Samstag, 25. August 2012

Beindruckender Lebensbericht einer Transidentischen Person!



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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Beindruckender Lebensbericht einer Transidentischen Person!

„Wie die meisten Transsexuellen hatte ich mein Leben, das vor der OP lag, ausgelöscht. Heute denke ich mir, dass es diese Leere war, die mich so unglücklich werden ließ. Mir fehlte meine Kindheit. Ich hatte sie weggeworfen.“
Die Mutter nannte ihren Jungen in stillen Momenten Rosemarie. Sie hatte sich ein Mädchen gewünscht.  30 Jahre später ließ dieser Junge sich in Casablanca zur Frau operieren. Heute ist Jean Lessenich fast 70. Ihre Haare sind kurz und grau, um Mund und Augen spielen Tausend Fältchen. Bei einem ersten Gespräch während des Treffens der Selbsthilfegruppe TX im Bürgerhaus Stollwerck zögert sie. Sie wolle kein Porträt mit den üblichen „Transenklischees“; kein Mitleid, nicht ausgestellt werden wie ein exotisches Tier. „Was das bedeutet, weiß ich schon.“ Und willigt dann doch ein. Schließlich ist es ihr Lebensthema. Und wenn sie nur ein bisschen dazu beitragen könne, dass Transsexuelle irgendwann so normal behandelt werden wie Schwule, vielleicht sogar eines Tages wie Heteros, wie „Du und ich, wie normale Menschen“, dann bitte.

In ihrem Eifeldorf am Rande der Autobahn ist es an diesem Tag kühl. Jean Lessenich trägt dicken Pullover und Wollmütze. Sie ist wieder ungeschminkt, der einzige Schmuck sind indianische Türkisohrringe. In dem Dorf bewohnt sie ein kleines Fachwerkhaus mit großem Garten. Beim Tee in ihrer kleinen Küche geht es um Geschlechterklischees. Um unsere Vorstellungen von Männern und Frauen, Schwulen und Lesben, von Transsexuellen. Um die Heterogesellschaft. Und immer wieder um die Sehnsucht, bloß als Mensch wahrgenommen werden zu wollen.

Als Frau anerkannt und geliebt zu werden. Jean Lessenich erzählt davon, was es bedeutete, in den 1950er Jahren in einem Eifeldorf als transidentischer Mensch zu leben – als Junge, der ein Mädchen sein will. Wie das in Frankfurt in den 1960er und in Düsseldorf in den 70er und 80er Jahren war. Sie erzählt von ihrer gescheiterten Ehe, von ihren Erfahrungen auf dem Strich, ihren Jobs als Art-Direktorin für Werbeagenturen, ihrer Arbeit als Künstlerin, die für andere stets transsexuelle Künstlerin blieb. Was sie genau erlebte und wie sie sich fühlte, hat sie in ihrer Biografie „Die transzendierte Frau“ aufgeschrieben.

Jean Lessenich erzählt auch von ihrer Zeit in der Frauenbewegung, die sie fast umgebracht hätte. Ein Teil der Frauen, die besonders radikalen Feministinnen, hätten transsexuelle Frauen nicht als ihresgleichen akzeptiert. „Zudem entsprach mein aufgebrezelter Auftritt genau dem Bild, von dem sich die damaligen Feministinnen zu befreien suchten.“ Lessenich sagt, sie wollte eine „Sexbombe sein, um jeden Preis“. Heute wisse sie, dass sie sich da etwas vorgemacht habe: „Es war ein Traum, dem Klischee zu entsprechen. Und das hat mich fertiggemacht.“

Sie spricht über die Selbsttötung ihrer damaligen Lebenspartnerin und eine neue Partnerin, die sie, Jean, nicht als Frau akzeptieren konnte. Für sie präsentierte Lessenich sich äußerlich wieder als Mann, mit ihr zog sie sich tief ins Schneckenhaus ihrer Seele zurück.

Immigration. Vom Jungen zum Mann zur Frau zum Mann zur Frau und, wenn man so will, wieder zum Jungen. Es war ein Leben wie ein Wirbelsturm. Mal nennt Jean Lessenich sich beim Teetrinken Trans-Frau, mal Transe, mal Transsexuelle, dann Lesbe, dann Frau, immer wieder Frau, sie fragt, ob das denn so wichtig sei, Mann oder Frau, antwortet „Natürlich nicht, und doch, für die Gesellschaft, die nur Männer und Frauen kennt, schon“, nennt sich schließlich „ewige Immigrantin“, und lächelt in sich hinein.

Auf der Hauptstraße des kleinen Eifeldorfs stehen zwei Frauen vor renoviertem Fachwerk. In einem rostigen Kaugummiautomaten warten die bunten Kugeln auf Kinder, von denen es nicht mehr viele gibt in dem Ort, in den die Immigrantin sich zurückgezogen hat. Warum hierhin zurück? „Wegen der Ruhe.“ Den Ort müsse man nicht unbedingt nennen.

Die Straße steigt steil an. Vom Berg aus sind die Autobahnbrücke und das Dorf mit seiner überdimensionierten Kirche zu sehen. Sie sei einfach ihr Image als transsexuelle Frau nicht losgeworden, sagt Jean Lessenich. „Unsere größte Sehnsucht ist es, im neuen Land der Frauen anzukommen und eine der ihren zu werden. Ich aber blieb immer die Transe. Unbekannten ist es meist gesteckt worden, bevor sie mich kennenlernten: Die Frau, die wir heute besuchen, war mal ein Mann. Es ist so wie bei allen Immigranten: einmal Ausländer immer Ausländer.“

„Ich kann unsereins riechen. Es ist die Mischung aus Östrogen, Parfüm und Angst, die wir ausdünsten, wenn wir uns in die Öffentlichkeit wagen. Es ist die Angst, dass jemand lachen könnte – wobei lachen ja noch das Harmloseste wäre.“

Über ihr Leben redet die 69-Jährige nicht gerade gern, sie verweist auf ihre Biografie.  Gern redet sie über ihre Erfahrungen und Befürchtungen. Ihre These ist heute: Der Traum der meisten Transsexuellen, ganz im anderen Geschlecht anzukommen, als Superfrau oder Supermann, kann leicht als Alptraum enden. „Es ist wichtig, seine Kindheit nicht zu verleugnen.“ Wunderbar sei, dass die Gesellschaft liberaler geworden sei, der Gesetzgeber Transsexuelle nicht mehr als „perverse Monster“ betrachte, Transsexuelle bei Schönheitswettbewerben mitmachen könnten. „Trotzdem ist die Toleranz längst nicht in der Mitte angekommen.“

Aber wie weit kann sie gehen, diese Toleranz? „Nicht Transe, nur Mensch sein“ das ist schließlich nur das Eine. Kämen die Grünen und die SPD mit ihren Forderungen durch, Transsexualität nicht länger als Krankheit zu betrachten, das Geschlecht künftig frei wählbar wäre, wer bezahlte dann die geschlechtsangleichenden Operationen? „Dann gäbe es solche, die sich eine OP leisten können und solche, die das nicht können. Damit wären wir in der Normalität unserer Welt angekommen.“

Wieder beim Tee in der Küche sagt Jean Lessenich: „Das ist es doch. Das ankommen im Mainstream.“ Eine Gesellschaft, in der es normal sei, dass man sein Geschlecht selber wählen könne. Und es nicht einer Institution überlassen bleibe, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühle. Und die Operation von der Kasse übernommen würde, wenn man sie denn wolle. „Die Operation wäre wie das Korrigieren von körperlichen Behinderungen.“

„Du wirst sagen: Ein Schwarzer bleibt ein Schwarzer. Obwohl Michael Jackson sich zum Weißen machte, blieb er ein schwarzer Sänger. Ist das so? Ich glaube nicht, und doch, er trat bei MTV auf. Das durften vor ihm nur Weiße. Michael Jackson gehört zu uns. So einfach ist das. Er ist Transrace und Transgender.“

Es geht jetzt wieder um die Mutter. „Die wünschte sich ein Mädchen und ich wünschte, ich wäre als Mädchen geboren worden. Und wäre es so gewesen wie es vielleicht bald sein könnte, wie wir Transidentischen es erträumen, dann hätte ich schon als Kind eine weibliche Sozialisation bekommen. Und es hätte nie Probleme mit der Frauenbewegung gegeben.“ Jean Lessenich wirkt gelassen, wenn sie über die Achterbahn ihres Lebens erzählt, von der sie fast herabgerissen worden wäre, verträumt wie ein Kind. Vielleicht ist es die Wirkung der jahrelangen Meditationen, sie ist Zen-Buddhistin. Oder es ist, weil sie gerade glücklich ist mit ihren Zeichnungen und Bildern. Lessenich malt mit einer Freundin an einem Bild, „beide fangen an einer Seite an und wir begegnen uns in der Mitte“.

„Ich wäre wirklich gern die Tochter meiner Mutter geworden. Man ließ mich nur nicht. Und dies führte zu Ängsten, die ich nie überwand. Bis heute nicht.“

Es ist zumindest nicht die Rückkehr in die Eifel, die Jean Lessenich gerettet hat. Es ist nicht ihre Katze, nicht das selbst gezogene Gemüse, auch nicht die Kunst.  Jean Lessenich sagt, sie sei  nun ruhig, weil sie wisse, dass Geschlechterrollen eben Rollen seien. Wie es bei Shakespeare heißt: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler.“

Sie teile, was Simone de Beauvoir gesagt habe: Was Frau oder Mann ist, ist eine kulturelle Angelegenheit. „Schließlich werden wir nicht mit High Heels geboren. Unsere Vorstellung von einem weiblichen oder männlichem Auftritt ist eine durch unsere Kultur geprägte und hat mit der Biologie überhaupt nichts zu tun.“ Sie will sich nicht auf ihr Geschlecht festlegen lassen, dafür spricht auch ihr Name: Im Französischen ist Jean männlich, im Englischen weiblich.

Plötzlich lacht Jean Lessenich, und sagt: „Ich muss gerade an meine Mutter denken. Sie war so was wie eine Dorf-Zarah-Leander und eins ihrer Lieblingslieder war: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen.“  Sie heiße nun nicht Rosemarie, wie die Mutter es sich erträumt habe, aber sei nun doch ihre Tochter. „Ich bin angekommen. Schade, dass ich ihr das nicht mehr sagen kann. Aber ich glaube, sie wäre sehr zufrieden, wenn sie jetzt hier wäre.“

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