Montag, 5. Oktober 2015

Intersexuality "has no penis" // Intersexualität "Der hat keinen Penis"



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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Intersexualität «Der hat keinen Penis»
Erich Marti*, 70, kam mit einem Mikropenis zur Welt und wurde als Säugling operiert. Davon erfuhr er erst spät – Ärzte und Eltern hatten es vor ihm verheimlicht.
«Ich wusste immer, dass ich anders bin als die meisten. Bestätigen wollte mir das niemand. 70 Jahre lang behaupteten Ärzte, ­Verwandte und Eltern, ich sei ganz normal. 70 Jahre lang fühlte ich, dass das nicht stimmen konnte. Als ich 14 war und in einem Heim mit anderen Jungen duschte, bemerkte ich, dass ich anders gebaut bin. Wo andere eine Wölbung hatten, ging es bei mir flach hinab. Als bei den Buben der Bart zu Sprießen begann, blieb mein Gesicht fein wie das eines Mädchens. Während die Kollegen einen definierten Bizeps entwickelten, fuhr ich immer noch Bus zum halben Tarif, weil ich so kindlich aussah.
Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, ein Mann müsse mit seinem Penis in eine Frau eindringen, damit ein Kind entstehe. Ich schaute mich an und fragte mich, wie zum Teufel das funktionieren sollte. Abnormal fühlte ich mich trotzdem nie. Sex war ein Tabu. Wir hatten ­keine Ahnung, was normal ist und was nicht.

«Jeder Arzt winkte ab»

Am Tag meiner Hochzeit brach meine Mutter nach 30 Jahren endlich ihr Schweigen. «Du bist operiert», warnte sie mich. «In der Hochzeitsnacht wird nicht alles funktionieren.» Ich werde noch heute wütend, wenn ich daran denke. All die Jahre liess sie mich im Ungewissen, und dann, als ich endlich eine Frau gefunden hatte, belastete sie mich damit. Zwei Jahre darauf starb meine Mutter. In den folgenden Jahren ging ich von einem Arzt zum nächsten. Ich wollte wissen, was mit mir gemacht worden war. Jeder winkte ab: alles gut, alles normal.
Irgendwann wurde ich erfinderischer. Ich ging zu einer erotischen Masseurin und bat sie, mein Glied mit dem anderer Kunden zu vergleichen. Sie bestätigte mir unverblümt, dass ich anders aussehe als andere Männer und dass bei mir bestimmt etwas verkehrt gelaufen sei. Ich hatte die Hoffnung auf eine professionelle Diagnose schon fast aufgegeben, als ich zufällig das Gespräch zweier Ärzte mitverfolgte, die vergessen hatten, die Tür zum Behandlungszimmer zu schließen. «Hast du gesehen, der hat keinen Penis. Das ist ein Intersexueller.» Als ich sie zur Rede stellte, schwiegen sie zum Thema.

«Ein Sonderfall, bisher kaum erforscht»
Im Internet stieß ich auf jene Informationen, die man mir so viele Jahre verwehrt hatte. Doch ich bin Wissenschaftler: Für mich ist etwas erst eine Tatsache, wenn es bewiesen ist.
Zu meinem 70. Geburtstag ging ich zum Kinderarzt Primus Mullis ins Inselspital in Bern. Ich wusste, dass er mit intersexuellen Kindern zu tun hatte. Und tatsächlich: Nach einer ­kurzen Untersuchung stellte der Endokrinologe Emanuel Christ eine Diagnose. Er sagte mir, ich hätte einen Mikropenis und meine Harnröhre, die unterhalb der Penis spitze mündete, sei kurz nach meiner Geburt operiert worden. Tests ­ergaben, dass ich unter einer Fehlentwicklung der Keimdrüsen leide; sie verhinderte die Entwicklung meines Glieds.
Ein Sonderfall, bisher kaum erforscht. Umso grösser war das Interesse der Ärzte: Mein Erbgut wurde zu Forschungszwecken Mäusen in einem spanischen Labor eingepflanzt. Mich interessiert vor allem, ob der Defekt vererbbar ist. Die meisten ­Betroffenen sind unfruchtbar. Ich hatte Glück. Ein Hoden funktionierte. Ich habe einen Sohn. Er weiss bis heute nichts von meiner Besonderheit. Ich wollte ihn nicht mit Vermutungen verwirren, die sich dann allenfalls als falsch herausstellen. Nun, da ich weiss, was mit mir los ist, werde ich es ihm erzählen. Ich hatte ein schönes Leben. Doch wäre es schön gewesen, zu wissen, was ich bin und weshalb ich so bin.»



Kassen zahlen Intersexuellen keine Brustvergrößerung

Ihre Brüste seien zu klein, um sich als Frau zu fühlen. Deswegen hat eine intersexuelle Frau bei der Krankenkasse eine Brustvergrößerung beantragt. Die Kasse lehnte das jedoch ab und bot ihr eine Alternative an.
Ein genetischer Mann, der wegen einer Hormonstörung äußerlich wie eine Frau aussieht und sich auch als Frau fühlt, kann einen kleinen Busen nicht auf Kosten der Krankenkasse vergrößern lassen. Das hat am Dienstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden. Wie bei Transsexuellen müssten die Krankenkassen auch Intersexuellen keine Brustvergrößerung bezahlen, wenn ihr Busen einen BH der untersten Körbchengröße A ausfüllt.
Intersexuelle sind Menschen, die genetisch, von den Geschlechtsorganen oder von der Produktion der körpereigenen Hormone her, keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen sind. Im Unterschied zu Transsexuellen, die meist biologisch einem Geschlecht zugeordnet werden, sich jedoch diesem angeborenen Geschlecht nicht zugehörig fühlen.

Die Klägerin gehört von ihren Chromosomen her zum männlichen Geschlecht. Wegen einer Biosynthesestörung bildet ihr Körper aber nicht das männliche Hormon Testosteron. Deshalb hat sich ihr Körper äußerlich weiblich entwickelt. Sie hat zwar keine Eierstöcke und keine Gebärmutter, aber eine Scheide und Brüste in Körbchen große A bis B. Diese seien aber zu klein, um ihr eine Identitätsfindung als Frau zu ermöglichen, meinte die Klägerin. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie daher eine Brustvergrößerung.

Die Krankenkasse lehnte dies jedoch ab und bot ihr stattdessen eine Psychotherapie an. Die Kasse verwies auf ein Urteil des BSG vom September 2012. Danach haben Mann-zu-Frau-Transsexuelle, also Männer, die sich als Frau fühlen, nur dann Anspruch auf eine Operation zur Brustvergrößerung, wenn diese nach der üblichen Hormonbehandlung die kleinste BH-Körbchengröße A noch nicht "voll ausfüllt".

Wie nun das BSG entschied, gilt dieser Maßstab auch für Intersexuelle. Es gebe keinen Grund, sie anders zu behandeln.


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