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Rothenbächer 2012
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Diskriminierung von Transsexuellen
"Noch ein langer Weg"
Das
Bundesverfassungsgericht verpflichtet 1996 den Staat, "die individuelle
Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu
respektieren". Überdies ist seit Juli 2006 in Deutschland das
Antidiskriminierungsgesetz (AGG) in Kraft. Es verbietet, Menschen wegen ihrer
sexuellen Identität zu benachteiligen. Natürlich kennen auch die Arbeitgeber
das Gesetz. Kein Transsexueller wurde je offiziell wegen seiner Transsexualität
entlassen. Zudem muss der Arbeitnehmer eine Diskriminierung nachweisen.
"Man kann
dem Gesetzgeber keinen Vorwurf machen", meint Dgti-Vorsitzende Ottmer,
"aber er sollte für ein flächendeckendes Beratungs- und Aufklärungsnetz
sorgen. Die Stellen, die es gibt, kann man an einer Hand abzählen." Wie
wichtig Aufklärung ist, um ein gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen,
betont auch Menschenrechtlerin Schicklang: "Das Hauptproblem ist, dass
Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung verbreiten,
Transsexuelle seien psychisch gestört. Wenn das die Menschen nicht mehr glauben
würden, hätten wir weniger Probleme."
Dafür, dass
sich etwas ändert, sorgt in München der Verein Viva. Die Selbsthilfegruppe für
Transsexuelle berät Betroffene und leistet Aufklärungsarbeit in Schulen oder am
Arbeitsplatz. Mitte Dezember 2009 feierte Viva sein 20-jähriges Bestehen unter
Schirmherrschaft von OB Christian Ude. Als schwul-lesbische Vertreter
beglückwünschten die Stadträte Thomas Niederbühl (Rosa Liste) und Lydia
Dietrich (Die Grünen) den Verein zu seiner erfolgreichen Arbeit. Trotz der
ausgelassenen Stimmung fand Dietrich mahnende Worte: "Wenn es um das Thema
Gleichstellung geht, haben wir noch einen langen Weg vor uns."
Ein
transsexueller Hauptkommissar in Zwangsrente; eine transsexuelle Technikerin im
Außendienst einer großen bayerischen Firma, die nur noch im Innendienst
arbeiten darf; zig transsexuelle Arbeitslose trotz höchster Qualifikation -
Geschichten, die auch beim Jubiläum von Viva kursieren. Nur Miriam* ist eine
Ausnahme. "Ich habe einen Paradeweg hingelegt", sagt sie. Sie ist
Elektroinstallateurin. Im März 2008 outet sie sich als Frau vor ihrem Chef.
Seine Reaktion: "Wenn das dein Weg ist, musst du ihn gehen." Miriam
ist den Weg bis zum Ende gegangen.
Vor wenigen
Tagen wurde ihr männliches Geschlechtsteil wegoperiert. Zu Hause hatte sie ein
Maßband aufgehängt und Tag für Tag einen Zentimeter abgeschnitten. Eine schöne
Geschichte, doch leider ist die Realität oft hässlicher. Geschichten wie die
von Stefanie sind der Regelfall. Dass sie danach jahrelang unter Depressionen
litt, gar an Selbstmord dachte, kann man an ihrem rundlichen Gesicht heute
nicht mehr ablesen.
"Wenn ich
die Geschlechtsumwandlung nicht gemacht hätte, würde ich heute nicht mehr
leben", sagt sie nüchtern. Stefanie hat es geschafft, sie ist nicht an der
Situation zerbrochen. Weder an der persönlichen noch an der beruflichen. Heute
genießt sie ihre Rente und erzählt anderen ihre Geschichte. "Ich bin eine
der wenigen, die sich outen kann, ohne Angst zu haben, den Job zu
verlieren." Denn den hat sie bereits verloren.
Viele
Transsexuelle leiden unter Mobbing in Beruf und im Alltag. Die
Selbsthilfegruppe Viva berät Betroffene und leistet Aufklärungsarbeit in
Schulen oder am Arbeitsplatz. Stefanie verlor ihren Job,
weil sie ein mutiger Mann war. 17 Jahre lang hatte sie als Sozialpädagogin in
einem bayerischen Altenheim gearbeitet. Alle waren mit ihr zufrieden gewesen,
als sie noch Christian hieß (Namen von der Redaktion geändert). Nach Stefanies
Coming-out bewunderten die Kollegen sie zunächst: "Toll, wie du das
durchziehst." Dann kamen die Anrufe. Von den Chefs. Immer wieder.
O-Ton:
"Wenn du nicht krank zu Hause bleibst, finden wir schon was, um dich
rauszuschmeißen." Im März 2006 ging Stefanie mit 63 Jahren in Frührente.
"Ich habe mich schriftlich von meinen Kolleginnen und Kollegen
verabschiedet", sagt sie. Persönlich konnte sie das nicht mehr tun, da sie
seit November 2005 auf Wunsch der Chefetage krankgeschrieben war. "Nur
drei von 22 Mitarbeitern haben auf meinen Abschiedsbrief geantwortet."
Diskriminierung
steht im Arbeitsalltag von Transsexuellen auf der Tagesordnung. Wie viele es in
Deutschland gibt, weiß niemand. Noch weniger, wie viele diskriminiert werden.
Es gibt keine Statistiken. Das liegt für Kim Schicklang von der Gemeinschaft
"Menschenrecht und Transsexualität" vor allem daran, "dass
niemand Interesse an dieser Gruppe hat, niemand dafür Geld ausgeben will".
Andrea Ottmer,
Vorsitzende des Braunschweiger Dachverbands "Deutsche Gesellschaft für
Transidentität und Intersexualität e. V." (Dgti), formuliert es so:
"Manche behaupten, es gebe zwischen 5000 und 6000 Transsexuelle in
Deutschland. Da muss ich immer lachen, so viele kenne ich ja schon fast
selbst." Ihr Verband geht davon aus, dass von 1000 Menschen einer
transsexuell ist - das wären bundesweit 80000. Anders als Stefanie haben viele
Transsexuelle nicht den Mut, sich am Arbeitsplatz zu outen.
"Die
meisten geben ihre Jobs im Vorhinein auf", sagt Ottmer. Sie nennt das
"vorauseilenden Gehorsam". Zu groß sei die Angst vor Mobbing,
Versetzung, Kündigung. Dass die Angst begründet ist, kann Andreas
Unterforsthuber bestätigen. Er ist Leiter der Koordinierungsstelle für
gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Stadt München. Aktuell betreut er zwei
Fälle. Kürzlich kam eine Transfrau zu ihm, also ein biologischer Mann, der sich
als Frau fühlt. Sie ist bei der Stadt München angestellt. Als Arbeiter. Als
Mann unter Männern.
"Sie will
das Coming-out", sagt Unterforsthuber. "Gleichzeitig ist aber völlig
klar: Das geht nicht, sonst kann sie ihren Job vergessen." Eine andere
Transfrau hat das Coming-out an ihrem Arbeitsplatz im Münchner Gesundheitswesen
gewagt. Seitdem hinterlassen Kollegen Zettel mit sexuellen Zeichnungen und
obszönen Sprüchen auf ihrem Schreibtisch. Dabei ist die Rechtslage eindeutig:
Schon das Grundgesetz garantiert die "freie Entfaltung der
Persönlichkeit". Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 1996 erlässt
ein eindeutiges "Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts".
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