Freitag, 8. Februar 2013

Wo Schwule Minister und Schwarze Präsidenten sind, bleiben Transsexuelle der Inbegriff des Andersseins. Trotzdem schaffen es immer mehr von ihnen, anzukommen – im anderen Geschlecht und als Mensch.



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013

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Wo Schwule Minister und Schwarze Präsidenten sind, bleiben Transsexuelle der Inbegriff des Andersseins. Trotzdem schaffen es immer mehr von ihnen, anzukommen – im anderen Geschlecht und als Mensch.
Durch einen Türspalt schlüpfen, hinter dem die Freiheit wartet. Leise entschwinden aus dieser Welt der 100-prozentigen Männer und 100-prozentigen Frauen, des Gut und Böse, des Hübsch und Hässlich: Nicht nur Ralph, der 1,63 Meter kleine Trans-Mann mit der Cowboystimme, der so gern Sprüche raushaut, kennt den Gedanken. Doch die Neonlampen des Hinterzimmers im Bürgerhaus Stollwerck leuchten hell wie im Operationssaal. Es gibt keinen Schatten, kein Entrinnen.

Zehn Menschen sitzen im Stuhlkreis, acht Frauen und zwei Männer. Ihr Kommen ist ein kleiner Freiheitsakt, um eine große Verwirrung aufzulösen: Aug’ in Aug’ sitzen Menschen, die spätestens seit ihrer Pubertät nicht länger verstehen konnten, warum ihr Erleben nicht mit ihrem Geschlecht übereinstimmt. Mädchen, die Mario hießen und einen Penis hatten; Jungs, die Maria gerufen wurden und eine Scheide hatten. Man nennt sie Transsexuelle, wenn man vom biologischen Geschlecht ausgeht, Transgender, wenn es um die soziale Geschlechterrolle geht, und, allgemein: transidentische Menschen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert Transsexualität als krankhafte Geschlechtsidentitätsstörung. „Wir gelten als psychisch krank“, sagt Jean Lessenich, die transsexuelle Pionierin, die sich vor knapp 40 Jahren zur Frau operieren ließ (siehe Porträt rechts). Und, spöttelnd: „Stimmt ja auch: „Wir sind schizophren.“

„Noch drei OPs, dann bin ich durch“

Die acht Trans-Frauen – Frauen also, die als Jungs zur Welt kamen – und zwei Trans-Männer sitzen zusammen wie eine Clique. Gelöst oder nervös. Selbstbewusst oder verunsichert. Redselig oder verschlossen. Mit und ohne körperfremde Hormoncocktails im Blut. Menschen vor und nach der Geschlechtsoperation und solche, die gar keine Operation wollen. Menschen, die kein Mitleid wollen. Die nur Menschen suchen, die sie verstehen.

Leonie (Name geändert), die zum ersten Mal da ist, steht für die Zerrissenheit, die so ein Leben zur Hölle machen kann. Leonies Gesicht ist ungesund blass, die Stimme brüchig. Mit wippenden Füßen sitzt die 22-Jährige zwischen zwei erfahrenen Frauen, die ihre Zerrissenheit kennen. Doch erst Ralph schafft es, Hoffnung auf Leonies verstörtes Gesicht zu zaubern.

„Hast Du schon einen OP-Termin, Ralph?“, fragt die Runde. „Wahrscheinlich im Sommer. Hoden, Penis, Eichel. Noch drei OPs, dann bin ich durch“, sagt Ralph. „Ich bin auch nicht auf Testosteron gerade, ihr braucht also keine Angst vor mir zu haben. Sollte eigentlich Montag gespritzt werden. Aber meinen Vollbart seht ihr ja. Da jetzt auch mein Rücken mit Haaren zuwächst, weiß ich gar nicht mehr, warum das Ganze.“ Leonie schaut auf, erstaunt, beglückt, wie geküsst.

Einfach so als Frau leben

„Ich bin eine alte Schildkröte, die den Traum hat, dass wir eines Tages nicht mehr als Trans-Frau oder Trans-Mann leben, sondern einfach als Mensch akzeptiert werden“, sagt Jean. Sie war eine der ersten transsexuellen Frauen mit festem Arbeitsvertrag in Deutschland und befreundet mit Maria Sabine Augstein, der transsexuellen Tochter des „Spiegel“-Verlegers Rudolf Augstein, einer juristischen Vorkämpferin für die Rechte von schwulen, lesbischen und transsexuellen Menschen.

Die Transidentität habe ihr Leben bestimmt, sagt Jean. „Jetzt bin ich bald 70 und will andere Dinge tun.“ Zu den Jüngeren sagt sie: „Ich wünsche euch, dass ihr eure Rolle findet, die nicht dem Klischeebild der Frau in unserer Gesellschaft entsprechen muss. Wir müssen nicht die sexy Superfrauen aus der Werbung sein, lasst euch von den Bildern nicht in die Irre führen.“

Neben Jean sitzt die psychisch gefestigte Geschäftsfrau, die die Geschlechtsangleichung längst hinter sich hat, links davon Uta, die Frau, die sagt, sie strebe keine Geschlechts-OP mehr an und sei zufrieden, „einfach so als Frau zu leben“. Uta zeigt ihren Ergänzungsausweis, in dem sie als Frau gilt, und den Personalausweis, der sie als Mann führt. „Die Personenstandsänderung ist noch nicht durch.“ Menschen mit Ergänzungsausweis sind auf Probe im anderen Geschlecht: Ein Arzt oder Psychologe hat ihnen ein „vermutetes transsexuelles Syndrom“ oder die „Erprobung der Lebbarkeit der angestrebten Geschlechterrolle“ bescheinigt. Es reicht auch ein Rezept für den Beginn einer Hormonbehandlung.

„Ich habe mich nach der ersten Hormonbehandlung gefühlt wie in der zweiten Pubertät“, raunt Ralph. „Und nach der Eierstock-OP wie in den Wechseljahren.“ Die Runde lacht. Ralph ist nicht der einzige im Kreis, der an Suizid mehr als nur dachte. Er schluckte Dutzende Schlaftabletten. „Meine Mutter sagte, das kannst du mir nicht antun, mein Vater hat mich verhöhnt und geschlagen.“ Die Suizidrate unter Transsexuellen ist hoch, vor Operationen höher als danach, aber in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken.

Die Menschen im Kreis erzählen von Ärzten, die nicht wussten, wie zu helfen sei, und Therapeuten, die psychotische Diagnosen stellten. „Auch der Begriff transsexuell wird von vielen als diskriminierend empfunden“, sagt Eva, die die Selbsthilfegruppe leitet, „weil das Wort Menschen auf ihre Sexualität reduziert.“

„Die Debatte hat sich umgedreht“

Das Transsexuellengesetz von 1980, von Maria Sabine Augstein mit auf den Weg gebracht, gilt als Beginn der transsexuellen Moderne. Es hat Menschen ermöglicht, ihr Geschlecht auch ausweislich zu ändern, Krankenkassen wurden verpflichtet, die Kosten für Hormone und Geschlechtsoperationen zu übernehmen. Um auch im Personalausweis mit dem als richtig empfundenen Geschlecht geführt zu werden, verlangte das Gesetz bis vor einem Jahr „die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit des Antragstellers“ – also eine geschlechtsangleichende Operation. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Forderung im Januar 2011 gekippt. Für einen neuen Perso bedarf es jetzt keiner Operation mehr.

„Die Debatte hat sich umgedreht“, sagt der Psychoanalytiker Friedemann Pfäfflin (67), der Jean Lessenich vor 33 Jahren die Suizidgedanken ausredete und rund 2000 Transsexuelle therapiert hat. „Früher mussten Transsexuelle dafür kämpfen, operiert zu werden und den Namen ändern zu dürfen, heute kämpfen sie gegen den Zwang, sich operieren lassen zu müssen.“ Pfäfflin wünscht sich als nächsten Schritt die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, das für den Wechsel der Geschlechtsidentität psychiatrische oder psychotherapeutische Gutachten verlangt. „Um eine gleichgeschlechtliche Ehe einzugehen, braucht es keine medizinischen Gutachten. Es müsste also auch für Transsexuelle reichen, sich beim Standesamt zu erklären und den gewünschten Personenstand zu erhalten.“

In der wissenschaftlichen Debatte ist längst nicht mehr von nur zwei Geschlechtern die Rede. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts stellte der deutsch-amerikanische Forscher Harry Benjamin fest, dass körperliches Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht bei jedem übereinstimmen, möglicherweise sei das genetisch bedingt.

Die Geschichte des Geschlechtswechsels reicht zurück bis zu den alten Mythen: So verwandelt sich der blinde Seher Teiresias im elften Gesang der Odyssee vom Priester des Zeus in die Priesterin der Hera und zurück in die männliche Rolle – Dante greift die Verwandlung Teiresias später in seiner „Göttlichen Komödie“ auf. Die amerikanische Wissenschaftlerin Judith Butler glaubt, das Geschlecht werde allein vom sozialen Umfeld bestimmt – Mädchen bekommen rosa Strampler und Mädchennamen, Jungs blaue Strampler und Jungennamen. Die Vorstellung, es gebe nur Männer und Frauen, sei eine Konstruktion fern der komplexen Realität. „Es gibt so viele Abstufungen wie es Menschen gibt“, sagt Pfäfflin.
Aber was helfen solche Erkenntnisse aus dem Elfenbeinturm, wenn die Gesellschaft auf männliche Männer und weibliche Frauen geeicht ist? Wenn die meisten Menschen eine Scheu haben vor geschlechtlichen Identitäten, die nicht der Norm entsprechen?

Sex nur mit Penispumpe

Leonie zittert, als sie an der Reihe ist; ihr blasses Gesicht färbt sich tiefrot. Sie sagt: „Wenn ich vor dem Spiegel stehe, sehe ich einen Typen. Wenn ich nach unten gucke, könnte ich schreien. Ich kämpfe gegen meine Periode und denke immer wieder an Selbstmord. Ich weiß, dass ich eine Therapie brauche, vor allem aber weiß ich, dass ich keine Frau sein will.“ Ihre Augen suchen Ralph, der wenig später lässig davon redet, dass er „auch nach den letzten drei der sechs oder sieben OPs nur mit Penispumpe Sex haben“ werde. Die Runde prustet. Auch Leonie lacht.

Eine Frau erzählt von der Belehrung eines Arztes: Die gespritzten Östrogene könnten Krebs auslösen, Brustkrebs bei transsexuellen Frauen sei besonders gefährlich. Sie solle sich das Ganze gut überlegen. Die Runde wiehert vor Lachen. „Wahnsinn. Der Arzt konnte nicht nachvollziehen, dass es darum gar nicht geht“, sagt die Frau.

Lebensdauer und gesundheitliche Risiken können zur Nebensache werden, wenn es um die geschlechtliche Identität geht. Wichtiger ist das richtige Selbstgefühl. Der Wille der Wanderer zwischen den Geschlechtswelten ist so stark, dass fast alles andere verblasst. Eigentlich ist das doch romantisch: Alles zu tun, um sich so zu wandeln, dass es sich richtig anfühlt – in einer Gesellschaft, in der die Menschen fast alles tun, um sich nicht zu wandeln, schön zu bleiben um jeden Preis – unabhängig davon, ob sich das richtig anfühlt.
Abseits der Lachanfälle sind die Gespräche ernst. Es geht um aus Unwissen unterlassene Hilfeleistung von Ärzten, die Tatsache, dass Hormondosierungen kaum erforscht seien, um das Erleben einer beängstigenden, von gespritzten Hormonen verursachten Pubertät mit 50 oder 60, um dilettierende Therapeuten, bürokratische Hürden vor Operationen. Der Stuhlkreis ist Schicksalsgemeinschaft.


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