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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
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Beindruckender
Lebensbericht einer Transidentischen Person!
„Wie die meisten Transsexuellen hatte ich mein Leben, das
vor der OP lag, ausgelöscht. Heute denke ich mir, dass es diese Leere war, die
mich so unglücklich werden ließ. Mir fehlte meine Kindheit. Ich hatte sie
weggeworfen.“
Die Mutter nannte ihren Jungen in stillen Momenten
Rosemarie. Sie hatte sich ein Mädchen gewünscht. 30 Jahre später ließ dieser Junge sich in
Casablanca zur Frau operieren. Heute ist Jean Lessenich fast 70. Ihre Haare
sind kurz und grau, um Mund und Augen spielen Tausend Fältchen. Bei einem
ersten Gespräch während des Treffens der Selbsthilfegruppe TX im Bürgerhaus
Stollwerck zögert sie. Sie wolle kein Porträt mit den üblichen
„Transenklischees“; kein Mitleid, nicht ausgestellt werden wie ein exotisches Tier.
„Was das bedeutet, weiß ich schon.“ Und willigt dann doch ein. Schließlich ist
es ihr Lebensthema. Und wenn sie nur ein bisschen dazu beitragen könne, dass
Transsexuelle irgendwann so normal behandelt werden wie Schwule, vielleicht
sogar eines Tages wie Heteros, wie „Du und ich, wie normale Menschen“, dann
bitte.
In ihrem Eifeldorf am Rande der Autobahn ist es an diesem
Tag kühl. Jean Lessenich trägt dicken Pullover und Wollmütze. Sie ist wieder
ungeschminkt, der einzige Schmuck sind indianische Türkisohrringe. In dem Dorf
bewohnt sie ein kleines Fachwerkhaus mit großem Garten. Beim Tee in ihrer
kleinen Küche geht es um Geschlechterklischees. Um unsere Vorstellungen von
Männern und Frauen, Schwulen und Lesben, von Transsexuellen. Um die
Heterogesellschaft. Und immer wieder um die Sehnsucht, bloß als Mensch
wahrgenommen werden zu wollen.
Als Frau anerkannt und geliebt zu werden. Jean Lessenich
erzählt davon, was es bedeutete, in den 1950er Jahren in einem Eifeldorf als
transidentischer Mensch zu leben – als Junge, der ein Mädchen sein will. Wie
das in Frankfurt in den 1960er und in Düsseldorf in den 70er und 80er Jahren
war. Sie erzählt von ihrer gescheiterten Ehe, von ihren Erfahrungen auf dem
Strich, ihren Jobs als Art-Direktorin für Werbeagenturen, ihrer Arbeit als
Künstlerin, die für andere stets transsexuelle Künstlerin blieb. Was sie genau
erlebte und wie sie sich fühlte, hat sie in ihrer Biografie „Die transzendierte
Frau“ aufgeschrieben.
Jean Lessenich erzählt auch von ihrer Zeit in der Frauenbewegung,
die sie fast umgebracht hätte. Ein Teil der Frauen, die besonders radikalen
Feministinnen, hätten transsexuelle Frauen nicht als ihresgleichen akzeptiert.
„Zudem entsprach mein aufgebrezelter Auftritt genau dem Bild, von dem sich die
damaligen Feministinnen zu befreien suchten.“ Lessenich sagt, sie wollte eine
„Sexbombe sein, um jeden Preis“. Heute wisse sie, dass sie sich da etwas
vorgemacht habe: „Es war ein Traum, dem Klischee zu entsprechen. Und das hat
mich fertiggemacht.“
Sie spricht über die Selbsttötung ihrer damaligen
Lebenspartnerin und eine neue Partnerin, die sie, Jean, nicht als Frau
akzeptieren konnte. Für sie präsentierte Lessenich sich äußerlich wieder als
Mann, mit ihr zog sie sich tief ins Schneckenhaus ihrer Seele zurück.
Immigration. Vom Jungen zum Mann zur Frau zum Mann zur Frau
und, wenn man so will, wieder zum Jungen. Es war ein Leben wie ein Wirbelsturm.
Mal nennt Jean Lessenich sich beim Teetrinken Trans-Frau, mal Transe, mal
Transsexuelle, dann Lesbe, dann Frau, immer wieder Frau, sie fragt, ob das denn
so wichtig sei, Mann oder Frau, antwortet „Natürlich nicht, und doch, für die
Gesellschaft, die nur Männer und Frauen kennt, schon“, nennt sich schließlich
„ewige Immigrantin“, und lächelt in sich hinein.
Auf der Hauptstraße des kleinen Eifeldorfs stehen zwei
Frauen vor renoviertem Fachwerk. In einem rostigen Kaugummiautomaten warten die
bunten Kugeln auf Kinder, von denen es nicht mehr viele gibt in dem Ort, in den
die Immigrantin sich zurückgezogen hat. Warum hierhin zurück? „Wegen der Ruhe.“
Den Ort müsse man nicht unbedingt nennen.
Die Straße steigt steil an. Vom Berg aus sind die
Autobahnbrücke und das Dorf mit seiner überdimensionierten Kirche zu sehen. Sie
sei einfach ihr Image als transsexuelle Frau nicht losgeworden, sagt Jean
Lessenich. „Unsere größte Sehnsucht ist es, im neuen Land der Frauen anzukommen
und eine der ihren zu werden. Ich aber blieb immer die Transe. Unbekannten ist
es meist gesteckt worden, bevor sie mich kennenlernten: Die Frau, die wir heute
besuchen, war mal ein Mann. Es ist so wie bei allen Immigranten: einmal
Ausländer immer Ausländer.“
„Ich kann unsereins riechen. Es ist die Mischung aus
Östrogen, Parfüm und Angst, die wir ausdünsten, wenn wir uns in die
Öffentlichkeit wagen. Es ist die Angst, dass jemand lachen könnte – wobei
lachen ja noch das Harmloseste wäre.“
Über ihr Leben redet die 69-Jährige nicht gerade gern, sie
verweist auf ihre Biografie. Gern redet
sie über ihre Erfahrungen und Befürchtungen. Ihre These ist heute: Der Traum
der meisten Transsexuellen, ganz im anderen Geschlecht anzukommen, als
Superfrau oder Supermann, kann leicht als Alptraum enden. „Es ist wichtig,
seine Kindheit nicht zu verleugnen.“ Wunderbar sei, dass die Gesellschaft
liberaler geworden sei, der Gesetzgeber Transsexuelle nicht mehr als „perverse
Monster“ betrachte, Transsexuelle bei Schönheitswettbewerben mitmachen könnten.
„Trotzdem ist die Toleranz längst nicht in der Mitte angekommen.“
Aber wie weit kann sie gehen, diese Toleranz? „Nicht Transe,
nur Mensch sein“ das ist schließlich nur das Eine. Kämen die Grünen und die SPD
mit ihren Forderungen durch, Transsexualität nicht länger als Krankheit zu
betrachten, das Geschlecht künftig frei wählbar wäre, wer bezahlte dann die
geschlechtsangleichenden Operationen? „Dann gäbe es solche, die sich eine OP
leisten können und solche, die das nicht können. Damit wären wir in der
Normalität unserer Welt angekommen.“
Wieder beim Tee in der Küche sagt Jean Lessenich: „Das ist
es doch. Das ankommen im Mainstream.“ Eine Gesellschaft, in der es normal sei,
dass man sein Geschlecht selber wählen könne. Und es nicht einer Institution
überlassen bleibe, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühle. Und die
Operation von der Kasse übernommen würde, wenn man sie denn wolle. „Die Operation
wäre wie das Korrigieren von körperlichen Behinderungen.“
„Du wirst sagen: Ein Schwarzer bleibt ein Schwarzer. Obwohl
Michael Jackson sich zum Weißen machte, blieb er ein schwarzer Sänger. Ist das
so? Ich glaube nicht, und doch, er trat bei MTV auf. Das durften vor ihm nur
Weiße. Michael Jackson gehört zu uns. So einfach ist das. Er ist Transrace und
Transgender.“
Es geht jetzt wieder um die Mutter. „Die wünschte sich ein
Mädchen und ich wünschte, ich wäre als Mädchen geboren worden. Und wäre es so gewesen
wie es vielleicht bald sein könnte, wie wir Transidentischen es erträumen, dann
hätte ich schon als Kind eine weibliche Sozialisation bekommen. Und es hätte
nie Probleme mit der Frauenbewegung gegeben.“ Jean Lessenich wirkt gelassen,
wenn sie über die Achterbahn ihres Lebens erzählt, von der sie fast
herabgerissen worden wäre, verträumt wie ein Kind. Vielleicht ist es die
Wirkung der jahrelangen Meditationen, sie ist Zen-Buddhistin. Oder es ist, weil
sie gerade glücklich ist mit ihren Zeichnungen und Bildern. Lessenich malt mit
einer Freundin an einem Bild, „beide fangen an einer Seite an und wir begegnen
uns in der Mitte“.
„Ich wäre wirklich gern die Tochter meiner Mutter geworden.
Man ließ mich nur nicht. Und dies führte zu Ängsten, die ich nie überwand. Bis
heute nicht.“
Es ist zumindest nicht die Rückkehr in die Eifel, die Jean
Lessenich gerettet hat. Es ist nicht ihre Katze, nicht das selbst gezogene
Gemüse, auch nicht die Kunst. Jean
Lessenich sagt, sie sei nun ruhig, weil
sie wisse, dass Geschlechterrollen eben Rollen seien. Wie es bei Shakespeare
heißt: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße
Spieler.“
Sie teile, was Simone de Beauvoir gesagt habe: Was Frau oder
Mann ist, ist eine kulturelle Angelegenheit. „Schließlich werden wir nicht mit
High Heels geboren. Unsere Vorstellung von einem weiblichen oder männlichem
Auftritt ist eine durch unsere Kultur geprägte und hat mit der Biologie
überhaupt nichts zu tun.“ Sie will sich nicht auf ihr Geschlecht festlegen lassen,
dafür spricht auch ihr Name: Im Französischen ist Jean männlich, im Englischen
weiblich.
Plötzlich lacht Jean Lessenich, und sagt: „Ich muss gerade
an meine Mutter denken. Sie war so was wie eine Dorf-Zarah-Leander und eins
ihrer Lieblingslieder war: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder
geschehen.“ Sie heiße nun nicht
Rosemarie, wie die Mutter es sich erträumt habe, aber sei nun doch ihre
Tochter. „Ich bin angekommen. Schade, dass ich ihr das nicht mehr sagen kann.
Aber ich glaube, sie wäre sehr zufrieden, wenn sie jetzt hier wäre.“
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