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Mein
Geschlecht bin ich
Das deutsche Transsexuellengesetz ist diskriminierend.
Doch dank professionalisierter Aktivität rückt Trans*
zunehmend auf die Agenda
Als "schwangerer Mann" erlangte der US-Amerikaner
Thomas Beatie im vergangenen Jahr weltweit Aufmerksamkeit. Die Geburt seiner
zwei Kinder wäre in Deutschland nicht möglich gewesen.
Denn das deutsche
Transsexuellengesetz (TSG) schränkt die Rechte von Trans*-Menschen ein: Für die
rechtliche Anerkennung der Geschlechtsangleichung wird dauernde
Fortpflanzungsunfähigkeit, also eine Zwangssterilisation verlangt.
Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005
als verfassungswidrig reklamiert.
Zwar wird also erkannt, dass das TSG
reformbedürftig ist. Doch der medizinische Eingriff, der die
UN-Menschenrechtscharta und das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche
Unversehrtheit massiv verletzt, wird auch in einer Neufassung des TSG nicht zur
Debatte stehen.
Zu sehr stehen tradierte Vorstellungen von
"Elternschaft" und "Geschlecht" infrage, zu verstörend
wirkt noch immer das Bild eines schwangeren Mannes, zu groß noch immer das
Verlangen nach Eindeutigkeit der Körper.
Zwar klingt das TSG wie aus Unzeiten menschenverachtender
Körperpolitik, geht aber auf das Jahr 1980 zurück, als das BVerfG reklamierte,
für Trans*-Menschen müssten einheitliche Regelungen getroffen werden, die ihnen
eine Geschlechtsangleichung ermöglichen.
Gesteigerte Sichtbarkeit
Doch das TSG steht nach fast 30 Jahren zur Diskussion.
Trans*-Aktivisten zahlreicher Initiativen haben Gegenentwürfe entwickelt, die
bundesweit Zustimmung von Experten, Trans*-Menschen und dem Lesben- und
Schwulenverband Deutschland finden. Die vormals pathologisierte Minderheit
entwickelt sich zur schlagkräftigen sozialen Bewegung. Raus aus der Rolle der
gesellschaftlich stigmatisierten Randgruppe, hin zu kompetenter Aufklärung,
wachsender Infrastruktur, professionalisierter Beratungs- und Lobbyarbeit.
Wie viele tausende als trans* definierte Personen in
Deutschland leben, ist nicht bekannt. Veraltete Zahlen von 1983 sprachen von
etwa 8.000. Diese Zahl umfasste jedoch nur Menschen, die bereits
geschlechtsangleichende Operationen hinter sich hatten und sich überdies für
die Erhebung als trans* outen wollten. Heute, mit gesteigerter Sichtbarkeit von
Trans*-Aktivisten und einer verbesserten Infrastruktur aus politischer Lobby,
Beratungsstellen für Trans*-Menschen und deren Angehörige, schulischen
Aufklärungsprojekten, Broschüren, Gestaltern aus der Kunst- und Kreativszene,
wird die Zahl um ein Vielfaches höher sein. Gerade in Berlin haben sich
zunehmend "trans safe spaces" entwickelt, die ein Outing erleichtern
sollen - allen rechtlichen Erschwernissen zum Trotz.
Zahlen aus Spanien, die belegen, dass 50 Prozent aller
Trans*-Menschen arbeitslos sind, oder eine Studie von Transgender Europe, die
erschreckende Ergebnisse über die medizinische Versorgung in zahlreichen
europäischen Ländern liefert, verschärfen die Notwendigkeit vereinfachter,
grundgesetzkonformer Regelungen im TSG - zur Steigerung der Lebensqualität,
Zugang zu Arbeit und rechtlicher Absicherung. Vor allem ist notwendig: eine
unkomplizierte Änderung des Vornamens in einen des als zugehörig empfundenen
Geschlechts.
Stellt sich etwa "Michael" mit seinem noch auf
"Sabine" laufenden Pass einem potenziellen Arbeitgeber vor -, hat er
keine Chance auf die Stelle. Die aufwändigen Vorgaben zur Vornamensänderung
stehen seinem ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt im Weg.
Häufig noch tun sich Medien schwer mit adäquater
Berichterstattung über Trans*-Themen, brandmarken Transsexualität gerne als
"exotisch": Transfrauen werden fälschlich mit Transvestiten
verwechselt. Chaz Bono, Sohn der US-Künstlerin Cher, der sich im Juni 2009 als
Trans* geoutet hat, gilt fälschlich als "lesbische Tochter". Oder,
hübsch mystisch: "Diese Frau will keine mehr sein. Sie will sich in einen
Mann verwandeln.
" Auch, dass Trans* einzig mit geschlechtlicher Identität
und nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat, muss von Aktivisten stets
aufs Neue erklärt werden - auch Chaz Bono wird mutmaßlich weiterhin Frauen
lieben, wenn er es schon seit 20 Jahren tut.
Spätestens seit den Berichten über
Lorielle London, deren Teilnahme am "Dschungelcamp" Schlagzeilen wie
"Oben Frau und unten Mann" lieferte, äußert sich der Deutsche
Presserat unmissverständlich gegen eine Berichterstattung, die verächtlich
macht, sprachlich und sachlich falsch arbeitet und Stereotype bedient.
Mehr als Grundrechte
Der Deutsche Presserat und das Bundesverfassungsgericht
machen es vor: Trans* kommt zunehmend auf die Agenda.
Mit dem
EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg hat endlich auch ein hochrangiger
Politiker die Erfordernisse erkannt, grundlegende Rechte von Trans*-Menschen
auf die Tagesordnung zu hieven, europaweit:
"Es gibt keine Entschuldigung
dafür, dass wir diesen Menschen nicht umgehend ihre vollen und bedingungslosen
Menschenrechte geben."
Im Vergleich zur Lesben- und Schwulenbewegung, die sich,
vormals gesellschaftlich an den Rand gedrängt, zu einer emanzipierten Bewegung
inklusive rechtlicher Teilerfolge wie dem Gesetz zur Eingetragenen
Lebenspartnerschaft entwickelt hat, stehen Trans*-Aktivisten noch an einem
frühen Punkt.
Mit einem in Grundzügen verbesserten TSG mag die noch junge
soziale Bewegung rechtlich verankerte, verbesserte Lebensbedingungen einklagen
- es sei denn, der Deutsche Bundestag verweigert sich wie am 19. Juni 2009, als
CDU/CSU und SPD nur ein Reförmchen light verabschiedeten, das sich lediglich
der Aufforderung der Verfassungsrichter fügte, Trans*-Menschen nicht mehr zur
Scheidung zu zwingen, ehe der Geschlechtseintrag geändert werden kann. Stehen
die Grundrechte Trans*-Menschen uneingeschränkt zur Verfügung, muss auch die
Gesellschaft folgen.
Diese glaubt noch allzu klar an "biologisches
Geschlecht" und erfährt doch langsam, wie hybrid Identitäten,
Rollenzuweisungen und Geschlechter sind.
Liebe, Freiheit, Paragrafen
Dass sich die Lage für Lesben, Schwule, Bisexuelle und
Trans-Personen1 (LGBT) insgesamt verbessert hat, wird niemand ernsthaft
bestreiten. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass in Spanien ein
Gesetz existierte, das Homosexuelle als gefährlich einstufte (es wurde 1979
abgeschafft). Und bei der Pariser Polizeipräfektur gab es bis 1981 eine
"Abteilung zur Kontrolle der Homosexuellen".
Inzwischen wird in vielen Ländern über die Gleichstellung
von Homoehen diskutiert, und der argentinische Senat hat das weltweit erste
Gesetz zur Anerkennung sexueller Minderheiten ratifiziert(2) - die Zeiten
staatlich verordneter Diskriminierung scheinen Lichtjahre zurückzuliegen.
Tatsächlich herrschen jedoch in weiten Teilen der Welt nach wie vor
mittelalterliche Zustände. In etlichen Ländern müssen LGBT-Personen bis heute
ein Leben im Verborgenen führen, um sich vor staatlicher Repression und
gewalttätigen Übergriffen zu schützen, bei denen oft auch religiöser
Fundamentalismus eine Rolle spielt.
Anfang der 1980er Jahre, nachdem die ersten Fälle der
Immunschwächekrankheit Aids bekannt geworden waren, kämpften die Schwulen und
Lesben im Westen vor allem um die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung
ihrer Partnerschaften. Die meisten Infizierten konnten zunächst nicht behandelt
werden; viele starben nach entsetzlichen Qualen am Kaposi-Syndrom, einer vor
allem im Zusammenhang mit Aids auftretenden Krebserkrankung. Für die manchmal
schon selbst infizierten hinterbliebenen Partner kam zu der Trauer die
Rechtlosigkeit hinzu - ein unhaltbarer Zustand. Doch bis der sich änderte,
sollten noch Jahre vergehen.
Dänemark war das erste Land, das 1989 ein Gesetz für
eingetragene Partnerschaften verabschiedete. Es folgten Anfang der 1990er Jahre
Norwegen, Schweden, Grönland, Island und Ungarn. In der Schweiz gilt es seit
2007. In Deutschland trat das "Lebenspartnerschaftsgesetz" (LPartG)
am 1. August 2001 in Kraft. Dieses stellt, ebenso wie das schweizerische
Gesetz, die eingetragene Partnerschaft mit der klassischen Ehe weitgehend gleich,
so zum Beispiel bei der Hinterbliebenenrente oder der Erbschaftssteuer - aber
nicht beim in Deutschland geltenden Ehegattensplitting, das heterosexuellen
Ehepaaren teils erhebliche Steuervorteile bietet. Gegen eine vollständige
steuerliche Gleichstellung der Homoehe wird immer wieder damit argumentiert,
dass die Ehe zwischen Mann und Frau privilegiert behandelt werden müsse, weil
sie "die Fortpflanzung und den Erhalt der Generationenfolge" sichere,
so die CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bunds der Vertriebenen,
Erika Steinbach.
Auch bei den Themen Vaterschaft und Adoption besteht nach
wie vor eine Ungleichbehandlung.(3) Vorreiter wie Dänemark oder Großbritannien,
wo eingetragene Partner gemeinsam Kinder adoptieren können, machen hingegen
Mut, den Kampf um die Gleichstellung auch auf diesem Feld weiterzuführen.
In 78 Ländern verboten
Seit Ende der 1990er Jahre geht es nicht mehr nur um die
Anerkennung, sondern um die rechtliche Gleichstellung von homo- und
heterosexuellen Paaren. Nach den Niederlanden (2001) ergänzten die
skandinavischen Länder ihre Gesetze in diesem Sinne. Spanien (2005) und
Portugal (2010) erlaubten Ehe und Adoption. Südafrika und Kanada (2005), dann
Argentinien (2010) beschlossen ebenfalls Gesetze zur Gleichstellung, ebenso
einzelne Bundesstaaten in Brasilien (Alagoas), Mexiko (Distrito Federal,
Quintana Roo) und den USA (Connecticut, Iowa, Massachusetts, New Hampshire, New
York, Washington, Washington, D. C., und Maryland). Mehr Rechte bedeuten
zugleich einen verbesserten Schutz vor Diskriminierungen. In fast zwanzig
Ländern ist im Strafrecht festgeschrieben, dass sich homophobe Äußerungen
strafverschärfend auswirken können.
Nach einem tiefgreifenden Mentalitätswandel sieht es trotz
dieser Fortschritte noch nicht aus. Das bezeugen die Stellungnahmen der
katholischen Kirche zur Homoehe oder die Äußerungen des republikanischen
Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, der sich für das Federal Marriage
Amendment starkmacht, einen Zusatzartikel zur US-Verfassung, dem zufolge nur
heterosexuelle Paare heiraten dürften.
In 78 Ländern sind gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen
verboten und werden mit Gefängnisstrafen oder sogar dem Tod bestraft. In vielen
Ländern Afrikas und des Nahen Ostens hat sich unter dem Einfluss fanatischer
Islamisten die Homophobie in den letzten zehn Jahren sogar verstärkt. In
Saudi-Arabien, im Iran, in Jemen, Nigeria, Sudan, Afghanistan und Mauretanien
steht auf Homosexualität immer noch die Todesstrafe. 2002 wurden in
Saudi-Arabien drei schwule Männer enthauptet, und im Iran wurden im Juli 2005
zwei schwule Jugendliche hingerichtet, ein dritter konnte durch eine
internationale Kampagne gerettet werden. Im Irak, wo Homosexualität erlaubt
ist, wurden seit 2004 mehrere hundert Schwule von bewaffneten Islamisten
umgebracht.
Dabei ist Schwulenfeindlichkeit keine islamische
Spezialität. Sie kommt auch in anderen Religionsgemeinschaften vor. So
beschwerten sich in Uganda evangelikale Pastoren über die "Nachsicht"
eines Gesetzes, das homosexuelle Handlungen mit lebenslangem Gefängnis
bestraft. Die Pastoren forderten die Todesstrafe.
In diesen Ländern werden Homosexuelle aus Angst vor der
Schande manchmal sogar von ihren eigenen Verwandten angezeigt. Besonders
gefährdet sind Aktivisten. Auch die entsprechenden Netzwerke im Internet
stehen unter verschärfter Beobachtung.
Häufig wird auch behauptet, Toleranz gegenüber
Homosexualität sei ein Zeichen für "Verwestlichung". Mit diesem
Argument hat die Regierung in Kamerun 2011 die finanzielle Beteiligung der Europäischen
Union an Programmen zur Unterstützung der Rechte sexueller Minderheiten
kritisiert. Und in Uganda wurde kürzlich mehreren internationalen NGOs die
Einreise verweigert, weil sie angeblich unter jungen Ugandern
"Homosexuelle rekrutieren" würden.
Zur rechtlichen Diskriminierung "verachteter
Sexualität" kommt die Diskriminierung bei der Gesundheitsversorgung
hinzu, vor allem wenn es um HIV/Aids geht. Besonders gefährdet sind Männer, die
gleichgeschlechtliche Sexualkontakte haben (MSM), ohne sich explizit als
homosexuell zu bezeichnen. Für Lateinamerika und die Karibik stellt die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) fest: "Während die Ausbreitung des
HI-Virus bei der Gesamtbevölkerung in den meisten Ländern der Region unter
einem Prozent liegt, ist sie bei Männern, die Sex mit Männern haben, fünf- bis
zwanzigmal höher. Die homophob motivierte Stigmatisierung führt also zu einer
Ausbreitung der Epidemie.
" Und die Aids-Präventionsprogramme kommen bei
den meisten gar nicht an".
Viele Männer verzichten lieber auf eine Behandlung, als das
Risiko einzugehen, dass Familie und Freunde davon erfahren oder womöglich noch
die Behörden eingeschaltet werden. Zuverlässige Zahlen über HIV-Infektionen bei
den MSM sind in vielen westafrikanischen Ländern kaum zu bekommen. In Russland
leugnet sogar die eigene Regierung die Existenz einer Aids-Epidemie. Beamte
machen absichtlich falsche Angaben - mit fatalen Folgen für Vorsorge und
Behandlung.
Vorurteile und sexuelle Befreiung
Doch selbst in Ländern mit gut funktionierenden
Gesundheitssystemen wundert man sich manchmal über die Ahnungslosigkeit und die
Vorurteile des medizinischen Personals. Nicht selten machen Ärzte abfällige
Witze über Schwule oder verzichten auf einen HIV-Test, weil ein Patient
"nicht homosexuell aussieht oder verheiratet ist". HIV-Positive
berichten über Zahnärzte, die sie mit endlosen Wartezeiten oder zur Schau
gestellten Sicherheitsvorkehrungen offensichtlich abwimmeln wollen. Lesben
gehen wegen erlebter oder befürchteter Diskriminierung seltener zur
gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung, was sich wiederum auf die Ausbreitung
sexuell übertragbarer Krankheiten auswirkt, wie zum Beispiel durch humane
Papillomviren hervorgerufene Tumore, zu deren bösartigen Veränderungen der Gebärmutterhalskrebs
gehört.
Transidentiker leiden darunter, dass ihr Abweichen von der
Norm nach wie vor als "psychische Krankheit" gilt.
So steht es im
wichtigsten internationalen medizinischen Handbuch "Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders" und in den Papieren der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die allerdings unter anderem vom
Europäischen Parlament schon aufgefordert wurde, dies zu ändern.
Heute engagieren sich in erster Linie weiße, wohlhabende,
männliche Städter für "Gay-health" (oder "LGBT-health").
Und die Bewegung knüpft an 1968 an, als zunächst der Feminismus und dann die
Schwulen-und-Lesben-Bewegung neue Protestformen entwickelten und die
Politisierung der Privatsphäre forderten.
Die von den USA ausgegangene homosexuelle Befreiung kam
schnell auch in Europa an: In England wurde 1969 die Gay Liberation Front
gegründet, und in Frankreich 1971 der Front homosexuel d'action révolutionnaire
(FHAR). In der Schweiz entstanden ebenfalls 1971 in Zürich, Bern und Basel
"Homosexuelle Arbeitsgruppen", und in Deutschland gründete sich nach
der Uraufführung von Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist
pervers, sondern die Situation, in der er lebt" bei den Berliner
Filmfestspielen 1971 die "Homosexuelle Aktion Westberlin" (HAW), in
der es auch eine Frauengruppe gab, aus der 1975 das "Lesbische
Aktionszentrum" hervorging.
In den 1980er Jahren veränderten sich viele dieser Gruppen
stark. Manche wurden institutionalisiert, in der Schweiz ist heute das 1993
gegründete Pink Cross die Dachorganisation der Schweizer Schwulen; andere, wie
die HAW, lösten sich auf. Die Schweiz hatte bereits 1942 - als in
Nazideutschland Homosexuelle verfolgt wurden - die Strafbarkeit homosexueller
Handlungen aufgehoben. In Deutschland wurde der umstrittene Paragraf 175 zwar
1969 reformiert (danach waren nur noch homosexuelle Handlungen mit unter
18-jährigen Jugendlichen strafbar), aber erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch
gestrichen.
Während in Deutschland die Rehabilitierung der Opfer
nationalsozialistischer Verfolgung ein politisches Thema blieb, flaute die
Bewegung in Frankreich in den 1980er Jahren deutlich ab, nachdem die
sozialistische Regierung unter François Mitterrand die Strafbarkeit von
Homosexualität aufgehoben hatte.
Zur gleichen Zeit verschärften die konservativen Regierungen
anderer Länder die Maßnahmen gegen Homosexuelle. In Großbritannien
beispielsweise beschloss 1988 die Thatcher-Regierung die Clause 28, eine
Gesetzeserweiterung, die Gemeinden, Schulen und Kommunalbehörden die
"Förderung von Homosexualität" verbot, was de facto zu einer
Tabuisierung führte und in der Schwulen-und-Lesben-Bewegung große Ängste
hervorrief. Die Clause 28 wurde erst 2003 unter Tony Blair wieder abgeschafft.
In den USA waren die beiden Amtszeiten von Ronald Reagan (1980 bis 1988) durch
einen besonders vorurteilsbehafteten Kampf gegen Aids geprägt.
Das Auftreten von Aids hat die Schwulenbewegung stark
verändert. Es entstanden Vereine wie Terrence Higgins Trust in England (1982),
Gay Men's Health Crisis (1982) in den USA, Aids-Hilfe e. V. in Deutschland
(1983) und der Schweiz (1985) oder Aides (1984) in Frankreich. Anders als die
genannten Vereine, die sich zunächst vor allem um Prävention und
Krankenversorgung kümmerten, verstand sich die 1987 in New York entstandene Act
Up (Aids Coalition to Unleash Power) als eine politische Organisation, die sich
bald nach ihrer Gründung ebenfalls internationalisierte.
Das gemeinsame Engagement gegen die Diskriminierung hat fast
so etwas wie eine Vereinskultur hervorgebracht. Es gibt Sportklubs samt
Dachverband (European Gay and Lesbian Sport Federation) und regionalen
Vereinen. So haben die Berliner Lesben und Schwulen, um als Schwimmteam bei den
New Yorker Gay Games anerkannt zu werden, 1994 den SC Berliner
Regenbogenforellen e. V. gegründet. Darüber hinaus gibt es Berufsvereinigungen,
in den Großstädten Treffpunkte für Schwule und Lesben und Jugend- oder
Studentenorganisationen.
Die Internationalisierung, die in Zeiten des Internets immer
wichtiger wird, hat für die Schwulen-und-Lesben-Bewegung schon viel früher
begonnen: Schon der New Yorker Stonewall-Aufstand(10) von 1969 wurde weltweit
wahrgenommen. An dieses einschneidende Ereignis erinnert jedes Jahr der
Christopher Street Day, auch Gay Pride, Regenbogenparade (in Österreich) oder
Mardi Gras (Australien) genannt.
Im Lauf der letzten zehn Jahre ist außerdem die
Unterstützung für Homophobie-Opfer ein großes Thema geworden. Netzwerke helfen
verfolgten Schwulen und Lesben bei Asyl- und Einwanderungsanträgen, Aktivisten
unterstützen Emanzipationsbewegungen in den Ländern, wo Repressionen und
Verbote bisher jede öffentliche Auseinandersetzung verhindert haben.
So ist es
zum Beispiel internationalem Druck zu verdanken, dass 2009 in Senegal
verhaftete Aids-Aktivisten wieder freikamen. Derartige Kampagnen machen
allerdings nur die besonders eklatanten Fälle gewalttätiger Diskriminierung
publik, von den Ausschreitungen bei den Gay Prides in Belgrad oder Moskau bis
zur Initiative der sechs ukrainischen Parlamentarier, die einen Gesetzentwurf
einbrachten, der "Propaganda von Homosexualität" unter Strafe stellen
soll.
Rechtsextreme Kreise nutzen allerdings den Kampf gegen
Homophobie für ihren ausländerfeindlichen Populismus, wie die Kontroversen um
den "Homonationalismus" zeigen.
Unter diesem Begriff werden seit
gut zehn Jahren einzelne Strömungen der westlichen LGBT-Bewegung
zusammengefasst, die Zuwanderer und vor allem Muslime zur neuen Gefahr
stilisieren. Auf diese Weise wird die berechtigte Sorge, dass Schwule und
Lesben von homophoben Regierungspolitikern oder gewaltbereiten religiösen
Fanatikern angegriffen werden, vom "Kulturkampf" gegen die gesamte
muslimische Welt vereinnahmt.
Schwule Islamfeindlichkeit
In den Niederlanden stellte der 2002 ermordete Pim Fortuyn,
bekennender Homosexueller und rechtsextremer Politiker, gleichsam die Karikatur
dieser Tendenz dar. Es stellt sich überhaupt die Frage, wo eigentlich die
Grenze zwischen dem "progressiven" Westen und dem vermeintlich
unaufgeklärten Rest der Welt verläuft, wenn Flüchtlingen, die in ihrem
Heimatland wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, das Recht auf
Asyl verweigert wird.
Im Jahr 2007 wurden bei einem Treffen international
anerkannter Menschenrechtsexperten in Indonesien die Yogyakarta-Prinzipien,
eine Art LGBT-Menschenrechtsresolution, veröffentlicht. Sie sollen
internationale Institutionen dazu bewegen, jegliche Diskriminierung aufgrund
der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität unterbinden. Bei ihrer
Präsentation vor den Vereinten Nationen am 26. März 2007 haben 54 Länder diese
Initiative unterstützt, die in eine UN-Resolution "über Menschenrechte,
sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität" münden soll.
Interessenverbände wie die International LGBT Association
(Ilga) leisten weltweit wichtige Lobbyarbeit und erreichen mit ihren
Solidaritätskampagnen oft erstaunlich viel. Ein Problem ist jedoch, dass sie
mit ihrer Fixierung auf die sexuelle Orientierung die Klassen-, Geschlechts-
und Rassenfragen komplett aus dem Auge verlieren.
Darüber hinaus wird oft übersehen, dass in vielen Regionen
außerhalb der westlichen Hemisphäre mehrdeutige Geschlechtsidentitäten mit
fließenden Übergängen zum Alltag gehören. Indische Hijras zum Beispiel
betrachten sich selbst weder als Mann noch als Frau. Und wo ein erkennbar
schwules oder lesbisches Auftreten lebensgefährlich ist, ersetzen lokale
Strategien der Emanzipation und des Widerstands das im Westen obligatorische
Coming-out.
Im Widerspruch zu diesem Identitätsbekenntnis üben die
Queer-Theorien seit etwa zwanzig Jahren heftige Kritik am Konzept des
"natürlichen" Geschlechts, das sie als soziales Konstrukt
begreifen. Sie wollen stattdessen die Vielfalt und fließenden Grenzen sexueller
Identität hervorheben. Die Queer-Bewegung ist radikal politisch und eng mit der
globalisierungskritischen Szene verbunden, wie Queer Nation in den Vereinigten
Staaten oder Pinkwatching Israel, eine von arabischen Queer-Aktivisten
gegründeten Initiative, die unter anderem zum Boykott israelischer Waren
aufruft, oder die trans-schwul-lesbische Gruppe Les Panthères Roses, die Anfang
2000 in Québec, Frankreich und Portugal Dependancen gründete. Ihre
feministischen, antirassistischen und antikapitalistischen Manifeste und
Aktionen erinnern stark an die Protestbewegungen der 1970er Jahre.
Damals ging es den organisierten Lesben um die Eroberung
autonomer Räume. Das war vor allem eine Reaktion auf die frauenfeindliche
Stimmung in den gemeinsamen Gruppen mit Schwulen. Daneben gab und gibt es
natürlich nach wie vor strategische Allianzen in gemischten Vereinen. In den
1990er Jahren gründeten Trans-Personen selbst organisierte Gruppen, was
wiederum eine Reaktion auf die zunehmend kritisierte schwule Dominanz in der
LGBT-Bewegung war.
Im Kampf um die sexuellen Rechte droht die Frage nach der
sozialen Gerechtigkeit aus dem Blickfeld zu geraten. Viele Schwule, Lesben und
Trans-Personen haben nicht nur keinen familiären Rückhalt, sondern sie sind
auch mehr als andere von staatlichen Sparmaßnahmen betroffen. Gerade im
globalen Süden hat sich infolge der Wirtschaftskrise die Situation verschärft,
wohingegen die Schwulen und Lesben im urbanen Establishment des Nordens heute
keine Angst vor Diskriminierung mehr haben müssen.
Der rosa Block gegen Sozialabbau
Doch für die anderen - Frauen, Trans-Personen und die Armen,
insbesondere die Jungen unter ihnen, die weder Geld noch Ausbildung haben - ist
das Leben noch komplizierter geworden. So schließen sich in vielen Ländern oft
Pink Blocks den Demonstrationen gegen Sparmaßnahmen an. Andere Gruppen
engagieren sich innerhalb der Gewerkschaftsbewegung oder gründen eigene
Initiativen wie etwa in Großbritannien die "Queers Against the Cuts".
Das Engagement für rechtliche Gleichstellung muss dem Kampf
für soziale Veränderungen nicht im Wege stehen - im Gegenteil. Aber an
ebendieser Schnittstelle muss die LGBT-Bewegung zeigen, dass sie sich verändert
und neue Bündnisse zulässt. So könnten die Debatten über den Homonationalismus neue Perspektiven eröffnen.
Außerdem wäre es womöglich heilsam, die Hegemonie der weißen
Schwulen aus dem Norden infrage zu stellen. Denn wenn die Grenzen der
"gemeinsamen Interessen" erst einmal benannt sind, könnte sich ein
Raum eröffnen, um gemeinsame Ziele abzustecken und neue Bündnisse zu schmieden.
Wenn man den Kampf gegen Unterdrückung und für mehr Rechte mit dem Willen
vereint, ein ungerechtes System zu ändern, könnte die Mobilisierung des Südens
neue politische Strategien hervorbringen.
Fußnoten:
(1) Trans* ist der Oberbegriff für Transgender (Personen,
die die Geschlechterdichotomie Frau/Mann infrage stellen), Transidente
(Personen, die sich mit dem "Gegengeschlecht" des bei der Geburt
zugewiesenen Geschlechts identifizieren, aber ihren Körper nicht durch Hormone
und Operationen verändern wollen) und Transsexuelle (Personen, die mittels
Hormonen und geschlechtsangleichenden Operationen ihren Körper verändern
lassen, um im "Gegengeschlecht" des bei der Geburt zugewiesenen
Geschlechts zu leben).
(2) So sollen zum Beispiel Transvestiten und Transsexuelle
künftig ohne den Nachweis einer Geschlechtsumwandlung beziehungsweise Hormon-
oder Psychotherapie ihren Personalausweis ändern können. Vgl. Marcela Valente,
"Argentinien: Transsexuelle feiern neues
Geschlechtsidentitätsgesetz", 12. Mai 2012, IPS-Deutschland.
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