Gilt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nur im Schlafzimmer?
Die transsexuelle Anastasia Biefang, Oberstleutnant bei der Bundeswehr, suchte auf Tinder offensiv nach Sexualpartnern und kassierte dafür einen disziplinarischen Verweis. Nun legt sie Verfassungsbeschwerde ein, damit die Frage geklärt wird, wie privat das Privatleben sein muss.
Die Bundeswehr hatte schon immer ein Problem mit ihrem Männerclub-Image, da kam Anastasia Biefang gerade recht. Eine Transfrau als Oberstleutnant, Kommandeurin über 700 Soldatinnen und Soldaten im Dienste der Cybersicherheit - sichtbarer Beleg für Toleranz in der Bundeswehr. Bis dann bekannt wurde, dass Biefang auf Tinder ziemlich offensiv unterwegs war: "Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome." Noch dazu mit sichtbarem Ehering, Biefang lebt in einer "offenen Ehe" mit einer Frau.
Das war dann doch zu viel für die Truppe, der Tinder-Eintrag brachte Biefang einen disziplinarischen Verweis ein, im Mai bestätigt durch das Bundesverwaltungsgericht. An diesem Freitag legt Biefang nun in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein. Und öffnet die Bühne für ein Lehrstück aus der schillernden Sphäre von Recht und Moral.
Zunächst war freilich fast nur von Moral die Rede und wenig von Grundrechten. Biefangs Dienstvorgesetzter fürchtete, die "moralische Integrität" der Streitkräfte könnte Schaden nehmen, wenn sich eine Offizierin "ausschließlich als potenzielle Sexpartnerin" anbiete. Auch das Truppendienstgericht sorgte sich um das Ansehen der Bundeswehr wie auch um die Vertrauenswürdigkeit der Soldatin, wenn der Eindruck entstehe, sie reduziere sich und ihre wechselnden Geschlechtspartner "zu reinen Sexobjekten".
Das Bundesverwaltungsgericht brachte immerhin das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung ins Spiel, hörte sich dann aber doch wieder ziemlich moralisch an. Die "missverständlichen Überspitzungen" klängen nach sexueller Disziplinlosigkeit und gefährdeten ihre Glaubhaftigkeit als Dienstvorgesetzte. Was ein Problem sei, weil sie gelegentlich auch sexuellen Belästigungen entgegentreten müsse. Ein kleiner Rüffel, fand das Gericht, sei also angezeigt.
Abweichungen von der Konvention werden geduldet - solange sie verschwiegen werden
Missverständliche Überspitzungen? Sexuelle Disziplinlosigkeit? Wer die von der Rechtsanwältin Lea Beckmann geschriebene und von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützte Verfassungsbeschwerde liest, der kommt zu dem Eindruck, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen. Auf der einen Seite steht eine traditionelle Sexualmoral, die Abweichungen von der Konvention durchaus duldet - solange sie verschwiegen werden; Beckmann spricht hier vom "Flüsterton". Auf der anderen Seite entwickelt sich, zumal in der queeren Welt, ein Verständnis, das den offenen Umgang mit allen Facetten von Sexualität zum sichtbaren Teil der eigenen Identität macht. Der disziplinarische Verweis, so Beckmann, sei letztlich ein "Verbot, über das eigene Begehren zu reden".
Dabei seien Dating-Apps gerade für die queere Community - immer noch stigmatisiert und oft Gewalttätigkeiten ausgesetzt - ein besonders wichtiges Instrument der Kontaktaufnahme. Funktionieren könne dies aber nur mit einer möglichst klaren Ansage, in der die Vorstellungen eindeutig zum Ausdruck kämen. Nur Sex, keine Romantik, keine feste Beziehung, weil bereits verheiratet. All genders welcome. Muss man nicht mögen, nur akzeptieren.
Die Klage lädt also das Bundesverfassungsgericht dazu ein, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus dem Schlafzimmer herauszuholen. Der Schutz der Intimsphäre bedeute ja nicht, "dass Sexualität verborgen werden muss", heißt es in der Beschwerde. Sexuelle Selbstbestimmung sei auch auf Selbstdarstellung und Austausch gerichtet. Vielleicht nicht auf dem Marktplatz, aber auf einer Plattform für registrierte Nutzer mit ähnlichen Interessen.
Früher Coming-out-Verbot bei der US-Armee
Und was macht das mit der Truppe? Zum dunklen Teil der Tradition gehört, dass man sich in der Reichswehr sogar die Heirat genehmigen lassen musste, aber das ist lange her. Mit Abweichungen von der Mehrheitsmoral gibt es längst neuere und positive Erfahrungen. Das US-Militär hat 2010 die Praxis des "Don't ask, don't tell" abgeschafft, die es homosexuellen Soldaten untersagte, sich zu outen. War ein Problem. Und in Israel haben Wissenschaftler schon 2001 keinerlei Zusammenhang zwischen offen gelebter sexueller Orientierung und Kampfkraft feststellen können. "Wir können keine Daten finden, wonach Israels Entscheidung, den Bann Homosexueller aufzuheben, die operative Leistungsfähigkeit, die Kampfbereitschaft, den Zusammenhalt der Einheiten oder die Moral untergraben hätte", hieß es in der Studie.
Nur in einem Punkt macht sich Biefang Sorgen um die Moral der Truppe. Tinder ist kein offen einsehbares Portal. Irgendjemand muss ihr Profil also an die Bundeswehr weitergeleitet haben. Das sei ein Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht nach Paragraf 12 Soldatengesetz. Der mahnt zur "gegenseitigen Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen".
Nun das Fazit ist, es könnte vieles besser sein! Doch die Brutalerealität schaut unterschiedlich aus, ist es ein Fortschritt oder Gerechtigkeit, bei beiden steht die Frage warum?
Ok euch das beste mfg Nikita Noemi Rothenbächer
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