Freitag, 7. August 2015

WIE DER IRAN MIT SEINEN TRANSSEXUELLEN UMGEHT // Nun müssen die Menschenrechte möglichst rasch wieder auf den Tisch // HOW IRAN WITH HIS transsexuals WORKAROUNDS // Now human rights must as quickly as possible back to the table


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Iran: Für schwule Männer die Hölle auf Erden
Die Freude Barack Obamas und des iranischen Präsidenten über das Atomabkommen ist groß. Die Hoffnung auf eine Stabilisierung der Region und neue Handelschancen darf aber die katastrophale Situation für Frauen, Christen und besonders Schwule im Iran nicht unter den Tisch kehren.

Als großen Fortschritt feiert die Welt das Atomabkommen mit dem Iran. Und vermutlich ist dadurch die Welt nicht nur etwas friedlicher geworden. Durch die Aufhebung der Sanktionen verspricht man sich auch enorme wirtschaftliche Zuwächse nicht nur für den Iran, sondern auch für alle Firmen, die in Europa und den USA schon seit Monaten in den Startlöchern stehen und darauf warten, dass der Startschuss für erfolgversprechende Deals mit dem besonders an Bodenschätzen reichen Land (v.a. Gas) fällt.
Kritik an dem Abkommen kommt aber nicht nur aus Israel, das sich nicht zu Unrecht vor einem überstarken, vom Anti-Israelismus getriebenen Nachbarn fürchtet. Sie kommt vor allem auch von Menschenrechtsaktivisten. Für sie gilt die Devise: Jedes Abkommen, das man mit dem Iran schließt, darf die Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, religiöse Minderheiten und Schwule nicht ausklammern.

Getreten, bespuckt, angeschrien

Die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte" (IGfM) hat dazu vor kurzem einen bestürzenden aktuellen Bericht veröffentlicht. Er stammt von einem ehemaligen iranischen Häftling, der wegen seines christlichen Glaubens in einem der großen Gefängnisse des Landes inhaftiert war.

Das „Schrecklichste", was er je gesehen habe, sei der Umgang der iranischen Gefängniswärter mit den schwulen Gefangenen: „Sie waren angekettet wie Tiere, an Händen und Füßen. Einige von ihnen über Jahre in Einzelhaft. Ich selbst war auch in Einzelhaft, aber nie mehr als etwa einen Monat am Stück. Unvorstellbar, und dann so angekettet!" Bei diesen Torturen bleibt es aber nicht: „Die Wachen haben sie getreten, schlimmer als Tiere. Sie haben sie bespuckt, beschimpft, angeschrien. Sie haben sie auf die Toilette geschleift, wie Tiere - mit einer Hundeleine. Das war schockierend."

Eigentlich sollte man denken, dass diese mit dem Gefängnis bestraften Schwulen das kleinere Übel getroffen hat. Denn eigentlich droht Männern, die einvernehmlichen Sex mit anderen Männern haben, nach dem islamischen Strafrecht, das im Iran gilt, die Todesstrafe. Die IGfM berichtet weiter: „Homosexuelle werden drangsaliert, willkürlich verhaftet und misshandelt. Vermutlich wurden im Iran bereits mehrere tausend Menschen allein wegen ihrer Homosexualität getötet."

Der mit Angst verbundene Hass auf Homosexuelle ist im Iran so groß, dass selbst Journalisten, die zum Beispiel einen Schwulen interviewen, mit drakonischen Strafen zu rechnen haben. Der Journalist Siamak Ghaaderi hatte dies 2007 gewagt und wurde daraufhin wegen „Propaganda gegen das (islamische) Regime" und „Provokation" zu 60 Peitschenhieben und vier Jahren Haft verurteilt.

Geschlechtsumwandlung oder Todesstrafe

Schwule und lesbische Jugendliche, die im Iran aufwachsen, haben häufig den staatlich und gesellschaftlich verordneten Homo-Hass so weit internalisiert, dass sie sich selbst für abnormal und krank halten. Aus Angst entdeckt zu werden, ziehen sie sich zurück, verfallen in Depressionen und Selbstmordgedanken. Häufig sehen sie den einzigen Ausweg für ihre „Abnormalität" in der vom Staat als „Heilung" angebotenen Geschlechtsumwandlung.

Wenn ihre Homosexualität entdeckt wird, haben sie sogar häufig nur die Wahl zwischen einer Geschlechtsumwandlung oder der Todesstrafe. Der vermeintliche Ausweg wird aber für viele zu einer erneuten Qual. Ein Journalist berichtet: „Es ist furchtbar. Ich habe in all den Jahren keinen einzigen Transsexuellen getroffen, der glücklich mit der Operation war, glücklich mit der neuen Situation, glücklich mit dem neuen Körper." Häufig endet dann auch dieser „Weg" in der Ausweglosigkeit der Selbsttötung.

Nun müssen die Menschenrechte möglichst rasch wieder auf den Tisch

So genau wollten das diejenigen, die das Atomabkommen mit dem Iran aushandelten, nicht wissen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Fragen nun - wenn es über die wirtschaftlichen Kontakte zu einer Annäherung des Iran an den Westen kommt - erneut auf den Tisch kommen und möglichst rasch eine Verbesserung der Menschenrechtssituation eintritt. Nicht nur für Homosexuelle, sondern auch für Frauen und Christen, die ebenfalls unter der vom fundamentalistischen Islam bestimmten Gesetzgebung dieses Landes leiden.


Besser als jede natürliche Frau

Homosexualität und Islam, Transsexualität und Islam: "Be Like Others" (Forum) spürt widersprüchlichen Koran-Auslegungen nach, "A Jihad for Love" (Panorama) verfolgt die Lebensgeschichten junger Iraner bis in den Operationssaal, wo sie - legal - ihr Geschlecht umwandeln lassen

Es geht um Liebe, Leidenschaft und ein Leben in Einklang mit Gott: In "A Jihad for Love" dokumentiert der indische Regisseur Parvez Sharma verschiedene Schicksale zwischen Homosexualität und Islam. Im Zentrum stehen gläubige Schwule und Lesben in Südafrika, Pakistan, Türkei, Bangladesh, Indien, Ägypten, Frankreich und Iran. Allen Interviewpartnern und dem Regisseur gemein ist der Wunsch nach einer Vereinbarung ihres Glaubens mit der homophoben Welt des Islams. Sharma möchte als gläubiger Muslim mit seinem Film sogar einen religiösen Siegeszug ("Dschihad") führen.

Dabei spürt er widersprüchlichen Koranauslegungen nach und konfrontiert sie mit bestehenden "Traditionen". Hilflos wird versucht, mit religiösen Oberhäuptern darüber zu debattieren, dass lediglich eine schwule Vergewaltigung im Koran als Sünde beschrieben wird, nicht aber die gleichgeschlechtliche Liebe. So entsteht eine Art bunter Reisebericht in Fernsehformat durch unterschiedliche Territorien und Auffassungen: vom schwulen Imam Muhsin Hendricks, der von seiner wohlhabenden Gemeinde in Südafrika anerkannt wird, bis zum lesbischen Pärchen mittleren Alters aus Istanbul, das im sufistischen Glauben seine Erfüllung sucht. Die Todesstrafe durch Steinigen kommt lediglich als Witz beim verheirateten Imam Muhsin Hendricks, Vater dreier Töchter, vor. Als er sie fragt, ob sie ihn steinigen würden, scherzen die Mädchen: "Unbedingt!"

Während "A Jihad for Love" zwar auch eine Gruppe schwuler Iraner in ihrem türkischen Exil begleitet, die auf ihre Ausreise nach Kanada warten und der Todesstrafe im Iran bereits entkommen sind, zeigt "Be Like Others" der Regisseurin Tanaz Eshaghian junge Männer aus zum Teil kleinen iranischen Dörfern, die keinerlei Verbindung zum Westen haben.

Schönheitsoperationen sind im Iran ungewöhnlich beliebt. Um Teil der Gesellschaft zu werden, lassen sie sich vom Staatsapparat als Transsexuelle diagnostizieren und einer Geschlechtsumwandlung unterziehen.

Ajatollah Chomeini hat vor 20 Jahren eine Fatwa verhängt, um Transsexuellen zu helfen. Iran ist damit das einzige Land der Welt, das Menschen nach einer Geschlechtsumwandlung in der Geburtsurkunde das Geschlecht umändert. Auf einer Konferenz zu "Sex Reassignment & Surgery" erfahren wir im Film sogar, dass im Koran die Veränderung göttlicher Ordnung keine Sünde ist: "Wir machen es täglich: Wir wandeln Weizen zu Mehl und backen Brot, der Baum wird gefällt, zu Holz und Stuhl oder Tisch verarbeitet …" Dr. Bahram Mir-Dschalali vom Mirdamad Surgical Center Teheran behauptet sogar, dass seine "Mädchen" die idealen Frauen werden, besser als jede natürliche Frau.

Eshaghian dokumentiert individuelle Geschichten einiger dieser jungen Männer in intensiven Gesprächen und behutsamen Einblicken, sogar bis in den OP-Raum. Es gelingt ihr, die Komplexität der inneren, sozialen, gesellschaftlichen und religiösen Konflikte offen darzulegen, ohne ihre Protagonisten vorzuführen. Die Probleme sind dabei endlos: Die Männer müssen lernen, alle Freiheiten, die sie vorher kannten, abzulegen.

Sie müssen die Zeit zwischen offizieller Zulassung und vollzogener Operation legal überstehen, was heißt: sich nicht aufreizend oder transig schminken, sich möglichst unauffällig verhalten.

Dabei gehen Strategien der Reintegration auch homophobe Wege, da sie das System der Kriminalisierung von Homosexuellen und sogar Crossdressern unterstützen. Unverklärt kann man bei Eshagian die Macht des Gottesstaats selbst in der schützenden Atmosphäre von Klinik, Familie, Küche spüren - eine Macht gegenüber Individuen, die nicht gezwungen werden wollen, Mann oder Frau zu sein. Andere lassen sich operieren, um Menschenrechte zu erlangen, und müssen am Ende feststellen: "I wouldn't touch God's work, Life is in God's hands."


WIE DER IRAN MIT SEINEN TRANSSEXUELLEN UMGEHT

Sie weiß nicht mehr, wie oft sie versucht hat, sich umzubringen. Nur das erste Mal hat sie noch klar vor Augen. Taraneh (Name geändert, d. Red.) war 15, und das Leben in dem kleinen Dorf am Kaspischen Meer im Norden Irans war nicht mehr zu ertragen. Kinder, die mit Steinen auf sie warfen, ein Mann, der versuchte, sie ins Autos zu zerren und zu vergewaltigen; alles wegen ein bisschen Make-up im Gesicht, damals, als sie noch ein Junge war. Sie trug einen Hocker ins Bad, stellte ihn vor den Medikamentenschrank der Eltern, suchte und fand einen Streifen Tabletten. Der Name sagte ihr nichts, aber er war lang, klang chemisch und gefährlich. Sie nahm alle. Sie lacht heute, in Irans Hauptstadt Teheran, 23 Jahre später – kein fröhliches Lachen, ein resigniertes Lachen. "Es waren Abführtabletten."

Sie sitzt heute im Wartezimmer der kleinen Klinik des Arztes Bahram Mir-Djalali im zweiten Stock eines zwischen Bürohäuser gequetschten, kleinen Hauses. Vor der Tür dröhnt der Verkehr auf dem Mirdamad Boulevard in das Zentrum Teherans, die am Fuß der schneebedeckten Berge unter einer Smogglocke liegt. Taraneh trägt ein schwarzes Kopftuch, schwarze Hosen und einen schwarzen, weiten Rock darüber. Unauffälligkeit im Alltag ist das einzige Schutzschild, das sie hat. Eine Patientin ist sie nicht – zumindest nicht heute. Heute begleitet sie einen jungen Mann, der sich von Mir-Djalali behandeln lassen wird – so, wie Taraneh es selbst vor zehn Jahren gemacht hatte. Der Eingriff soll aus Shirin (Name geändert, d. Red.), die ihren Jungennamen nicht nennen will, eine Frau machen. Mir-Djalali ist der bekannteste iranische Chirurg für Geschlechtsumwandlungen.

Shirin kommt aus demselben Dorf wie Taraneh. Die beiden kennen sich, seit sie Kinder sind. Noch immer lebt Shirin dort bei ihren Eltern. Seit fünf Jahren möchte sie sich operieren lassen, endlich eine Frau werden, aus dem Körper entkommen, der für sie nur Qual bedeutet. Der Weg dahin im Iran ist schwierig, obwohl es zunächst nicht so scheint: Ayatollah Ruhollah Chomeini hatte bereits 1963 eine Fatwa dazu veröffentlicht. Die besagte, dass die sexuelle Identität eines jeden auf der Wahrnehmung von sich selbst beruhe. 

Geschlechtsumwandlungen sind im Iran legal; die Regierung unterstützt sogar Männer und Frauen, die sich operieren lassen wollen, finanziell mit der Übernahme von bis zur Hälfte der Kosten. Doch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Transsexuellen ist es nicht weit her.

Im Iran werden nach Thailand die meisten Geschlechtsumwandlungen weltweit durchgeführt. Aber das Leben der Transsexuellen ist oft ein niemals endender Spießrutenlauf, der nicht selten in Drogensucht, Prostitution und Selbstmord endet. Ein Drittel seiner Patienten, so schätzt Mir-Djalali, wählt früher oder später den Suizid.

Für Shirin soll die Operation das Ende ihrer Leiden und der Anfang eines neuen Lebens sein. So stellt sie sich das vor. So lange sie zurückdenken kann, fühlt sie sich als Frau. Schon als kleiner Junge holte sie lieber die bunten Kleider der Schwester aus der kleinen Box am Fußende des Bettes als ihre eigenen. Als sie sechs wurde, fingen die Eltern an, es ihr zu verbieten. Abweichungen von der Norm, auf dem Land: unmöglich.
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Denn auch wenn der Iran eine Gesellschaft ist, die in zwei Welten lebt – einer öffentlichen, von den Vorstellungen der Theologen und Revolutionsgardisten geprägten zum einen und einer verborgenen, viel liberaleren und in ihrer Intellektualität und Kultur vielen Nachbarländern weit überlegenen Welt zum anderen; eine Gesellschaft, die hin und her pendelt zwischen Globalität, Moderne und Tradition, in der sich Frauen die Hermes-Kopftücher so weit nach hinten schieben, dass sie gerade noch halten und die Sittenpolizei dafür sorgt, dass sie nicht fallen. Eine Welt, in der es strikte Regeln und Verbote gibt, aber auch immer Wege, sie zu umgehen: In wenigen Ländern ist die Kluft zwischen öffentlichem und privatem Leben so groß. Aber Geschlechtliches, Transsexualität und Homosexualität sind Tabus, selbst in gebildeten Familien.

Der Umgang mit Sexualität zeigt, wie der Iran zwischen diesen Welten oszilliert. Händchenhalten in der Öffentlichkeit ist verboten, das Austauschen von Zärtlichkeit selbstverständlich auch. Hinter verschlossenen Türen allerdings werden ausschweifende Sexpartys gefeiert. Der schiitische Glaube und somit auch der Iran erlauben Zeitehen, genannt Sigeh. Man kann sich für Stunden oder Tage verheiraten; Sex ist in dieser Zeit erlaubt. Ziyarat wa Ziyahat – pilgern und sich vergnügen gehören zusammen, sagt ein persisches Sprichwort.
Dass der Iran nach Thailand die höchste Geschlechtsumwandlungsrate hat, ist teils auch dieser Widersprüchlichkeit geschuldet. Doch mag sie auf den ersten Blick wie Toleranz wirken, so ist sie auf den zweiten auch ein Mittel, die Homosexuellen von der Straße zu bekommen, fern der Blicke der Gesellschaft. Während man Transsexualität schlicht als etwas durch eine Operation Heilbares betrachtet, als ein zu behebendes Übel, gilt Homosexualität als ebenso verwerflich, aber eben nicht zu "beheben". Schwul sein – im Iran ein Übel, das verfolgt wird. So diskriminiert der Staat Homosexuelle, lässt aber seine Wohlfahrtsorganisation ein Viertel bis zuweilen die Hälfte der Operationskosten von 4000 bis 8000 Euro bei Geschlechtsumwandlungen zahlen.

Über solche Operationen steht im Koran nichts; insofern sind sie auch nicht verboten, erklärt der Kleriker Karaminia, die wichtigste Autorität im Lande für Fragen zur Geschlechtsumwandlung, in Qom. Man kann Getreide nehmen und es in Brot umwandeln, einen Baum in einen Tisch oder Stuhl. All die Umwandlungen, die in der Natur vorkommen. Also könne man auch aus Männern Frauen machen, so die Argumentation des Theologen. Homosexualität allerdings, so Karaminia, sei dagegen vollkommen unnatürlich und mit der Religion nicht zu vereinbaren.

Therapeuten, so erzählen es viele Homosexuelle, raten nicht selten dazu, sich operieren zu lassen oder das Land zu verlassen. Hinter vorgehaltener Hand schätzen nicht wenige Therapeuten, die vor jeder Operation besucht werden müssen: 40 bis 50 Prozent aller Transsexuellen im Iran seien eigentlich Schwule, die sich in die Operation getrieben fühlen, um endlich mit Männern zusammen sein zu können.
Nicht so Shirin – sie will und wollte immer eine Frau sein. Es war der Geburtstag eines Onkels, Shirin war gerade zehn geworden, als das erste Mal die flache Hand des Vaters auf ihrer Wange niederging. "Du hast deine Kindheit hinter dir. Verhalte dich wie ein Mann", schrie er. Worte, die Shirin noch oft hören sollte.
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Als sie 15 wurde, hatte der Vater genug. Die Schule hatte sie abgebrochen, die Quälereien durch die Mitschüler waren zu schlimm geworden, und der Vater beschloss, dass in der familieneigenen Autowerkstatt ein Mann aus Shirin werden sollte. "Er ließ mich extra hart arbeiten, um einen Mann aus mir zu machen", erzählt sie mit einer Stimme, die sie aus Protest um mindestens eine Oktave nach oben getrieben hat. "Ich musste schuften wie ein Ochse." Der Vater dachte, man könne die Frau in ihr sozusagen mit dem Schraubschlüssel austreiben. Shirin versuchte, gegen ihr Wesen anzukämpfen, sich anzupassen – aber gegen das Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein, kann man nicht gewinnen.

Es war an einem Sonntag, als ein Kunde sie ins Auto zu zerren versuchte. Damals konnte sich Shirin noch wehren. Bei den nächsten Versuchen oft nicht mehr. Der Vater gab nicht dem Täter, sondern ihr die Schuld. Würde sie sich normal verhalten, so der Vater, so wäre das nicht passiert.

Als sie 19 war, vor fünf Jahren, begannen die Eltern, ihren Widerstand aufzugeben. Als der Nachbar eines Onkels sich einer Operation zur Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte, schien die Schande für die Eltern nicht mehr ganz so erdrückend zu sein. Es gab also noch andere, dachten sie. Die Schläge endeten, und sie veranlassten das Ende der Hormontherapie, zu der sie Shirin gezwungen hatten. Keine weiblichen Hormone, wie Shirin sie gern genommen hätte, nein: Testosteron hatten die Eltern Shirin geben lassen.

Im Wartezimmer überspielt Shirin heute ihre Nervosität, ihre ständige Angst mit gekünsteltem Kichern. Was ihr heute bevorsteht, ist nur eine von drei Operationen. Die Hoden sollen entfernt werden. Alles mit einer OP zu erledigen, dafür fehlt ihr das Geld. In einer zweiten Operation wird Mir-Djalali einen vaginalen Eingang formen, und dann, nach einem weiteren Jahr Hormontherapie, sollen die Brustimplantate einoperiert werden.
Mir-Djalali sitzt in dem kleinen Behandlungszimmer hinter einer geschlossenen weißen Holztür. Ein grauhaariger Mann im Arztkittel, weiche Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Vorkämpfer für die Rechte der Trans-, aber auch der Homosexuellen. Er ist sich der Widersprüchlichkeit der Gesetzeslage bewusst. Dass Transsexualität religiös abgesegnet ist und Homosexualität unter Strafe steht, ist ein Zustand, gegen den er seit Jahren ankämpft. Viele Offizielle stimmen ihm hinter vorgehaltener Hand zu, dass die Verfolgung von Homosexuellen ein schlimmer Anachronismus ist. "Aber der Gesellschaft klar zu machen, dass sie keine Kranken sind, das ist eine sehr schwere Aufgabe", sagt Mir-Djalali hinter seinem Schreibtisch. Seit 20 Jahren kämpft er diesen fast aussichtslos scheinenden Kampf.

Mehr als 1000 Geschlechtsumwandlungen hat der Mediziner bis heute durchgeführt. Neun von zehn Operationen im Iran sind Mann-zu-Frau-Operationen, da es für Männer im falschen Körper gesellschaftlich deutlich härter ist als für Frauen. Offiziell haben ungefähr 20.000 Transsexuelle im Iran neue Pässe bekommen; was die richtigen Zahlen sind, weiß indes niemand. Selbst die Vorsitzende der einzigen Transsexuellenorganisation zuckt nur die Schultern, wenn man wissen will, wie viele Transsexuelle es im Iran gibt, und wie viele Operationen bisher realisiert wurden.

Bis zu 150.000 könnten es sein, grobe Schätzungen deuten auf 450 Operationen jedes Jahr hin. In Deutschland sind es schätzungsweise 300. Genaue Zahlen sind auch hier schwer zu bekommen, da Operationen oft vertraulich in Privatkrankenhäusern durchgeführt werden. Zumindest konnte Mir-Djalali die Sicht stärken, dass die Todesstrafe für Homosexuelle nicht mehr angewandt werden sollte. Das Problem, dass viele Homosexuelle in der Operation Schutz vor Verfolgung suchen, behebt das allerdings auch nicht.
Shirin sitzt unterdessen im Wartezimmer und bereitet sich darauf vor, in den kleinen Operationssaal im Keller zu gehen. Sie plant, in ein paar Wochen zu ihrer Familie am Kaspischen Meer zurückzugehen. "Sie haben mein Schicksal akzeptiert", sagt sie. Viele tun das nicht; Väter, die mit Messern in der Praxis auftauchen, sind nichts Ungewöhnliches. Andere Ärzte berichten gar von Morden in ihren Wartezimmern. Es ist in den Familien oft vor allem die Angst vor Stigmatisierung, vor dem Hohn der Nachbarn, die sie die Kinder verstoßen lässt. Die Stimmen, die sagen, "mit denen kann etwas nicht stimmen, wenn Gott sie mit so einem Kind straft".

Taraneh sitzt schweigsam neben den vielen jungen Männern und Frauen; traurige Falten legen sich auf ihr fülliges Gesicht, während aufgeregte Sätze durch das Wartezimmer fliegen. Sie zupft am Kopftuch, der Blick mittlerweile voll Wut. "Alles, was uns doch nur bleibt, ist sterben", ruft sie plötzlich und richtet ihre Worte weniger an die erschreckt aufblickende jungen Frauen, sondern mehr zur Decke, zum Himmel, wer immer sie da auch hören mag.

Shirin, die langen schwarzen Locken unter einer dicken Baskenmütze versteckt, schreckt aus ihrem Gespräch auf, schaut kurz indigniert und beschließt zu ignorieren, was sie gerade gehört hat. Zu viele Jahre hat sie sich gequält, um endlich hier sitzen zu können, als dass sie jetzt im letzten Augenblick die Zweifel wieder einlassen möchte.

Das Problem liegt in den tief verankerten Vorstellungen von der Wertigkeit der Geschlechter in der Gesellschaft, jenseits jeder Religion. Die Familien verlieren einen Sohn, der viel wertvoller ist als eine Tochter. Das bedeutet neben dem Ansehensverlust, der Schande wegen eines "andersartigen" Kindes, auch ganz einfach einen Wertverlust. Der Mann in der iranischen Gesellschaft zählt mehr. Er erbt mehr, seine Aussagen vor Gericht haben doppelt so viel Gewicht wie die einer Frau. Ein Mann, der sich also zur Frau operieren lässt, freiwillig die soziale Leiter hinuntersteigt, trifft nicht nur auf Unverständnis, sondern auf Verachtung.

Mir-Djalali kommt ins Wartezimmer und geht mit Shirin zusammen die Treppe hinunter, an der Apotheke und dem Café vorbei. Shirin geht hinter Mir-Djalali, den Stolz eines siegreichen Kämpfers im Gang, im Gesicht kämpft die Mimik gegen die Angst. Wenig später liegt Shirin unter einem blauen Laken, nur die Füße und das Gesicht schauen heraus. Ein Arm bewegt sich, schon schwach von der Narkose, über das Gesicht. Ein letztes Foto. Ein letztes Selfie als Mann.

Am nächsten Morgen liegt Shirin, in eine Wolldecke mit Blumenmuster gehüllt, auf einem Sofa in Taranehs Wohnung im armen Süden Teherans. Taraneh steht in roter kurzer Hose und rotem Top in der offenen Küche, Rasierer liegen herum und eine Tüte Pillen für Shirin. Den Herd hat sie nie angeschlossen. Er steht dort wie die Manifestation des gescheiterten Versuchs, vor den Augen der Gesellschaft eine Frau zu sein. Das Zimmer ist karg, wirkt aber nicht ärmlich. Mehr wie ein Ort, an dem gearbeitet, nicht gewohnt wird.
Auf dem Sofa wacht Shirin langsam auf und räkelt sich, sichtlich benommen von den Schmerzmitteln, aus ihrer Decke. "Ich fühle mich unglaublich befreit", strahlt sie. Sie weiß, ihre Körperhaare werden nun nicht mehr wachsen. Sie kann endlich mit der richtigen Hormontherapie beginnen. "Und wenn ich dann endlich das Geld für die anderen Operationen zusammen habe, werde ich einen Ausweis erhalten. Einen Ausweis, in dem nichts über meine Vergangenheit zu erkennen ist. Ich fühle mich wie neu geboren."

Ab heute darf sie sich offiziell wie eine Frau kleiden, darf auf die Straße gehen, die Locken unter einem Kopftuch, das Make-up im Gesicht nicht mehr als Zeichen der Rebellion, sondern als Zeichen ihrer neuen Weiblichkeit. Sie hat das schwarz auf weiß in Form eines Briefes des Arztes. Es ist das erste Mal, dass sich Körper und Seele zumindest ansatzweise im Einklang befinden. Die stechenden Schmerzen im Unterleib nimmt sie gerne in Kauf.

Shirin träumt von einem Mann, einem eigenen Schönheitssalon, den sie am Kaspischen Meer eröffnen will. Sie will den Leuten zeigen, dass man nicht automatisch eine Prostituierte ist, wenn man transsexuell ist, will ihnen beweisen, dass man ein normales Leben führen kann. Will ein Vorbild sein. "Wegen des Druckes durch meine Eltern habe ich mich früher extra schlecht benommen, aufsässig, trotzig, habe mich übertrieben geschminkt und mich den Jungs an den Hals geworfen." Jetzt will sie zeigen: Wenn ihr mir entgegenkommt, komme ich euch entgegen.

Taraneh sitzt daneben und hört ihr traurig zu. Zwei Ehen hat sie hinter sich. Sie weiß, wie es meistens läuft: Hören die Schwiegereltern von ihrer Vergangenheit, folgt kurz danach die Scheidung. Aber sie schweigt, sie will Shirin die Hoffnung nicht nehmen. Still denkt sie daran, wie ihre Familie reagierte, an die Worte ihres Vaters: "Wir haben dich geschaffen, wir können dich auch wieder vernichten." Sie denkt an die unzähligen Verhaftungen. Versuche der Polizei, die Transsexuellen einzuschüchtern, um sie von der Straße, von den Augen der Gesellschaft fernzuhalten. Aber sie schweigt. Die Euphorie nach der Operation, sagt sie sehr leise, ist wohl die schönste Phase.

In Deutschland lassen viele Transgender sich nicht operieren; sie sind, wie sie sind, und wollen das oft auch nicht ändern. Auch hier im Iran würden viele lieber bleiben, wie sie sind. "Ich wäre vom Körperlichen her lieber ein Mann geblieben", gibt Taraneh zu. Sie wollte eigentlich gar keine Frau werden; sie wollte bleiben, wie sie war, und ihre Liebe mit Männern teilen. "In Europa ist das doch auch kein Problem. Aber hier, hier ist es leider unmöglich."

Sie schaut auf Shirin, die wieder eingeschlafen ist, und Hoffnung, Mitleid, aber auch Stolz liegen in den dunklen braunen Augen. Zärtlich streicht sie ihr durch die schwarzen Haare. "Das Leben ist die Hölle", sagt sie dann leise, den Blick nicht von Shirin wendend. "Es ist ein Warten auf den Tod. Wenn der Präsident des Landes zu den Vereinten Nationen geht und sagt, es gebe keine Schwulen im Iran – was willst du vom Rest des Landes erwarten", fügt sie bitter mit Hinblick auf den UN-Auftritt des damaligen Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor einigen Jahren hinzu.

Es ist Abend geworden, Shirins Schmerzen haben sich etwas gelegt, und die beiden Frauen beschließen, in den Park beim Stadttheater zu gehen. Es ist ein bekannter Treffpunkt für Homo- und Transsexuelle. Sie laufen durch die Straßen der im Winterlicht braun leuchtenden Stadt, bis sie den kleinen Park erreichen. Springbrunnen schießen Wasserfontänen in den Abendhimmel. Shirin und Taraneh spazieren, die Arme umeinander gelegt, über die laubbedeckten Wege. Auf den Bänken sitzen tuschelnde Pärchen mit zu viel Make-up im Gesicht, und ältere Männer mit taxierenden Blicken laufen die Wege entlang.

Auf einer Bank sitzt eine Frau, die sie kurz unauffällig grüßen. Ihr Name darf nicht genannt werden. Sie organisiert die Prostitution der Transsexuellen und auch der Homosexuellen. "Fast alle Transsexuellen werden in die Prostitution gedrängt", sagt sie. "Spätestens nach der Operation verlieren die Männer, die sich zur Frau haben operieren lassen, ihre Arbeit." Und die Prostitution ist hoch rentabel hier im Iran. Bis zu 500 Euro macht man pro Nacht. "Wenn du dünn bist", lacht die ältliche Puffmutter, "wenn du so dick bist wie ich, eher die Hälfte." Ihr Handy klingelt, und sie entfernt sich leise sprechend ein paar Meter.

"Transsexuelle sind sehr gefragt", sagt sie, als sie zurückkommt. "Sie sind exotisch und anders. Die Männer mögen das hier." Glücklich allerdings macht das Geld fast keine von ihnen. Oft dient die Prostitution als Einnahmequelle für die Drogen, die sie brauchen, um sich für die Arbeit zu betäuben. Oft ist die Prostitution notwendig zur Finanzierung der Geschlechtsumwandlung.

"Wir sind einsame Mädchen", sagt Taraneh, während der Park langsam in die Nacht eintaucht. "Wir werden einsam geboren, wir leben einsam, und wir sterben einsam." Sie stockt, und Tränen füllen die mit Kajal umrundeten Augen. Es ist ein Gespräch ihrer Eltern, das sie verfolgt wie ein Alptraum. Sie war 16, die Eltern dachten, sie wäre nicht im Haus, aber sie stand im Nebenzimmer und hörte mit. Hörte Wörter, die sich in ihre Seele brannten. "Ich wünschte, es wären nur Wörter wie Hure gewesen, aber nein: Sie wünschten mir den Tod." Sie weint. Heute wünscht sie ihn sich selbst.


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