Mittwoch, 13. Mai 2015

Über das Pathologisieren von Transsexuellen

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015

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Über das Pathologisieren von Transsexuellen

Laut WHO gilt Transgender und Transsexualität als "Persönlichkeits- und Verhaltensstörung" - Ist mit einer Rehabilitation zu rechnen?
Andrea S. machte Transsexualität und Transgender in Österreich zu einem vieldiskutierten Thema. Die 58-jährige Lehrerin, die im Frühsommer 2010 als Mann in die Ferien ging und als Frau aus diesen zurückkehrte, ist kein Einzelfall. Einer Studie über die "Lage von Transpersonen am österreichischen Arbeitsmarkt" zufolge, leben 46 Prozent der insgesamt 5000 Betroffenen Österreicherinnen nicht in ihrem gewählten Geschlecht. Sozialer Stress und Angst vor den Familien oder Arbeitskolleginnen erzeugen einen hohen Leidensdruck. Sind Trans-Personen per se krank oder ist es die rigide gesellschaftliche Wertvorstellung, die sie krank macht? Und: Wer hat die Macht zu definieren, was als krank gilt?

Zieht man die weltweit wichtigste Krankheitsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heran, sind Transsexuelle- und Transgender-Personen krank. Die Pathologisierung dieser Menschen findet im ICD (International Classification of Desease) unter "Persönlichkeits- und Verhaltensstörung" ihren Ausdruck. Darin werden von der WHO unterschiedliche Symptombilder, die für die psychiatrische Diagnose herangezogen werden, festgehalten: Transsexualismus, Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen, Störung der Geschlechtsidentität im Kindesalters, sonstige Störungen der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnete Störung der Geschlechtsidentität und fetischistischer Transvestitismus. Bis zum Jahr 1990 wurde etwa auch Homosexualität auf der ICD-Liste "psychischer Krankheiten" geführt. Eine weitere Klassifikation stellt die DMS (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) dar. In der Version IV hat das Komitee das unscharfe Symptombild "Transsexualität" fallen gelassen, stattdessen wird von einer "Gender Identity Disorder" (Störung der Geschlechtsidentität) gesprochen.

"Die Pathologisierung drückt aus, dass es einen Leidensdruck gibt, wenn man seine Identität geschlechtlich nicht leben kann oder einen Teil seiner Persönlichkeit anders ausdrücken möchte", so Eva Fels, Obfrau des Wiener Vereins TransX. Ausgangspunkt beider Klassifikationen ist eine dualistische Ordnung der Geschlechter in männlich und weiblich. Weder die eine noch die andere Institution stellt jedoch den Kern dieser zweigeschlechtlichen Ordnung dar. Dennoch definiert die WHO, was als krank gilt und was nicht. Die an die WHO gerichtete Frage, ob sie bei der Erstellung der Klassifikation auf gesellschaftliche Gegebenheiten - wie Ächtung oder Geringschätzung - reagiert oder nicht, blieb unbeantwortet.

Fließende Geschlechtergrenzen

Die Kritik an der Pathologisierung von Trans-Personen wurde vor allem aus dem asiatischen und amerikanischen Raum vorangetrieben und schwappte von dort nach Europa. Der Grund des Engagements in diesen Erdteilen liegt darin, dass betroffene Personen keine Krankenkassenleistungen - wie etwa in Österreich - beanspruchen können. Allein die Tatsache, dass Trans-Personen im ICD stehen, führe zu einer Diskriminierung, Unwürdigkeit und einer Abwertung, so die Argumentation in Asien, Süd- und Nordamerika. Eva Fels sieht diese Argumentation ambivalent: "Es ist natürlich eine Qual, wenn man seine Identität nicht ausdrücken kann", viel wichtiger ist der Obfrau jedoch, die Schaffung rechtlicher Möglichkeiten - also die Anerkennung des Personenstandes und des Namens ohne dabei auf Schikanen zu stoßen.

Dem Selbstverständnis des Vereins TransX zufolge sind Geschlechtergrenzen fließend. Der Fortführung der zweigeschlechtlichen Normierung im ICD steht Fels pragmatisch gegenüber. "Dass Transvestitismus als Krankheit gilt, hält wohl jeder für absurd. Auf der anderen Seite können Transsexuelle aber Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen, eben auch bei genitalanpassenden Operationen." Vor allem bei der Einnahme von Hormonpräparaten ist es wichtig, dass große Sorgfalt herrscht und die Betroffenen sich nicht über Schwarzmarkt-Präparate vergiften. Aber "das könnte man auch ohne der Klassifikation gewährleisten, wenn es den Willen dafür gäbe", gibt Fels zu bedenken. Die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek, Co-Vorsitzende der LGBT-Intergroup im EU-Parlament, unterstreicht gegenüber dieStandard.at den Ansatz von Fels: "Transmenschen müssen das Recht auf Gesundheitsvorsorge, sowie das Recht auf Kostenersatz für medizinische Betreuung haben".

Jüngste Fortschritte

Rechtlich hat sich für Transpersonen in den vergangenen Jahren einiges bewegt: Seit 2009 etwa können sie nach einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs auch ohne genitale Operation vor den Behörden das Geschlecht wechseln. Neben dem Fall des Operationszwangs, haben sich auf internationaler Ebene auch die Behandlungsrichtlinien verbessert: Die Minimalanforderungen auf psychiatrischer Betreuungsebene drehen sich nun primär um die Abschätzung der Konsequenzen. "Wenn die Betroffenen eine Neo-Vagina bekommen, muss ihnen klar sein, dass sie trocken bleibt. Das ist eine Konsequenz der man sich bewusst werden muss, und hier setzt die Behandlungsrichtlinie jetzt an", erklärt Eva Fels.

Dass das Innenministerium nach wie vor psychiatrische Gutachten für eine Personenstandsänderung fordert, stellt für die Betroffenen derzeit das größte Problem dar. "Es wird gefordert, dass sich die jeweilige Person als krank deklariert", brüskiert sich die Obfrau von TransX. "Für die Sachlage ist das vollkommen absurd. Der Staat hat das gelebte Geschlecht anzuerkennen. Die Psychiaterinnen können lediglich sagen, dass die Person die Konsequenzen ihrer Entscheidung bemessen kann und in Abwägung aller Informationen entschieden hat. Jedoch kann ein/e Gutachterin nicht sagen, dass eine Person ihr Leben lang im gewählten Geschlecht bleiben wird. Das ist ja keine psychiatrische Diagnose. Letztlich ist das eine große Verarschung".

Entpathologisierung von Trans-/Personen
Im Europäischen Parlament wurde im September 2011 durch eine Kooperation mehrerer Fraktionen mit der LGBT-Intergroup eine Entschließung verabschiedet, in der die EU-Abgeordneten die UNO aufforderten, der Pathologisierung von Trans-Personen ein Ende zu setzen. Bei der Überarbeitung des ICD-10, die seit 2007 stattfindet, ist auch die EU-Kommission direkt einbezogen. Lunacek geht daher davon aus, "dass die WHO die EU-Kommission anhört und deren Input berücksichtigt", zumal die EU-Parlamentarierinnen von Catherine Ashton Rückendeckung erhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Transsexualität und Transgender überhaupt aus dem ICD rausfallen, sehen sowohl Fels als auch Lunacek sehr klein. Primär geht es um "eine Reklassifizierung, sodass Transsexualität nicht mehr unter 'mental disorders' gereiht wird, sondern in einem anderen, nicht pathologisierenden Kapitel des ICD" verortet wird, wünscht sich die EU-Abgeordnete.

Lunaceks Optimismus wird von Fels nicht geteilt. Sie erwartet zwar, dass die WHO-Klassifikation maßgeblich von der Entwicklung des US-amerikanischen DMS abhängen wird, indem "der pathologische Charakter in der Definition vermutlich abgeschwächt, aber eben nicht beseitigt wird". Eine Entpathologisierung durch die WHO erwartet sie also nicht, obwohl Fels "ganz genau weiß, dass Transsexuelle per se nicht krank sind. Krank werden sie durch den sozialen Druck. Ob Transsexualität und Transgender nun an den ICD gekoppelt sind oder nicht, der Leidensdruck ist enorm", meint Fels. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at 30.10.2011)

International Classification of Disease (ICD) der Weltgesundheitsorganisation

Auch in Österreich greift man, wie in den meisten europäischen Ländern, auf die international anerkannte Krankheitsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Diese International Classification of Diseases (ICD) wird in unregelmäßigen Abständen überarbeitet. Derzeit gilt die Version 10 aus dem Jahr 1991. Im ICD-10 werden Abweichungen der zweigeschlechtlichen Ordnung als eine "Persönlichkeits- und Verhaltensstörung" (Abschnitt F6) klassifiziert. Unter "F46, Störung der Geschlechtsidentität" werden fünf Symptombilder unterschieden. Deutlich getrennt davon wird "fetischistischer Transvestitismus" im Abschnitt F65 als "Störung der Sexualpräferenz" zwischen Fetischismus und Exhibitionismus klassifiziert.



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