Sehr geehrter Mathias Döpfner,

 

als Reaktion auf einen in der WELT veröffentlichten LGBTIQ+ feindlichen und stark einseitigen “Meinungsbeitrag” haben wir als UHLALA Group und Veranstalterin der STICKS & STONES, Europas größter queerer Job- und Karrieremesse, die Axel Springer SE von der diesjährigen Teilnahme ausgeladen. In einem Brief an die Mitarbeitenden der Axel Springer SE, der ebenfalls in der WELT veröffentlicht wurde, haben Sie uns für diesen Schritt kritisiert. Die Einladung, eine Gegenposition zu veröffentlichen, haben wir zur Kenntnis genommen und kommen dieser hiermit gerne nach. Der Austausch unterschiedlicher Meinungen sowie eine (öffentliche) Debatte, sofern sie mit gegenseitigem Respekt und Anstand geführt wird, ist elementar und berechtigt. Gerne nehmen wir Ihren Brief und die darin an uns als UHLALA Group adressierte Kritik zum Anlass, Ihnen in Gestalt von fünf Eckpunkten Einblick in unsere Gedanken und Standpunkte zu geben.

 

Seit der Veröffentlichung des “Meinungsbeitrags” haben sich zwischenzeitlich unterschiedliche Akteur:innen und Personen, darunter der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, geäußert und positioniert. Auch aus unserer Warte ist der Beitrag, um den es in der Debatte geht, schwerlich als ein Kundtun einer “Meinung” zu verstehen. Suggeriert er doch, dass das dort Gesagte “wissenschaftlich belegt” und dadurch “anerkannte Tatsachen” seien. Zudem sind die darin verbreiteten Ansichten voller Herabwürdigung gegenüber LGBTIQ+ Menschen, besonders trans Personen, und menschenfeindlich. Diese als bloße Meinungsbekundung zu legitimieren ist aus unserer Sicht problematisch.

 

1 – Presse- und Meinungsfreiheit, ja – unkommentierter Hass, nein! Die Presse- und Meinungsfreiheit sind hohe Errungenschaften unserer Demokratie und in besonderem Maße schützenswert. Sie sind für Debatten in der Gesellschaft grundlegend. Gleichzeitig unterliegen Akteur:innen der Presse einer journalistischen Sorgfaltspflicht. Das gilt im Übrigen auch für die Veröffentlichung von Beiträgen, die nicht von Journalist:innen selbst verfasst wurden, etwa Leserbriefe oder andere Meinungsbeiträge. Letztere müssen als solche klar gekennzeichnet und eingeordnet sein. Polarisierenden, populistischen, hetzerischen und nicht zuletzt menschenverachtenden Ansichten ohne Kontextualisierung und einordnender Kommentierung eine Bühne zu bieten, ist problematisch. Das zeigt auch ein Blick in den Pressekodex, der als Dach für journalistische Sorgfaltspflichten gilt. Danach dürfte der veröffentlichte Beitrag ohne Einordnung mit Blick auf mehrere Oberpunkte des Kodex fragwürdig sein. 

 

Sie selbst haben sich als Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE im Brief an Ihre Mitarbeitenden vom in der WELT veröffentlichten “Meinungsbeitrag” distanziert. “Unterirdisch”, “oberflächlich”, “herablassend”, “ressentimentgeladen” und “grob einseitig” sei dieser. Und eine Verletzung für die LGBTIQ+ Community. Das war sicherlich auch vor der Veröffentlichung ersichtlich und bekannt. 

 

2 – Diskriminierung und Herabwürdigung sind keine Grundlage für Debatten. Der “Meinungsbeitrag” vom 1. Juni 2022 regt aus unserer Perspektive nicht zu Austausch und Debatte auf Augenhöhe in der Gesellschaft an. Im Gegenteil. Er spaltet, polarisiert und greift Minderheiten an, die ohnehin seit Jahrzehnten diskriminiert und ausgegrenzt werden. 30% aller LGBTIQ+ Mitarbeitenden werden laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Deutschland am Arbeitsplatz diskriminiert. Für trans Personen liegt diese Zahl sogar noch deutlich höher. Artikel und Beiträge wie jener, über den hier gesprochen wird, sind Teil des Problems und verstärken Diskriminierung. Sie sind eine Form (verbaler) Gewalt. Zudem sprechen sie der LGBTIQ+ Community und trans Personen die Daseinsberechtigung ab, verbreiten Hetze und stehen Dialog im Weg.

 

3 – Widerspruch ist wichtig und demokratisch. Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ein Recht, dass diese unwidersprochen bleibt, gibt es allerdings (und glücklicherweise) nicht. Und gerade davon lebt ja unsere Gesellschaft und Demokratie. Mit der Ausladung der Axel Springer SE widersprechen wir den im “Meinungsbeitrag” geteilten Ansichten aufs Schärfste. Wir beziehen als Veranstalterin der STICKS & STONES Position.

 

Unsere queere Jobmesse ist eine Veranstaltung, die sich explizit an LGBTIQ+ Menschen und Straight Allies richtet und ein Ort, an dem es um die Vernetzung und das Wachstum von LGBTIQ+ Menschen, neue Job-Möglichkeiten und Tipps für die Karriere von Mitgliedern der Community geht. Eines ist sie keinesfalls: eine Bühne, auf der die mit dem Gastbeitrag in der WELT angestoßene “Scheindebatte” ausgebreitet und geführt werden kann.

 

4 – Die Ausladung der Axel Springer SE war eine richtige Entscheidung. Unsere Ausladung der Axel Springer SE von der STICKS & STONES war und ist richtig. Zum einen haben wir als UHLALA Group und Veranstalterin der Messe unseren Besucher:innen und der LGBTIQ+ Community gegenüber eine Verantwortung. Auf der Messe bringen wir LGBTIQ+ Menschen mit LGBTIQ+ freundlichen Unternehmen und Organisationen sowie jenen, die sich auf den Weg für echte Wertschätzung und gelebte Chancengerechtigkeit machen, zusammen. Das Empowerment für LGBTIQ+ in der Arbeitswelt ist unsere Mission und Kern all unserer Projekte, auch über die STICKS & STONES hinaus. In unserem Code of Conduct verpflichten wir uns vor diesem Hintergrund ausdrücklich dazu, nicht mit Unternehmen, Partner:innen oder Akteur:innen zusammenzuarbeiten, die sich LGBTIQ+ feindlich verhalten, positionieren oder äußern.

 

5 – Der “Meinungsbeitrag” wirft interne Fragen auf. Der “Meinungsbeitrag” in der WELT war und ist auch (und vielleicht besonders) ein Schlag für alle LGBTIQ+ Mitarbeitenden der Axel Springer SE. Ebenso für diejenigen, die sich für (LGBTIQ+) Diversity im Konzern stark machen. Ihren stetigen und anhaltenden Bemühungen für Wertschätzung und Chancengerechtigkeit fällt der Beitrag in den Rücken. Dieses interne Spannungsverhältnis sollte im Unternehmen gelöst werden. Nicht jedoch durch eine Teilnahme an unserer Job- und Karrieremesse in diesem Jahr. 

 

Wir als UHLALA Group freuen uns, dass Themen der sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität – kurz der sexuellen Vielfalt unserer Gesellschaft – in Formaten wie der “Sendung mit der Maus” oder “Quarks” aufgegriffen und dargestellt werden. Damit kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch dem Anspruch nach, unsere Gesellschaft in ihrer Gesamtheit abzubilden und sichtbar zu machen. Die Formate leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Debatte, setzen das Thema im Großen und auch im ganz Kleinen auf die Agenda. Der dadurch angestoßene Dialog ist wertvoll und wichtig. Und wir sind gerne Teil davon. Mit gegenseitigem Respekt, Wertschätzung und Anstand. LGBTIQ+ Personen, explizit auch trans und nicht-binäre Menschen, sind selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft.  Unsere Daseinsberechtigung sind wir als Teil der Community und als Job- und Karrieremesse für LGBTIQ+ allerdings nicht bereit zu verhandeln.

 

Mit freundlichen Grüßen