Montag, 15. Oktober 2012

Vom Mann zur Frau: Maria Sabine Augstein



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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Vom Mann zur Frau: Maria Sabine Augstein


Die Tochter des "Spiegel"-Gründers Rudolf Augstein wurde als Junge geboren. Mit 28 wechselte sie ihr Geschlecht. Als Anwältin setzt sie sich für sexuelle Minderheiten ein. Erstmals spricht sie über ihre Beweggründe und ihr eigenes Leben.

Der Weg zum ältesten Augstein-Kind ist ein verschlungener. Irgendwo in der Nähe des Starnberger Sees biegt ein Pfad ab. Nach einigen Metern durch dichten Tannenwald taucht eine Lichtung auf, dort steht ein rot-weißes Forsthaus. Innen betritt man eine Welt, in der nichts Überflüssiges herumsteht: Die Böden sind aus hellem Holz, die Wände weiß gekalkt. Die Wolldecke auf dem Ledersofa ist ordentlich gefaltet. Neben der Fernbedienung liegt eine Biografie des größten deutschen Journalisten, des "Spiegel"-Gründers und -Herausgebers Rudolf Augstein.

Augstein hatte vier Kinder von drei Frauen: Jakob, 39, wie der Vater selbst Verleger und Publizist, und die Journalistin Franziska, 42, beide aus der Ehe mit der Übersetzerin Maria Carlsson. Julian, 33, Künstler, aus der Ehe mit der Schriftstellerin Gisela Stelly. Und Maria Sabine, 57, von seiner ersten Frau Lore Ostermann, der Journalistin und Regieassistentin.

Maria Sabine sieht ihrem Vater am ähnlichsten, doch weiß man von ihr am wenigsten. Das hat seine Gründe. Geboren wurde Augsteins erstes Kind in Hannover, wo der Verleger vor 60 Jahren den "Spiegel" gründete. Es war kaum ein Jahr alt, da trennten sich die Eltern. Augstein und sein "Spiegel" zogen nach Hamburg, Mutter und Kind nach München. Nach einem Autounfall der Mutter kam das Kind in ein Kinderheim, später mit acht Jahren zu Pflegeeltern: zu Augsteins Schwester und deren Mann, der Richter war.

Spezialisiert auf das Recht für Lesben, Schwule und Transsexuelle

Auch Maria Sabine studierte Jura. Als Anwältin ist sie spezialisiert auf das Recht für Lesben, Schwule und Transsexuelle. Ein ungewöhnliches Rechtsgebiet. Aber Maria Sabine Augstein ist auch eine ungewöhnliche Frau. Sie wurde als Junge geboren. Ihr Kampf gegen die Diskriminierung von geschlechtlichen Minderheiten ist also auch ein persönlicher.

Außerdem ein erfolgreicher. Bis hoch zum Bundesverfassungsgericht kennt man ihren Namen. Sie war es, die für das erste prominente Lesbenpaar Hella von Sinnen und Cornelia Scheel 1992 das Aufgebot bestellte, das damals jedoch abgelehnt wurde. In Karlsruhe setzte sie später durch, dass die Mindestaltersgrenze von 25 Jahren für Menschen, die ihren Vornamen und ihre Geschlechtszugehörigkeit ändern wollen, aufgehoben wird.

Durch sie wurde jüngst im Bundestag über den Geschlechtsvermerk in Pässen diskutiert. Wenn etwa ein verheirateter Mann sich zur Frau operieren lässt, kann er zwar seinen Vornamen ändern, nicht jedoch seine weibliche Geschlechtszugehörigkeit rechtlich anerkennen lassen. Dafür müsste er sich erst scheiden lassen. Sonst wäre es eine vollwertige Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen. "Daher stand auch weiterhin ein "m" in seinem Pass, für männlich. Das war nicht nur menschenunwürdig, sondern verfassungswidrig", regt sich die Anwältin am Esszimmertisch auf.

Zart, trotz der breiten Schultern

Seit 2003 stritt sie für die Passanpassung. "Unter Schily als Innenminister kamen wir da nicht weiter. Der war gegenüber allen geschlechtlichen Minderheiten ablehnend eingestellt." Nachfolger Schäuble gab grünes Licht. Seit Oktober 2006 wird der Vermerk im Pass dem neuen Geschlecht angepasst - ob verheiratet oder nicht.

Die 57-Jährige schaut ernst durch ihre Hornbrille, das Gesicht trägt die Züge des berühmten Vaters. Sie ist 1,68 Meter groß, trägt flache Slipper, ist zart geschminkt. Zart wirkt sie auch, trotz ihrer breiten Schultern. Ihr Körper ist leicht gebeugt, als wolle er sie vor etwas beschützen. Ihre Stimme ist dunkel und oft hastig. So als hätte sie nie genug Luft, all das auszusprechen, was sie zu sagen hat.

Mit jedem ihrer Fälle verteidigt Maria Sabine Augstein auch ein Stück ihrer eigenen Geschichte: "Ich kann nachvollziehen, was es heißt, in einem Körper zu leben, der sich fremd anfühlt", sagt die Anwältin. Sie selbst mag sich nur ungern erinnern an die Zeit, als sie noch ein Mann war. Nicht einmal ihren damaligen Namen will sie noch gedruckt sehen. "Diese Zeit ist für mich abgeschlossen. Das war zu schmerzvoll. Das habe ich abgehakt. Vorbei. Ich bin mit 28 Jahren als Maria Sabine Augstein neu geboren." Maria - nach ihrer Cousine aus der Pflegefamilie, Sabine - nach der Frau ihres Vetters. Beide Frauen mochte sie sehr.

Genetische Vererbung und soziale Prägung

6000 Transsexuelle gibt es laut Schätzung in Deutschland. 0,005 Prozent aller Menschen, heißt es, empfinden sich im falschen Körper. Friedemann Pfäfflin, Psychiater und Psychotherapeut der Universität Ulm: "Warum und wann genau ihre Umorientierung stattfindet, ist nicht endgültig erforscht. Die Antwort vermuten Mediziner irgendwo zwischen genetischer Vererbung und sozialen Prägungen."

Maria Sabine Augstein hatte keine leichte Kindheit. Mit sieben Monaten hatte sie ihre erste Operation, an der Galle. "Mein Leben hat mit einer Narbe begonnen, und die wuchs mit mir mit. Heute ist sie 20 Zentimeter lang und eine Art Überlebensmerkmal für mich." Das war nicht die einzige Verletzung in ihrem Leben. "Viele Kinder meiner Generation waren ein "Verkehrsunfall" - nicht geplant, einfach passiert." Ihre Eltern, sagt sie, habe sie kaum erlebt. "Die vielen Scheidungen meines Vaters und auch meiner Mutter, die dreimal verheiratet war, fand ich furchtbar." Lore Ostermann nahm sich das Leben, als die Tochter 30 war. "Wenn, dann waren meine Pflegeeltern mein Vorbild, obwohl mein Pflegevater sehr streng sein konnte, gefühlsmäßig kaum fassbar."

Das Gefühl, anders zu sein, begann mit fünf Jahren. Das erste Kleid war weiß, mit Margariten am Kragen. Alle Jungs im Kinderheim schliefen im Schlafanzug, der Augstein-Sohn "borgte" sich heimlich Nachthemden von den Mädchen. "Später, in der fünften Klasse, habe ich mir Tennisbälle unters T-Shirt gesteckt. Einmal hat mich der Kunstlehrer gesehen. ,Na, Fräulein Augstein", hat er mich angesprochen. Das hat mir gefallen."

"Ich fühlte mich zerrissen und unverstanden"

Sie habe immer gefühlt, dass sie anders war, sagt Maria Sabine Augstein. "Ich wusste nur nicht, was mit mir los war. Ich fühlte mich zerrissen und unverstanden. Das hat fast schon körperlich wehgetan. Ich hätte so niemals weiterleben können. Mein Körper wurde immer männlicher, und mir das immer unangenehmer. Irgendwann mit 17 war mir plötzlich klar: Ich fühle als Frau. Und ich will eine Frau sein." Nicht allerdings, um dann einen Mann zu lieben - sondern eine Frau. "Ich gehörte sozusagen gleich zwei Minderheiten an: Ich war lesbisch, im Körper eines Mannes."

Mit 26 stand sie auf der Terrasse ihres Vaters an der Hamburger Elbchaussee. Es war ein Montag im Sommer. "Spiegel"-Tag. Sie tranken Kaffee. "Das war jedoch alles andere als gemütlich, eher wie ein unangenehmer Termin." Ein Vorstellungsgespräch. Lange hatte sie mit sich gerungen. "Mein Vater wusste ja nichts von meiner Neigung." Als es dann endlich heraus war, schwieg er. "Über Transsexualität hatte er genug gelesen, das konnte er sogar noch nachvollziehen. Dass ich aber auch noch lesbisch war, damit kam er nicht klar." Mit 28 ließ sie sich in Singapur operieren. Ihr Vater übernahm die Kosten dafür.

Jahre später schrieb er ihr, "dass er meinen Weg schließlich akzeptieren könne, weil er wisse, dass ich nur so glücklich bin. Er hat mich über meine Arbeit respektiert. Ich glaube, es hat ihn beeindruckt, was für Prozesse ich führte. Ihm gefiel, dass ich bei den höchsten Gerichten tätig war. Nur mich als Mensch verstehen konnte er nicht. Aber das hätte ich ja auch nie von ihm verlangt." Damit konnte sie leben.

Transsexuelle sind keine Transvestiten

Transsexualität ist nicht messbar per Hormonspiegel oder Computertomografie, sie lässt sich auch nicht wegtherapieren. Sie hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun und nichts mit Kostümierung. Transsexuelle sind nicht mit Transvestiten zu verwechseln, die in ihrer zeitweiligen Verkleidung einen Kick erleben. Transsexuellen geht es um die Identität. Sie wollen das ganz normale Leben des anderen Geschlechts führen.

Doch der Weg dahin ist ein langer und qualvoller. Da ist nicht nur der chirurgische Eingriff, sondern auch das soziale Umfeld, Angst vor dem Outing. Viele flüchten sich in die Isolation bis zur Depression, einige in den Selbstmord. "Transsexuelle haben lange am Rande der psychosozialen Katastrophe gelebt", sagt die Anwältin. "Arbeit fanden die meisten nur in bestimmten Milieus, im Nachtleben. Bei der Bundeswehr kann ein Offizier nach einer Geschlechtsumwandlung seinen Dienst mittlerweile weiter ausführen." Täglich bekommt sie Anrufe, Briefe, Mails. Ihr gegenüber öffnen sich die Betroffenen leichter, weil sie den Weg bereits gegangen ist, den sie noch vor sich haben.

Die Umwandlung vom Mann zur Frau ist leichter als umgekehrt. Im ersten Fall werden die Hoden entfernt, der Hodensack wird verkleinert und zu Schamlippen geformt. Die Schwellkörper werden entfernt, die Harnröhre wird verkürzt, die Eichel zur Klitoris verkleinert. Blutgefäße und Nerven bleiben erhalten, um die Orgasmusfähigkeit zu sichern. Der ausgehöhlte Penis wird wie ein Handschuhfinger in eine Höhle in der Beckenbodenmuskulatur nach innen gestülpt, die Harnröhre eingenäht. Die Operation dauert fünf Stunden.

"Die Stimme bleibt"

Wer bei Michael Krueger in der Potsdamer "Klinik Sanssouci", die auf transsexuelle Chirurgie spezialisiert ist, die "All in one"-Behandlung wählt, liegt neun Tage stationär. Dabei kann auch der Adamsapfel verkleinert, die Brust mit Silikon aufgebaut werden. Kosten: 28.000 Euro. Bart und Haare an Armen und Beinen werden oft vorher per Laser entfernt. Der Chirurg: "Durch die zusätzliche Hormonbehandlung ändert sich die Fettverteilung, die Haut wird weicher, bildet auch Cellulitis. Die Stimme bleibt."

Die umgekehrte Operation ist bedeutend aufwendiger durch die komplizierte Bildung des Neophallus, der seine Struktur, Nerven, Blutgefäße und Haut aus dem Unterarm bezieht. Sie dauert neun Stunden und kostet inklusive Brustkorrektur, Gebärmutter- und Vaginaentfernung rund 44.000 Euro.

Die Umwandlung des Bruders zur Schwester war für die Augstein-Geschwister kein Thema. "Die haben irgendwann gehört, ach so, der ist jetzt eine Frau. Das war alles. Der Kontakt war aber auch nie sehr eng, wir sind ja nicht zusammen aufgewachsen", sagt Augstein. "Einzig meine Mutter konnte meine Entscheidung nie akzeptieren."

Die Ehe mit einer Frau

Die Tochter kämpft weiter, auch für Ausländer, die dauerhaft in Deutschland leben und nach einer Umwandlung hier Namen oder Geschlecht rechtlich ändern wollen. "Sie sollen die gleichen Rechte haben wie Deutsche", fordert sie. Bis Sommer 2007 soll es ein neues Gesetz geben, freut sie sich, die weiß, wie wichtig diese Paragrafen für die Identität sind.

Maria Sabine Augstein hat ihre längst gefunden - in einer Ehe mit einer Frau. In Tutzing lebt die Anwältin mit der Malerin und Fotografin Inea Gukema-Augstein, 59, zusammen. Vor 29 Jahren haben sie sich kennengelernt. Die Augsburgerin war Mitbegründerin des ersten feministischen Frauenbuchverlages in Deutschland. Maria Sabine fiel ihr auf. "Eine Persönlichkeit, stark, trotzdem warmherzig, ein bisschen verrückt, aber im positiven Sinne. Wir kamen aus verschiedenen Ecken, aber haben uns beide aus unseren früheren Leben befreit", sagt die Künstlerin.

Sie habe ihre Aufgabe immer auch darin gesehen, Maria Sabine zu beschützen. "Ich habe sie unter meine Fittiche genommen. Ihre tiefere Stimme irritiert manche Menschen, die wundern sich dann. Ist doch okay. Wir reden offen über uns." Sie dreht ihren goldenen Ring am kleinen Finger. Maria Sabine trägt den gleichen. Am 2. November 2001 haben die Frauen geheiratet. Die Lebenspartnerschaftsurkunde der sogenannten Homo-Ehe war ihnen wichtig. Jeder Hochzeitstag wird gefeiert. Da gehen die Damen ins Münchner "Tantris", schön essen. "Ich habe mich immer nach einer festen Beziehung gesehnt, in der ich mich aufgehoben fühle, geliebt werde, lieben kann, Verlässlichkeit und Treue finde", sagt Maria Sabine Augstein.

"Ich bin Köchin, Gärtnerin, Chauffeurin"

Draußen am Starnberger See hat das Paar seinen Raum gefunden, ein ganz normales Familienidyll zu leben - die Rollenverteilung scheint klar: Im ersten Stock kämpft die Anwältin. Oben unterm Dach malt die Künstlerin für ihre nächste Ausstellung. "Mich hat die klassische Frauenrolle eingeholt: Ich bin Köchin, Gärtnerin, Chauffeurin, zuständig für Haus und Hof. Ich finde das okay." Sie schaut zur Partnerin, die nickt, greift zur Thermoskanne: "Noch Kaffee, die Herrschaften?"

Zum 40-jährigen "Spiegel"-Jubiläum hat Maria Sabine Augstein ihrem Vater zum ersten Mal ihre Frau vorgestellt, 1987 in der Fischauktionshalle in Hamburg. "Er wollte uns immer hier besuchen. Leider hat das bis zu seinem Tod nicht mehr geklappt", sagt die Tochter.

In ihrem Haus steht eine afrikanische Schnitzarbeit: ein großer Vogel. Er stand früher in Rudolf Augsteins Büro, das nach seinem Tod an das Bonner Haus der Geschichte ging. Diesen Holzraben hat er, wie das Haus in Tutzing, seiner Tochter vererbt. Er symbolisiert Gemeinsinn und Schutz. Und hat jetzt seinen Platz in ihrer Kanzlei.

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