Samstag, 11. April 2015

Transsexualität im Beruf: Und dann kam Andrea

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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Transsexualität im Beruf: Und dann kam Andrea
Vor sechs Jahren machte Andrea Krieger an ihrer Arbeitsstelle ihre Transsexualität bekannt. Als Transfrau konnte sie sich nie mit ihren männlichen Geschlechtsmerkmalen identifizieren. Sie erhielt überraschend positive Reaktionen.

Am Tag, an dem die Mitarbeiter der Verbraucherzentrale Düsseldorf erfahren, dass einer der Kollegen von nun an als Frau angesprochen werden möchte, bekommt Andrea Krieger neue Visitenkarten. Dazu ein neues Türschild - und eine neue E-Mail-Adresse. Es ist ein Tag im Februar 2009, an dem sich für die heute 36 Jahre alte Krieger alles ändert: Ab jetzt geht sie auf die Damentoilette und kommt in Frauen- statt in Männerkleidung zur Arbeit.

Im März 2015 sitzt Krieger in Jeans und grünem Pullover im Wohnzimmer ihres Hauses in der Nähe von Düsseldorf. Die Aufregung von einst, an dem alles verändernden Tag im Büro, ist verschwunden. Krieger lebt ihre weibliche Geschlechtsidentität nun seit sechs Jahren offen in allen Bereichen des Lebens. Sie wurde mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren - doch das Gefühl, sich eher mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren zu können, war immer da: im Gymnasium, in der Fachhochschule, im Job als Systemadministratorin bei der Verbraucherzentrale.

Was hat eine Frau durchgemacht, die sich und ihr Geschlecht in all diesen Institutionen erklären musste? "Ich möchte als die Frau leben, die ich bin und auch so behandelt werden." Krieger hat diesen Satz oft aus sich herausplatzen gehört. Vor ihrem Chef, den Eltern, vor Freunden. Und sie musste oft ruhig bleiben, die Reaktion des Gegenübers abwarten.

Heute ist sie auch ruhig, oder vielleicht: beruhigt. Ihre Erfahrungen haben sie stark gemacht. Viele Situationen, vor denen sie sich fürchtete, verließ sie entspannt. Fragt man allerdings Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), ist Andrea Kriegers Geschichte eine positive Ausnahme. Die meisten transsexuellen Menschen in Deutschland seien massiver Diskriminierung ausgesetzt, sagt Lüders. Dazu gehöre auch "Ablehnung und Belästigung bis hin zu Gewalt und Benachteiligungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt".

Mit Freunden kauft Andrea Krieger ihr erstes Kleid

Krieger weiß das, aber was ihr eigenes Leben betrifft, kann sie nur von Glück reden. Sie ist neun Jahre alt, als sie beginnt, die Sportklamotten ihrer Klassenkameradinnen toll zu finden. Von da an wird ihr die weibliche Identität immer bewusster. Als sie sich outet, ist sie volljährig. Die Eltern und die Clique reagieren verständnisvoll, erzählt Krieger. Sie stößt nicht auf Ablehnung, geht stattdessen mit ihren Freunden das erste Kleid kaufen. "Ich fand das ungewohnt. Aber irgendwie schön."

In Deutschland leben zwischen 60.000 und 100.000 Transsexuelle, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Vielen gehe es schlecht: Nach dem Coming-out rutschen die Noten ab, oder sie werden unterdurchschnittlich entlohnt, gibt die Antidiskriminierungsstelle an. Systematisch erhobene Daten existieren nicht - internationale Studien belegen aber, dass Transsexuelle häufig benachteiligt werden. Bei der ADS sind seit 2006 269 Fälle gemeldet worden, in denen Transsexuelle Hilfe suchten. In 82 Fällen ging es um Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Die Dunkelziffer sei aber hoch, auch weil Transsexuelle als krank stigmatisiert werden. Transsexualität gelte "noch immer als psychische Störung", sagt ADS-Leiterin Lüders.

Andrea Krieger fühlte sich nie gestört. Doch ihr weibliches Ich kämpft unaufhörlich um Gehör: während des Zivildienstes, der Ausbildung zur Fachinformatikerin, dem Studienstart im IT-Engineering. Ein halbes Jahr nach Vorlesungsbeginn, mit 26, erscheint Krieger als Frau in der Fachhochschule FOM in Neuss. "Ich hatte zunächst das Gefühl, dass ich mich erklären muss." Doch niemand fragt nach - weder die Professoren noch die Kommilitonen. Sie wird akzeptiert. Bei der Abschlussfeier der Hochschule bekommen alle Absolventen eine Krawatte oder ein Halstuch geschenkt, je nach Geschlecht. Krieger bekommt damals beides angeboten, ein Zeichen "unfassbarer Sensibilität", freut sie sich noch heute.

Bei der Entscheidung, auch öffentlich als Frau aufzutreten, hat Krieger nicht immer die Wahl. Im Studium und danach arbeitet sie in der EDV-Abteilung der Verbraucherzentrale. Der Druck, auch dort erkennbar Frau sein zu wollen, wird unerträglich. 2007 beginnt sie eine Psychotherapie. "Sich dort zu outen, wo man sein Geld verdient, das ist noch mal eine ganz andere Schwelle."

Viele Personaler wüssten nichts über Transsexualität. "Informationen über den Umgang mit Geschlechtervielfalt sollten jedoch in den Leitbildern der Unternehmen verankert werden", sagt ADS-Leiterin Lüders. Als Krieger sich ihrem Vorgesetzten in der Verbraucherzentrale offenbaren will, ist sie mit ihrem Anliegen die Erste in der Geschichte der Institution. "Ich war unglaublich aufgeregt", sagt sie.

Außerhalb der Arbeit kleidet sie sich immer weiblich - und so besteht immer das Risiko, ihre Kollegen in der Freizeit zu treffen. "Ich fühlte mich, als würde ich die Leute täuschen." Als sie im Chefzimmer sitzt und sagt, was gesagt werden muss, da reagiert der Chef überrascht - aber sachlich. Er sagt: "Ich werde absprechen, wie wir vorgehen können."

2009 fällt der erlösende Satz: "Wir informieren die Mitarbeiter"

Es beginnt ein einjähriger Prozess des Wartens. Krieger fragt sich: Wird es Nachteile geben, wird es gar eine Tortur, wie für viele andere Transsexuelle im Beruf? Die ADS - und auch Krieger selbst - berichten von Fällen, in denen offen Transsexuelle im Unternehmen gemobbt oder schikaniert und mitunter sogar gekündigt wurden.

Kriegers Anliegen geht in der Verbraucherzentrale durch alle Instanzen. Im Februar 2009 kommt die Vorstandssekretärin ins Büro und sagt den alles verändernden Satz: "Wir informieren jetzt die Mitarbeiter." Krieger kann von nun an als Frau zur Arbeit kommen.

Die Worte, mit denen sie die Gefühle von diesem Tag beschreibt: Aufregung, Erleichterung, Freude auf das, was kommt. Und was kommt? Nach einer Rundmail an die Mitarbeiter, in der sich die Chefetage klar zu Krieger bekennt, ist plötzlich alles raus. Andrea Krieger bekommt Briefe mit Glückwünschen. In manchen Besprechungen sagen Kollegen noch "er" statt "sie" - anschließend entschuldigen sie sich bei Krieger. Anfeindungen habe sie in der Arbeit nicht einmal erlebt.
Andrea Krieger lässt ihren Namen auch offiziell ändern, die Personalakte wird umgeschrieben. Bald darauf beginnt sie mit der Einnahme gegengeschlechtlicher Hormone, unterzieht sich zuletzt einer geschlechtsangleichenden Operation.

Inzwischen lebt sie mit ihrer Freundin und deren beiden Kindern zusammen, hat in den zwölf Jahren ihres Jobs viele Kollegen kommen und gehen sehen. Manche bewunderten ihren Mut, sagt Krieger. Doch sie sieht das so: "Das war kein Mut. Ich habe nicht anders gekonnt. Ich habe einfach meinem inneren Druck nachgegeben."


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