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Über das Pathologisieren von
Transsexuellen
Laut WHO gilt Transgender und Transsexualität als
"Persönlichkeits- und Verhaltensstörung" - Ist mit einer
Rehabilitation zu rechnen?
Andrea S. machte Transsexualität und Transgender in
Österreich zu einem vieldiskutierten Thema. Die 58-jährige Lehrerin, die im
Frühsommer 2010 als Mann in die Ferien ging und als Frau aus diesen zurückkehrte,
ist kein Einzelfall. Einer Studie über die "Lage von Transpersonen am
österreichischen Arbeitsmarkt" zufolge, leben 46 Prozent der insgesamt
5000 Betroffenen Österreicherinnen nicht in ihrem gewählten Geschlecht.
Sozialer Stress und Angst vor den Familien oder Arbeitskolleginnen erzeugen
einen hohen Leidensdruck. Sind Trans-Personen per se krank oder ist es die
rigide gesellschaftliche Wertvorstellung, die sie krank macht? Und: Wer hat die
Macht zu definieren, was als krank gilt?
Zieht man die weltweit wichtigste Krankheitsklassifikation
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heran, sind Transsexuelle- und
Transgender-Personen krank. Die Pathologisierung dieser Menschen findet im ICD
(International Classification of Desease) unter "Persönlichkeits- und
Verhaltensstörung" ihren Ausdruck. Darin werden von der WHO
unterschiedliche Symptombilder, die für die psychiatrische Diagnose
herangezogen werden, festgehalten: Transsexualismus, Transvestitismus unter
Beibehaltung beider Geschlechtsrollen, Störung der Geschlechtsidentität im
Kindesalters, sonstige Störungen der Geschlechtsidentität, nicht näher
bezeichnete Störung der Geschlechtsidentität und fetischistischer
Transvestitismus. Bis zum Jahr 1990 wurde etwa auch Homosexualität auf der
ICD-Liste "psychischer Krankheiten" geführt. Eine weitere
Klassifikation stellt die DMS (Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) dar. In der
Version IV hat das Komitee das unscharfe Symptombild "Transsexualität"
fallen gelassen, stattdessen wird von einer "Gender Identity
Disorder" (Störung der Geschlechtsidentität) gesprochen.
"Die Pathologisierung drückt aus, dass es einen
Leidensdruck gibt, wenn man seine Identität geschlechtlich nicht leben kann
oder einen Teil seiner Persönlichkeit anders ausdrücken möchte", so Eva
Fels, Obfrau des Wiener Vereins TransX. Ausgangspunkt beider Klassifikationen
ist eine dualistische Ordnung der Geschlechter in männlich und weiblich. Weder
die eine noch die andere Institution stellt jedoch den Kern dieser
zweigeschlechtlichen Ordnung dar. Dennoch definiert die WHO, was als krank gilt
und was nicht. Die an die WHO gerichtete Frage, ob sie bei der Erstellung der
Klassifikation auf gesellschaftliche Gegebenheiten - wie Ächtung oder
Geringschätzung - reagiert oder nicht, blieb unbeantwortet.
Fließende
Geschlechtergrenzen
Die Kritik an der Pathologisierung von Trans-Personen wurde
vor allem aus dem asiatischen und amerikanischen Raum vorangetrieben und
schwappte von dort nach Europa. Der Grund des Engagements in diesen Erdteilen
liegt darin, dass betroffene Personen keine Krankenkassenleistungen - wie etwa
in Österreich - beanspruchen können. Allein die Tatsache, dass Trans-Personen
im ICD stehen, führe zu einer Diskriminierung, Unwürdigkeit und einer
Abwertung, so die Argumentation in Asien, Süd- und Nordamerika. Eva Fels sieht
diese Argumentation ambivalent: "Es ist natürlich eine Qual, wenn man
seine Identität nicht ausdrücken kann", viel wichtiger ist der Obfrau
jedoch, die Schaffung rechtlicher Möglichkeiten - also die Anerkennung des
Personenstandes und des Namens ohne dabei auf Schikanen zu stoßen.
Dem Selbstverständnis des Vereins TransX zufolge sind
Geschlechtergrenzen fließend. Der Fortführung der zweigeschlechtlichen
Normierung im ICD steht Fels pragmatisch gegenüber. "Dass Transvestitismus
als Krankheit gilt, hält wohl jeder für absurd. Auf der anderen Seite können
Transsexuelle aber Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen, eben auch bei
genitalanpassenden Operationen." Vor allem bei der Einnahme von Hormonpräparaten
ist es wichtig, dass große Sorgfalt herrscht und die Betroffenen sich nicht
über Schwarzmarkt-Präparate vergiften. Aber "das könnte man auch ohne der
Klassifikation gewährleisten, wenn es den Willen dafür gäbe", gibt Fels zu
bedenken. Die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek, Co-Vorsitzende der LGBT-Intergroup
im EU-Parlament, unterstreicht gegenüber dieStandard.at den Ansatz von Fels:
"Transmenschen müssen das Recht auf Gesundheitsvorsorge, sowie das Recht
auf Kostenersatz für medizinische Betreuung haben".
Jüngste Fortschritte
Rechtlich hat sich für Transpersonen in den vergangenen
Jahren einiges bewegt: Seit 2009 etwa können sie nach einem Entscheid des
Verfassungsgerichtshofs auch ohne genitale Operation vor den Behörden das
Geschlecht wechseln. Neben dem Fall des Operationszwangs, haben sich auf
internationaler Ebene auch die Behandlungsrichtlinien verbessert: Die Minimalanforderungen
auf psychiatrischer Betreuungsebene drehen sich nun primär um die Abschätzung
der Konsequenzen. "Wenn die Betroffenen eine Neo-Vagina bekommen, muss
ihnen klar sein, dass sie trocken bleibt. Das ist eine Konsequenz der man sich
bewusst werden muss, und hier setzt die Behandlungsrichtlinie jetzt an",
erklärt Eva Fels.
Dass das Innenministerium nach wie vor psychiatrische
Gutachten für eine Personenstandsänderung fordert, stellt für die Betroffenen
derzeit das größte Problem dar. "Es wird gefordert, dass sich die
jeweilige Person als krank deklariert", brüskiert sich die Obfrau von
TransX. "Für die Sachlage ist das vollkommen absurd. Der Staat hat das
gelebte Geschlecht anzuerkennen. Die Psychiaterinnen können lediglich sagen,
dass die Person die Konsequenzen ihrer Entscheidung bemessen kann und in
Abwägung aller Informationen entschieden hat. Jedoch kann ein/e Gutachterin
nicht sagen, dass eine Person ihr Leben lang im gewählten Geschlecht bleiben
wird. Das ist ja keine psychiatrische Diagnose. Letztlich ist das eine große
Verarschung".
Entpathologisierung
von Trans-/Personen
Im Europäischen Parlament wurde im September 2011 durch eine
Kooperation mehrerer Fraktionen mit der LGBT-Intergroup eine Entschließung
verabschiedet, in der die EU-Abgeordneten die UNO aufforderten, der
Pathologisierung von Trans-Personen ein Ende zu setzen. Bei der Überarbeitung
des ICD-10, die seit 2007 stattfindet, ist auch die EU-Kommission direkt
einbezogen. Lunacek geht daher davon aus, "dass die WHO die EU-Kommission
anhört und deren Input berücksichtigt", zumal die EU-Parlamentarierinnen
von Catherine Ashton Rückendeckung erhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass
Transsexualität und Transgender überhaupt aus dem ICD rausfallen, sehen sowohl
Fels als auch Lunacek sehr klein. Primär geht es um "eine
Reklassifizierung, sodass Transsexualität nicht mehr unter 'mental disorders'
gereiht wird, sondern in einem anderen, nicht pathologisierenden Kapitel des
ICD" verortet wird, wünscht sich die EU-Abgeordnete.
Lunaceks Optimismus wird von Fels nicht geteilt. Sie
erwartet zwar, dass die WHO-Klassifikation maßgeblich von der Entwicklung des
US-amerikanischen DMS abhängen wird, indem "der pathologische Charakter in
der Definition vermutlich abgeschwächt, aber eben nicht beseitigt wird".
Eine Entpathologisierung durch die WHO erwartet sie also nicht, obwohl Fels
"ganz genau weiß, dass Transsexuelle per se nicht krank sind. Krank werden
sie durch den sozialen Druck. Ob Transsexualität und Transgender nun an den ICD
gekoppelt sind oder nicht, der Leidensdruck ist enorm", meint Fels.
(Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at 30.10.2011)
International
Classification of Disease (ICD) der Weltgesundheitsorganisation
Auch in Österreich greift man, wie in den meisten
europäischen Ländern, auf die international anerkannte Krankheitsklassifikation
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Diese International
Classification of Diseases (ICD) wird in unregelmäßigen Abständen überarbeitet.
Derzeit gilt die Version 10 aus dem Jahr 1991. Im ICD-10 werden Abweichungen
der zweigeschlechtlichen Ordnung als eine "Persönlichkeits- und
Verhaltensstörung" (Abschnitt F6) klassifiziert. Unter "F46, Störung
der Geschlechtsidentität" werden fünf Symptombilder unterschieden.
Deutlich getrennt davon wird "fetischistischer Transvestitismus" im
Abschnitt F65 als "Störung der Sexualpräferenz" zwischen Fetischismus
und Exhibitionismus klassifiziert.
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