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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
In Deutschland leben
mehr als zehntausend Menschen, die intersexuell sind. Viele von ihnen werden
zwangstranssexualisiert
Offiziell
leben ungefähr zehntausend Intersexuelle in der Bundesrepublik. Selbst die
Regierung schätzt die Zahl höher. Denn etwa 350 Kinder mit uneindeutigem
Geschlecht werden jedes Jahr in Deutschland geboren. Je jünger die Kinder sind,
wenn sie von ihren Eltern und von Medizinern in ein Geschlecht gepresst werden,
desto größer die Schäden. „Für Kinder sind Hormone nicht zugelassen.
Intersexuellen Kindern verabreicht man sie trotzdem.“
Das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit werde ignoriert, sage ich.
Wer macht
sich – ein Beispiel – klar, was es für ein intersexuelles Kind bedeutet, wenn
es eine „Neovagina“ bekommt, wenn es „penetrationsfähig gemacht wird“? Sie weiß
es: „Die Neovagina muss bougiert werden, also geweitet.“ Wie? „Die Eltern
müssen jeden Tag mit dem Finger in die Vagina gehen und ein Phantom einführen.
Das Kind muss damit schlafen. Das ist Folter.“ Vielleicht sogar mehr. „Das
mangelnde Mitgefühl für diese Menschen ist mir persönlich unverständlich.“ Neovagina,
Bougierung, Gonadektomie, Transsexualisierung. Es sind Worte, es ist
Wirklichkeit.
Zur Situation von
Menschen mit Intersexualität in Deutschland
Medizinische
Behandlung – Indikation – Einwilligung-was Intersexuelle Menschen betrifft:
Seit 1950 propagieren und praktizieren Endokrinologen,
Kinderchirurgen und weitere
Mediziner kosmetische Genitaloperationen und andere
medizinisch nicht notwendige Eingriffe
an Kleinkindern mit atypischen Genitalien – weil sie die
Erfahrung machten, dass die Eltern
möglichst früh am leichtesten zu einer Zustimmung zu bewegen
sind. 1955 lieferte ein
Sexologe nachträglich eine angeblich wissenschaftliche
Begründung nach. Die angebliche
Wirksamkeit dieser Eingriffe konnten sie bis heute nie mit
zufriedenstellender Evidenz
belegen.
Seit bald 20 Jahren klagen Überlebende die verheerenden
Folgen dieser Praktiken öffentlich
an , darunter Verlust der sexuellen Empfindsamkeit,
schmerzende Narben im Genitalbereich,
gesundheitliche Schäden infolge Kastration, Traumatisierung
durch die aufgezwungenen
Behandlungen, und fordern ihre Beendigung. Seit 13 Jahren
fordern auch kritische Mediziner,
dass solche Eingriffe nur noch im Rahmen kontrollierter
Studien durchgeführt werden sollen,
solange weiterhin keine Evidenz vorliegt. Die Antwort der
verantwortlichen Behandler darauf
bis heute: Ablenkungsmanöver, Ausreden, Spott und Hohn – sicher im Wissen, dass sie
wegen der Verjährung juristisch kaum je belangt werden
können.
Wir fordern ein gesetzliches Verbot aller kosmetischen
Genitaloperationen und kosmetischen
Hormonbehandlungen an Kindern und Jugendlichen in Verbindung
mit einer Aufhebung,
Aussetzung oder Verlängerung der Verjährung, wie diese auch
bei weiblicher
Genitalverstümmelung und sexualisierter Gewalt an Kindern
gefordert wird.
Eltern haben kein Recht, für ihre Kinder kosmetischen
Genitaloperationen und kosmetischen
Hormonbehandlungen zuzustimmen. Solche Eingriffe verletzen
das Recht auf körperliche
Unversehrtheit der Kinder und berühren ihre
höchstpersönlichen Rechte.
Erlaubt bleiben sollen einzig medizinisch zwingend
notwendige Eingriffe, das heißt Eingriffe,
deren Aufschiebung irreversible körperliche medizinische
Beschwerden zur Folge hätte, zum
Beispiel chirurgische Eingriffe zur Behebung von
Verschlüssen oder Behinderungen im
harnableitenden System und Hormonbehandlungen zum Beispiel
bei Cortisolmangel oder zur
Aufschiebung vorzeitiger Pubertät.
Zu diskutieren wäre höchstens eine Einwilligung in
kosmetische Eingriffe für Jugendliche ab
16 Jahren in Verbindung mit einer gerichtlichen
Genehmigungspflicht, die dann bis zum
vollendeten 21. Lebensjahr verbindlich sein soll.
Erwachsene sollen freien Zugang auch zu kosmetischen
Behandlungen haben, gegebenenfalls in
Verbindung mit einer gerichtlichen Genehmigung bis zum
vollendeten 21. Lebensjahr.
Führt das Unterlassen medizinisch nicht notwendiger
Eingriffe zu von der betroffenen Person
nicht gewünschten irreversiblen hormonellen Veränderungen
(Virilisierung oder Feminisierung
infolge Pubertät), sind reversible pubertätsaufschiebende
Maßnahmen zugänglich zu machen, bis
die betroffene Person gegebenenfalls selbst auch zu medizinisch
nicht notwendigen Eingriffen
ihre Zustimmung geben kann.
Eltern und Betroffene sind vollumfänglich zu informieren.
Die Aufbewahrungsfrist für
Krankenakten ist auf 75 Jahre zu verlängern.
Bisher werden Eltern zu 90 Prozent ausschließlich von Endokrinologen und
Kinderchirurgen
beraten und betreut. Werden überhaupt Psychologen und
Sozialpädagogen hinzugezogen, so
spielen sie im „multiprofessionellen Team“ höchstens eine
Nebenrolle. Wir fordern, dass
stattdessen spezialisierte Psychologen und Sozialpädagogen
Ansprech- und Kontaktpersonen für
die Eltern sein sollen. Mediziner sollen nur für medizinisch
notwendige Behandlungen
zugezogen werden. Für den berühmten „psychosozialen Notfall“
der Eltern braucht es kein
Skalpell am Kind, sondern psychologische und
sozialpädagogische Betreuung für die Eltern, und
gegebenenfalls später auch für die betroffenen Kinder und
Jugendlichen selbst.
Lebensqualität Betroffener und gesellschaftliche Situation
und Perspektiven
Seit bald 20 Jahren beklagen überlebende Betroffene
öffentlich, dass die medizinisch nicht
notwendigen Eingriffe und das Verschweigen ihre Probleme
weniger lösen als verschlimmern
oder gar erst verursachen und verurteilen sie als westliche
Form der Genitalverstümmelung.
Eine Einschätzung, die von immer mehr
Menschenrechtsorganisationen und FGM-Expertinnen
geteilt wird.
Trotzdem werden in deutschen Kinderkliniken nach Erhebungen
der Behandler selbst immer
noch 90 Prozent aller
Kinder und Jugendlichen durchschnittlich mehrfach verstümmelt; die
Hälfte der Kinder und 20 Prozent der Jugendlichen werden heute noch gar nicht oder nur
unzureichend aufgeklärt.
Dementsprechend muss als erstes ein Verbot aller
kosmetischen Genitaloperationen und
kosmetischen Hormonbehandlungen an Kindern und Jugendlichen
durchgesetzt werden sowie
das Recht auf vollumfängliche Aufklärung für alle
Betroffenen.
Als zweites muss das Leid der Zwangsbehandelten soweit wie
noch möglich gelindert und der
verursachte Schaden soweit wie möglich wieder gutgemacht
werden:
- Viele Betroffene sind aufgrund der durch die Behandlung
verursachten psychischen und
physischen Schäden erwerbsunfähig und fristen ein prekäres
Dasein.
- Die meisten Zwangsbehandelten sind traumatisiert und
benötigen eine Psychotherapie, die
sie aber nicht bezahlt bekommen.
- Viele Betroffene erhalten eine adäquate
Hormonersatztherapie entsprechend den ihnen
entfernten Hormon produzierenden Organen oft nur auf
Privatrezept.
Drittens braucht es
eine gesellschaftliche Aufarbeitung und Aussöhnung:
- Entschädigung und Rehabilitation geschädigter Betroffener
durch einen Hilfs- und
Entschädigungsfonds, alimentiert durch den Staat als
politisch Verantwortlicher und die
konkret verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen.
- Einsetzung einer Wahrheitskommission: Das Unrecht der
Medizinversuche muss
gesellschaftlich anerkannt, ein dunkles Kapitel der
Medizingeschichte muss beendet und
öffentlich aufgearbeitet werden.
Viertens müssen erwachsene Zwangsbehandelte und künftig
hoffentlich unversehrt
heranwachsende Betroffene vor Diskriminierungen geschützt
und gestärkt werden:
- Die größte Diskriminierung, die zuerst behoben werden
muss, ist, wie erwähnt, die
Verweigerung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und
Selbstbestimmung. Danach
bleiben jedoch noch weitere Diskriminierungen, die bekämpft
werden müssen, zum Beispiel
auf dem Arbeitsmarkt, bei Versicherungsabschlüssen oder im
Sport.
- Fragen des Personenstandsrechts sind für die überwiegende
Mehrzahl der Betroffenen klar
von zweitrangiger Bedeutung. Gemäß § 47 Personenstandsgesetz
ist für Betroffene ein
gerichtlicher Antrag auf Berichtigung des Geschlechts
möglich, auch wenn dies offensichtlich
noch nicht bei allen Amtsstellen genügend bekannt ist. Seit
1. Januar 2009 besteht gemäß § 7
Personenstandsverordnung für Betroffene neu keine
verbindliche Frist mehr für den
Personenstandseintrag. Auf diesen bereits bestehenden Wegen
ist behutsam fortzufahren.
Ein Drängen auf Abschaffung des Personenstandseintrages oder
auf Einführung eines
zwangsweise Personenstandseintrages „unbestimmt“ oder ähnlich ist
kontra-produktiv:
Operationswillige Eltern wollen dann erst recht eindeutige
Tatsachen schaffen und die
„Schande“ eines unbestimmten Eintrags vermeiden.
Radikale Personenstandsreformen, wie diese hauptsächlich von
dritten Interessensgruppen
immer wieder im Namen der Betroffenen gefordert werden, sind
zudem im Gegensatz zu
körperlicher Unversehrtheit politisch umstritten und kaum
mehrheitsfähig. Betroffene
kritisieren solche politischen Vereinnahmungen schon lange
[6]. Mittelfristig ist jedoch für
erwachsene Betroffene ein optionaler Eintrag „intersexuell“
oder „zwittrig“ durchaus
erstrebenswert.
- Nicht zeugungsfähigen Betroffenen werden Adoptionen
verwehrt, nur weil sie intersexuell
sind, andere werden gezwungen, ihre Intersexualität zu
verheimlichen. Der Zugang zur
Adoption muss auch für Betroffene ermöglicht und
gegebenenfalls erleichtert werden.
Seit dem Forum Bioethik des Deutschen Ethikrates vom 23.
Juni 2010 wurden allein in
deutschen Kinderkliniken weit über 300 weitere Kinder
irreversibel genitalverstümmelt.
Zahllose Betroffene setzen seit langem große Hoffnung in den Deutschen Ethikrat. Möge
die Anhörung
dazu führen, dass endlich entscheidende Schritte unternommen
werden für ein Leben in
Unversehrtheit und Würde auch für Menschen mit atypischen
körperlichen
Geschlechtsmerkmalen.
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