Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle
Rechte vorbehalten!
Geschrieben und Bearbeitet von
Nikita Noemi Rothenbächer 2015
Bitte kopiert den Link und Gebt
diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
In Zusammenarbeit mit: http://www.dvag.de/patrick.herrmann/startseite/
Iran: Für schwule Männer die Hölle auf Erden
Die Freude Barack Obamas und des iranischen Präsidenten über
das Atomabkommen ist groß. Die Hoffnung auf eine Stabilisierung der Region und
neue Handelschancen darf aber die katastrophale Situation für Frauen, Christen
und besonders Schwule im Iran nicht unter den Tisch kehren.
Als großen Fortschritt feiert die Welt das Atomabkommen mit
dem Iran. Und vermutlich ist dadurch die Welt nicht nur etwas friedlicher
geworden. Durch die Aufhebung der Sanktionen verspricht man sich auch enorme
wirtschaftliche Zuwächse nicht nur für den Iran, sondern auch für alle Firmen,
die in Europa und den USA schon seit Monaten in den Startlöchern stehen und
darauf warten, dass der Startschuss für erfolgversprechende Deals mit dem
besonders an Bodenschätzen reichen Land (v.a. Gas) fällt.
Kritik an dem Abkommen kommt aber nicht nur aus Israel, das
sich nicht zu Unrecht vor einem überstarken, vom Anti-Israelismus getriebenen
Nachbarn fürchtet. Sie kommt vor allem auch von Menschenrechtsaktivisten. Für
sie gilt die Devise: Jedes Abkommen, das man mit dem Iran schließt, darf die
Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, religiöse Minderheiten und Schwule
nicht ausklammern.
Getreten, bespuckt, angeschrien
Die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte"
(IGfM) hat dazu vor kurzem einen bestürzenden aktuellen Bericht veröffentlicht.
Er stammt von einem ehemaligen iranischen Häftling, der wegen seines
christlichen Glaubens in einem der großen Gefängnisse des Landes inhaftiert
war.
Das „Schrecklichste", was er je gesehen habe, sei der
Umgang der iranischen Gefängniswärter mit den schwulen Gefangenen: „Sie waren
angekettet wie Tiere, an Händen und Füßen. Einige von ihnen über Jahre in
Einzelhaft. Ich selbst war auch in Einzelhaft, aber nie mehr als etwa einen
Monat am Stück. Unvorstellbar, und dann so angekettet!" Bei diesen
Torturen bleibt es aber nicht: „Die Wachen haben sie getreten, schlimmer als
Tiere. Sie haben sie bespuckt, beschimpft, angeschrien. Sie haben sie auf die
Toilette geschleift, wie Tiere - mit einer Hundeleine. Das war
schockierend."
Eigentlich sollte man denken, dass diese mit dem Gefängnis
bestraften Schwulen das kleinere Übel getroffen hat. Denn eigentlich droht
Männern, die einvernehmlichen Sex mit anderen Männern haben, nach dem
islamischen Strafrecht, das im Iran gilt, die Todesstrafe. Die IGfM berichtet
weiter: „Homosexuelle werden drangsaliert, willkürlich verhaftet und
misshandelt. Vermutlich wurden im Iran bereits mehrere tausend Menschen allein
wegen ihrer Homosexualität getötet."
Der mit Angst verbundene Hass auf Homosexuelle ist im Iran
so groß, dass selbst Journalisten, die zum Beispiel einen Schwulen interviewen,
mit drakonischen Strafen zu rechnen haben. Der Journalist Siamak Ghaaderi hatte
dies 2007 gewagt und wurde daraufhin wegen „Propaganda gegen das (islamische)
Regime" und „Provokation" zu 60 Peitschenhieben und vier Jahren Haft
verurteilt.
Geschlechtsumwandlung
oder Todesstrafe
Schwule und lesbische Jugendliche, die im Iran aufwachsen,
haben häufig den staatlich und gesellschaftlich verordneten Homo-Hass so weit
internalisiert, dass sie sich selbst für abnormal und krank halten. Aus Angst
entdeckt zu werden, ziehen sie sich zurück, verfallen in Depressionen und
Selbstmordgedanken. Häufig sehen sie den einzigen Ausweg für ihre
„Abnormalität" in der vom Staat als „Heilung" angebotenen
Geschlechtsumwandlung.
Wenn ihre Homosexualität entdeckt wird, haben sie sogar
häufig nur die Wahl zwischen einer Geschlechtsumwandlung oder der Todesstrafe.
Der vermeintliche Ausweg wird aber für viele zu einer erneuten Qual. Ein
Journalist berichtet: „Es ist furchtbar. Ich habe in all den Jahren keinen einzigen
Transsexuellen getroffen, der glücklich mit der Operation war, glücklich mit
der neuen Situation, glücklich mit dem neuen Körper." Häufig endet dann
auch dieser „Weg" in der Ausweglosigkeit der Selbsttötung.
Nun müssen die
Menschenrechte möglichst rasch wieder auf den Tisch
So genau wollten das diejenigen, die das Atomabkommen mit
dem Iran aushandelten, nicht wissen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Fragen nun
- wenn es über die wirtschaftlichen Kontakte zu einer Annäherung des Iran an
den Westen kommt - erneut auf den Tisch kommen und möglichst rasch eine
Verbesserung der Menschenrechtssituation eintritt. Nicht nur für Homosexuelle,
sondern auch für Frauen und Christen, die ebenfalls unter der vom
fundamentalistischen Islam bestimmten Gesetzgebung dieses Landes leiden.
Besser als jede
natürliche Frau
Homosexualität und Islam, Transsexualität und Islam: "Be Like
Others" (Forum) spürt widersprüchlichen Koran-Auslegungen nach, "A
Jihad for Love" (Panorama) verfolgt die Lebensgeschichten junger Iraner
bis in den Operationssaal, wo sie - legal - ihr Geschlecht umwandeln lassen
Es geht um Liebe, Leidenschaft und ein Leben in Einklang mit Gott: In
"A Jihad for Love" dokumentiert der indische Regisseur Parvez Sharma
verschiedene Schicksale zwischen Homosexualität und Islam. Im Zentrum stehen
gläubige Schwule und Lesben in Südafrika, Pakistan, Türkei, Bangladesh, Indien,
Ägypten, Frankreich und Iran. Allen Interviewpartnern und dem Regisseur gemein
ist der Wunsch nach einer Vereinbarung ihres Glaubens mit der homophoben Welt
des Islams. Sharma möchte als gläubiger Muslim mit seinem Film sogar einen
religiösen Siegeszug ("Dschihad") führen.
Dabei spürt er widersprüchlichen Koranauslegungen nach und konfrontiert sie
mit bestehenden "Traditionen". Hilflos wird versucht, mit religiösen
Oberhäuptern darüber zu debattieren, dass lediglich eine schwule Vergewaltigung
im Koran als Sünde beschrieben wird, nicht aber die gleichgeschlechtliche
Liebe. So entsteht eine Art bunter Reisebericht in Fernsehformat durch
unterschiedliche Territorien und Auffassungen: vom schwulen Imam Muhsin
Hendricks, der von seiner wohlhabenden Gemeinde in Südafrika anerkannt wird,
bis zum lesbischen Pärchen mittleren Alters aus Istanbul, das im sufistischen
Glauben seine Erfüllung sucht. Die Todesstrafe durch Steinigen kommt lediglich
als Witz beim verheirateten Imam Muhsin Hendricks, Vater dreier Töchter, vor.
Als er sie fragt, ob sie ihn steinigen würden, scherzen die Mädchen:
"Unbedingt!"
Während "A Jihad for Love" zwar auch eine Gruppe schwuler Iraner
in ihrem türkischen Exil begleitet, die auf ihre Ausreise nach Kanada warten
und der Todesstrafe im Iran bereits entkommen sind, zeigt "Be Like
Others" der Regisseurin Tanaz Eshaghian junge Männer aus zum Teil kleinen
iranischen Dörfern, die keinerlei Verbindung zum Westen haben.
Schönheitsoperationen sind im Iran ungewöhnlich beliebt. Um Teil der
Gesellschaft zu werden, lassen sie sich vom Staatsapparat als Transsexuelle
diagnostizieren und einer Geschlechtsumwandlung unterziehen.
Ajatollah Chomeini hat vor 20 Jahren eine Fatwa verhängt, um Transsexuellen
zu helfen. Iran ist damit das einzige Land der Welt, das Menschen nach einer
Geschlechtsumwandlung in der Geburtsurkunde das Geschlecht umändert. Auf einer
Konferenz zu "Sex Reassignment & Surgery" erfahren wir im Film
sogar, dass im Koran die Veränderung göttlicher Ordnung keine Sünde ist:
"Wir machen es täglich: Wir wandeln Weizen zu Mehl und backen Brot, der Baum
wird gefällt, zu Holz und Stuhl oder Tisch verarbeitet …" Dr. Bahram
Mir-Dschalali vom Mirdamad Surgical Center Teheran behauptet sogar, dass seine
"Mädchen" die idealen Frauen werden, besser als jede natürliche Frau.
Eshaghian dokumentiert individuelle Geschichten einiger dieser jungen
Männer in intensiven Gesprächen und behutsamen Einblicken, sogar bis in den
OP-Raum. Es gelingt ihr, die Komplexität der inneren, sozialen,
gesellschaftlichen und religiösen Konflikte offen darzulegen, ohne ihre Protagonisten
vorzuführen. Die Probleme sind dabei endlos: Die Männer müssen lernen, alle
Freiheiten, die sie vorher kannten, abzulegen.
Sie müssen die Zeit zwischen offizieller Zulassung und vollzogener
Operation legal überstehen, was heißt: sich nicht aufreizend oder transig
schminken, sich möglichst unauffällig verhalten.
Dabei gehen Strategien der Reintegration auch homophobe Wege, da sie das
System der Kriminalisierung von Homosexuellen und sogar Crossdressern
unterstützen. Unverklärt kann man bei Eshagian die Macht des Gottesstaats
selbst in der schützenden Atmosphäre von Klinik, Familie, Küche spüren - eine
Macht gegenüber Individuen, die nicht gezwungen werden wollen, Mann oder Frau
zu sein. Andere lassen sich operieren, um Menschenrechte zu erlangen, und müssen
am Ende feststellen: "I wouldn't touch God's work, Life is in God's
hands."
WIE DER IRAN MIT SEINEN TRANSSEXUELLEN UMGEHT
Sie weiß nicht mehr, wie oft sie versucht hat, sich
umzubringen. Nur das erste Mal hat sie noch klar vor Augen. Taraneh (Name
geändert, d. Red.) war 15, und das Leben in dem kleinen Dorf am Kaspischen Meer
im Norden Irans war nicht mehr zu ertragen. Kinder, die mit Steinen auf sie
warfen, ein Mann, der versuchte, sie ins Autos zu zerren und zu vergewaltigen;
alles wegen ein bisschen Make-up im Gesicht, damals, als sie noch ein Junge
war. Sie trug einen Hocker ins Bad, stellte ihn vor den Medikamentenschrank der
Eltern, suchte und fand einen Streifen Tabletten. Der Name sagte ihr nichts,
aber er war lang, klang chemisch und gefährlich. Sie nahm alle. Sie lacht
heute, in Irans Hauptstadt Teheran, 23 Jahre später – kein fröhliches Lachen,
ein resigniertes Lachen. "Es waren Abführtabletten."
Sie sitzt heute im Wartezimmer der kleinen Klinik des Arztes
Bahram Mir-Djalali im zweiten Stock eines zwischen Bürohäuser gequetschten,
kleinen Hauses. Vor der Tür dröhnt der Verkehr auf dem Mirdamad Boulevard in
das Zentrum Teherans, die am Fuß der schneebedeckten Berge unter einer
Smogglocke liegt. Taraneh trägt ein schwarzes Kopftuch, schwarze Hosen und
einen schwarzen, weiten Rock darüber. Unauffälligkeit im Alltag ist das einzige
Schutzschild, das sie hat. Eine Patientin ist sie nicht – zumindest nicht
heute. Heute begleitet sie einen jungen Mann, der sich von Mir-Djalali
behandeln lassen wird – so, wie Taraneh es selbst vor zehn Jahren gemacht
hatte. Der Eingriff soll aus Shirin (Name geändert, d. Red.), die ihren
Jungennamen nicht nennen will, eine Frau machen. Mir-Djalali ist der
bekannteste iranische Chirurg für Geschlechtsumwandlungen.
Shirin kommt aus demselben Dorf wie Taraneh. Die beiden
kennen sich, seit sie Kinder sind. Noch immer lebt Shirin dort bei ihren
Eltern. Seit fünf Jahren möchte sie sich operieren lassen, endlich eine Frau
werden, aus dem Körper entkommen, der für sie nur Qual bedeutet. Der Weg dahin
im Iran ist schwierig, obwohl es zunächst nicht so scheint: Ayatollah Ruhollah
Chomeini hatte bereits 1963 eine Fatwa dazu veröffentlicht. Die besagte, dass
die sexuelle Identität eines jeden auf der Wahrnehmung von sich selbst beruhe.
Geschlechtsumwandlungen sind im Iran legal; die Regierung unterstützt sogar
Männer und Frauen, die sich operieren lassen wollen, finanziell mit der Übernahme
von bis zur Hälfte der Kosten. Doch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von
Transsexuellen ist es nicht weit her.
Im Iran werden nach Thailand die meisten
Geschlechtsumwandlungen weltweit durchgeführt. Aber das Leben der
Transsexuellen ist oft ein niemals endender Spießrutenlauf, der nicht selten in
Drogensucht, Prostitution und Selbstmord endet. Ein Drittel seiner Patienten,
so schätzt Mir-Djalali, wählt früher oder später den Suizid.
Für Shirin soll die Operation das Ende ihrer Leiden und der
Anfang eines neuen Lebens sein. So stellt sie sich das vor. So lange sie
zurückdenken kann, fühlt sie sich als Frau. Schon als kleiner Junge holte sie
lieber die bunten Kleider der Schwester aus der kleinen Box am Fußende des
Bettes als ihre eigenen. Als sie sechs wurde, fingen die Eltern an, es ihr zu
verbieten. Abweichungen von der Norm, auf dem Land: unmöglich.
Lesen Sie auch: Bayer Leverkusen trifft auf Miroslav Klose
und Lazio Rom
Denn auch wenn der Iran eine Gesellschaft ist, die in zwei
Welten lebt – einer öffentlichen, von den Vorstellungen der Theologen und
Revolutionsgardisten geprägten zum einen und einer verborgenen, viel
liberaleren und in ihrer Intellektualität und Kultur vielen Nachbarländern weit
überlegenen Welt zum anderen; eine Gesellschaft, die hin und her pendelt
zwischen Globalität, Moderne und Tradition, in der sich Frauen die
Hermes-Kopftücher so weit nach hinten schieben, dass sie gerade noch halten und
die Sittenpolizei dafür sorgt, dass sie nicht fallen. Eine Welt, in der es
strikte Regeln und Verbote gibt, aber auch immer Wege, sie zu umgehen: In
wenigen Ländern ist die Kluft zwischen öffentlichem und privatem Leben so groß.
Aber Geschlechtliches, Transsexualität und Homosexualität sind Tabus, selbst in
gebildeten Familien.
Der Umgang mit Sexualität zeigt, wie der Iran zwischen
diesen Welten oszilliert. Händchenhalten in der Öffentlichkeit ist verboten,
das Austauschen von Zärtlichkeit selbstverständlich auch. Hinter verschlossenen
Türen allerdings werden ausschweifende Sexpartys gefeiert. Der schiitische
Glaube und somit auch der Iran erlauben Zeitehen, genannt Sigeh. Man kann sich
für Stunden oder Tage verheiraten; Sex ist in dieser Zeit erlaubt. Ziyarat wa
Ziyahat – pilgern und sich vergnügen gehören zusammen, sagt ein persisches
Sprichwort.
Dass der Iran nach Thailand die höchste
Geschlechtsumwandlungsrate hat, ist teils auch dieser Widersprüchlichkeit
geschuldet. Doch mag sie auf den ersten Blick wie Toleranz wirken, so ist sie
auf den zweiten auch ein Mittel, die Homosexuellen von der Straße zu bekommen,
fern der Blicke der Gesellschaft. Während man Transsexualität schlicht als
etwas durch eine Operation Heilbares betrachtet, als ein zu behebendes Übel,
gilt Homosexualität als ebenso verwerflich, aber eben nicht zu
"beheben". Schwul sein – im Iran ein Übel, das verfolgt wird. So
diskriminiert der Staat Homosexuelle, lässt aber seine Wohlfahrtsorganisation
ein Viertel bis zuweilen die Hälfte der Operationskosten von 4000 bis 8000 Euro
bei Geschlechtsumwandlungen zahlen.
Über solche Operationen steht im Koran nichts; insofern sind
sie auch nicht verboten, erklärt der Kleriker Karaminia, die wichtigste
Autorität im Lande für Fragen zur Geschlechtsumwandlung, in Qom. Man kann
Getreide nehmen und es in Brot umwandeln, einen Baum in einen Tisch oder Stuhl.
All die Umwandlungen, die in der Natur vorkommen. Also könne man auch aus
Männern Frauen machen, so die Argumentation des Theologen. Homosexualität
allerdings, so Karaminia, sei dagegen vollkommen unnatürlich und mit der
Religion nicht zu vereinbaren.
Therapeuten, so erzählen es viele Homosexuelle, raten nicht
selten dazu, sich operieren zu lassen oder das Land zu verlassen. Hinter
vorgehaltener Hand schätzen nicht wenige Therapeuten, die vor jeder Operation
besucht werden müssen: 40 bis 50 Prozent aller Transsexuellen im Iran seien
eigentlich Schwule, die sich in die Operation getrieben fühlen, um endlich mit
Männern zusammen sein zu können.
Nicht so Shirin – sie will und wollte immer eine Frau sein.
Es war der Geburtstag eines Onkels, Shirin war gerade zehn geworden, als das
erste Mal die flache Hand des Vaters auf ihrer Wange niederging. "Du hast
deine Kindheit hinter dir. Verhalte dich wie ein Mann", schrie er. Worte,
die Shirin noch oft hören sollte.
Lesen Sie auch: Pep Guardiola macht Thomas Müller
austauschbar
Als sie 15 wurde, hatte der Vater genug. Die Schule hatte
sie abgebrochen, die Quälereien durch die Mitschüler waren zu schlimm geworden,
und der Vater beschloss, dass in der familieneigenen Autowerkstatt ein Mann aus
Shirin werden sollte. "Er ließ mich extra hart arbeiten, um einen Mann aus
mir zu machen", erzählt sie mit einer Stimme, die sie aus Protest um
mindestens eine Oktave nach oben getrieben hat. "Ich musste schuften wie
ein Ochse." Der Vater dachte, man könne die Frau in ihr sozusagen mit dem
Schraubschlüssel austreiben. Shirin versuchte, gegen ihr Wesen anzukämpfen,
sich anzupassen – aber gegen das Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein,
kann man nicht gewinnen.
Es war an einem Sonntag, als ein Kunde sie ins Auto zu
zerren versuchte. Damals konnte sich Shirin noch wehren. Bei den nächsten
Versuchen oft nicht mehr. Der Vater gab nicht dem Täter, sondern ihr die
Schuld. Würde sie sich normal verhalten, so der Vater, so wäre das nicht
passiert.
Als sie 19 war, vor fünf Jahren, begannen die Eltern, ihren
Widerstand aufzugeben. Als der Nachbar eines Onkels sich einer Operation zur
Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte, schien die Schande für die Eltern nicht
mehr ganz so erdrückend zu sein. Es gab also noch andere, dachten sie. Die
Schläge endeten, und sie veranlassten das Ende der Hormontherapie, zu der sie
Shirin gezwungen hatten. Keine weiblichen Hormone, wie Shirin sie gern genommen
hätte, nein: Testosteron hatten die Eltern Shirin geben lassen.
Im Wartezimmer überspielt Shirin heute ihre Nervosität, ihre
ständige Angst mit gekünsteltem Kichern. Was ihr heute bevorsteht, ist nur eine
von drei Operationen. Die Hoden sollen entfernt werden. Alles mit einer OP zu
erledigen, dafür fehlt ihr das Geld. In einer zweiten Operation wird
Mir-Djalali einen vaginalen Eingang formen, und dann, nach einem weiteren Jahr
Hormontherapie, sollen die Brustimplantate einoperiert werden.
Mir-Djalali sitzt in dem kleinen Behandlungszimmer hinter
einer geschlossenen weißen Holztür. Ein grauhaariger Mann im Arztkittel, weiche
Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Vorkämpfer für die Rechte der Trans-,
aber auch der Homosexuellen. Er ist sich der Widersprüchlichkeit der
Gesetzeslage bewusst. Dass Transsexualität religiös abgesegnet ist und
Homosexualität unter Strafe steht, ist ein Zustand, gegen den er seit Jahren
ankämpft. Viele Offizielle stimmen ihm hinter vorgehaltener Hand zu, dass die
Verfolgung von Homosexuellen ein schlimmer Anachronismus ist. "Aber der
Gesellschaft klar zu machen, dass sie keine Kranken sind, das ist eine sehr
schwere Aufgabe", sagt Mir-Djalali hinter seinem Schreibtisch. Seit 20
Jahren kämpft er diesen fast aussichtslos scheinenden Kampf.
Mehr als 1000 Geschlechtsumwandlungen hat der Mediziner bis
heute durchgeführt. Neun von zehn Operationen im Iran sind
Mann-zu-Frau-Operationen, da es für Männer im falschen Körper gesellschaftlich
deutlich härter ist als für Frauen. Offiziell haben ungefähr 20.000
Transsexuelle im Iran neue Pässe bekommen; was die richtigen Zahlen sind, weiß
indes niemand. Selbst die Vorsitzende der einzigen Transsexuellenorganisation
zuckt nur die Schultern, wenn man wissen will, wie viele Transsexuelle es im
Iran gibt, und wie viele Operationen bisher realisiert wurden.
Bis zu 150.000 könnten es sein, grobe Schätzungen deuten auf
450 Operationen jedes Jahr hin. In Deutschland sind es schätzungsweise 300.
Genaue Zahlen sind auch hier schwer zu bekommen, da Operationen oft vertraulich
in Privatkrankenhäusern durchgeführt werden. Zumindest konnte Mir-Djalali die
Sicht stärken, dass die Todesstrafe für Homosexuelle nicht mehr angewandt
werden sollte. Das Problem, dass viele Homosexuelle in der Operation Schutz vor
Verfolgung suchen, behebt das allerdings auch nicht.
Shirin sitzt unterdessen im Wartezimmer und bereitet sich
darauf vor, in den kleinen Operationssaal im Keller zu gehen. Sie plant, in ein
paar Wochen zu ihrer Familie am Kaspischen Meer zurückzugehen. "Sie haben
mein Schicksal akzeptiert", sagt sie. Viele tun das nicht; Väter, die mit
Messern in der Praxis auftauchen, sind nichts Ungewöhnliches. Andere Ärzte
berichten gar von Morden in ihren Wartezimmern. Es ist in den Familien oft vor
allem die Angst vor Stigmatisierung, vor dem Hohn der Nachbarn, die sie die
Kinder verstoßen lässt. Die Stimmen, die sagen, "mit denen kann etwas
nicht stimmen, wenn Gott sie mit so einem Kind straft".
Taraneh sitzt schweigsam neben den vielen jungen Männern und
Frauen; traurige Falten legen sich auf ihr fülliges Gesicht, während aufgeregte
Sätze durch das Wartezimmer fliegen. Sie zupft am Kopftuch, der Blick
mittlerweile voll Wut. "Alles, was uns doch nur bleibt, ist sterben",
ruft sie plötzlich und richtet ihre Worte weniger an die erschreckt aufblickende
jungen Frauen, sondern mehr zur Decke, zum Himmel, wer immer sie da auch hören
mag.
Shirin, die langen schwarzen Locken unter einer dicken
Baskenmütze versteckt, schreckt aus ihrem Gespräch auf, schaut kurz indigniert
und beschließt zu ignorieren, was sie gerade gehört hat. Zu viele Jahre hat sie
sich gequält, um endlich hier sitzen zu können, als dass sie jetzt im letzten
Augenblick die Zweifel wieder einlassen möchte.
Das Problem liegt in den tief verankerten Vorstellungen von
der Wertigkeit der Geschlechter in der Gesellschaft, jenseits jeder Religion.
Die Familien verlieren einen Sohn, der viel wertvoller ist als eine Tochter.
Das bedeutet neben dem Ansehensverlust, der Schande wegen eines
"andersartigen" Kindes, auch ganz einfach einen Wertverlust. Der Mann
in der iranischen Gesellschaft zählt mehr. Er erbt mehr, seine Aussagen vor
Gericht haben doppelt so viel Gewicht wie die einer Frau. Ein Mann, der sich
also zur Frau operieren lässt, freiwillig die soziale Leiter hinuntersteigt,
trifft nicht nur auf Unverständnis, sondern auf Verachtung.
Mir-Djalali kommt ins Wartezimmer und geht mit Shirin
zusammen die Treppe hinunter, an der Apotheke und dem Café vorbei. Shirin geht
hinter Mir-Djalali, den Stolz eines siegreichen Kämpfers im Gang, im Gesicht
kämpft die Mimik gegen die Angst. Wenig später liegt Shirin unter einem blauen
Laken, nur die Füße und das Gesicht schauen heraus. Ein Arm bewegt sich, schon
schwach von der Narkose, über das Gesicht. Ein letztes Foto. Ein letztes Selfie
als Mann.
Am nächsten Morgen liegt Shirin, in eine Wolldecke mit
Blumenmuster gehüllt, auf einem Sofa in Taranehs Wohnung im armen Süden
Teherans. Taraneh steht in roter kurzer Hose und rotem Top in der offenen
Küche, Rasierer liegen herum und eine Tüte Pillen für Shirin. Den Herd hat sie
nie angeschlossen. Er steht dort wie die Manifestation des gescheiterten
Versuchs, vor den Augen der Gesellschaft eine Frau zu sein. Das Zimmer ist
karg, wirkt aber nicht ärmlich. Mehr wie ein Ort, an dem gearbeitet, nicht gewohnt
wird.
Auf dem Sofa wacht Shirin langsam auf und räkelt sich,
sichtlich benommen von den Schmerzmitteln, aus ihrer Decke. "Ich fühle
mich unglaublich befreit", strahlt sie. Sie weiß, ihre Körperhaare werden
nun nicht mehr wachsen. Sie kann endlich mit der richtigen Hormontherapie
beginnen. "Und wenn ich dann endlich das Geld für die anderen Operationen
zusammen habe, werde ich einen Ausweis erhalten. Einen Ausweis, in dem nichts
über meine Vergangenheit zu erkennen ist. Ich fühle mich wie neu geboren."
Ab heute darf sie sich offiziell wie eine Frau kleiden, darf
auf die Straße gehen, die Locken unter einem Kopftuch, das Make-up im Gesicht
nicht mehr als Zeichen der Rebellion, sondern als Zeichen ihrer neuen
Weiblichkeit. Sie hat das schwarz auf weiß in Form eines Briefes des Arztes. Es
ist das erste Mal, dass sich Körper und Seele zumindest ansatzweise im Einklang
befinden. Die stechenden Schmerzen im Unterleib nimmt sie gerne in Kauf.
Shirin träumt von einem Mann, einem eigenen Schönheitssalon,
den sie am Kaspischen Meer eröffnen will. Sie will den Leuten zeigen, dass man
nicht automatisch eine Prostituierte ist, wenn man transsexuell ist, will ihnen
beweisen, dass man ein normales Leben führen kann. Will ein Vorbild sein.
"Wegen des Druckes durch meine Eltern habe ich mich früher extra schlecht
benommen, aufsässig, trotzig, habe mich übertrieben geschminkt und mich den
Jungs an den Hals geworfen." Jetzt will sie zeigen: Wenn ihr mir
entgegenkommt, komme ich euch entgegen.
Taraneh sitzt daneben und hört ihr traurig zu. Zwei Ehen hat
sie hinter sich. Sie weiß, wie es meistens läuft: Hören die Schwiegereltern von
ihrer Vergangenheit, folgt kurz danach die Scheidung. Aber sie schweigt, sie
will Shirin die Hoffnung nicht nehmen. Still denkt sie daran, wie ihre Familie
reagierte, an die Worte ihres Vaters: "Wir haben dich geschaffen, wir
können dich auch wieder vernichten." Sie denkt an die unzähligen
Verhaftungen. Versuche der Polizei, die Transsexuellen einzuschüchtern, um sie
von der Straße, von den Augen der Gesellschaft fernzuhalten. Aber sie schweigt.
Die Euphorie nach der Operation, sagt sie sehr leise, ist wohl die schönste
Phase.
In Deutschland lassen viele Transgender sich nicht
operieren; sie sind, wie sie sind, und wollen das oft auch nicht ändern. Auch
hier im Iran würden viele lieber bleiben, wie sie sind. "Ich wäre vom
Körperlichen her lieber ein Mann geblieben", gibt Taraneh zu. Sie wollte
eigentlich gar keine Frau werden; sie wollte bleiben, wie sie war, und ihre
Liebe mit Männern teilen. "In Europa ist das doch auch kein Problem. Aber
hier, hier ist es leider unmöglich."
Sie schaut auf Shirin, die wieder eingeschlafen ist, und
Hoffnung, Mitleid, aber auch Stolz liegen in den dunklen braunen Augen.
Zärtlich streicht sie ihr durch die schwarzen Haare. "Das Leben ist die
Hölle", sagt sie dann leise, den Blick nicht von Shirin wendend. "Es
ist ein Warten auf den Tod. Wenn der Präsident des Landes zu den Vereinten
Nationen geht und sagt, es gebe keine Schwulen im Iran – was willst du vom Rest
des Landes erwarten", fügt sie bitter mit Hinblick auf den UN-Auftritt des
damaligen Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor einigen Jahren hinzu.
Es ist Abend geworden, Shirins Schmerzen haben sich etwas
gelegt, und die beiden Frauen beschließen, in den Park beim Stadttheater zu
gehen. Es ist ein bekannter Treffpunkt für Homo- und Transsexuelle. Sie laufen
durch die Straßen der im Winterlicht braun leuchtenden Stadt, bis sie den
kleinen Park erreichen. Springbrunnen schießen Wasserfontänen in den
Abendhimmel. Shirin und Taraneh spazieren, die Arme umeinander gelegt, über die
laubbedeckten Wege. Auf den Bänken sitzen tuschelnde Pärchen mit zu viel
Make-up im Gesicht, und ältere Männer mit taxierenden Blicken laufen die Wege
entlang.
Auf einer Bank sitzt eine Frau, die sie kurz unauffällig
grüßen. Ihr Name darf nicht genannt werden. Sie organisiert die Prostitution
der Transsexuellen und auch der Homosexuellen. "Fast alle Transsexuellen
werden in die Prostitution gedrängt", sagt sie. "Spätestens nach der
Operation verlieren die Männer, die sich zur Frau haben operieren lassen, ihre
Arbeit." Und die Prostitution ist hoch rentabel hier im Iran. Bis zu 500
Euro macht man pro Nacht. "Wenn du dünn bist", lacht die ältliche
Puffmutter, "wenn du so dick bist wie ich, eher die Hälfte." Ihr
Handy klingelt, und sie entfernt sich leise sprechend ein paar Meter.
"Transsexuelle sind sehr gefragt", sagt sie, als
sie zurückkommt. "Sie sind exotisch und anders. Die Männer mögen das
hier." Glücklich allerdings macht das Geld fast keine von ihnen. Oft dient
die Prostitution als Einnahmequelle für die Drogen, die sie brauchen, um sich
für die Arbeit zu betäuben. Oft ist die Prostitution notwendig zur Finanzierung
der Geschlechtsumwandlung.
"Wir sind einsame Mädchen", sagt Taraneh, während
der Park langsam in die Nacht eintaucht. "Wir werden einsam geboren, wir
leben einsam, und wir sterben einsam." Sie stockt, und Tränen füllen die
mit Kajal umrundeten Augen. Es ist ein Gespräch ihrer Eltern, das sie verfolgt
wie ein Alptraum. Sie war 16, die Eltern dachten, sie wäre nicht im Haus, aber
sie stand im Nebenzimmer und hörte mit. Hörte Wörter, die sich in ihre Seele
brannten. "Ich wünschte, es wären nur Wörter wie Hure gewesen, aber nein:
Sie wünschten mir den Tod." Sie weint. Heute wünscht sie ihn sich selbst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen