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Rothenbächer 2012
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Transsexuelle
Vergessene Gruppe
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als 100 Geschlechtsumwandlungen pro Jahr werden in einer Amsterdamer Klinik
vorgenommen. Jetzt wurde eigens ein Lehrstuhl dafür eingerichtet.
Als Paul vier Jahre alt
war, wollte er so sein wie seine Schwester. Mit elf wußte er genau, was mit ihm
los war. Aber: "Ich konnte mich niemandem anvertrauen. Ich habe mein
Gefühl verdrängt, ich mußte mich benehmen wie ein Mann, ich lief wie ein Mann,
redete wie ein Mann.
Wieviel Mühe das gekostet hat, ist unbeschreiblich."
Erst mit 33 Jahren
raffte Paul Kwikkel, vierfacher niederländischer Meister im Standardtanz, all
seinen Mut zusammen und sagte seiner Ehefrau Marja, er fühle sich als Frau,
habe sich immer als Frau gefühlt und wolle von nun an als Frau durchs Leben
gehen. Das war am 26. Februar 1989, einen Monat nach einem Selbstmordversuch.
Jetzt geht Pauline ihrem
Beruf wieder nach: Sie tanzt - nunmehr als weiblicher Partner. "Das ist
kein Problem, ich träumte immer davon, mich beim Tanzen führen zu lassen."
Die Kwikkels sind im gegenseitigen Einvernehmen geschieden. Pauline hat einen
Freund, läßt sich als Kosmetikerin ausbilden und bekommt Aufträge als
Fotomodell. "Paul?" sagt sie. "Den hat's eigentlich nie
gegeben."
Pauline, vorher
irrtümlich Paul, ist eine von mehr als 1300 Patientinnen in der Kartei des niederländischen
Medizinprofessors Louis Gooren, 46. An der Freien Universität Amsterdam wurde
Gooren auf den ersten - und bislang auf der Welt einzigen - Lehrstuhl für
Transsexologie berufen. Die Geschlechtsumwandlung von Transsexuellen ist für
den niederländischen Professor nicht nur ein Problem von Chirurgie und
hormoneller Steuerung. Ihm geht es auch darum, die relativ kleine, aber mit
Tabus belastete Gruppe der Transsexuellen "endlich in die Gesellschaft zu
integrieren".
Jedes Jahr registriert
Goorens Poliklinik in Amsterdam 125 Neuzugänge. Viele kommen aus dem Ausland,
weil die ärztliche und psychologische Begleitung der Patienten in Amsterdam als
vorbildlich gilt.
Seit 1975 ist der
Amsterdamer Professor dabei, an der Freien Universität seine Abteilung aufzubauen.
Inzwischen ist er international anerkannt und wird von Kollegen häufig
konsultiert. Gooren hat sich vorgenommen, eines der letzten sexuellen Tabus
auszuräumen. Holland ist dabei richtungweisend.
Auch nach erfolgreicher
Geschlechtsumwandlung wollen die meisten Transsexuellen "kein Bild in der
Zeitung", wie es Jacqueline Sch. aus dem deutschen Wetzlar ausdrückt, die
sich in Amsterdam hat behandeln lassen und auch dort wohnt: "Ich beginne
nun ein völlig neues Leben, mit neuen Freunden, einem neuen Beruf, einer neuen
Wohnung, neuen Nachbarn. Niemand kennt meine Vergangenheit, und niemand soll
sie kennen. Sonst würden 20 Prozent der Freunde und Kollegen mich sicher total
ablehnen."
Nur Jacquelines Freund
(er arbeitet in der Finanzabteilung der niederländischen Hoechst-Gruppe) hat
alles miterlebt, auch die entscheidende Operation, bei welcher der Penis
entfernt und eine Vagina gebildet wurde. Der Freund (der auch bei den Eltern in
Wetzlar als Fürsprecher auftrat) betet seine um fast zwei Kopf größere Jacqueline
an; er findet die 1,85 Meter große, blonde Frau mit den kräftigen Händen und
dem sensiblen Gesicht "goldrichtig".
Den radikalen Bruch mit
der gehaßten Vergangenheit, wie Berufstänzerin Pauline ihn äußerte, beobachtet
Gooren bei fast all seinen Patienten. "Haben sie sich einmal entschieden,
dann wollen sie die Geschlechtsumwandlung am liebsten sofort vornehmen und ihr
voriges Leben total vergessen." Dem Wunsch nach sofortiger Umwandlung
entsprechen Gooren und seine Mitarbeiter im allgemeinen nicht. Das in Amsterdam
entwickelte Therapiemodell veranschlagt etwa vier bis fünf Jahre für den
Umwandlungsprozeß vom Mann zur Frau (dies ist der häufigere und einfachere
Fall) beziehungsweise von der Frau zum Mann.
Professor Gooren hat ein
sogenanntes Gender-Team um sich geschart. Dazu gehören ein Psychiater, ein
Internist, ein praktischer Arzt, ein Professor für plastische Chirurgie (mit
Assistent), zwei spezialisierte Krankenpfleger und zwei Psychologen. Die
Amsterdamer wählten bewußt den Begriff "gender", das englische Wort
für Geschlecht (im grammatischen Sinne), das an Geschlechtsorgane nicht
erinnert.
Die Chirurgen treten
erst später auf den Plan, zuerst prüfen die Seelenärzte den Umwandlungswunsch
des Transsexuellen, seinen Lebenslauf, sein soziales Umfeld. Dann werden
Hormone verabreicht, je nach der Umwandlungsrichtung weibliche oder männliche.
Die sich anschließende Behandlung, von den Amsterdamer Medizinern "real
life test" genannt, beansprucht 18 bis 24 Monate und ist bis zu einem
bestimmten Zeitpunkt umkehrbar.
Der "Test im echten
Leben" lehrte beispielsweise Jacqueline, ihre weibliche Wirkung im
sozialen Umfeld zu erproben. Das Weibliche zog die Kollegen nicht hinan -
"die haben mich", so Jacqueline, "glatt ausgelacht". Der
Betriebsleiter des Supermarkts, in dem sie arbeitete, ließ sich nicht
irritieren, sondern schickte sie in eine andere Filiale.
Das Kriterium in dieser
Behandlungsphase ist die Frage nach "Glück". Erst wenn die Probleme
der neuen Geschlechterrolle gemeistert sind und sich der Transsexuelle im
Gleichklang mit seiner Identität findet, erfolgt die chirurgische
Geschlechtsumwandlung. Bei einem Mann genügt eine Operation. Bei einer Frau,
die Mann werden will, sind mehrere nötig, denn es muß (beispielsweise aus
Unterarmgewebe) ein Penis aufgebaut werden - ein chirurgisch nur selten
befriedigendes Unterfangen. So wird etwa in der Uni-Klinik Bern den
Patientinnen empfohlen, sich mit einer (unter Hormongabe) vergrößerten Klitoris
zu begnügen, die bis zu einer Länge von vier Zentimetern wachsen kann.
Die Kosten der
Umwandlung beziffert Professor Gooren mit umgerechnet rund 15 000 Mark (vom
Mann zur Frau) bis 20 000 Mark (von der Frau zum Mann). In den Niederlanden
werden die Arztrechnungen, einschließlich nachfolgender kosmetischer Chirurgie,
von Krankenkassen und Versicherungen übernommen.
Der Lebensweg eines
Transsexuellen, der in sein falsches Geschlecht eingesperrt bleibt, "ist
ein Leidensweg", konstatiert der Amsterdamer Professor. Gooren, der seine
wissenschaftliche Laufbahn als Endokrinologe begann, stieß auf "diese
vergessene Gruppe" und "fand es ungerecht von der Gesellschaft, den
Transsexuellen als minderwertig zu betrachten und ihn oder sie ins Dirnenmilieu
herunterzudrücken".
Was die Transsexuellen -
die weder den Schwulen noch den Lesben oder den Transvestiten zuzurechnen sind
- ausmacht, hatte bereits in den fünfziger Jahren der amerikanische
Psychologieprofessor John Money in Baltimore so formuliert: "Sie haben im
Kopf ein anderes Geschlecht als zwischen den Beinen." Jeweils ein Mann auf
20 000 und eine Frau auf 50 000, so der gegenwärtige Stand der Forschung,
zählen zur Gruppe der Transsexuellen - Menschen, "deren Körper nicht mit
der geschlechtlichen Identität übereinstimmt", wie die etwas weniger
saloppe Definition von Gooren lautet.
Die Prägung der
"Gender-Identität" erfolgt im frühesten Lebensstadium, sie ist bei
Beendigung des dritten Lebensjahres festgelegt und läßt sich danach ohne
schädliche Folgen für das Kind nicht mehr verändern. Offenbar haben weder der
genetische Code noch die Geschlechtsdrüsen und die von ihnen ausgeschütteten
Hormone einen determinierenden Einfluß auf die Entwicklung der
Gender-Identität, die sich auf ähnliche Weise einprägt wie die Muttersprache.
Auch auf die Einflüsse
des Milieus ließ sich die Transsexualität, von Medizinern auch
Geschlechtsdysphorie genannt, nicht zurückführen - in der Regel wachsen die
Transsexuellen in einem normalen Elternhaus auf. Wie der Amsterdamer Psychologe
Anton Verschoor nach dem Studium von Lebenserinnerungen Betroffener feststellte,
spielen besondere emotionelle Bindungen zu Mutter oder Vater keine Rolle.
Ein Problem für die
Medizin ist die Tatsache, daß Transsexuelle sich selten vor dem 18. Jahr zur
Behandlung melden. Der Zeitabstand zur frühesten Jugend und die besonders massiven
Formen von Verdrängung erschweren eine Rekonstruktion der ersten Erfahrungen.
Um seelische Schäden zu
verhüten, wäre Früherkennung erwünscht. "Wenn ein Mädchen seine Puppen
verschenkt, mit Autos und technischen Baukästen spielt und Jungenbücher liest,
sollten die Eltern beim Psychologen vorsprechen" und klären lassen, ob das
Kind transsexuell ist, meint Gooren.
Als psychische
Zerreißprobe bezeichnet Gooren die Pubertät, zum Beispiel wenn das Mädchen, das
sich als Junge fühlt, einen Busen bekommt und sexuelle Empfindungen sich Bahn
brechen. Gooren: "Ist das für einen nicht-transsexuellen Pubertierenden
schon ein verwirrender Prozeß, dann erst recht für das transsexuelle Kind. Die
meisten Transsexuellen erinnern sich dieser Periode mit Abscheu."
Die Störung, die bei den
Transsexuellen im Entwicklungsprozeß ihrer Geschlechtsidentität aufgetreten
ist, sei weder zu enträtseln noch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft zu
korrigieren, resignierte Gooren in seiner Antrittsrede in Amsterdam. Daher
bleibe den Medizinern nichts übrig, als eben das Geschlecht zu korrigieren,
wenn sie dem Transsexuellen zum Lebensglück verhelfen wollen.
Ob der schwerwiegende
Eingriff zu rechtfertigen sei, ist von Medizinern lange Zeit kontrovers
diskutiert worden. Eine kürzlich von der Universität Bern an 58 Transsexuellen
vorgenommene Studie kam zu dem Schluß, der Behandlungserfolg sei aus der Sicht
der Ärzte wie der Patienten als "mehrheitlich gut" beurteilt worden;
keiner der in Bern operierten Patienten hat die vollzogene Geschlechtsumwandlung
bereut.
Der Amsterdamer
Transsexologe Gooren teilt diese Einschätzung und macht bei seinen Bemühungen
auch an keiner Altersgrenze halt. Goorens jüngster Patient war 7, der älteste
78.
Der Amsterdamer Arzt sah
keinen Grund, den alten Herrn nicht zu behandeln: "Warum nicht, wenn einer
mir sagt, er sei sein ganzes Leben lang unglücklich, sei zweimal verheiratet
gewesen und habe in zwei Ehen zwei Frauen unglücklich gemacht, nun wolle er auch
mal glücklich sein."
Der/die Patient(in),
inzwischen 82 und Rentnerin, genießt, wie Professor Gooren konstatiert, nach
der Geschlechtsumwandlung "einen voll erfüllten Lebensabend".
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