Tragische
Transe? Nö!
Die
amerikanische Serie "Transparent" macht das Thema
Geschlechtsidentität jetzt auch in Deutschland populär. In Amerika ist die
Diskussion längst weiter. Ein Besuch im Transgender-Zentrum in Queens, New
York. VON CLAUDIA STEINBERG
Eine Regenbogenflagge zwischen Isabels Haarsalon und dem
Minisupermarkt zeigt den Weg nach Pride House: ins Zentrum für Queers und
Transsexuelle auf der 37th Avenue in Jackson Heights, Queens. Dort sitzt auf
voluminösen Sofas und Bürostühlen eine Gruppe von Transsexuellen, Lesben und
Bisexuellen. Die Atmosphäre ist ausgelassen. Bis eine schwarz gekleidete Dame
unbestimmten Alters, glamourös einen chinesischen Schal um die Schultern
drapiert, Platz nimmt. Pauline Park ist die Gründerin und Direktorin von Pride
House. Sie weiß, gleich wird die Stimmung abstürzen, mit dramatischen
Erzählungen von Familienstreit, dem Aufflammen von Unbehagen an der
zugewiesenen Geschlechtsidentität, die sich falsch anfühlt.
Alle wissen längst um Lauras Selbstmordabsichten. Gene
berichtet vom Besuch seiner geliebten Oma aus China, die über die Verwandlung
ihrer Enkelin in einen Jungen so verzweifelt war wie er über ihre Unfähigkeit,
seine neue Identität zu akzeptieren. Dylan ist Computerprogrammiererin und
sehnt sich nach einer "Rückwärtskompatibilität" mit der Ehefrau und
den Kindern aus ihrem früheren Leben als Mann. Ihre Kollegin June sollte sich
bei der Suche nach einem neuen Job einfach als Frau vorstellen, findet Dylan –
doch Junes Doktortitel und ihre ganze exzellente Berufserfahrung laufen unter
ihrem Männernamen.
Seit sich die Schwulen nach den Debatten der siebziger Jahre
in den Mainstream eingliedern konnten, sind Transgender-Individuen als
exotischer Rest der Außenseitergemeinde übrig geblieben. Ihre
Erlösungsgeschichten besitzen noch immer jenen Unterhaltungsfaktor, den ein
schwules Paar mit Hund und Haus in der Vorstadt längst verloren hat. Inzwischen
ist Transgender das neue heiße Thema, es ist sogar in der breiten
Öffentlichkeit angekommen, als Bürgerrechtsproblematik, als Glamour-Faktor, als
Fernsehserie. An den Universitäten rüttelt es unter der Flagge von Queer
Studies an den Geschlechtergrenzen. Im Oktober des vergangenen Jahres plädierte
der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio für die Möglichkeit, das Geschlecht
auf Geburtsurkunden ohne operative Umwandlung ändern zu können. Der New Yorker
Gouverneur Andrew Cuomo hat verlangt, dass Krankenversicherungen für
Geschlechtsumwandlungen aufkommen. Das New Yorker Gefängnis Rikers Island, eine
der größten Strafanstalten der Welt, richtet eine Sonderabteilung für
transsexuelle Häftlinge ein, weil Gefängnisse für sie zu den gefährlichsten
Orten zählen, wo sie oft Gewalttätigkeit und sexuelle Attacken erdulden müssen.
Vor zehn Jahren war ein Film wie Transamerika mit seiner vom Mann zur Frau transformierten
Heldin Bree noch eine Ausnahme. Von dieser Woche an kann man über Amazon auch
auf Deutsch die Serie Transparent sehen (parent wie Eltern und trans wie
transsexuell), sie ist schon ausgezeichnet mit dem Golden Globe und hat beste
Aussichten auf einen Kultstatus.
Die Autorin und Regisseurin von Transparent, Jill Soloway,
hat sich von der Gendermetamorphose ihres eigenen Vaters zu einem witzigen und
empathischen Aufruf für die Geschlechterfreiheit inspirieren lassen: Als Morts
drei Töchter erwachsen sind, wagt er sein Coming-out und kommt plötzlich als
Frau mit langer Haarmähne, auf Stöckelschuhen und im hübschen Kleid durch die
Tür. Das Erstaunen ist groß, zumal Papa Mort dabei seine Tochter in inniger
Umarmung mit ihrer Freundin überrascht. Die Serie soll nicht nur "die
Geburt einer neuen Mutter aus dem weiblichen Ich des Vaters" feiern,
sondern auch "boygirl, girlboy, macho princess and officer sweet slutty
bear" zur Identität ihrer Wahl ermutigen. Mit dieser antidualistischen
Auffassung hat Soloway das Klischee der tragischen Transe mit Schwung
hinweggewischt und einem Millionenpublikum die Möglichkeiten kühner
Selbstbestimmung vorgeführt.
Pauline Park hat ihr Pride House an einem der ethnisch
vielfältigsten Orte der Welt angesiedelt: In der Schule schräg gegenüber werden
84 Sprachen gesprochen. Im Pride House erscheinen Klienten aus Kolumbien,
Ecuador, Mexiko, China, Indien, Pakistan, Bangladesch oder von den Philippinen.
Die Einrichtung verzeichnet jedes Jahr rund 6000 Interaktionen mit Bewohnern
aus ganz Queens, New Yorks zweitgrößtem Stadtteil. Pride House hat in zwei
Jahrzehnten einen Katalog von Rechtsanwälten und Medizinern angesammelt, bei
denen Transsexuelle auf respektvollen Umgang hoffen können, man arbeitet mit
Psychotherapeuten oder Psychiatern zusammen. Immigration und medizinische
Versorgung sind die wichtigsten Themen. Pride House vermittelt HIV-Tests,
verteilt pro Monat 50.000 Kondome oder hilft obdachlosen Klienten, eine
Unterkunft zu finden. "Gerade transsexuelle Teenager enden oft auf der
Straße", sagt Park.
Pauline Parks Mitgefühl für Menschen wie Laura oder Gene ist
in ihrer eigenen komplizierten Biografie begründet. Im Jahr 1960 nahmen
amerikanische Adoptiveltern zwei unterernährte Zwillingsbrüder aus Seoul in
Empfang. Die Jungen waren erst acht Monate alt und wuchsen nun auf als die
einzigen nicht weißen Kinder der Umgebung. Sie waren in einer christlich
fundamentalistischen, republikanischen Familie gelandet. Im ersten Semester
ihres Philosophiestudiums an der University of Wisconsin offenbarte sich Park
als schwul. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte kam zum
Vorschein, als Park mit einem Stipendium nach London zog und dort immer
häufiger als Frau auftrat. Sie nennt es die befreiendste Erfahrung ihres
Lebens: "Zum ersten Mal präsentierte ich mich so, wie ich mich sah."
Schließlich war es die Lektüre von Michel Foucault, die Park von dem
vermeintlichen Fluch einer inauthentischen koreanischen Identität befreite und
die binäre Geschlechtsbestimmung als gesellschaftliches Konstrukt entlarvte.
"Ich begann, mich als ›körperlich männliche Frau‹ und als koreanisches
Adoptivkind zu akzeptieren."
Dass sie sich in der geschlechtlichen und kulturellen
Ambiguität so beheimatet fühlt, macht Pauline Park zu einer radikalen Theoretikerin
und Aktivistin, die mit dem "Transgender-Establishment" Amerikas und
seiner "klassischen Version der Geschlechtsumwandlung" auf Kriegsfuß
steht.
Die Geschlechtsidentitätsstörung hat immer noch den Status
einer Geisteskrankheit
Nach Hunderten von Schulungen und Workshops an
Universitäten, in Kliniken, Regierungsstellen und Unternehmen ist Pauline Park
bestens mit allen Vorurteilen vertraut, die über Transsexuelle kursieren.
"Die meisten Teilnehmer erwarten, dass ich ihnen etwas über Hormone und
Operationen erzähle. Aber das Thema berühre ich kaum. Ich versuche zu erklären,
wie viele Barrieren ein Transsexueller etwa bei einem Krankenhausbesuch
überwinden muss". Seit dem 11. September verlangt nahezu jedes öffentliche
Gebäude das Vorzeigen eines Ausweises. Wenn der auf einen männlichen Namen
lautet, die Person jedoch als Frau erscheint, wird sie möglicherweise nicht
über den Wachtposten hinauskommen. Die nächste Hürde ist das Formular, auf dem
man "männlich" oder "weiblich" ankreuzen muss. Wenn die
Patientin Joanna im Warteraum sitzt, aber als John aufgerufen wird, ist sie
verwunderten Blicken ausgesetzt.
Die lineare Transformation vom Mann zur Frau und umgekehrt
wurde der Öffentlichkeit in zahllosen Talkshows von Oprah Winfrey bis Barbara
Walters nahegebracht – mit Gästen, die sich im falschen Körper eingesperrt
fühlten und diesen Missstand mit Hormonen und Operationen behoben. Mit der
Umkehrung der genitalen Vorzeichen bleibt aber nicht nur die Weltordnung der
polaren Geschlechtsidentität erhalten, sondern die Transsexualität weiterhin
dem Krankheitsmodell verhaftet. 1974 wurde die Homosexualität aus dem
diagnostischen Handbuch psychischer Störungen gestrichen, das führte mit einem
Streich zur "Heilung" von Millionen von Schwulen. Gleichzeitig
definierte aber die American Psychiatric Association eine gender identity
disorder, Geschlechtsidentitätsstörung, die zur gender dysphoria abgemildert
wurde, ohne jedoch ihren Status als Geisteskrankheit zu verlieren. Demzufolge
wären alle Transgender-Individuen geisteskrank.
Park konzediert, dass die Dissonanz zwischen der
zugewiesenen Geschlechtsidentität und der eigenen Empfindung, vor allem aber
Transgender-Phobie zu Depressionen führen kann. Das wäre allerdings eher eine
Krankheit der Gesellschaft als eine des Individuums. Sie will mehr als ein paar
Brotkrumen vom Bankett des Gesundheitsministeriums um den Preis der
Pathologisierung eines Zustands, den sie als so natürlich betrachtet wie
Linkshändigkeit. Transsexualität ist für sie eine Varianz der dominanten
Geschlechtsidentität, keine Devianz. Wer eine operative Geschlechtsumwandlung
wünsche, sollte die Gelegenheit dazu haben, meint Park. Doch im Unterschied zum
klassischen Transgender-Diskurs wolle sich nur eine winzige Minorität diesen
gravierenden Eingriffen unterziehen. Die Mehrheit siedele sich einfach an
irgendeinem Punkt auf dem breiten Spektrum zwischen maskulin und feminin an.
Ein subversives Konzept, das bekanntlich schon bei der Wahl einer öffentlichen
Toilette Konflikte eröffnen kann, in New York wie überall.
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