80 Jahre Bücherverbrennung
Am 6. Mai 1933 wurde die deutsche Sexualforschung ausgelöscht - bis heute mit Erfolg.
Am 10. Mai vor 80 Jahren brannten in 22 Städten in
Deutschland Bücher. Zu dem Wissen, das damals vernichtet wurde, gehörte auch
das Wissen über geschlechtliche Normvarianten. Schon ein paar Tage vor der
deutschlandweiten Bücherverbrennung gehörte die Zerstörung des Institutes für
Sexualwissenschaft in Berlin, dessen Leiter Magnus Hirschfeld war, mit zum
grausamen Beginn einer Zeit, die bis heute andauert, in der Ideologien stärker
zählen sollten, als die Wirklichkeit. Menschen mit geschlechtlichen Normabweichungen,
wie transsexuelle Menschen, wissen um die Auswirkungen.
"Die Nazis erklärten damals geschlechtliche Vielfalt zu
etwas, das sie widernatürlich nannten", so Kim Schicklang, 1. Vorsitzende
der Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. "Und heute gibt es immer
noch welche, die glauben, dass es so etwas gibt, wie ein 'biologisches
Geschlecht', dem bestimmte Personenkreise nicht angehörten." Um ein
Wiederaufleben einer wissenschaftlich orientierten Sexualforschung im Geiste
Hirschfelds zu verhindern, gründeteten Nationalsozialisten 1950 die Deutsche
Gesellschaft für Sexualforschung (Sitz am UKE in Hamburg), welche bis heute von
deren nationalsozialistisch-psychoanalytisch geprägten Ideologien beherrscht
wird und die deutsche Sexual-pseudo-Wissenschaft beherrscht. Interssanterweise
müssen "geschlechtlich Andersartige", wie z.B. transsexuelle
Menschen, bis heute eine Zwangspsychotherapie machen - eine Erfindung der Nazis
- bis vor kurzem gehörte auch eine rechtlich verordnete Zwangskastration dazu.
Die deutsche Sexologie wurde nach dem 2. Weltkrieg
ausgerechnet von ehemaligen Unterstützern der NS-Ideologie weitergeführt, wie
Hans Giese oder Hans Bürger-Prinz, der in der Nazizeit Richter am
Erbgesundheitsgericht war oder über die Zwangssterilisation von Personen
entschied, die als erbkrank eingestuft waren. Die Deutsche Gesellschaft für
Sexualforschung wählte ihn 1950 zum Präsidenten. Auch Hans Giese, selbst
homosexuell, führte zusammen mit Hans Bürger-Prinz die Sexologie der
Nachkriegszeit im Geiste der NS-Zeit weiter. Was sie zuvor begannen vollendeten
sie nun: Die Bekämpfung der Zwischenstufenlehre Magnus Hirschfelds, die
Bekämpfung der geschlechtlichen Vielfalt. Deren Schriften wurden im Enke-Verlag
in Stuttgart herausgebracht - doch die Zwischenstufenlehre Hirschfelds bleibt
weiter verbrannnt und evidenzbasierte Wissenschaft wird unterdrückt.
Für transsexuelle Menschen sind die Auswirkungen deutlich
spürbar. Transsexuellen Menschen wird bis heute unterstellt, dass ihr Wissen,
das diese über ihr eigentliches Geschlecht haben, lediglich "ein
Gefühl" oder eine "Geschlechtsidentität" sei, aber keinesfalls
ein Wissen über ihr eigenes Geschlecht. Die von Hirschfeld und seinen
Mitarbeitern erforschte geschlechtliche Vielfalt wird geleugnet - bleibt Schutt
und Asche. Kim Schicklang: "Damit behaupten die Menschen, die Vielfalt
abstreiten, immer noch, transsexuelle Menschen seien widernatürlich". Der
Trend zur gefühlten Renazifizierung der Medizin findet sich ausgerechnet auch
im neuen DSM V wieder, in welchem im Bereich des Kapitels, in dem es um
Geschlechtsidentitätsstörungen geht, von einem sogenannten "natal
sex", also einem "Geburtsgeschlecht" die Rede ist, von dem, so
die Behauptung, eine "Geschlechtsidentität" abweichen könne. Dass mit
"natal sex" allerdings nur das interpretierte, fremdbestimmte
Geschlecht gemeint sein kann wird klar, wenn man weiss, dass Geschlecht alles
andere als in starre Kategorien einteilbar ist. "Das neue DSM wird für
Menschen mit geschlechtlichen Abweichungen stärkere fremdbestimmende Elemente
enthalten, als zuvor", so Kim Schicklang. "Zu behaupten, etwas sei
biologisch und das andere sei un-biologisch ist ein alter, aber immer noch
praktizierter Trick". Und natürlich waren ehemalige Mitarbeiter des UKE an
der Entstehung dieser neuen Ausgabe massgeblich mit beteiligt.
Dass nur wenige Menschen heute an die Vernichtung des
Wissens über geschlechtliche Normvariationen denken, wenn sie etwas von der
Bücherverbrennung hören, obwohl das Thema Bekämpfung der Geschlechtervielfalt
ein zentraler Bestandteil der Zerstörungsaktion damals war (und heute ist),
halten wir von ATME für Teil der Folgen der Bücherverbrennungen. Kim
Schicklang: "Es scheint, dass die Nazis mit ihrer Wissensvernichtung
damals durchaus ganze Arbeit geleistet haben".
Wir wollen uns daher in dieser Woche an eine Zahl erinnern.
Sie lautet: 43 046 721 = 3¹⁶ (3 hoch 16)
In heutigen Worten könnte man das so übersetzen: Hirschfeld
kam in seiner Arbeit im Institut für Sexualwissenschaft zu dem Ergebnis, dass
es über 43-Millionen geschlechtliche Variationen in der Natur gibt. Die Zahl
ist bis heute ein Synonym für geschlechtliche Vielfalt (auch wenn Hirschfeld
und seine Kollegen später feststellten: Es gibt so viele Geschlechter, wie es
Menschen gibt) . Zu geschlechtlichen Variationen, zur natürlichen Vielfalt,
gehören auch transsexuelle Frauen und Männer. "Diese fühlen sich nicht
entgegen ihres eigentlichen Geschlechts, sondern sie wissen mit dem Coming Out,
wer sie sind", betont Kim Schicklang. "Wer heute noch abstreitet,
dass transsexuelle Frauen biologische Frauen sind und transsexuelle Männer
biologische Männer, eben weil sie Teil der geschlechtlichen Vielfalt sind, die
schon Hirschfeld kannte, braucht heute nicht Betroffenheit heucheln, wenn heute
Gedenkfeiern zu 80 Jahre Bücherverbrennung stattfinden."
Die Bücher des Instituts von Magnus Hirschfeld wurden nicht
nur verbrannt, sondern die deutsche Sexualforschung wurde durch
nationalsozialisch - psychoanalytische Ideologien nach 1945 quasi
"überschrieben" und ausgelöscht. Eine erfolgreiche totale
Vernichtung. Der Wissenschaft wurde der Kampf angesagt - und gewonnen.
Hirschfeld wurde von seinen Gegen endgültig vereinnahmt und ins Gegenteil
verkehrt - eine Perversion, wie sie sich nur Sexologen ausdenken konnten.
Quelltext: Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen