Montag, 13. April 2015

Tragische Transe? Nö!





Tragische Transe? Nö!
Die amerikanische Serie "Transparent" macht das Thema Geschlechtsidentität jetzt auch in Deutschland populär. In Amerika ist die Diskussion längst weiter. Ein Besuch im Transgender-Zentrum in Queens, New York. VON CLAUDIA STEINBERG
Eine Regenbogenflagge zwischen Isabels Haarsalon und dem Minisupermarkt zeigt den Weg nach Pride House: ins Zentrum für Queers und Transsexuelle auf der 37th Avenue in Jackson Heights, Queens. Dort sitzt auf voluminösen Sofas und Bürostühlen eine Gruppe von Transsexuellen, Lesben und Bisexuellen. Die Atmosphäre ist ausgelassen. Bis eine schwarz gekleidete Dame unbestimmten Alters, glamourös einen chinesischen Schal um die Schultern drapiert, Platz nimmt. Pauline Park ist die Gründerin und Direktorin von Pride House. Sie weiß, gleich wird die Stimmung abstürzen, mit dramatischen Erzählungen von Familienstreit, dem Aufflammen von Unbehagen an der zugewiesenen Geschlechtsidentität, die sich falsch anfühlt.

Alle wissen längst um Lauras Selbstmordabsichten. Gene berichtet vom Besuch seiner geliebten Oma aus China, die über die Verwandlung ihrer Enkelin in einen Jungen so verzweifelt war wie er über ihre Unfähigkeit, seine neue Identität zu akzeptieren. Dylan ist Computerprogrammiererin und sehnt sich nach einer "Rückwärtskompatibilität" mit der Ehefrau und den Kindern aus ihrem früheren Leben als Mann. Ihre Kollegin June sollte sich bei der Suche nach einem neuen Job einfach als Frau vorstellen, findet Dylan – doch Junes Doktortitel und ihre ganze exzellente Berufserfahrung laufen unter ihrem Männernamen.

Seit sich die Schwulen nach den Debatten der siebziger Jahre in den Mainstream eingliedern konnten, sind Transgender-Individuen als exotischer Rest der Außenseitergemeinde übrig geblieben. Ihre Erlösungsgeschichten besitzen noch immer jenen Unterhaltungsfaktor, den ein schwules Paar mit Hund und Haus in der Vorstadt längst verloren hat. Inzwischen ist Transgender das neue heiße Thema, es ist sogar in der breiten Öffentlichkeit angekommen, als Bürgerrechtsproblematik, als Glamour-Faktor, als Fernsehserie. An den Universitäten rüttelt es unter der Flagge von Queer Studies an den Geschlechtergrenzen. Im Oktober des vergangenen Jahres plädierte der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio für die Möglichkeit, das Geschlecht auf Geburtsurkunden ohne operative Umwandlung ändern zu können. Der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo hat verlangt, dass Krankenversicherungen für Geschlechtsumwandlungen aufkommen. Das New Yorker Gefängnis Rikers Island, eine der größten Strafanstalten der Welt, richtet eine Sonderabteilung für transsexuelle Häftlinge ein, weil Gefängnisse für sie zu den gefährlichsten Orten zählen, wo sie oft Gewalttätigkeit und sexuelle Attacken erdulden müssen. Vor zehn Jahren war ein Film wie Transamerika mit seiner vom Mann zur Frau transformierten Heldin Bree noch eine Ausnahme. Von dieser Woche an kann man über Amazon auch auf Deutsch die Serie Transparent sehen (parent wie Eltern und trans wie transsexuell), sie ist schon ausgezeichnet mit dem Golden Globe und hat beste Aussichten auf einen Kultstatus.

Die Autorin und Regisseurin von Transparent, Jill Soloway, hat sich von der Gendermetamorphose ihres eigenen Vaters zu einem witzigen und empathischen Aufruf für die Geschlechterfreiheit inspirieren lassen: Als Morts drei Töchter erwachsen sind, wagt er sein Coming-out und kommt plötzlich als Frau mit langer Haarmähne, auf Stöckelschuhen und im hübschen Kleid durch die Tür. Das Erstaunen ist groß, zumal Papa Mort dabei seine Tochter in inniger Umarmung mit ihrer Freundin überrascht. Die Serie soll nicht nur "die Geburt einer neuen Mutter aus dem weiblichen Ich des Vaters" feiern, sondern auch "boygirl, girlboy, macho princess and officer sweet slutty bear" zur Identität ihrer Wahl ermutigen. Mit dieser antidualistischen Auffassung hat Soloway das Klischee der tragischen Transe mit Schwung hinweggewischt und einem Millionenpublikum die Möglichkeiten kühner Selbstbestimmung vorgeführt.
Pauline Park hat ihr Pride House an einem der ethnisch vielfältigsten Orte der Welt angesiedelt: In der Schule schräg gegenüber werden 84 Sprachen gesprochen. Im Pride House erscheinen Klienten aus Kolumbien, Ecuador, Mexiko, China, Indien, Pakistan, Bangladesch oder von den Philippinen. Die Einrichtung verzeichnet jedes Jahr rund 6000 Interaktionen mit Bewohnern aus ganz Queens, New Yorks zweitgrößtem Stadtteil. Pride House hat in zwei Jahrzehnten einen Katalog von Rechtsanwälten und Medizinern angesammelt, bei denen Transsexuelle auf respektvollen Umgang hoffen können, man arbeitet mit Psychotherapeuten oder Psychiatern zusammen. Immigration und medizinische Versorgung sind die wichtigsten Themen. Pride House vermittelt HIV-Tests, verteilt pro Monat 50.000 Kondome oder hilft obdachlosen Klienten, eine Unterkunft zu finden. "Gerade transsexuelle Teenager enden oft auf der Straße", sagt Park.

Pauline Parks Mitgefühl für Menschen wie Laura oder Gene ist in ihrer eigenen komplizierten Biografie begründet. Im Jahr 1960 nahmen amerikanische Adoptiveltern zwei unterernährte Zwillingsbrüder aus Seoul in Empfang. Die Jungen waren erst acht Monate alt und wuchsen nun auf als die einzigen nicht weißen Kinder der Umgebung. Sie waren in einer christlich fundamentalistischen, republikanischen Familie gelandet. Im ersten Semester ihres Philosophiestudiums an der University of Wisconsin offenbarte sich Park als schwul. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte kam zum Vorschein, als Park mit einem Stipendium nach London zog und dort immer häufiger als Frau auftrat. Sie nennt es die befreiendste Erfahrung ihres Lebens: "Zum ersten Mal präsentierte ich mich so, wie ich mich sah." Schließlich war es die Lektüre von Michel Foucault, die Park von dem vermeintlichen Fluch einer inauthentischen koreanischen Identität befreite und die binäre Geschlechtsbestimmung als gesellschaftliches Konstrukt entlarvte. "Ich begann, mich als ›körperlich männliche Frau‹ und als koreanisches Adoptivkind zu akzeptieren."

Dass sie sich in der geschlechtlichen und kulturellen Ambiguität so beheimatet fühlt, macht Pauline Park zu einer radikalen Theoretikerin und Aktivistin, die mit dem "Transgender-Establishment" Amerikas und seiner "klassischen Version der Geschlechtsumwandlung" auf Kriegsfuß steht.
Die Geschlechtsidentitätsstörung hat immer noch den Status einer Geisteskrankheit
Nach Hunderten von Schulungen und Workshops an Universitäten, in Kliniken, Regierungsstellen und Unternehmen ist Pauline Park bestens mit allen Vorurteilen vertraut, die über Transsexuelle kursieren. "Die meisten Teilnehmer erwarten, dass ich ihnen etwas über Hormone und Operationen erzähle. Aber das Thema berühre ich kaum. Ich versuche zu erklären, wie viele Barrieren ein Transsexueller etwa bei einem Krankenhausbesuch überwinden muss". Seit dem 11. September verlangt nahezu jedes öffentliche Gebäude das Vorzeigen eines Ausweises. Wenn der auf einen männlichen Namen lautet, die Person jedoch als Frau erscheint, wird sie möglicherweise nicht über den Wachtposten hinauskommen. Die nächste Hürde ist das Formular, auf dem man "männlich" oder "weiblich" ankreuzen muss. Wenn die Patientin Joanna im Warteraum sitzt, aber als John aufgerufen wird, ist sie verwunderten Blicken ausgesetzt.

Die lineare Transformation vom Mann zur Frau und umgekehrt wurde der Öffentlichkeit in zahllosen Talkshows von Oprah Winfrey bis Barbara Walters nahegebracht – mit Gästen, die sich im falschen Körper eingesperrt fühlten und diesen Missstand mit Hormonen und Operationen behoben. Mit der Umkehrung der genitalen Vorzeichen bleibt aber nicht nur die Weltordnung der polaren Geschlechtsidentität erhalten, sondern die Transsexualität weiterhin dem Krankheitsmodell verhaftet. 1974 wurde die Homosexualität aus dem diagnostischen Handbuch psychischer Störungen gestrichen, das führte mit einem Streich zur "Heilung" von Millionen von Schwulen. Gleichzeitig definierte aber die American Psychiatric Association eine gender identity disorder, Geschlechtsidentitätsstörung, die zur gender dysphoria abgemildert wurde, ohne jedoch ihren Status als Geisteskrankheit zu verlieren. Demzufolge wären alle Transgender-Individuen geisteskrank.

Park konzediert, dass die Dissonanz zwischen der zugewiesenen Geschlechtsidentität und der eigenen Empfindung, vor allem aber Transgender-Phobie zu Depressionen führen kann. Das wäre allerdings eher eine Krankheit der Gesellschaft als eine des Individuums. Sie will mehr als ein paar Brotkrumen vom Bankett des Gesundheitsministeriums um den Preis der Pathologisierung eines Zustands, den sie als so natürlich betrachtet wie Linkshändigkeit. Transsexualität ist für sie eine Varianz der dominanten Geschlechtsidentität, keine Devianz. Wer eine operative Geschlechtsumwandlung wünsche, sollte die Gelegenheit dazu haben, meint Park. Doch im Unterschied zum klassischen Transgender-Diskurs wolle sich nur eine winzige Minorität diesen gravierenden Eingriffen unterziehen. Die Mehrheit siedele sich einfach an irgendeinem Punkt auf dem breiten Spektrum zwischen maskulin und feminin an. Ein subversives Konzept, das bekanntlich schon bei der Wahl einer öffentlichen Toilette Konflikte eröffnen kann, in New York wie überall.



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