldschmidt, Biologe und Genetiker am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie, ging im Gegensatz zu anderen Forschern noch 1931 davon aus, dass Zellen des einen (beim Menschen des männlichen) Geschlechts nur ein Geschlechtschromosom (X), die des anderen, beim Menschen des weiblichen, dagegen zwei besitzen würden (XX), so dass diese bei der Meiose, dem Teilungsvorgang im Verlauf der Keimzellenbildung, gleiche Keimzellen, jene aber zwei Arten dieser Zellen bilden, solche mit und solche ohne Geschlechtschromosom.
Befruchtet nun ein Spermium ohne Geschlechtschromosom das Ei, wird der Embryo männlich (X), im anderen Fall, wenn also Samen und Ei je ein Geschlechtschromosom enthalten, weiblich (XX).
Für die Vererbung der Geschlechtscharakteristika war für Goldschmidt naheliegend, „dass das homozygote Geschlecht nur die Charaktere des eigenen, das heterozygote aber die Charaktere beider Geschlechter enthält“.

Versuche an Schmetterlingen hätten dies aber widerlegt und gezeigt, dass „jedes Geschlecht die gesamten Eigenschaften des anderen mit enthält und dass ein besonderes quantitatives System bestimmt, welche latent und welche patent werden“.

Goldschmidt hatte verschiedene japanische und europäische Rassen des Schwammspinners mit- und untereinander gekreuzt und dadurch geschlechtliche Zwischenformen erzeugt, „die in lückenloser Reihe von einem Weibchen zu einem Männchen und umgekehrt führen“.
Daraufhin konstruierte Goldschmidt folgendes Erbfaktorenmodell. Männliche wie weibliche Individuen enthielten die Erbfaktoren für beide Geschlechter: den Weiblichkeitsfaktor F und den Männlichkeitsfaktor M. Den Faktor F vermutete er auf dem Geschlechtschromosom, die Faktoren M auf einem Autosomenpaar. So hätten beim Menschen weibliche homozygote Individuen beide Faktoren doppelt (MMFF), männliche heterozygote Individuen dagegen nur einen Weiblichkeitsfaktor (MMF). Jedem Faktor maß Goldschmidt eine „bestimmte quantitative Wirkungskraft“ bei.

Um eine normale geschlechtliche Entwicklung zu gewährleisten, dürfe die Potenz des einen geschlechtlichen Erbfaktors gegenüber der des anderen ein bestimmtes Minimum nicht unterschreiten. Das Zustandekommen der geschlechtlichen Zwischenformen bei den Schwammspinner-Versuchen erklärte sich Goldschmidt dadurch, dass die Geschlechtsfaktoren je nach Rasse unterschiedliche Potenzwerte haben: so sei bei manchen Kreuzungen dieses Minimum unterschritten worden und aus diesen „Zwischenfällen (...) sexuelle Zwischenstufen“ entstanden.

Die Intersexualität der Tiere erstreckte sich nicht nur „auf alle Organe, in denen Geschlechtsunterschiede bestehen“, wobei „die einzelnen Organe nicht streng korreliert“ seien. Es seien auch „alle Übergänge im Sexualinstinkt“ festzustellen.

Bei den „extremen Stufen“ lasse sich schließlich „kein Unterschied mehr zwischen dem echten Männchen und dem ganz umgewandelten Weibchen finden“ (bzw. umgekehrt).
Die intersexuelle Entwicklung konstruierte Goldschmidt nicht als eine gleichzeitige von weiblichen und männlichen Charakteristiken, sondern als eine nacheinander erfolgende: Intersexe würden „einen Teil ihrer Entwicklung als Weibchen durchmachen und dann nach dem Drehpunkt die männliche Entwicklung einschlagen (oder umgekehrt)“.

Je früher der Drehpunkt, desto vollkommener die Umwandlung.
Aufgrund der Unmöglichkeit von Züchtungsversuchen beim Menschen konnte für Ludwig Moszkowicz, einen Schüler Goldschmidts, „für die Anwendbarkeit der Intersexualitätslehre auf den Menschen nur eine Art Indizienbeweis“ versucht werden.

Er sah aber keinen Grund „anzunehmen, dass für den Menschen andere Gesetze gelten sollten als für die höheren Säugetiere“, wie auch Goldschmidt aus der Annahme, dass „alle prinzipiellen Erscheinungen der Vererbungslehre (...) im gesamten Tier- wie Pflanzenreich identisch“ verlaufen würden, das Recht abgeleitet hatte, „aus den Verhältnissen bei Schmetterlingen auf den Menschen zu schließen“.
Die mögliche Ursache intersexueller Formen beim Menschen wurde in ungeplant vorgenommenen ‚Kreuzungsversuchen‘ ausgemacht: die „abnorme Faktorenkombination beim Menschen“ könne „auf gelegentliche Mutationen“ oder auf „Rassenmischung“ zurückgeführt werden, denn „unsere menschliche Kopulation [sei] das verwickelste Bastardgemisch, das man sich überhaupt ausdenken kann“.
Für Moszkowicz war das beste Indiz für die Gültigkeit des Modells, „dass die Erscheinungsformen der menschlichen Zwitter, die uns in der bisherigen Klassifizierung regellos vorkommen, Sinn bekommen und uns verständlich werden, wenn wir das Zeitgesetz der Intersexualität auf sie anwenden“.
So brachte Moszkowicz mit der Akribie eines guten Schülers die verschiedenen somatischen Zwitterformen – rein hypothetisch – in ein an den unterschiedlichen Drehpunkten orientiertes Schema.
Goldschmidt hatte auch die „psychischen sexuellen Zwischenstufen“ als „Stufen biologischer Intersexualität“ behauptet.
Der Zoologe verließ sich dabei auf die „herrschende Annahme“ der Fachliteratur, konträre Sexualität sei angeboren und erblich. Der Variationsreihe bei den Schmetterlingsversuchen entspreche eine kontinuierliche Reihe, die von der Homosexualität, deren niederste Stufe ins Normale übergehe, zum Hermaphroditismus führe.

Dass beim Menschen „die erste Eigenschaft, die die Intersexualität erkennen lässt, das Seelenleben“ sei, war für Goldschmidt biologisch erklärbar.
Er setzte Seelenleben mit Gehirntätigkeit gleich: und diese sei beim Menschen „zweifellos die sensibelste Eigenschaft“.

Es müsste also z. B. „ein schwacher, männlicher Pseudohermaphrodit weiblich empfinden“, homosexuell sein, ggf. geringfügig weibliche Körperformen haben. Wenn nicht, galt es genauer hinzusehen: seine Warnung vor einer möglichen Fehleinschätzung machte zugleich den besonderen Kniff seines Modells aus: z. B. könne es sich bei einem schwachen männlichen Pseudohermaphroditen auch um „ein fast völlig umgewandeltes [genetisch; V. W.] weibliches Individuum“ handeln; darauf würde eine „rein“ männliche (also heterosexuelle) Sexualempfindung hindeuten.
Die entscheidende Flexibilisierung des Intersexualitätsmodells für ‚psychischen Hermaphroditismus’ nahm Moszkowicz vor.

Meinte Goldschmidt, die Psyche sei für intersexuelle Entwicklungen am empfänglichsten, nahm demgegenüber Moszkowicz an, dass „bei einem Geschlechtsumschwung (...) auch im Bereich der Psyche Reste des genetischen Geschlechtes fixiert bleiben“ können.
Durch diese Entkopplung von somatischer und psychischer Intersexualität gelang zweierlei: einerseits konnten somatische Intersexe ohne entsprechende psychische Entwicklung nach dem Modell erklärt werden, andererseits konnten Homosexuelle nun auch als Umwandlungsmännchen bzw. -weibchen aufgefasst werden, also als Menschen, die genetisch und psychisch/psychosexuell dem einen Geschlecht, somatisch (fast) vollständig dem anderen zugehören.
Das auf Männer gerichtete, deswegen ‚weibliche‘ Begehren von Männern konnte auf deren genetische Weiblichkeit zurückgeführt werden; für lesbische Frauen galt das Erklärungsmuster entsprechend. So wurde Goldschmidts Modell der geschlechtlichen Erbfaktoren universal: Es konnte alles erklären, jede sexuelle Zwischenstufe, ob psychisch oder somatisch.

Die Konstruktion der Diagnose ‚Intersexualität‘ zur Legitimation von Geschlechtsumwandlungen

Der biologistischen Legitimation von Geschlechtsumwandlungen liegt ein Wechsel des Paradigmas der Geschlechtsbestimmung zugrunde: vom Keimdrüsen- und hormonellen Geschlecht zum genetischen Geschlecht. Goldschmidts Erbfaktoren-Modell verankert – wie Weiningers Theorie des Keimplasmas – über die Bisexualität somatische und psychische Geschlechtscharaktere, die sexuelle Orientierung eingeschlossen, auf der Zellebene: „Jede einzelne Zelle des Organismus ist bisexuell“.20 Das Modell liefert eine genetische Erklärung für die Regel und die Ausnahmen, die die Regel bestätigen: für die Normen der Zweigeschlechtlichkeit und der Heterosexualität und für die geschlechtlichen Zwischenformen:21 für Homosexualität wie für Transsexualität. Die ‚konträrsexuelle‘ Struktur des Chromosomengeschlechts ist dabei der unhintergehbare Kern der Erklärung. Wie diese genetische Theorie der Geschlechtsdetermination zur Rechtfertigung von Geschlechtsumwandlungen funktioniert hat, wie die Diagnose ‚Intersexualität‘ bei Menschen mit Wünschen nach Geschlechtsumwandlung konstruiert worden ist, soll im Folgenden dargestellt werden.
Hormonelle Geschlechtsdetermination und autobiographisches Zwitterargument vs. wissenschaftliche Hypothese genetischer Intersexualität

Ein autobiographischer Text bildete den Anfang der biologistischen Legitimation des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung. Wie bei der Entstehung des medizinischen Diskurses zur Homosexualität22 bestanden auch im Fall Transsexualität zwischen autobiographischem und wissenschaftlichem Schreiben interdiskursive Verbindungen. Die Einzeldiskurse beeinflussten sich wechselseitig. Wie der wissenschaftliche Diskurs bis in die 1950er-Jahre hinein aus Fallgeschichten bestand, die sich durch einen Wechsel von (zitierter) Betroffenenrede und Expertenkommentar charakterisieren lassen,23 hat die sich Anfang der 1930er-Jahre entwickelnde transsexuelle (Auto-)Biographik als Textgattung in der wissenschaftlichen Fallgeschichte ihre Wurzeln und Entstehungsvoraussetzungen.24 Die Autobiographie Lili Elbes, die den Anfang des (auto-)biographischen Diskurses von Transsexuellen markiert,26 unterscheidet sich vom einsetzenden wissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich des Paradigmas der Geschlechtsbestimmung, da sie sich implizit noch auf die Keimdrüsen-Hormon-Theorie gründet. Der in Paris lebende dänische Maler Ejnar Wegener (pseud. Andreas Sparre) wurde in Dresden operiert: Nach einer Kastration und Penisamputation fand im April 1930 eine Ovarientransplantation statt; kurz danach erhielt die Patientin von der dänischen Botschaft einen auf Lili Elbe lautenden neuen Pass.27 Wegener gab seinem weiblichen Ich ‚Lili’ zu Ehren des Ortes seiner „eigentlichen Geburt“28 den Nachnamen Elbe. Die Autobiographie beschreibt einen Zwitter-Körper als Substrat eines verdoppelten Ichs. Wegener hatte eine „sonderbare Veränderung der Linien“ seines Körpers ausgemacht, die ihn in Männerkleidung „wie eine verkleidete Frau“ aussehen ließen; außerdem seien „seltsame() Blutungen“, meist Nasenbluten, von nervösen Verstimmungen begleitet, aufgetreten, die die Interpretation ‚männliche Menstruation’ nahelegen sollten.29 Die Frau im männlichen Körper, die diesen veränderte, entstand aus einer schizoiden Spaltung, die „ein völlig selbständiges Persönchen“ schuf:30 „Andreas bestand aus zwei Wesen: aus einem Mann, Andreas – und aus einem Mädchen: Lili ... Man konnte sie auch Zwillinge nennen, die beide zu gleicher Zeit den einen Körper in Besitz genommen hatten. (...) Während er [d. i. Andreas; V. W.] sich müde fühlte und dem Tode verfallen schien, war Lili froh und lebensfrisch.“31 „Lili und ich [d. i. Andreas; V. W.], wir wurden zu zwei Wesen. War Lili nicht da, so sprachen wir von ihr wie von einer dritten Person. Und war Lili da, (...) war ich nicht da (...).“32 Ärzte, denen Wegener sein Doppelwesen aufgedeckt hatte, hatten ihn als Hysteriker, Homosexuellen oder schlicht als Verrückten betrachtet.33 Im Gynäkologen Prof. Dr. Kurt Warnekros, Direktor der Staatlichen Frauenklinik in Dresden, fand Wegener einen empathischen Arzt, der „nach eingehender Untersuchung“ – die Symptome bleiben allerdings im Dunkelnzum Ergebnis kam, „daß es sich im Fall Ejnar Wegener nicht um einen Mann, sondern eher um eine Frau handele.“34 Er vermutete, ‚Lili Elbe’ besitze männliche und weibliche Organe, die sich beide nicht hätten voll entwickeln können.35 Da Wegener „sich so ausgesprochen als Weib“ fühlte, war der operative ‚Geschlechtswechsel’ als Hilfe legitimiert, die den diagnostizierten somatischen Hermaphroditismus beheben und den Körper dem Geschlechtsempfinden angleichen konnte. „‚Kommen Sie zu mir nach Deutschland. Ich hoffe, daß ich Ihnen ein neues Leben und eine neue Jugend geben kann. (...) Ich werde Sie operieren, Ihnen neue, kräftige Ovarien geben. Dieser Eingriff wird Sie über jenen Stillstand in Ihrer Entwicklung hinwegbringen, dem Sie im Pubertätsalter verfielen.’“36 Die ärztliche Diagnose hatte dem Autobiographen seine „selbständig“ gebildete Meinung in die Feder diktiert: dass er „in einem Körper sowohl Mann wie Weib war, und daß das Weib in diesem Körper dabei war, die Überhand zu gewinnen“.37 Die ärztliche Kunst half also nur nach. Die Beschreibung des Operationsergebnisses war jedoch paradox: die Ehefrau schrieb in ihrem Tagebuch, ihr Mann „ist Weib, jetzt völlig Weib geworden. Und dieses Menschenkind war wohl nie etwas anderes als ein Weib.“38 Zugleich wurde aber Lilis Weiblichkeit nicht in einer seelischen Tiefe verortet. Jene sei bis jetzt „nichts als Oberfläche, noch nicht völlig echt“, und werde erst vom Professor geformt: das „seelische() Modellieren“ komme „vor dem körperlichen Modellieren zum Weibe“.39 Geburtsmetaphorik und Geschlechtsgedächtnis kollidierten in einem Brief Lilis an Professor Warnekros. Einerseits stilisierte sie die Transplantation zur Geburt – „Ich bin neugeschaffen. Ich bin dort unten bei Ihnen zur Welt gekommen, und mein Geburtstag ist jener Apriltag, an dem Sie mich operiert haben“ –, meinte, nichts mehr mit Andreas (pseud. von Ejnar Wegener) zu tun zu haben, bezichtigte sich sogar, vielleicht dessen Mörder zu sein, andererseits fühlte sie sich „so verändert, als hätten Sie nicht meinen Leib, sondern mein Gehirn operiert“.40 Doch das Gehirn blieb unoperiert, wie es das gleiche Bewusstsein war, das sich erinnerte. In Lili Elbes Autobiographie wurden ein psychischer und ein somatischer Hermaphroditismus behauptet. Dass die Fakten, die das transsexuelle Begehren biologisch begründen sollten, unbestimmt und dürftig waren, hatte nichts mit der Textgattung Autobiographie zu tun. Das somatische Substrat der abgespaltenen ‚weiblichen Seele’ Wegeners, die angeblichen Eierstockrudimente, legitimierte die operativen Eingriffe, vor allem die Steinach’sche Transplantation von Eierstöcken. Der frühere Hirschfeld-Mitarbeiter Max Hodann bemerkte zwar noch 1937 zum Fall Lili Elbe: „the case demonstrated that Steinach‘s tests were perfectly valid for our species as well.“41 Doch galt zum einen Anfang der 1930er Jahre die Steinach-Hirschfeld’sche Theorie der Geschlechtsdeterminierung bereits als wissenschaftlich unhaltbar; zum anderen konnten – selbst von operationswilligen empathischen Ärzten – bei Menschen mit Wunsch nach Geschlechtsumwandlung in der Regel keine hormonellen oder anderen somatischen Zeichen des anderen Geschlechts festgestellt werden. So rezipierten Mediziner, die den transsexuellen Wunsch begründen und seine Realisierung legitimieren wollten, das Goldschmidt’sche Intersexualitätsmodell. Ein von Fessler dargestellter Fall „zeigt mit der Präzision eines Experimentes“, was nicht endokrinologisch, aber mit Hilfe von Goldschmidts Modell erklärt werden könne.42 Fessler berichtete von einem 51 Jahre alten Mann, bei dem sich 1916 im Alter von Mitte 30 eine Neigung zum Transvestitismus, verbunden mit einer „weitgehenden Effeminierung“ des Charakters, entwickelt habe. Mit einigen Jahren Verzögerung seien auch „somatische Zeichen der Verweiblichung“ aufgetreten.43 Nach mehr als 10 Jahren habe sich der Transvestitismus zur „Phantasie, als Mann von der Welt zu verschwinden und als Frau wiederzukommen“, und schließlich im Sommer 1929 zur „Idee, sich seinen Penis und (...) Hoden abzuschneiden ‚um ganz Weib zu werden’“, gesteigert.44 Dem betreffenden Mann waren 1914 infolge einer Kriegsverletzung der rechte Hoden vollständig und der linke Nebenhoden entfernt worden.45 Für Fessler stand „mit Gewißheit“ fest, „daß das Auftreten des Transvestitismus mit der erlittenen Keimdrüsenschädigung in engster ursächlicher Beziehung steht“.46 Fessler kannte aber auch Gegenbeispiele, Fälle, bei denen trotz starker Veränderungen der Keimdrüsen, selbst nach totaler Kastration, keine somatischen und/oder psychischen Veränderungen feststellbar gewesen seien. Goldschmidts Intersexualitätstheorie könne die einander widersprechenden Kastrationsfolgen erklären: wenn nicht die Keimdrüsen, sondern die männlichen und weiblichen Erbfaktoren einer jeden Zelle geschlechtsbestimmend wirken würden, dann seien die Männer, bei denen die (Teil-)Kastration verweiblichend wirke – also auch der vorliegende Fall –, ‚Umwandlungsmännchen’, also genetisch weiblich, die anderen Männer, bei denen die (Teil-)Kastration keine Effeminierung zur Folge habe, entsprechend genetisch männlich. Der dargestellte Fall bestätige darüber hinaus die Annahme, dass die Keimdrüsen zwar nicht geschlechtsbestimmend, wohl aber geschlechtserhaltende Bedeutung haben, denn „die Tatsache, daß unser Patient genetisch weiblich ist, tritt erst in Erscheinung, da die männliche Geschlechtsdrüse schwer geschädigt ist“.47 Die Hypothese genetischer Weiblichkeit erklärte für Fessler die Erfolglosigkeit seiner Therapie, den Patienten durch Gabe von männlichen Hormonen wieder vermännlichen zu wollen, und rechtfertigte die entgegengesetzte Behandlung, „die den Gesamtzustand des Patienten sehr günstig beeinflußte“: „Da also der Versuch mit dem Hodenhormon mißlang, schien mir der Gedanke naheliegend, das genetische (weibliche) Geschlecht hormonal zu unterstützen, zumal ich den Eindruck hatte, daß die Beschwerden des Patienten weitgehend der Ausdruck der immer deutlicher werdenden Diskrepanz zwischen seiner psychischen und somatischen Beschaffenheit waren. Tatsächlich wurden ja seine Klagen über den ‚Widerspruch’, daß er äußerlich ein Mann sei, aber sich gar nicht als solcher fühle, immer häufiger.“48 Fesslers Patient hatte sich beklagt, „er sei einmal Mann gewesen, aber daß sich auch so etwas ändern kann, werde allgemein nicht verstanden“.49 Dieser Fall zeigt auf prägnante Weise, wie Goldschmidts Theorie der Intersexualität Verständnis für Wünsche nach Geschlechtsumwandlung gefördert hat, weil es ihr gelang, in disparate Phänomene Ordnung zu bringen.

Selbstdiagnose und psychologisch nicht verstehbarer Wunsch
Geschlechtsumwandlungswillige hatten die Diagnose häufig bereits selbst getroffen, wenn sie einen Arzt aufsuchten. Sie bezeichneten das Geschlecht ihres Körpers als „Irrtum der Natur“,50 sahen sich als „Opfer eines grausamen Scherzes der Natur“51 oder gaben an, sie litten unter einem „conflict between (...) physical sex and (...) psyche“.52 Der von Binder beschriebene Fall D. benutzte zur Selbstdiagnose die diskursgeschichtliche Metapher konträrsexuellen Empfindens: er sei „mit der Seele eine Frau und mit dem Leibe ein Mann“.53 Binder berichtete: der 41-jährige D. sei im Juli 1930 zum ersten Mal in der Klinik erschienen und habe verlangt, „wir sollten ihm helfen, daß er stets weibliche Kleider tragen, einen weiblichen Namen führen und überhaupt in Zukunft als Frau leben dürfe“; während einer „schwere(n) Verstimmungsspannung“, die sich in einem Hass gegen „seine schon längst verabscheuten Genitalorgane“ entladen habe, habe er im Sommer 1931 einen Autokastrationsversuch durchgeführt und danach die sofortige operative Kastration gefordert.54 Das fordernde Auftreten der Geschlechtsumwandlungswilligen sowie ihr offensichtliches Leiden an ihrem Körpergeschlecht brachte einige Ärzte dazu, diese Patienten nicht pauschal zu psychiatrisieren und deren Wünsche nicht eindeutig abzulehnen.
Der bei der Untersuchung gewonnene Eindruck vom Geschlechtsempfinden des Patienten wurde in den Texten kaum thematisiert und wenn, überzeugte er nicht: So machte D. auf Binder den Eindruck eines körperlich „durchaus normale(n)“ Mannes in Frauenkleidern, allerdings mit einem „unverkennbar feminine(n) Gepräge seines ganzen Ausdrucksverhaltens“.55 Oder es wurden gerade solche Eindrücke erwähnt, die als Inszenierung des Geschlechts und nicht als Symptome psychischer ‚Tiefe’ imponieren. Neben Rührselig- und Herzlichkeit, weiblichen Bewegungen und der Produktion einer weiblichen Stimme wurde die exzentrische Auswahl von für einen Mann viel zu bunter Kleidung als Zeichen der Weiblichkeit interpretiert.56 Bei einem anderen Patienten, der gerne Filmstar geworden wäre,57 galten Haltung und Gang der Diva, gepaart mit hausfraulichen Interessen, als Belege der Weiblichkeit: „In psychischer Hinsicht erinnerten das Benehmen, die Haltung, der Gang und die Ausdrucksweise des Patienten an eine weibliche Person. So waren die Schritte kurz und trippelnd; die Oberarme wurden dem Körper angeschmiegt gehalten, die Unterarme leicht nach außen abgewinkelt. (...) Die Denkinhalte erwiesen sich als vorwiegend weiblich geartet und bewegten sich fast ausschließlich um Fragen des Haushaltes und die Einrichtung eines eigenen Heims.“58 Bei einer Darstellung des männlichen Geschlechts reagierte der männliche Diagnostiker dagegen empfindlicher. So wurde einer Frau-zu-Mann-Transsexuellen männliches Verhalten und männliche Kleidung als Inszenierung vorgehalten: „In ihrem ganzen Benehmen gibt sie sich wie ein Mann. (...) Aber trotz diesen männlichen Allüren, trotz der Männerkleidung wirkt sie weiblich.“59 Vor allem die Lebensgeschichte des Transsexuellen bildete die Grundlage der Diagnose psychischer Symptome. Dass diese dem Arzt nur als Bericht seines Patienten zugänglich war – der manchmal von Zeugen bestätigt wurde –, machte ihre Unwägbarkeit aus. Die diagnostische Bedeutung der Lebensgeschichte wurde durch Ausführlichkeit und eine Fülle von Daten dokumentiert. Die in den Texten wiedergegebenen biographischen Angaben der Transsexuellen waren in einem Ausmaß ähnlich, dass sich aus ihnen eine stereotype ‚Standardbiographie’ zusammenstellen ließe. Deren Symptome haben ihre Tradition im Diskurs der als geschlechtliche Inversion konstruierten sexuellen Inversion.60 Mann-zu-Frau-Transsexuelle gaben an:61 seit der Kindheit bzw. soweit die Erinnerung zurückreicht hatten sie Neigungen und Gefühle einer Frau,62 oder den Wunsch, ein Mädchen bzw. eine Frau zu werden bzw. zu sein;63 schon als Kind litten sie darunter, „nicht als Mädchen geboren zu sein“;64 sie wurden im Kindesalter als Mädchen gekleidet, wurden „verhätschelt“;65 sie hatten „eine Abneigung gegen Buben- und Männerkleidung“ und wären lieber als Mädchen angezogen worden;66 sie waren schon als Kind sehr eitel und haben sich „gerne geschmückt und geschminkt“;67 sie spielten lieber mit Mädchen und deren Spielsachen;68 sie waren ein braves, ängstliches Kind, ein Einzelgänger, fühlten sich gegenüber anderen Jungen fremd;69 sie machten „mit viel Freude und Geschick“ hauswirtschaftliche Arbeiten;70 sie hatten in der Kindheit oder Jugend begonnen, weibliche Wäsche oder/und Kleidung anzuziehen;71 dieses Transvestieren befriedigte sie nicht sexuell, sondern sie empfanden „nur ein himmlisches Gefühl des Ausruhens, der Erholung“;72 der transvestitische Drang wurde immer stärker;73 sie fielen immer wieder durch weibliches Benehmen auf;74 das männliche Genital und andere physische Charakteristika der Männlichkeit lehnten sie ab;75 letztlich erfolglose Selbstnormalisierungsversuche, Versuche, ein Mann zu sein, wurden unternommen: das Eingehen einer Ehe, das Zeugen von Kindern.76 Eine Frau-zu-Mann-Transsexuelle berichtete dementsprechend spiegelverkehrt: „Seit frü- hester Kindheit, soweit sie sich erinnern kann“, habe sie „den Wunsch, ja die feste Ueberzeugung, ein Knabe und nicht ein Mädchen zu sein.“77 Sie habe als Kind nur mit Knaben gespielt und nur Knabenspiele geliebt. „Zu Hause übernahm sie nur Männerarbeiten.“ In Mädchenkleidern habe sie sich unwohl gefühlt, deswegen zunächst unter der „halb mädchenhaften Kleidung stets Knabenunterwäsche“, ab dem 20. Lebensjahr „immer Männerkleider“ getragen.78 Die Texte beschränkten sich auf eine Deskription biographischer Daten als psychische Symptome des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung. Die Daten wurden nicht psychologisch gedeutet. Selbst die Angaben zum familiären Hintergrund, dem Hauptanhaltspunkt spä- terer psychologischer Ätiologien, blieben, soweit überhaupt welche gemacht wurden, uninterpretiert. Die Familienromane waren, auch bei ein und demselben Autor, vielfältig und widersprüchlich.79 Die Möglichkeit eines psychologischen Verstehens des transsexuellen Wunsches wurde in den Texten von vornherein nicht thematisiert oder als unzureichend für eine Erklärung des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung verworfen. Suggestive Einflüsse der Kindheit wurden als manchmal evident, manchmal vage und unplausibel bezeichnet.80 Dukor wies im Zusammenhang des Falls einer Frauen liebenden Frau-zu-Mann-Transsexuellen auf einander widersprechende psychogenetische Theorien hin, mit denen alles und nichts erklärt werden könne: wie weibliche Homosexualität nach der einen Theorie durch eine schlechte Behandlung durch den Vater bedingt sein soll, so behaupte eine andere Theorie gerade eine allzu starke Bindung an den Vater als Ursache für die Identifikation mit dem männlichen Geschlecht, so dass das Mädchen „in männlich-aktiver Einstellung Frauen als Geschlechtspartner begehre, während ihr zugleich infolge Uebertragung der Inzestschranke auf die anderen Männer der Weg zum Manne verlegt werde“; und wie oft würden diese Bedingungen weder Homo- noch Transsexualität bewirken.81 Auch Binder reichte ein psychologisches Verstehen als Legitimation für einen Geschlechtswechsel nicht aus. Und dass, obwohl D. „die Mädchenrolle förmlich angezüchtet“ worden sei:82 seine Mutter habe sich ein Mädchen gewünscht; er sei in einem katholischen Armenhaus groß geworden und auf Wunsch der Oberin bis zum Schulbeginn als Mädchen erzogen worden. Schließlich habe sich der Sexualtrieb analog D.’s weiblicher Gefühlshaltungen weiblich-passiv auf Männer gerichtet.83 Durch die Untersuchung der „Motivationsentwicklung der inneren Lebensgeschichte des D.“, durch die Darstellung der „seelischverständlichen Zusammenhänge“ konnte für Binder zwar geklärt werden, welche Erlebnisse für D. von Bedeutung gewesen waren und welchen Sinn er ihnen verliehen hatte. Doch das „psychologisch Einfühlbare“ könne das Verlangen einer Geschlechtsumwandlung nur „scheinbar restlos“ erklären.

Der Wille zur Diagnose – zirkuläre Begründung von übermächtiger Identifikation und intersexueller Konstitution
Diejenigen, die das transsexuelle Begehren rechtfertigen wollten, denen psychologische Ätiologien dieses aber nicht verständlich machen konnten, nahmen dann gerade das zum Ansatzpunkt einer Erklärung und zur Legitimation von körperlichen Eingriffen, was insbesondere die Verstörung, die Fremdheit des Phänomens ausmacht: die Intensität der angeblich seit der Kindheit bestehenden Identifikation mit dem anderen Geschlecht: „The conviction (...) is profound and passionate,“85 „the all-dominant factor in the patient’s life. (...) The eonist’s feeling of being a woman is so deeply rooted and irresistible that it is tempting to seek deeper somatic causes of the disease”.86 Vom Unverstandenen-Unverstehbaren wurde auf eine konstitutionelle Ursache geschlossen. Übermächtige Identifikation und Konstitution bewiesen sich gegenseitig. Das Leben selbst wurde zum Megasymptom: „Es erübrigt sich eigentlich im Leben von A. noch nach besonderen Aeusserungen der weiblichen Seele zu suchen: sein ganzes Leben ist nur durch die Annahme einer solchen zu erklären.“87 Kurzerhand wurde „eine umweltliche Verbiegung oder hintangehaltene Charakterreifung“ als Ursache „mit Sicherheit“ ausgeschlossen88 und eine gegengeschlechtliche psychische Konstitution behauptet.89 Der Körper wurde zum äußeren Feind erklärt: „Wir glauben [meine Hervorh.] (...) bei unserem Patienten A. einen Fall vor uns zu haben, bei dem die Daseinssphären des Leiblichen und diejenigen des Triebhaft-Geistigen nicht in gleicher Richtung angelegt sind. (...) Bei A. ist das Körperliche männlich, das Geistig-Triebhafte dagegen weiblich.90 (...) Wir finden bei ihm (...) den ewigen Kampf zwischen seiner weiblichen Seele und dem männlichen Körper. (...) Der Kampf wurde ihm von aussen aufgedrängt: von seinem Körper, von seiner Umwelt, von der moralischen Forderung seiner Mitmenschen und auch seines Gewissens, welche nur körperlich-seelisch einheitliche Menschen gelten lassen wollten.“91 Ähnlich ordnete Binder psychologische Erklärungen einer konstitutionellen Ursache im Sinne der sexualkonstitutionellen Theorie – ein „bis vor kurzem [meine Hervorh.] sehr umstrittenes Gebiet“92 – unter. Er meinte, die intersexuelle Konstitution zeichne eine „gewisse Bahn“ überhaupt nur möglicher Sinngebungen vor.93 Binder vermutete, dass bei einem so stark weiblichen Verhalten wie bei D. „noch ein spezifisches, endogenes Moment im Spiel sein [dürfte], eben der Faktor F, der gewissen seelischen Anlagen (...) schon eine spezifische, weibliche Prägung verlieh“.94 Die Erklärung war nur ein Zirkelschluss: ein weiblicher Erbfaktor sollte weibliches Verhalten erklären, aufgrund dessen wiederum auf den weiblichen Erbfaktor geschlossen wurde.95 Das Fehlschlagen von psychotherapeutischen Versuchen wurde auch als Beweis einer intersexuellen Konstitution angesehen:96 „If we are dealing with a constitutional deviation, we can hardly expect to influence it.“97 Benjamin formulierte in Anlehnung an ein Erklärungsmodell der Sexualpathologie des späten 19. Jahrhunderts, die genetische und hormonelle Konstitution müsse einen „fertile soil“ darstellen, „on which a psychic trauma can grow and develop into such a basic conflict that subsequently a neurosis or sex deviation results“.98 Da dieser ‚fruchtbare Boden’ selbst aber nicht wissenschaftlich beweisbar war, wurde nach ‚oberflächlichen’ somatischen Zeichen gesucht, die als intersexuelle Symptome, und damit als Stütze der psychischen Zeichen, interpretiert werden konnten. Bei Frau-zu-MannTranssexuellen99 galt die Aufmerksamkeit dem Gesamthabitus („infantile(r) Habitus mit maskulinen Einschlägen“), den Körperproportionen („Schultern (...) im Verhältnis zum Becken zubreit“; Fett- und Muskularverteilung männlich oder infantil) und vor allem den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen: „Anflug von Schnurrbart“, „kräftige Behaarung der Unterschenkel“, „Genital- und Rumpfbehaarung leicht vermehrt“; geringe Ausbildung der Brüste; unterentwickelte Vagina; infantiler Uterus; „leicht hypertrophe“ bzw. „relativ stark entwickelt(e)“ Klitoris. Des Weiteren waren Menstruationen bzw. Blutungen, die als solche interpretiert wurden, Anlass zu intersexuellen Interpretationen. Frau-zu-Mann-Transsexuelle hatten nur minimale Menstruationen („unregelmäßig, selten und spärlich“); gynäkologische Untersuchungen stellten jedoch zu deren Enttäuschung normal entwickelte innere Geschlechtsorgane fest.100 Umgekehrt behaupteten Mann-zu-Frau-Transsexuelle, menstruationsähnliche Blutungen gehabt zu haben. Wie Ejnar Wegener/Lili Elbe sein Nasenbluten entsprechend deutete, so berichtete auch ein Patient von Glaus über „Menstruationsbeschwerden“ und Blutungen aus Harnröhre und After.101 Binders Fall D. berichtete, er habe ab seinem 25. Lebensjahr viele Jahre lang „regelmäßig allmonatlich“ Blutungen aus seinem Penis gehabt haben, begleitet von allgemeinem Unwohlsein und reizbarer Verstimmung.102 Der Ausführlichkeit der Darstellung nach zu urteilen, galt Binders Forschereifer diesem somatischen Indiz einer intersexuellen Konstitution. Doch keine dieser männlichen ‚Menstruationen’ konnte durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt werden.103 Von diesen zweifelhaften Blutungen abgesehen wurden bei den dargestellten Mann-zuFrau-Transsexuellen nur in einem Text Symptome einer somatischen Weiblichkeit genannt: „typischer weiblicher Behaarungstyp, breite Hüften und volle runde Oberschenkel“.104 Die weibliche Brust, die Binders Fall D. gehabt haben will, hatte sich schon Jahre vor dessen Untersuchung wieder zurückgebildet.105 Bei anderen Patienten wurde betont, sie hätten einen normalen männlichen Körper.106 Ein verweiblichter Körper konnte sein, musste aber nicht: auch wenn die feminine Erscheinung der Mann-zu-Frau-Transsexuellen oft verblüffend sei, sei ein männlicher Körper ohne diese Symptome mit ‚voll ausgebildeter’ Transsexualität vereinbar.107 Generell war die Beweislage äußerst problematisch für die von Geschlechtsumwandlungswilligen vorgebrachte Idee, „nicht nur seelisch, sondern auch körperlich ‚der innern Konstitution nach eigentlich ein Weib‘“ zu sein.108 Die Diagnose Intersexualität bei Wünschen nach Geschlechtsumwandlung basierte nicht auf Fakten, sondern auf der Bereitschaft und dem Willen des jeweiligen Arztes, gewisse Zeichen gemäß dieser biologischen Theorie zu interpretieren. So machte Binder mit Hilfe der Erbfaktorentheorie aus vagen Anhaltspunkten – den nicht beobachteten Blutungen bei D. – körperliche Symptome einer zugrunde liegenden genetischen Weiblichkeit und spekulierte: bei der Entwicklung von Hoden und Gehirn habe sich eine abnorme Valenz des Faktors F dahingehend ausgewirkt, dass „sich gewisse Hodenzellen zur Follikulinproduktion funktionell spezifiziert haben“ und im Gehirn „ein zentrales Regulationssystem der Menstruation aktiviert wurde“.109 Im Gutachten, das D. die Personenstands- änderung ermöglichte, bescheinigte Binder diesem, mit relativ vorsichtigen Formulierungen, eine intersexuelle Konstitution: „D. ist seelisch ganz überwiegend weiblich, körperlich zwar überwiegend männlich geartet, doch trägt er sehr wahrscheinlich auch gewisse weibliche Körperfunktionen in sich. (...) In einem solchen Falle nicht eindeutiger Geschlechtszugehö- rigkeit scheint es uns für die praktische Entscheidung gerechtfertigt, das Verlangen der betreffenden Person nach der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlechte weitgehend zu berücksichtigen [meine Hervorh.].“110 Goldschmidts Theorie war die Spekulationsbasis, durch die sich der „Hermaphroditismus psychicus sehr leicht verständlich und organisch in den Gesamtrahmen der übrigen Formen des Hermaphroditismus“ einfügen ließ.111 In einigen Arbeiten zum transsexuellen Begehren wurden die Theorie der genetischen Geschlechtsbestimmung und das Erbfaktorenmodell ausführlicher dargestellt, wie in den „biologische(n) Vorbemerkungen“ der 1952 veröffentlichten Dissertation von Bättig,112 doch in der Regel waren sie die als bekannt vorausgesetzten Grundlagen, wenn Fälle von Verlangen nach Geschlechtsumwandlung kommentiert und begründet wurden. Man beschränkte sich auf die Erwähnung, die „konstitutionelle Intersexualität“ beruhe „auf einer Unausgeglichenheit des Chromosomensatzes oder der Hormonbilanz“113 oder auf beidem.114 Anfang der 1950er Jahre war Goldschmidts Theorie zwar immer noch nicht bewiesen, aber auch noch nicht widerlegt: So konnte das Behandlungsteam von Jorgensen, das nachträglich seine Eingriffe mittels dieser Theorie gerechtfertigt hat, feststellen: „The possibility of the existence of human Umwandlungsmänner can by no means be disregarded.“115 Benjamin erhoffte sich, dass der Begriff Transsexualität durch zukünftige genetische Erkenntnisse schließlich ganz verschwinden könne. Wie sich die von der Art der Geschlechtsdrüsen abhängige Geschlechtsbestimmung als wissenschaftlich nicht korrekt erwiesen habe, könnte sich die genetische Anlage des einen Geschlechts mit den Geschlechtsorganen des anderen als vereinbar erweisen.116 Es ginge dann nicht um eine Geschlechtsumwandlung, sondern nur um eine Genitalientransformation: „The term ‚transsexualism’ answers a practical purpose and is appropriate in our present state of knowledge. If future research should show that male sex organs are compatible with (genetic) female sex or female sex organs with (genetic) male sex the term would be wrong because the male ‚transsexualist’ is actually female and merely requires a transformation of genitals.”117 Ein Gutachten aus den 1940er Jahren stellte einen Sonderfall hinsichtlich der biologistischen Legitimation dar, weil sich der Arzt nicht auf das genetische Geschlecht bezieht, sondern ein konträrsexuelles Geschlecht des Gehirns behauptete: „Leber is (...) a type of congenital monstrosity having a female nervous system in a body which shows all the male attributes (...). There is, thus, an absolute contradiction between the anatomical sex and the cerebral sex.“118 Der Arzt hoffte, diesen absoluten Gegensatz zwischen anatomischem und cerebralem Geschlecht in der Zukunft anatomisch beweisen zu können. Seine Anhaltspunkte für eine geschlechtsspezifische Ausprägung des Gehirns, z. B. dessen Gewicht, wiesen ins 19. Jahrhundert zurück.119 Aus dem späten 19. Jahrhundert stammt auch die Hypothese eines konträren zerebralen Geschlechtszentrums, eine Hypothese, die im späten 20. Jahrhundert zu neuen Ehren kommen wird.





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