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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013
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Wo Schwule
Minister und Schwarze Präsidenten sind, bleiben Transsexuelle der Inbegriff des
Andersseins. Trotzdem schaffen es immer mehr von ihnen, anzukommen – im anderen
Geschlecht und als Mensch.
Durch einen Türspalt schlüpfen, hinter dem die Freiheit
wartet. Leise entschwinden aus dieser Welt der 100-prozentigen Männer und
100-prozentigen Frauen, des Gut und Böse, des Hübsch und Hässlich: Nicht nur
Ralph, der 1,63 Meter kleine Trans-Mann mit der Cowboystimme, der so gern
Sprüche raushaut, kennt den Gedanken. Doch die Neonlampen des Hinterzimmers im
Bürgerhaus Stollwerck leuchten hell wie im Operationssaal. Es gibt keinen
Schatten, kein Entrinnen.
Zehn Menschen sitzen im Stuhlkreis, acht Frauen und zwei
Männer. Ihr Kommen ist ein kleiner Freiheitsakt, um eine große Verwirrung
aufzulösen: Aug’ in Aug’ sitzen Menschen, die spätestens seit ihrer Pubertät
nicht länger verstehen konnten, warum ihr Erleben nicht mit ihrem Geschlecht
übereinstimmt. Mädchen, die Mario hießen und einen Penis hatten; Jungs, die
Maria gerufen wurden und eine Scheide hatten. Man nennt sie Transsexuelle, wenn
man vom biologischen Geschlecht ausgeht, Transgender, wenn es um die soziale
Geschlechterrolle geht, und, allgemein: transidentische Menschen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert
Transsexualität als krankhafte Geschlechtsidentitätsstörung. „Wir gelten als
psychisch krank“, sagt Jean Lessenich, die transsexuelle Pionierin, die sich
vor knapp 40 Jahren zur Frau operieren ließ (siehe Porträt rechts). Und,
spöttelnd: „Stimmt ja auch: „Wir sind schizophren.“
„Noch drei OPs, dann bin ich durch“
Die acht Trans-Frauen – Frauen also, die als Jungs zur Welt
kamen – und zwei Trans-Männer sitzen zusammen wie eine Clique. Gelöst oder
nervös. Selbstbewusst oder verunsichert. Redselig oder verschlossen. Mit und
ohne körperfremde Hormoncocktails im Blut. Menschen vor und nach der
Geschlechtsoperation und solche, die gar keine Operation wollen. Menschen, die
kein Mitleid wollen. Die nur Menschen suchen, die sie verstehen.
Leonie (Name geändert), die zum ersten Mal da ist, steht für
die Zerrissenheit, die so ein Leben zur Hölle machen kann. Leonies Gesicht ist
ungesund blass, die Stimme brüchig. Mit wippenden Füßen sitzt die 22-Jährige
zwischen zwei erfahrenen Frauen, die ihre Zerrissenheit kennen. Doch erst Ralph
schafft es, Hoffnung auf Leonies verstörtes Gesicht zu zaubern.
„Hast Du schon einen OP-Termin, Ralph?“, fragt die Runde.
„Wahrscheinlich im Sommer. Hoden, Penis, Eichel. Noch drei OPs, dann bin ich
durch“, sagt Ralph. „Ich bin auch nicht auf Testosteron gerade, ihr braucht also
keine Angst vor mir zu haben. Sollte eigentlich Montag gespritzt werden. Aber
meinen Vollbart seht ihr ja. Da jetzt auch mein Rücken mit Haaren zuwächst,
weiß ich gar nicht mehr, warum das Ganze.“ Leonie schaut auf, erstaunt,
beglückt, wie geküsst.
Einfach so als Frau leben
„Ich bin eine alte Schildkröte, die den Traum hat, dass wir
eines Tages nicht mehr als Trans-Frau oder Trans-Mann leben, sondern einfach
als Mensch akzeptiert werden“, sagt Jean. Sie war eine der ersten
transsexuellen Frauen mit festem Arbeitsvertrag in Deutschland und befreundet
mit Maria Sabine Augstein, der transsexuellen Tochter des „Spiegel“-Verlegers
Rudolf Augstein, einer juristischen Vorkämpferin für die Rechte von schwulen,
lesbischen und transsexuellen Menschen.
Die Transidentität habe ihr Leben bestimmt, sagt Jean.
„Jetzt bin ich bald 70 und will andere Dinge tun.“ Zu den Jüngeren sagt sie:
„Ich wünsche euch, dass ihr eure Rolle findet, die nicht dem Klischeebild der
Frau in unserer Gesellschaft entsprechen muss. Wir müssen nicht die sexy
Superfrauen aus der Werbung sein, lasst euch von den Bildern nicht in die Irre
führen.“
Neben Jean sitzt die psychisch gefestigte Geschäftsfrau, die
die Geschlechtsangleichung längst hinter sich hat, links davon Uta, die Frau,
die sagt, sie strebe keine Geschlechts-OP mehr an und sei zufrieden, „einfach
so als Frau zu leben“. Uta zeigt ihren Ergänzungsausweis, in dem sie als Frau
gilt, und den Personalausweis, der sie als Mann führt. „Die
Personenstandsänderung ist noch nicht durch.“ Menschen mit Ergänzungsausweis
sind auf Probe im anderen Geschlecht: Ein Arzt oder Psychologe hat ihnen ein „vermutetes
transsexuelles Syndrom“ oder die „Erprobung der Lebbarkeit der angestrebten
Geschlechterrolle“ bescheinigt. Es reicht auch ein Rezept für den Beginn einer
Hormonbehandlung.
„Ich habe mich nach der ersten Hormonbehandlung gefühlt wie
in der zweiten Pubertät“, raunt Ralph. „Und nach der Eierstock-OP wie in den
Wechseljahren.“ Die Runde lacht. Ralph ist nicht der einzige im Kreis, der an
Suizid mehr als nur dachte. Er schluckte Dutzende Schlaftabletten. „Meine
Mutter sagte, das kannst du mir nicht antun, mein Vater hat mich verhöhnt und
geschlagen.“ Die Suizidrate unter Transsexuellen ist hoch, vor Operationen
höher als danach, aber in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken.
Die Menschen im Kreis erzählen von Ärzten, die nicht
wussten, wie zu helfen sei, und Therapeuten, die psychotische Diagnosen
stellten. „Auch der Begriff transsexuell wird von vielen als diskriminierend
empfunden“, sagt Eva, die die Selbsthilfegruppe leitet, „weil das Wort Menschen
auf ihre Sexualität reduziert.“
„Die Debatte hat sich umgedreht“
Das Transsexuellengesetz von 1980, von Maria Sabine Augstein
mit auf den Weg gebracht, gilt als Beginn der transsexuellen Moderne. Es hat
Menschen ermöglicht, ihr Geschlecht auch ausweislich zu ändern, Krankenkassen
wurden verpflichtet, die Kosten für Hormone und Geschlechtsoperationen zu
übernehmen. Um auch im Personalausweis mit dem als richtig empfundenen
Geschlecht geführt zu werden, verlangte das Gesetz bis vor einem Jahr „die
dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit des Antragstellers“ – also eine
geschlechtsangleichende Operation. Das Bundesverfassungsgericht hat diese
Forderung im Januar 2011 gekippt. Für einen neuen Perso bedarf es jetzt keiner
Operation mehr.
„Die Debatte hat sich umgedreht“, sagt der Psychoanalytiker
Friedemann Pfäfflin (67), der Jean Lessenich vor 33 Jahren die Suizidgedanken
ausredete und rund 2000 Transsexuelle therapiert hat. „Früher mussten
Transsexuelle dafür kämpfen, operiert zu werden und den Namen ändern zu dürfen,
heute kämpfen sie gegen den Zwang, sich operieren lassen zu müssen.“ Pfäfflin
wünscht sich als nächsten Schritt die Abschaffung des Transsexuellengesetzes,
das für den Wechsel der Geschlechtsidentität psychiatrische oder
psychotherapeutische Gutachten verlangt. „Um eine gleichgeschlechtliche Ehe
einzugehen, braucht es keine medizinischen Gutachten. Es müsste also auch für
Transsexuelle reichen, sich beim Standesamt zu erklären und den gewünschten
Personenstand zu erhalten.“
In der wissenschaftlichen Debatte ist längst nicht mehr von
nur zwei Geschlechtern die Rede. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts stellte der
deutsch-amerikanische Forscher Harry Benjamin fest, dass körperliches
Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht bei jedem übereinstimmen,
möglicherweise sei das genetisch bedingt.
Die Geschichte des Geschlechtswechsels reicht zurück bis zu
den alten Mythen: So verwandelt sich der blinde Seher Teiresias im elften
Gesang der Odyssee vom Priester des Zeus in die Priesterin der Hera und zurück
in die männliche Rolle – Dante greift die Verwandlung Teiresias später in
seiner „Göttlichen Komödie“ auf. Die amerikanische Wissenschaftlerin Judith
Butler glaubt, das Geschlecht werde allein vom sozialen Umfeld bestimmt –
Mädchen bekommen rosa Strampler und Mädchennamen, Jungs blaue Strampler und
Jungennamen. Die Vorstellung, es gebe nur Männer und Frauen, sei eine
Konstruktion fern der komplexen Realität. „Es gibt so viele Abstufungen wie es
Menschen gibt“, sagt Pfäfflin.
Aber was helfen solche Erkenntnisse aus dem Elfenbeinturm,
wenn die Gesellschaft auf männliche Männer und weibliche Frauen geeicht ist?
Wenn die meisten Menschen eine Scheu haben vor geschlechtlichen Identitäten,
die nicht der Norm entsprechen?
Sex nur mit Penispumpe
Leonie zittert, als sie an der Reihe ist; ihr blasses
Gesicht färbt sich tiefrot. Sie sagt: „Wenn ich vor dem Spiegel stehe, sehe ich
einen Typen. Wenn ich nach unten gucke, könnte ich schreien. Ich kämpfe gegen
meine Periode und denke immer wieder an Selbstmord. Ich weiß, dass ich eine
Therapie brauche, vor allem aber weiß ich, dass ich keine Frau sein will.“ Ihre
Augen suchen Ralph, der wenig später lässig davon redet, dass er „auch nach den
letzten drei der sechs oder sieben OPs nur mit Penispumpe Sex haben“ werde. Die
Runde prustet. Auch Leonie lacht.
Eine Frau erzählt von der Belehrung eines Arztes: Die
gespritzten Östrogene könnten Krebs auslösen, Brustkrebs bei transsexuellen
Frauen sei besonders gefährlich. Sie solle sich das Ganze gut überlegen. Die
Runde wiehert vor Lachen. „Wahnsinn. Der Arzt konnte nicht nachvollziehen, dass
es darum gar nicht geht“, sagt die Frau.
Lebensdauer und gesundheitliche Risiken können zur
Nebensache werden, wenn es um die geschlechtliche Identität geht. Wichtiger ist
das richtige Selbstgefühl. Der Wille der Wanderer zwischen den Geschlechtswelten
ist so stark, dass fast alles andere verblasst. Eigentlich ist das doch
romantisch: Alles zu tun, um sich so zu wandeln, dass es sich richtig anfühlt –
in einer Gesellschaft, in der die Menschen fast alles tun, um sich nicht zu
wandeln, schön zu bleiben um jeden Preis – unabhängig davon, ob sich das
richtig anfühlt.
Abseits der Lachanfälle sind die Gespräche ernst. Es geht um
aus Unwissen unterlassene Hilfeleistung von Ärzten, die Tatsache, dass
Hormondosierungen kaum erforscht seien, um das Erleben einer beängstigenden,
von gespritzten Hormonen verursachten Pubertät mit 50 oder 60, um dilettierende
Therapeuten, bürokratische Hürden vor Operationen. Der Stuhlkreis ist
Schicksalsgemeinschaft.
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