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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Ungefähr wie viele
Transsexuelle Menschen gibt es in Deutschland?
"In Deutschland soll es 6.000 bis 8.000 betroffene
Menschen geben. Diese Zahlen, 1983 für die alten Bundesländer erstellt, müssen
jedoch falsch sein. Es wurden nur chirurgisch behandelte Betroffene erfasst.
Operationen, die im Ausland stattfanden, sind in diesen Zahlen nicht enthalten.
Ebenso fehlen Personen, die für sich eine stabile Lösung oder Zwischenlösung
ohne Operation gefunden haben - unabhängig davon, wie lange diese hält.
Nach den uns heute zugänglichen Statistiken und
Hochrechnungen, gestützt auf Untersuchungen in den USA, bzw. den Niederlanden,
müssen es in der Bundesrepublik ca. 170.000 Betroffene sein. Anteilig
umgerechnet leben damit allein in NRW zurzeit ca. 35.000 bis 40.000
Transidenten! Viele Betroffene aller Entwicklungsstadien, vom ersten Erkennen
der eigenen Transidentität bis hin zum vollständig operierten Transidenten,
leben in der Anonymität, können also von Statistiken nicht erfasst werden (sind
in den umgerechneten Zahlen aber enthalten!
Transidentität ist keine Modeerscheinung. Das Phänomen, das
Menschen vollständig oder vorübergehend in einer anderen Geschlechterrolle als
der ihres körperlichen Geschlechts lebten, ist seit der Antike bekannt. Eine
fundierte wissenschaftliche Betrachtung der Transgender-Eigenschaft setzte
jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts ein. So prägte der Arzt und
Sexualforscher Magnus Hirschfeld 1910 für Menschen, die Kleidung des anderen
Geschlechts tragen, den Begriff "Transvestit". Im Jahre 1923 prägte
Hirschfeld in einer weiteren Publikation den Begriff der "seelischen
Transsexualität". Der von Hirschfeld geprägte Begriff
"Transvestit" entspricht nach heutigem Verständnis am ehesten dem
Begriff "Transgender" als Bezeichnung für Menschen, deren
körperliches Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinstimmt.
Auch für historisch bedeutende Persönlichkeiten sind
Hinweise auf eine Transgender-Eigenschaft belegt. So berichteten die Historiker
Cassius Dio und Herodian übereinstimmend, dass sich der römische Kaiser
Elagabalus (ca. 203 - 222) schminkte, indem er Augen-Make-up und Rouge trug.
Cassius Dio berichtet weiter, dass sich Elagabalus epilierte und Perücken trug.
Laut der Online-Enzyklopädie gibt äußerte Elagabalus den Wunsch nach einer
geschlechtsangleichenden Operation und kleidete sich als "Venus".
Diese Darstellung wird auch von dem deutsch-amerikanischen
Endokrinologen und Pionier der Erforschung der Transsexualität, Harry Benjamin,
in dessen 1966 erschienenen Buch "The Transsexual Phenomenon"
aufgegriffen. Benjamin beschreibt dort außerdem, dass König Heinrich III von
Frankreich im Februar 1577 vor dem Abgeordnetenhaus wie eine Frau gekleidet
erschien. Demnach trug er unter anderem ein Kleid und eine lange Perlenkette.
Auch soll er die weibliche Form der Anrede, "sa majesté", bevorzugt
haben. Der 1998 erschienene Film Elizabeth mit Cate Blanchet nimmt diese
Darstellung in einer Szene auf, als Elizabeth ihren Gast Heinrich III in seinen
Gemächern in einem Kleid vorfindet.
Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d’Éon de
Beaumont, kurz Chevalier d’Eon, war ein französischer Diplomat, der große Teile
seines Lebens als Frau lebte. Erst eine Leichenbesichtigung räumte Zweifel über
sein tatsächliches körperliches Geschlecht endgültig aus. Insgesamt lebte er 34
Jahre als Frau, wobei sein Werdegang jedoch auch zeigt, dass es schwierig ist,
derartige Berichte eindeutig einer Transgender-Eigenschaft zuzuordnen.
Es ist historisch verbrieft, dass Chevalier d’Eon ab ca.
1763 zumindest teilweise als Frau lebte. Allerdings könnte es dafür auch andere
Gründe gegeben haben als eine Transidentität: Chevalier d’Eon war französischer
Diplomat und Spion und lebte nach einem Disput mit dem französischen
Botschafter in England als Exilant in London. Er hatte wichtige französische
Staatspapiere in seinen Besitzt gebracht, die er zum Teil veröffentlichen ließ.
Einige Historiker vermuten deshalb, dass Chevalier d’Eon durch sein Leben als
Frau lediglich eine Auslieferung nach England verhindern wollte.
Im Jahre 1777 stimmte der französische König einer Rückkehr
Chevalier d’Eons nach Frankreich zu folgenden Bedingungen zu: Chevalier d’Eon
erhielt gegen die Rückgabe der geheimen Staatspapiere eine hohe Pension sowie
die ausdrückliche Auflage, Frauenkleider zu tragen. Er kehrte als
"Chevaliere Charlotte d’Eon" nach Frankreich zurück. Zwei Jahre
später trat er als Mann auf, wurde inhaftiert und erst wieder frei gelassen als
er einwilligte, wieder Frauenkleider zu tragen.
1785 verlor er aufgrund der französischen Revolution seinen
Pensionsanspruch und zog erneut nach England. Zur Sicherung seines
Lebensunterhalts war er gezwungen, seine Bibliothek zu verkaufen. Weiter
verdiente er Geld durch öffentliche Fechtauftritte in Frauenkleidern.
Chevalier d’Eon wird demnach häufig als Beispiel für einen
historisch verbrieften Transgender zitiert, eine tatsächliche Transidentität
erscheint jedoch zumindest zweifelhaft. Denn im Gegensatz zu den zuvor
zitierten Beispielen - Kaiser Elagabalus und König Heinrich III von Frankreich
- scheint das Auftreten des Chevalier d’Eons in Frauenkleidung eher
fremdbestimmt gewesen zu sein.
Bereits in den 1950er Jahren konnten Transsexuelle in den
USA eine Hormontherapie erhalten. Im Jahre 1952 berichteten die Medien erstmals
über eine geschlechtsangleichende Operation, vorgenommen an der transsexuellen
Amerikanerin Christine Jorgensen. Erste therapeutische Versuche mit
Sexualhormonen sowie erste Operationsversuche sind seit Anfang der 1920er Jahre
dokumentiert. Eine der ersten nachweislichen geschlechtsangleichenden
Operationen wurde 1930 in Dresden bei Einar Mogens Wegener durchgeführt, die
sich später dann Lili Elbe nannte.
Die hier zitierten Beispiele für Transgender in früheren
Epochen erheben keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr zeigen
sie, dass das Phänomen der Transidentität so alt ist wie die Menschheit selbst.
Kulturen
Soweit bekannt ist, ist die Transsexualität so alt wie die
Menschheit, wenngleich Transsexuelle in verschiedenen Kulturen und historischen
Zeitabschnitten sehr unterschiedlich behandelt wurden. Bestimmten Männern in
verschiedenen Gesellschaften der Vergangenheit (einschließlich einiger
Indianerstämme Amerikas) war es erlaubt, (oder man unterstützte sie sogar
darin), eine feminine Geschlechtsrolle zu übernehmen und als „Schamanen"
zu leben. Sie trugen Frauenkleider und heirateten große Krieger oder berühmte
Männer ihrer Stämme und versorgten den Haushalt. Sie selbst waren oft sehr
angesehen, weil man glaubte, sie hätten magische Kräfte.
Eine solche, gesellschaftlich anerkannte Lösung war
natürlich nicht nur für Transsexuelle außerordentlich günstig, sondern auch für
andere sexuelle Minderheiten, wie Hermaphroditen, Transvestiten und
„weiblich" empfindende Homosexuelle. Anderen homosexuellen Männern dagegen
war es möglich, die sexuelle Erfüllung ihrer maskulinen Rolle durch die Heirat
mit einem Schamanen zu finden. Sexuell weniger tolerante Gesellschaften der
westlichen Welt haben eine vergleichbare Lösung nie geboten. Im Gegenteil,
unsere christliche Kultur zeichnete sich immer durch fanatische Unterdrückung
und Verfolgung sexueller Abweichungen aus. Durch Aufklärung (Medien, SHGs,
etc.) und durch den Gesetzgeber verbessert sich aber die Gesamtsituation
zusehends.
Das Zähl-Problem
Warum ist es eigentlich so schwierig, an Zahlen
heranzukommen? Ganz einfach, weil kaum einer zählt. Warum kaum jemand zählt,
steht – vielleicht – weiter unten. Das Faktum ist aber leider unbestreitbar.
Ausnahme hier sind Privatkliniken im Ausland, die zählen,
denn sie brauchen die Zahlen für ihre Werbung. "Bei uns wurde dieser
Eingriff schon so und so oft gemacht!" ist ein gutes Werbeargument, und
diese Kliniken umwerben Transmenschen auch recht offen. Auf diesen Zahlen
beruht Conways erster Aufsatz. Weiterhin scheinen die MDKs zumindest teilweise
die Anträge für geschlechtsangleichende Operationen zu zählen, von denen
zumindest einige einmal Zahlen veröffentlichten, siehe unter P29b. Für die
Jahre 1991-2000 wurden weiterhin Zahlen für TSG-Verfahren genannt. Das war's
aber auch schon.
Zumindest in
Deutschland werden nicht gezählt:
Die Anzahl der Menschen, welche wegen abweichender
Geschlechtsidentität andersgeschlechtliche
Hormone bekommen. Das wäre unserer Erfahrung nach die
zuverlässigste Zahl, die man erheben könnte. Diese können in Deutschland von
jedem Arzt verschrieben werden, und eine Meldepflicht besteht hierzulande nur
für bestimmte ansteckende Krankheiten. Das Erheben solcher Daten (und
entsprechende Daten hätten andere Gruppen auch sehr gerne für ihre Behandlung
bedürftiger Zustand) verstoße angeblich gegen den
Datenschutz. (Was so datenschützerisch bedenklich daran wäre, würde bekannt, dass
etwa im Landkreis XYZ seit 2007 3 Leute in den Altersgruppen A, B und C
behandelt werden wegen ZYX (ohne weitere Einzelheiten), das ist so ohne
weiteres auch für einen sehr für Datenschutz eintretenden Menschen nicht
nachvollziehbar.)
Das vor allem im Ausland, wo es entweder gar keine Chance
gibt, die Hormone vom Arzt zu bekommen, oder man auf bestimmte
Behandlungszentren angewiesen ist, die nicht immer sehr trans-freundlich sind;
oder auch schlicht zu weit weg sind, sehr beliebte (und oft auch notwendige)
illegale Besorgen der Hormone ist hierzulande zum Glück nicht sehr häufig.
Chirurgische Eingriffe könnte man natürlich zählen. Man müsste
sich nur darauf einigen, was man zählt, da nicht jeder alles machen lässt. Zurzeit
wären vermutlich halbwegs aussagekräftig die genitalangleichende Operation für
Transfrauen und die Mastektomie bei Transmännern, jedenfalls um jene zu
erfassen, welche überhaupt operative Eingriffe wollen. Die letztere
verdeutlicht aber schon ein Problem: Es wagen sich auch durchaus Kliniken an
Maßnahmen, welche derartige Eingriffe nicht sehr oft ausführen. "Brust
verkleinern, kann ja kein Problem sein." Ohne eine Meldepflicht würden
diese Eingriffe vermutlich nirgendwo mitgezählt. Aber es kommt ja noch viel
schöner: Gerade in Deutschland geben viele Kliniken nicht mal ansatzweise zu, dass
sie geschlechtsangleichende Operationen durchführen. Selbst Kliniken, wo diese
seit Jahren durchgeführt werden und das allgemein bekannt ist, haben schon auf
offizielle Anfragen etwa von staatlicher Seite schlicht und ergreifend
bestritten, dass sie "so was" machen. Andere Kliniken gestatten es
tatsächlich nicht, und erlauben großzügiger Weise ihren Ärzten, "so was"
privat und in Belegkliniken zu erledigen. Man will ja gar nicht wissen, was
dieses Verhalten motiviert, aber das Zählen wird dadurch äußerst schwierig. Und
natürlich würden jene nicht erfasst, welche diese Eingriffe gar nicht wollen,
oder aus anderen Gründen nicht machen lassen.
Anmerkung: Die einmal angekündigten uns vorliegenden Zahlen
zu chirurgischen Eingriffen erwiesen sich leider als unbrauchbar, weil daraus
beim besten Willen nicht abzuleiten war, an wie vielen Personen die Eingriffe
vorgenommen wurde; aufgeführt waren jeweils Abrechnungsziffern bei Diagnose
F64.0.
Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Internetforen etc. Von
diesen zählen sogar manche mehr oder weniger genau mit. Das nutzt aber nur
wenig, weil sehr viele Menschen auf diese nie stoßen oder nicht hingehen, oder
umgekehrt in einem halben Dutzend davon vertreten sind. Nicht einmal Trends
lassen sich hier ablesen, da die Gründe, warum die Menschen hierhin kommen und
nicht dahin, oder warum eine Gruppe größer oder kleiner wird, viel zu
unterschiedlich sind, um etwas auszusagen über absolute Zahlen. (Neue
sympathische – oder unsympathische – Berater oder Gruppenleiter etwa, oder
wegfallende oder sich ändernde Treffpunkte, oder vieles mehr.)
Ob TSG-Verfahren nun gezählt werden oder nicht, und wenn ja,
wie genau, ist uns immer noch etwas fraglich. Dieselbe Bundesregierung, die auf
Anfragen auch schon antwortete, dass keine Zahlen vorliegen, gibt in der oben
aufgeführten Antwort auf die Kleine Anfrage Zahlen an. Einzelne Richter
jedenfalls haben ebenfalls schon gesagt, dass bei ihnen am Gericht nicht
gezählt würde, und zwar auch explizit denn Zeitraum betreffend, für den die
damalige Bundesregierung Zahlen angab. Andererseits weichen die Zahlen nicht allzu
sehr von den anderen Zahlen ab, so dass es immerhin möglich ist, dass diese
Zahlen tatsächlich von den Gerichten stammen und so an die Bundesregierung
weitergegeben wurden. In diesem Falle, und falls auch später noch gezählt
wurde, würden wir uns um eine Veröffentlichung dieser Zahlen sehr freuen.
Doch, die TSG-Verfahren werden gezählt, und daraus sowie einigen anderen Indikatoren lassen sich interessante Rückschlüsse auf die Anzahl der Transsexuellen in Deutschland ziehen. Mehr dazu hier.
AntwortenLöschenDas grosse Fragezeichen ist die Dunkelziffer, die Zahlen könnten durchaus noch höher sein, hier gibt es einige Betrachtungen aus der asiatischen Welt die auf eine Grössenordnung von 1% oder mehr an der Gesamtbevölkerung hindeuten.
LG Corinna ;)