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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Hey Du hast es und brauchst es,
deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
Ich habe Ihn, Du auch?
Organspenden können andere zum Leben verhelfen, sei stolz auf dich selbst mache
Ihn Dir den Organspende Ausweis!
Hey you have it and need it, so donating blood,
because it is missing in the world!
I
had him, you also? Organ donation can help others to life, be proud of your self
doing Him Get donor card!
Genitale Korrekturen an intersexuellen Menschen „It’s easier to make a hole than to build a pole “
Allgemein
wird angenommen, daß ausschließlich zwei biologische Geschlechter existieren,
Frau und Mann.
Diese Einstellung wird nicht näher differenziert und reflektiert,
ist doch die Zuordnung nach den Geschlechtsorganen angeblich eindeutig beim
jeweiligen Geschlecht angelegt: Eierstöcke oder Hoden. Genetisch werden Frauen
und Männer auf die Chromosomen XX oder XY (Karyotyp) festgelegt. Dabei gab es
schon immer Menschen, deren biologisches Geschlecht keine eindeutigen Merkmale
trägt: seit nahezu 50 Jahren werden sie einem der beiden Geschlechter
chirurgisch und hormonell zugewiesen. Eltern sollen nicht in Verlegenheit
kommen, sich mit gesellschaftlich definierten Abnormalitäten auseinandersetzen
zu müssen. Für die Betroffenen hingegen entstehen massive Folgeschäden.
Von
Hermaphroditen zu Intersexuellen
Bereits in
griechischen Sagen tauchen zweigeschlechtliche Mischwesen auf, die sogenannten
Hermaphroditen (eine Mischung aus der Göttin Aphrodite und dem Götterboten
Hermes). Hermaphroditen wurden in den Göttersagen bewundert. Im alten Rom
jedoch wurden die menschlichen Hermaphroditen als Monster betrachtet und in
einem ‚Reinigungszeremoniell‘ verbrannt.
Im Laufe der
Jahrhunderte wandelte sich das Verständnis vom Hermaphroditen zu einem
Syndromkomplex mit Krankheits- und letztendlich pränatalem Abbruchswert. Im 6.
Jahrhundert hatte der Vater das Geschlecht zu bestimmen, eine spätere
Umentscheidung des Erwachsenen wurde mit dem Tode bestraft. Langsam milderten
sich die Strafen, eine Neuorientierung im Erwachsenenalter wurde im 17. und 18.
Jahrhundert möglich. Gleichzeitig wurde die Feststellung des Geschlechts von
der juristischen an die medizinische Hand abgegeben. Diese fühlte sich
zunehmend berufen, das ‚wahre Geschlecht‘ herauszufinden, denn es herrschte
alsbald die Meinung, Hermaphroditen kämen nur bei Pflanzen und niederen Tieren
vor, bei Menschen ließe sich entweder das wahre Geschlecht erkennen oder die
Geschlechtsorgane seien stark unterentwicklt. Im 19. Jahrhundert wurde die
Möglichkeit einer standesamtlich unauffälligen Änderung des Geschlecht per
Randvermerk eingeführt. Ab dem 20. Jahrhundert wurden seitens der Medizin bis
dato existierende diagnostische Möglichkeiten durch Hormon- und
Chromosomenanalysen erweitert. In diesem Rahmen wurde auch der Begriff
‚Intersexualität‘ (1) entwickelt, mit den Untergruppierungen feminine und
maskuline ‚Scheinhermaphroditen‘. Als dritte Gruppe wurden die ‚echten‘ Hermaphroditen
beibehalten. Doch dabei blieb es nicht: Man(n) untersuchte die Ursachen dieser
medizinerseits verstandenen Abnormalitäten und kreierte etwa 13 verschiedene
Syndrome, welche allesamt als behandlungsbedürftig erklärt wurden. Die
bekanntesten Gruppen lauten: Turner-Syndrom, Hermaphroditismus Verus,
Sweyer-Syndrom, Noonan-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Adrenogenitales Syndrom,
Androgeninsuffizienz-Syndrom (auch testikuläre Feminisierung genannt),
progestin-induzierte Intersexualität und sind u.a. aufgrund gonadaler,
chromosomaler und/oder hormoneller Varianzen vorzufinden. MedizinerInnen
schufen sich hier selbst einen Markt und erklärten sich zu Spezialisten.
Ab 1930
wurden zur Therapie der vielfältigen Krankheiten – Hermaphroditen als
eigenständige Gruppe waren inzwischen abgeschafft – zeitgleich chirurgische und
hormonelle Korrekturmöglichkeiten entwickelt. Zunächst wurden diese
‚Korrekturen‘ Erwachsenen angeboten, die jedoch oftmals dankend ablehnten.
Daraufhin griff man ab Ende der 40er Jahre auf Kinder zurück. Eine
geschlechtliche Zuweisung richtet sich bis heute primär nach der chirurgischen
Machbarkeit, ‚it’s easier to make a hole than to build a pole‘ (es ist leichter
ein Loch zu machen als einen Stab zu bauen), statt der noch im 18. Jahrhundert
gültigen juristischen Richtlinie ‚in dubio pro masculo‘ (im Zweifel für die
Männlichkeit).
Nur wenige
erfüllen die geschlechtliche Norm
Medizinisch
entspricht ein Mensch der Norm, wenn er auf dem 23. Chromosomenpaar die
Chromosomen X und X – oder X und Y – trägt und bei der Geburt eine Klitoris
kleiner als 1 cm oder einem Penis über 2,5 cm hat. Dabei existieren alle Längen
des Lustorgans dazwischen sowie verschiedene Ausprägungen – von einer doppelten
bis zu keiner Vagina; gleich verhält es sich hinsichtlich der Uterusstruktur;
Gonaden (Eierstöcke oder Hoden) können sehr komplex und gemischt angelegt sein;
hormonelle Werte verursachen verschiedene Behaarungsausprägungen.
Die
Gesellschaft und Medizin definieren hiervon diverse Personengruppen als
‚intersexuell‘ (0,4 – 4 Prozent der Gesamtbevölkerung – Statistiken wurden
bezeichnenderweise nie erhoben). Unter weiblichen Menschen werden 5-15 Prozent
als genital fehl- und mißgebildet angesehen. Davon gelten 70 Prozent gelten als
virilisiert, also vermännlicht. Für männliche Menschen gibt es genitale Fehl-
und Mißbildungen nur in sehr geringem Umfang, etwa 1-7 Prozent, eine
Verweiblichung wird z.B. körperlich bisher nicht als krank angesehen. Allen
geschlechtlichen Ausprägungen zufolge existieren mindestens 4000 Geschlechter,
oder sogar so viele, wie es Menschen gibt. Keinesfalls jedoch ist
Intersexualität das 3. Geschlecht (dies ist ein Synonym für Lesben und Schwule
aus den 20er Jahren). Oft wird Intersexualität auch mit Androgynie verwechselt.
Androgyn ist eine Frau mit männlicher Ausstrahlung oder ein Mann mit
weiblicher. An den Problemen, die die Gesellschaft mit Intersexuellen haben,
wird klar, wie sehr sie sich einem dichotomen (zweigeteilten) Denken
verpflichtet fühlt. Es fällt der Gesellschaft nichts anderes ein als die
Stereotypen zweier Geschlechter.
Die
Sexualmedizin unterscheidet nachfolgende sechs Definitionen von Geschlecht:
chromosomales
Geschlecht: Karyotypen
Definition:
weiblich 46,XX
männlich
46,XY
intersexuell
45,X0 47,XXY
Mosaik
45,X0/46,XY
u.a.
gonadales
Geschlecht:
Definition:
männlich 2 Hoden
weiblich 2
Ovarien
intersexuell
Ovotestis oder Ovar und Testis
phänotypisches
Geschlecht:
definiert
durch das Erscheinungsbild des äußeren Genitale
bürgerliches
Geschlecht:
definiert
durch die standesamtliche Eintragung, wobei es kein intersexuelles Geschlecht
gibt
praktikables
Geschlecht:
Geschlechtsrolle,
in der ein intersexueller Patient sexuell und sozial am ehesten ein
befriedigendes Leben findet. Ausbildung von Penis und Vaginalanlage sind hier
entscheidende Faktoren.
psychosexuelles
Geschlecht:
Geschlechterrolle,
die ein Individuum aufgrund seines Geschlechtstriebes übernimmt
(Vgl. Knorr
1982, S. 138)
Zuweisungsrichtung
als medizinische Willkür
Wird eine
Person mit sichtbar ambivalenten Genitalien bereits nach der Geburt erkannt, so
richtet man sich nur nach dem chromosomalen Befund. Bei XX oder X0 wird fraglos
feminisiert, befindet sich ein Y im Chromosomensatz, richtet sich eine
Zuweisung nach der diagnoseabhängig zu erwartenden Penisgröße mit
zufriedenstellender Penetrationsfähigkeit. Diese hat zwar ideellen Vorrang,
setzt jedoch hohe Maßstäbe und führt daher in der Praxis eher selten zu einer
Maskulinisierung. Das gonadale Geschlecht spielt hier eine untergeordnete
Rolle, ein psychosexuelles Geschlecht konnte sich bei einem Baby noch nicht
entwickeln. Syndromabhängig gibt es in medizinischen Fachbüchern haarsträubende
Zuweisungstabellen.
Fällt ein
Kind erst in späteren Jahren auf und lebte beispielsweise bereits mehrere Jahre
als ‚Frau‘, so ist dies nach der Medizin beizubehalten und eine entsprechende
‚Korrektur‘, trotz u.U. gegenläufigen chromosomalen Befundes, zur Fixierung des
bisher gelebten Geschlechtes einzuleiten. Sofern ein Individuum als ‚Mann‘
definiert wurde, ist wiederum die tatsächliche oder noch auszureifende
Penislänge das entscheidende Kriterium und kann durchaus ein Grund zur
Feminisierung des Kindes in späteren Jahren sein. In jedem Falle kann das
bürgerliche Geschlecht nachträglich verändert werden.
Manchmal
werden Intersexuelle unter Vorspielen eines Pornofilmes auch selbst nach ihrer
genitalen Wunschrichtung befragt: „Willst du ficken oder gefickt werden?“ (2)
Zusammengefaßt bedeutet dies, daß die geschlechtliche Zuordnung bei gleichem
Phänotyp (äußeres Erscheinungsbild) in verschiedenen Kliniken unterschiedlich
gehandhabt wird, zumal manche Ärzte Penisaufbauplastiken favorisieren und daher
vermehrt Intersexuelle männlichen Geschlechtes produzieren. Generell ist jedoch
eine starke und weiter steigende Feminisierungstendenz auszumachen, egal wie
schlecht das chirugische Ergebnis ästhetisch und funktionell ausfällt. Es
„herrscht die soziale Anschauung vor, daß es für ein weibliches Individuum mit
reduzierter Genitalfunktion leichter sei ‚im Leben ihren Mann zu stehen‘ als
für ein männliches Individuum mit verminderter Geschlechtsfähigkeit“ (Bolkenius
1982, S. 249).
Medizinische
Intervention ohne Zustimmung
Heute werden
etwa 90 Prozent aller ehemals Intersexuellen zu Frauen korrigiert und gesellschaftlich
zumeist auch als solche wiedererkannt, bei etwa 30 Prozent der sogenannten
genitalen Fehl- und Mißbildungen wird chirugisch interveniert. Je nach
Abweichung vom ärztlicherseits definierten Geschlecht werden Hormone
verabreicht, chirurgisch ein Penis vergrößert, Hodenimplantate eingesetzt oder
eine Klitoris verkleinert, neue Vaginen konstruiert, Gonaden (Eierstöcke,
Hoden) entfernt oder Venuslippen (auch: Schamlippen, Labien) wegoperiert. (3)
Es können dutzende gynäkologische Untersuchungen folgen, in dessen Rahmen
Körpergröße, Phänotyp, Gewicht, Regelmäßigkeit der Hormoneinnahmen kontrolliert
und fotografische Abbildungen von Genitalregionen erstellt werden.
Da
Diagnosestellungen inbesondere im Rahmen der Intersexualität oftmals bereits ab
Geburt erfolgen, beginnen zu diesem Zeitpunkt auch medizinische Maßnahmen.
Geschlechtliche Korrekturen sollten in den 80er Jahren vor Ende des 2.
Lebensjahres vorgenommen werden, zwischenzeitlich verspricht man sich bessere
Erfolge bei einem Eingriff in der 6. Lebenswoche. Hormonelle Substitutionen
(‚Ersatzhormongabe‘) werden sofort eingeleitet.
Sofern sich
eine Chromosomenvariation bereits pränatal feststellen ließ, wird im Rahmen der
medizinischen Indikation zu einem Abort geraten. Bei bereits aufgetretenen
Fällen von Intersexualität in der Familie werden der Mutter hohe
Hormondosierungen während der Schwangerschaft verabreicht, um intrauterin [in
der Gebärmutter, Anm.] eine Virilisierung des Embyos zu vermeiden. Diese
Methode zeitigt einen ‚Erfolg‘ von 66 Prozent. Alle anderen Kinder werden
dennoch zugewiesen.
Eine
Erwägung, das Kind bis zum entscheidungsfähigen Alter zu belassen, wie es auf
die Welt gekommen ist, findet nicht statt. Eltern werden nicht über
Intersexualität informiert, sondern nur über befundene Abweichungen. So wird
ausschließlich im diagnostischen Krankheitsbild und oftmals in nicht
verständlicher Sprache referiert. Kontakte zu kritischen Gruppen intersexueller
Erwachsener werden nicht angeboten. Eltern haben somit keine autonome
Entscheidungsmöglichkeit. Auch fehlt eine Kommunikationsmöglichkeit mit
unkorrigierten Intersexuellen, da unseres (organisierte Intersexuelle) Wissens
nach in Europa keine belassen wurden.
Erfahrungen
Zugewiesener
Niemand
kontrolliert MedizinierInnen bei ihren Eingriffen. Somit kann keine
repräsentative Aussage getroffen werden, ob und in welchem Ausmaß Folgeschäden
aus den ‚Behandlungen‘ entstehen. Doch in zunehmendem Maße gruppieren sich
ehemals Intersexuelle in Selbsthilfeorganisationen, um auch Öffentlichkeit
herzustellen. Begonnen hat 1993 die Intersex Society of North America (ISNA),
welche mittlerweile ca. 150 Mitglieder umfaßt und neben einem intensiven
Austausch untereinander Kontakte zu WissenschaftlerInnen, Medien sowie
vereinzelten, kritischen ÄrztInnen pflegt. Allen derzeit existierenden
Organisationen ist gemeinsam, daß sich hieran Angeschlossene trotz korrigierter
Genitalien und Körper als Intersexuelle oder HermaphroditInnen definieren.
Unserer
Recherchen ergaben, daß etwa 60 Prozent der Intersexuellen Suizidversuche
vorgenommen haben. Viele bewegen sich unerkannt im Rahmen des zugewiesenen
Geschlechtes. Allen ist gemeinsam, daß sie am Rande des Erträglichen leben.
Eine nicht unerhebliche Anzahl (ca. 20 Prozent) hat erfolgreichen Suizid
begonnen. Sehr wenige arbeiten politisch zur Thematik.
Zur Pro- und
Contradiskussion von Zuweisungen möchte ich folgendes Zitat zur gedanklichen
Anregung nennen:
„In 70
Fallstudien Heranwachsender und Erwachsener, welche mit sichtbar anormalen
Genitalien aufwuchsen … erachtete man nur eine Person der angeführten als
potentiell psychotisch, und diese potentielle Krankheit war verbunden mit
psychotischen Eltern und nicht mit sexueller Uneindeutigkeit. … Sogar Ärzte
früherer Interventionen erkannten, daß eine Anpassung an ungewöhnliche
Genitalien möglich ist.“ (Fausto-Sterling)
Organisierte
Intersexuelle stellen fest: durch geschlechtliche Zwangszuweisungen an nicht
einwilligungsfähigen intersexuellen Kindern entsteht ein erheblich höherer
psychischer Schaden, als dies durch Ablehnung seitens der Bevölkerung jemals
möglich sein wird, ganz abgesehen von physisch irreparablen Schäden. Menschen
besitzen ab Geburt zwar keine ausgeprägte Identität, aber eine Integrität und
ein Gefühl für Intaktheit.
Als extrem
einschneidend in ihrem Leben als Erwachsene beschreiben alle sich zum Thema
Äußernde die genitalen Korrekturen, welche die Möglichkeiten einer erfüllten
Sexualität für alle Zeiten versagen, und zwar unabhängig davon, ob eine
Reduktion oder eine Totalamputation des Lustorgans erfolgte. Weiterhin wird als
äußerst belastend die erlebte Isolation sowie Unkenntnis der Umwelt und damit
Unmöglichkeit, sich offen zur Thematik auszutauschen, formuliert. Nahezu alle
fühlen sich im ‚falschen‘, da konstruierten Körper. Etwa 15 Prozent der
Zugewiesenen wünschen sich eine Revision. Diese Personen werden zumeist
fälschlicherweise als Transsexuelle deklariert.
Intersexuelle
als ‚Laborratten‘
Zu den
chirurgischen Eingriffen selbst sind ebenfalls äußerst kritische Stimmen
bekannt, welche von ‚Schlachtfeld‘ bis ‚Totalschaden‘ zur Bewertung des
OP-Bereiches reichen. Von extremen Traumatisierungen durch die Behandlungen ist
die Rede, dem Gefühl, sich niemals anderen Kindern zugehörig gefühlt oder
extreme Isolation während der gesamten Adoleszenz erfahren zu haben (trotz
Zuweisung). Schmerzhafte Untersuchungen sind ebenso in Erinnerung wie auch als
Vergewaltigung erlebte Penetrationen während gynäkologischer Untersuchungen und
Bougierungen (4). Demütigend und entwürdigend sind körperliche Abtastungen
jeder Art sowie Bildmaterialerstellung. Einige beschreiben ihren stationären
Aufenthalt schlicht in der Funktion als ‚Laborratte‘ und auch im häuslichen
Bereich fühlten sich einige als fortbestehendes ‚Krankengut‘, ohne daß ihre
eigene Persönlichkeit wahrgenommen wurde. Viele wünschen sich ihre ehemaligen
Genitalien zurück und einige wenige, welche nicht zugewiesen wurden,
beschreiben ihre Jugend zwar nicht als besonders glücklich, sind aber froh,
keine medizinische Interventionen erlebt zu haben.
Etwa 30
Prozent aller Intersexuellen leben keinerlei Beziehungen. Ein überwiegender
Anteil, etwa 60 Prozent, definiert sich im Rahmen des zugewiesenen Geschlechtes
als homosexuell. Dies ist insoweit von Bedeutung, als daß Eltern zur
Zuweisungslegitimation auch der Wunsch nach einem erfüllten Eheleben
prognostiziert und suggeriert wird.
Im Rahmen
eugenischer Bestrebungen wird Intersexualität tendenziell nicht mehr
existieren. Dies hat zur Folge, daß nicht nur die gesamte Bevölkerungsgruppe
der Hermaphroditen systemtisch ausgelöscht wird. Auch jegliche sichtbare
Vermännlichung des Weiblichen wird einer ‚lolitaorientierten‘ Sichtweise
(Frauen sollen mädchenhaft erscheinen) unterworfen und angepaßt. Zunehmende
Ausweitung der Kindergynäkologie auf immer jüngeres Klientel trägt hierzu
ebenso bei wie die standardisierten Ultraschall-Untersuchungen, bei welchen
auch der genitale Aspekt regelmäßig kontrolliert wird. PädiaterInnen
(KinderärztInnen), Kinder- und ErwachsenengynäkologInnen, UrologInnen,
PsychologInnen und ChriurgInnen sind in diesem Bereich tätig.
Eine
MitarbeiterIn der ISNA, welcher das Geschlecht nicht angepaßt wurde, fragt:
„Wenn Eltern und Mediziner schon diese ganz harmlose persönliche Besonderheit
nicht akzeptieren können und unbedingt wegtherapieren müssen, was möchten sie
denn dann mit offensichtlich behinderten Kindern machen, die nicht durch eine
Operation scheinbar normal gemacht werden können? Sollen sie nach dieser Logik,
mit der wir therapiert werden, dann umgebracht werden, nur damit die Umwelt
nicht beunruhigt und die Eltern nicht in Verlegenheit gebracht werden müssen?“
Intersexuelle werden in zunehmendem Maße vernichtet, doch bereits heute findet
ein ‚psychischer Genozid‘ statt, da Intersexen zwar leben dürfen, ihre
Besonderheiten jedoch im OP-Saal ausgelöscht werden.
Eine
gewaltätige Philosophie
Grundlage
einer phantasierten geschlechtlichen Bipolarität ist das Denken in
Zweier-Gegensätzen, das sogenannte dichotome Denken. Diese Philosophie ist
äußerst gewalttätig, denn „sie ist ohne Zweifel die Spaltung in Geist
einerseits und in Körper, Materie, Stofflichkeit andererseits; genauer die
Herauslösung des Geistes aus dem Leib und der Natur, sowie deren anschließende
Herabwürdigung zur geistlosen Materie. Nach dem Vorbild und Modell dieser
Trennung sind alle anderen, uns nur zu bekannten und vertrauten Gegensätze wie
Natur – Kultur, Leben – Tod, Rationalität – Gefühl, Kopfarbeit – Handarbeit und
nicht zuletzt Männlichkeit – Weiblichkeit geformt und formuliert worden. Dabei
handelt es sich aber nicht um rein deskriptive Feststellungen, da diese Form der
Gegenüberstellung immer schon eine Wertung impliziert.“ (Rainer 1995, S. 14)
Dichotomes Denken ist daher nicht in der Lage, das Besondere auch als solches
zu akzeptieren, da das Besondere kein Gegenteil besitzt und daher keinen
Wertevergleich zuläßt, sondern in seine Einheit besteht. Jede Inanspruchnahme
einer Dichotomie dient meiner Meinung nach einer lebensvernichtenden
Atmosphäre, der Necrosphäre. Jeder Gedanke, Andere – Menschen, Pflanzen, Tiere,
Geister – für minderwertig oder untergeordnet zu erachten, dient dem
Dichotomie-Leitsatz.
IGM und FGM
– ein Vergleich
In
westlichen Kulturen werden neben Intersexen Menschen unter weiteren vier
verschiedenen Aspekten genital verstümmelt, mit unterschiedlichen
Argumentationen und Auswirkungen:
Afrikanerinnen
zur Aufrechterhaltung der Tradition
Frauen mit
genitalen Fehl- und Mißbildungen entweder aufgrund Leidensdruck oder
pathologischen Wertes
Frauen ohne
medizinische Indikation gegen Bargeld zur Verschönerung ihrer Genitalien
Männer zur
Vorhautentfernung aus traditionellen oder Reinlichkeitsgründen.
Verstümmelungen
an Afrikanerinnen sind in Deutschland illegal, alle anderen Vorgehensweisen
legal. Westliche Chirurgen und Gynäkologen sind mit genitalen Verstümmelungen
seit der Sklaveneinführung in USA sehr gut vertraut.
Wir
unterscheiden zwischen weiblicher Genitalverstümmelung (FGM, Female Genial
Mutilation) und intersexueller Genitalverstümmelung (IGM, Intersex Genital
Mutilation). Zwischen FGM und IGM existieren erhebliche Parallelen. Nicht
thematisiert werden an dieser Stelle männliche Genitalverstümmelung (MGM, Male
Genital Mutilation), obwohl auch sie schwere physische und psychische Folgen
zeitigt.
Eine
gemeinsame Historie
IGM und FGM
Verstümmelungspraktiken ist gemeinsam, daß historische Aufzeichnungen kaum
vorhanden sind und daher eine Rekapitulation erschwert wird.
Erste
Untersuchungen zum Ursprung der FGM gehen auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurück
und berichten aus Ägypten oder Äthiopien, da sie sowohl von Äthiopiern als auch
Phöniziern und Hetitern durchgeführt wurde (Lightfood-Klein, S. 43). In etwa
gleichem Zeitraum verfaßten die Pythagoreer (Pythagoras lebte um 570-500 v.
Chr.) erstmalig eine Liste mit zehn Kontrasten als Prinzip zur Deutung der
Wirklichkeit, so auch männlich/weiblich (Rainer, S. 33). Der Gedanke der
Dichotomie war geboren – und das Ende der Hermaphroditen wurde so auch
philosophisch-wissenschaftlich eingeleitet, nachdem das alte Testament bereits
in Genesis I, 27-28 besagte: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als
Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Dies führte jedoch
lange nicht zu genitalen Verstümmelungen, wohl aber, wie gezeigt, zur
Vernichtung durch Verbrennung in Reinigungszeremonien. (Hirschauer 1993, S. 69)
FGM
(Klitoris- und Schamlippenreduktion) avancierte im römischen Reich zu einem
Statussymbol und war auf diejenigen Frauen beschränkt, die einen hohen sozialen
Rang einnahmen. Die Infibulation, das Zunähen der Vagina bis auf ein kleines
Loch zum Abfluß des Menstruationsblutes, blieb den Sklavenmädchen reserviert,
denn eine zugenähte Jungfrau erzielte auf dem Sklavenmarkt einen weit höheren
Preis. Diese wurden von Sklavenhändlern durchgeführt. Es wird auch vermutet,
daß diese Praktiken ursprünglich der Geburtenkontrolle in wasserarmen Gebieten
dienten. Anderen Theorien zufolge sei FGM aus dem Wunsch des primitiven Mannes
heraus entstanden, der die Macht über das Geheimnis der weiblichen
Sexualfunktion gewinnen wollte. Streng patriarchale Systeme haben dadurch die
Sexualität der Frau auf die Erhaltung der männlichen Erbfolge beschränkt
(Lightfood-Klein 1992, S. 44f).
Genitale
Verstümmelungen an weißen Frauen, welche der IGM vorausgingen, lassen sich auf
Mitte des 19. Jahrhunderts zurückführen. In dieser Zeit wurden Hermaphroditen
juristisch für nicht existent erklärt (1804 Code Civil, ca. 1895 BGB). Walker
(1993, S. 165) führt aus, daß amerikanische Ärzte fasziniert waren von der
afrikanischen FGM, die nackte Sklavinnen untersuchten und lernten, die
‚Prozedur‘ an anderen versklavten Frauen im Namen der Wissenschaft vorzunehmen.
Hermaphroditenphobie
als Begründung für FGM und IGM
Mediziner
untersuchten im 18. Jahrhundert die Sklavinnen und etablierten
Genitalverstümmelungen in den eigenen Reihen zur Behandlung weiblicher
Geisteskrankheiten wie etwa Hypersexualität, Hysterie und Nervosität, aber auch
lesbische Neigungen und Aversion gegen Männer (Lightfood-Klein, S. 215). Auch
‚weiblichen Scheinhermaphroditen‘ wurde Tribadie unterstellt, sie wurden
beschrieben als „Zwitter weiblichen Geschlechtes, die neben den durch das
Ausbleiben der Menstruation entstehenden Mannweibern auch Individuen mit
vergrößerter Klitoris umfassen, die die Ausschweifung der Tribadie ermöglicht“
(Hirschauer, S. 72).
Gemeinsamkeiten
hinsichtlich der Begründung genitaler Verstümmelungen an Intersexen und
schwarzen Frauen lassen sich vor allem in einer beiden Kulturen immanenten
Phobie vor Zweigeschlechtlichkeit, in einer Person vereint, wiederfinden.
Aussagen wie die Folgenden mögen einen Eindruck gewähren:
„Genauso,
wie man daran glaubt, daß bestimmte Götter bisexuell sind, so glaubt man, daß
jede Person mit einer maskulinen und einer femininen ‚Seele‘ ausgestattet ist.
Diese ‚Seelen‘ enthüllen ihre jeweiligen physiologischen Merkmale in den und
durch die Fortpflanzungsorgane. Auf diese Weise ist die weibliche ‚Seele‘ eines
Mannes, so wird behauptet, in der Vorhaut lokalisiert, während die männliche
‚Seele‘ der Frau in der Klitoris sitzt. Dies bedeutet: Wenn der junge Mann
heranwächst und schließlich in die männliche Gesellschaft aufgenommen wird, muß
er sich seiner weiblichen Merkmale entledigen. (…) Dasselbe gilt für ein junges
Mädchen (…), indem man ihre Klitoris oder Klitoris und Schamlippen entfernt.
Nur so beschnitten kann das Mädchen behaupten, eine vollständige Frau zu sein,
und ein entsprechendes Sexualleben führen.“ (pharaonische Glaube der Ägypter; Lightfood-Klein,
S. 45, Hervorhbg. d. V.)
„Wenn die
Menschen auf die Welt kommen, sind sie sowohl männlich wie weiblich und
besitzen Zwillingsseelen. Die ‚weibliche Seele‘ des Jungen ist die Vorhaut, dem
weiblichen Element der Genitalien, lokalisiert, und die ‚männliche Seele‘ des
Mädchens sitzt in der Klitoris, dem männlichen Element. Vom Moment der Geburt
an wird das Bambara-Kind vom Wanzo bewohnt, einer bösen Macht, die in seinem
Blut und seiner Haut wohnt und die Kraft der Unordnung im Individuum darstellt.“
(Dogon und Bambara aus Mali; Lightfood-Klein, S. 55, Hervorhbg. d. V.)
Diese
Begründungen sind unlogisch, wie die Entstehungsgeschichte von Vorhaut und
Klitoris/Penis zeigt. Zum einen haben beide Organe eine Vorhaut, zum anderen
ist der Penis entwicklungsbedingt das gleiche Organ wie die Klitoris. Auch ist
die Verstümmelungspraktik inkonsequent, denn wenn Klitoris und Schamlippen
entfernt werden, dann müßte dies auch bei Penis und Hoden erfolgen, um ein
Äquivalent zu erreichen.
Wir können
heute davon ausgehen, daß genitale Verstümmelungen zur ‚Behandlung psychischer
Auffälligkeiten‘ seit etwa 1940 nicht mehr durchgeführt werden, wir wissen
aber, daß morphologische Besonderheiten an Weißen nach wie vor korrigiert
werden. Auch liegt mir ein gynäkologischer Fachaufsatz aus 1959 vor, in welchem
neue Methoden der FGM an Schwarzen beschrieben werden.
Verstümmelungen
im ausgehenden 20. Jahrhundert
Genitale
‚Korrekturen‘ an Hermaphroditen
Die
chirurgische Methodik hat sich seit ihrer Einführung unwesentlich geändert:
wurde bis die 60er Jahre noch eine Exstirpation des Phallus, dies bedeutet
wörtlich das Herausreißen des Organs, vorgenommen, so wurden bis etwa 1980
Dektomien favorisiert, welches eine Totalamputation impliziert. Seither reden
Mediziner enthusiastisch von einer ‚Klitorisreduktion‘, bei welcher 60-70
Prozent des sensiblen Gewebes entfernt werden und die Spitze des Phallus neu
verlegt und angenäht wird. Ist das Ergebnis anschließend noch immer
unbefriedigend, da der verstümmelte Rest zu sehr sichtbar ist, wird
nachkorrigiert. Überstehende Haut wird ebenfalls entfernt, um eine
virilisierte, d.h. vermännlichte, Erscheinung zu vermeiden. Die inneren Labien
werden versucht, aus der Phallushaut nachzubilden, die äußeren aus einem
Hodensack, sofern dieser vorhanden war. Derlei operative Ergebnisse sind
durchweg unbefriedigend. Sexuelles Lustempfinden ist nicht mehr möglich.
Genitale
‚Korrekturen‘ an genital fehl- und mißgebildeten Frauen
Die
Phalluslänge von Frauen wird gleichen Normierungen wie bei Intersexen
unterworfen und nach gleichen Methoden korrigiert. Man spricht auch hier von
einer Hypertophie der Klitoris, wenn diese über 1 cm (USA: 0,9 cm) groß ist.
Hinzu kommt eine Labiennormierung, welche auseinandergezogen 5 cm nicht
übersteigen sollte. Ebenfalls pathologisch gewertet wird eine Dysproportion der
Labien. Dies bedeutet, daß die inneren Schamlippen größer sind als die äußeren.
Auch hier wird interveniert.
Operative
Eingriffe an der Klitoris haben ebenso erheblichen Sensibilitätsverlust zur
Folge, bei Labienreduzierungen werden oft Teile der Klitoris mitzerstört,
wodurch Schmerzen oder Taubheit an Klitoris und Labien verursacht werden
können.
Genitale
‚Korrekturen‘ an Frauen als Schönheitsmaßnahme
Pornodarstellerinnen
sind oft genital reduziert. Mir selbst ist bekannt, daß eine Labienreduktion in
Australien 300 australische Dollar kostet und eine halbe Stunde dauert.
Derartige Angebote seien in der dortigen Frauenpresse „gang und gäbe“, wie mir
mitgeteilt wurde. Wir müssen davon ausgehen, daß auch die USA diese Methoden
ohne (pseudo-)medizinische Begründung kennt, zumal Krankenkassen nicht zur
Kostenübernahme verpflichtet sind und daher medizinische Argumentationen zur
offiziellen Anerkennung fundierter sein müssen. In Deutschland ist diese Praktik
einer anderen Aussage zufolge zwischenzeitlich unter dem Vorwand der
Sensibilitätssteigerung angeboten worden, vor allem die Verengung der Vagina.
Es ist zu vermuten, daß diese Eingriffe künftig in Deutschland vermehrt
durchgeführt werden, da Kassen bei psychologischer Legitimation
(‚Leidensdruck‘) zahlen müssen.
Während bei
Hermaphroditen und genital fehl- und mißgebildeten Frauen vorwiegend
Kinderchirurgen verstümmeln, sind in diesem Bereich plastische
(Schönheits-)Chirurgen angesprochen. Wie alle Berufsgruppen ist auch diese an
einer Steigerung ihres Einkommens interessiert. Zahlen hinsichtlich der
Quantität in diesem Bereich durchgeführter Verstümmelungen existieren nicht, in
Australien seien es jedoch „tausende“.
Genitale
‚Korrekturen‘ an Afrikanerinnen
Es werden
vier, regional unterschiedliche, Methoden angewandt:
Milde sunna:
Einstechen, Ritzen oder Entfernung der Klitorisvorhaut
Modifizierte
sunna: teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris
Clitoridectomie/Beschneidung:
Entfernung eines Teils oder der ganzen Klitoris sowie eines Teils oder der
gesamten inneren Schamlippen
Infibulation/pharaonische
Beschneidung: Entfernung der Klitoris und der inneren Schamlippen sowie der
inneren Schichten der äußeren Labien. Diese werden, bis auf eine kleine Öffnung
zum Harn- und Menstruationsblutabfluß, zusammengenäht. (Vgl. Lightfood-Klein,
S. 49f)
Gerade bei
letzterer Methode ist mit erheblichen gesundheitlichen Folgeschäden zu rechnen,
da Entzündungen entstehen und die Frau zum Geschlechtsverkehr und zur
Entbindung aufgeschnitten werden muß, um anschließend zumeist wieder zugenäht
zu werden.
Daher wird
zur Abhilfe des ‚FGM-Problems‘ mit diesen direkten Konsequenzen oftmals
lediglich die Hinzuziehung eines Arztes empfohlen, welcher mit sterilen
Instrumenten arbeiten kann, ohne jedoch die Praktiken selbst in Frage zu
stellen.
Familien,
die Verstümmelungen derart durchführen können, gelten als privilegiert, da sie
für die Unkosten aufkommen können. Quantitative Angaben zur Durchführung in
Deutschland existieren auch hier nicht, afrikaweit wird von 80 – 110 Mio.
verstümmelten Frauen ausgegangen.
Zusammenarbeit
zwischen Anti-FGM- und Anti-IGM-AktivistInnen
Um es in
Kürze zu benennen: sie existiert nicht. „Die Zusammenarbeit mit
Anti-FGM-Aktivisten ist schlechter als mit allen anderen Gruppen, sogar
schlechter als mit Ärzten.“ (pers. Mitteilung Chase vom 13.1.97, GründerIn der
Intersex Society of North America (ISNA))
Weltweit
wurden Anti-FGM-Organisationen, Einzelkämpferinnen und Menschenrechtsverbände
angeschrieben, informiert und um Mitarbeit bzw. Kooperation gebeten. Keines
dieser Schreiben hatte den gewünschten Erfolg. So schreibt z.B. Fran Hosken,
durch den ‚Hosken Report‘ bekannt geworden, daß sich ihr Interesse in der
Beendigung von FGM nicht auf ‚biologische Ausnahmen‘ erstreckt (10/93, Holmes
1995, S. 4). Forward International, eine wichtige Anti-FGM-Organisation,
betont, daß der ihnen zugesandte Brief zwar ’sehr interessant‘ sei, aber sie
können nicht helfen, da ihre Arbeit nur FGM beleuchtet, welche als schädliche
kulturelle oder traditionelle Praktik an jungen Mädchen durchgeführt wird
(Chase 1997, S. 11). Terre des Femmes entzieht sich seit März 1996 einer
Stellungnahme, intern wurde argumentiert, Betroffene hätten keine Kompetenz.
Amnesty International, Sektion Deutschland, meinte im Oktober 1996, die AGGPG
solle die Geschehnisse hinsichtlich einer Beurteilung als Folter stärker
differenzieren und wünschte uns „alles Gute und viel Kraft auf einem äußerst
schwierigen Weg“. Diese Reaktionen, sofern überhaupt Antworten erfolgen,
wiederholen sich stereotyp.
Afrikanische
Verstümmelungen gelten als ‚barbarisch und rituell‘ durchgeführt, es wird ihnen
ein besonderer kultureller Wert zugeschrieben. Eine solche Sichtweise
verhindert die Anerkennung gleicher Wertungen für die eigene Kultur und läßt
somit eine grundsätzliche Problematisierung weltweit nach gleichem Schemata
funktionierenden Sexismen und Biologismen nicht zu. Auch können so
Hermaphroditenphobien und Homophobien, welche in engem geschlichtlichen Kontext
stehen, nicht artikuliert werden. Plausibel als tatsächliche Motivation weißer
Anti-FGM-AktivistInnen scheint mir daher Rassismus zu sein. Dieser ermöglicht
es, die eigene Kultur als ‚zivilisiert‘ und ‚aufgeklärt‘ darzustellen. Mit
Kenntnisnahme der Verstümmelungen auch in der eigenen, ‚zivilisierten‘ Kultur
würde diese Motivation entfallen.
Anti-FGM-Gruppierungen
kämpfen für die Befreiung der weiblichen Sexualität, Anti-IGM-Gruppierungen
kämpfen für die Anerkennung und Gleichstellung intersexueller Menschen, welches
selbstverständlich auch Sexualität impliziert, jedoch vor allem Geschlechter-
und Körperbilder hinterfragt. Sie mögen somit in vielerlei Hinsicht der
Behinderten-, Antirassismus- und Transsex-/genderbewegung näher stehen, als
jene GeschlechterbefreiungskämpferInnen, welche sich in streng dichotomen und
separatistischen Mustern bewegen.
Fazit
Schwarze
Frauen, weiße Frauen mit genitalen Fehl- und Mißbildungen sowie Hermaphroditen
werden in allen westlichen Kulturen in unterschiedlicher Quantität genital
verstümmelt. Während Verstümmelungen an ausländischen Frauen unter Strafe
gestellt ist sowie vielerorts, insbesondere von gynäkologischen Verbänden,
scharf verurteilt sowie international als schwere Menschenrechtsverletzung
geächtet wurde, wird im eigenen Land weiterhin praktiziert. Für ausländische
Frauen werden zumeist Ärzte aus dem Geburtsland eingeflogen, doch auch
westliche Ärzte bieten diesen Dienst illegal gegen Bargeld an. Für deutsche
Frauen hingegen gilt, ebenso wie für Hermaphroditen, daß die Eingriffe nicht
nur legal praktiziert und von der Krankenkasse bezahlt werden, sondern auch
umfangreiche wissenschaftliche Erhebungen mittels Analysen zur Kategorisierung,
Gruppierung und Katalogisierung durchgeführt werden. In diverser Literatur,
insbesondere zur Kindergynäkologie, sind diese Vorgehensweisen seit über 50
Jahren dokumentiert. Hermaphroditen sowie genital fehl- und mißgebildete Frauen
stellen die direkte Nachfolgegruppe zu früheren Verstümmelungen aufgrund
psychischer Auffälligkeiten dar (welche wiederum auf FGM an afrikanischen
Sklavinnen gegründet war).
Zahlenmaterial
zu den Vorgehensweisen ist konsequenterweise, analog zur
gesamtgesellschaftlichen Tabuisierung, offiziell nicht erhältlich. Die AGGPG
schätzt in Relation zur USA die Anzahl genitaler Eingriffe an weißen Babys und
Kindern bundesweit mindestens auf 1800 jährlich, davon 600 Intersexuelle und
1200 Frauen mit Fehl- und Mißbildungen. Dies bedeutet täglich rund fünf
Verstümmelungen. Zwischenzeitlich müßten somit vorsichtig geschätzt 90.000
genital verstümmelte Menschen in Deutschland leben.
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