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Der Zwitter als Freak
Kathrin
Zehnder beschreibt die Exotisierung von Intersexuellen und die Konsequenzen von
Sex-Tests im Sport am Beispiel von Caster Semenya
Die Geschichte von Caster Semenya ist
schnell erzählt: Eine junge südafrikanische Läuferin, die als Frau an der
Leichtathletik-WM teilnimmt, erbringt eine unglaubliche Leistung. Wegen einem
vermeintlichen Bartansatz und tiefer Stimme wird sie medial als »Mannsweib« [1] diffamiert
und muss offiziell zum Sextest. Und plötzlich schaut die ganze Welt auf das,
was Interessengruppen weltweit sonst nur mit Mühe in die Medien bringen:
Intersexualität, Hermaphroditismus oder, wie es die Medizin nennt, eine
»Störung der Geschlechtsentwicklung«. Dagegen wehren sich besagte
Interessengruppen vehement. Für sie ist Intersexualität keine Störung oder
Krankheit, sondern eine Variante neben Frau und Mann. Deshalb kämpfen sie auch
gegen die Genitaloperationen, die bei den meisten Intersexuellen noch heute
vorgenommen werden. Das bedeutet im Extremfall Kastration, Klitorisverkürzung
und künstliche Scheide, in weniger schweren Fällen Hormone – ein Leben lang. [2] Intersexualität
ist ein Tabuthema und anscheinend für die Boulevardpresse nur dann interessant,
wenn es zur Sensation gereicht.
Wie genau entschieden wird, ob ein Mensch
ein Mann oder eine Frau ist, wurde aus den Medienberichten häufig nicht klar.
Diese Verwirrung kommt nicht von ungefähr. Erstens hat der Mensch ganz
unterschiedliche Geschlechtsmerkmale, die alle Indizien für ein Geschlecht
sind, aber nur in Kombination mit anderen das Geschlecht bestimmen. Zweitens
sind einzelne Merkmale nicht unbedingt klar bestimmbar und kommen in unzähligen
Varianten vor. Dass manch ein Mann eher einen Bartflaum als einen Vollbart
trägt und nicht jede Frau ein gebärfreudiges Becken besitzt, ist vielen klar.
Dass Chromosomen in Varianten von X0, XXY, XXXXY oder XYY vorkommen, 5 Prozent
aller Männer in ihrem Leben eine Brust entwickeln, dass es Frauen mit Hoden und
Männer mit Gebärmutter gibt, ist hingegen den wenigsten bekannt.
Ein Fall wie Caster Semenya führt
vor Augen, dass Geschlecht eine relativ willkürliche Unterscheidung darstellt
und zwar nicht nur auf die Frage hin, ob ein Mensch einen Penis hat oder nicht,
sondern vor allem auch hinsichtlich kontinuierlich konstruierter Merkmale wie
Körperbehaarung und Muskulatur; Eine als natürlich verstandene Grenze, die
jedoch gleichzeitig fließend ist und je nach BetrachterIn unterschiedliche
Toleranzwerte aufweist. Theoretisch, so suggerierte die Boulevardpresse, wäre
Caster Semenya ein Mann, hätte sie XY-Chromosomen, eine Frau bei XX. Nur, so
einfach ist es nicht: Es gibt Menschen, die trotz XY-Chromosomen einen
weiblichen Körper, weibliche Muskulatur und nein, keinen Damenbart entwickeln.
Ihr Y lässt sie keine Hundertstelsekunde schneller sein als »gewöhnliche«
Frauen. Eine XY-Frau darf dann auch weiterhin bei den Frauen laufen. So
entschied das International Olympic Commitee (IOC) im Falle der spanischen
Hürdenläuferin Maria Patiño. Weil bei ihr ein Y-Chromosom nachgewiesen wurde,
durfte sie bei den Olympischen Spielen 1988 nicht starten, wie diverse Zeitungen
in den letzten Monaten berichteten. Patiño wurde jedoch später rehabilitiert
und konnte (nach zweijährigem gerichtlichem Hickhack) wieder laufen. Ein Y
bringt eben nicht automatisch Höchstleistung. [3]
Geschlechtstests oder Gender
Verification sind nichts Neues. Sie wurden von 1968 bis 1998 bei den
Olympischen Spielen sogar systematisch durchgeführt. Der Historiker Stefan
Wiederkehr sieht dies als Folge einer zweifachen Grenzüberschreitung.
Einerseits drangen Frauen zunehmend in die Männerdomäne Sport ein, andererseits
verdächtigte man Frauen als Männer während des kalten Krieges mit dem Ziel, die
Leistungen der kommunistischen Länder zu bremsen. [4]
Im antiken Griechenland und an den
ersten Olympischen Spielen der Neuzeit durften Frauen bis 1900 nicht teilnehmen.
Man befürchtete, Frauen würden zu muskulös und unfruchtbar durch die sportliche
Betätigung. Später waren sie für Tennis und Golf zugelassen und sukzessive
erhielten sie Zugang zu weiteren Sportarten: 1912 zum Schwimmen und 1928 zur
Leichtathletik. Pikantes Detail: Der 800-Meter-Lauf wurde, weil angeblich zu
beschwerlich für Frauen, bis 1960 ausgenommen. Von Volleyball (1964) über das
Rudern (1976) zum Radfahren (1984) und Fußball (1996) dürfen Frauen seit 2004
sogar ringen. Einzig Boxen und Baseball sowie die nordische Kombination und das
Skispringen im Winter sind bis heute den Männern vorbehalten, Softball,
Synchronschwimmen und Rhythmische Gymnastik hingegen den Frauen. Interessant
ist auch, dass eine Sportart, soll sie ins olympische Programm aufgenommen
werden als Männersport in 75, als Frauensport hingegen nur in 40 Ländern
verbreitet sein muss. Noch heute treten Länder an der Olympiade als reine
Männermannschaften an. [5] Eigentlich widerspricht dies der
olympischen Charta, denn »alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein
Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik,
Geschlecht oder aus sonstigen Motiven, sind mit der Olympischen Bewegung
unvereinbar«. [6] Bestrebungen, diese Länder von den olympischen
Spielen auszuschließen blieben jedoch erfolglos. Anders lag der Fall aufgrund
von Rassendiskriminierung. So war Südafrika deswegen 24 Jahre lang von den
Olympischen Spielen ausgeschlossen.
Aber zurück zum Sextest: Zu Beginn
der Geschlechtertests in den Jahren 1967 und 1968 beruhten sie auf einer
körperlichen Untersuchung. Später sollte der Barr-Body-Test eine einfache
Antwort liefern. Mit diesem Test lässt sich anhand einer Speichelprobe leicht
bestimmen, ob in einer Zelle Sexchromatinkörperchen vorhanden sind oder nicht.
Ist dies der Fall, gilt die Probandin als Frau, ansonsten als Mann. [7] Dass
diese Sichtweise vollkommen verkürzt ist, wurde weiter oben bereits gezeigt.
Heute hat die International Association of Athletics Federations (IAAF) eine
differenziertere Haltung. In ihrer Policy on Gender Verification legt sie fest,
dass Fälle individuell beurteilt werden müssen und veranlasst für bestimmte
Intersex-Syndrome, dass aus diesen keine Vorteile gezogen werden können. Die
Formulierungen des IAAF sind jedoch vollkommen schwammig und taugen nicht für
eine seriöse Beurteilung. [8] Die Resultate der angekündigten Tests
bei Caster Semenya wurden bis heute nicht veröffentlicht. Dies soll erst
geschehen, wenn die IAAF im November in Monaco tagt und entscheidet, welche
Konsequenzen die Resultate mit sich bringen. Das Vorgehen der IAAF im Fall
Caster Semenya ist undurchsichtig und unethisch. Aufgrund von wessen
Verdächtigungen wird ein Sextest überhaupt ins Auge gefasst? Aufgrund der eines
Bartansatzes und ausgeprägter Muskulatur? Wie soll die individuelle Beurteilung
im Detail aussehen und welche Konsequenzen hat diese für Caster Semenya?
Weshalb dauert die Abklärung (während derer die IAAF ausdrücklich zur
sportlichen Nichtbetätigung rät) so lange? Klar, im Sport geht es um knallharte
Leistung. Fairerweise sollte aber allen bekannt sein, unter welchen Umständen
diese Leistung anerkannt wird.
In Die männliche Herrschaft [9] erläutert
der Soziologe Pierre Bourdieu, dass die Frau als symbolisches Objekt
konstituiert sei, dessen Sein als »Wahrgenommen-Sein« konstruiert ist. Anders
gesagt entwickelt sich der weibliche Habitus zwingendermassen darauf hin, dass
Körpererfahrung immer als Erfahrung des Körpers-für-Andere gemacht wird. Der
weibliche Körper ist unablässig dem Blick und den Reden der anderen ausgesetzt.
Dies hat »den Effekt, dass die Frauen in einen Zustand ständiger körperlicher
Unsicherheit oder besser symbolischer Entfremdung versetzt sind. Ihr Sein ist
ein Erscheinen, und so werden sie ohne explizite Aufforderung dazu gebracht,
sich mit der Art wie sie ihren Körper halten und präsentieren […], den Männern
gegenüber als disponibel […] zu zeigen. […]«. [10] Bourdieu weist
auch darauf hin, dass man die Erfolge der feministischen Kritik nicht
überschätzen dürfe, dass das Prinzip männlicher Herrschaft und damit der oben
erwähnte Platzverweis der Frauen im Grunde bis heute seine Gültigkeit hat. Dass
dem so ist, beweist die Skandalisierung des Falles Caster Semenya leider nur
allzu trefflich. Für Bourdieu nicht erstaunlich, denn gerade im Sport hört die
weibliche Disponibilität, das Verfügbar-Sein für andere auf. Der Körper ist
nicht mehr bloß für andere da, er »wird zum Körper für einen selbst, aus einem
passiven und fremder Aktion unterliegenden Körper zu einem aktiven und
handelnden Körper«. [11] Wie Bourdieu weiter sagt, erscheine die
Sportlerin, die sich ihren Körper gewissermaßen wieder aneignet vom Mann aus
gesehen nicht »feminin«, ja als lesbisch. Oder anders gesagt: Entspricht eine
Frau nicht der sozial konstruierten Rollenerwartung bezüglich ihres Geschlechts
(Gender), reagieren Sportverbände mit einem Geschlechts(Sex)test. [12]
Caster Semenya stellt jedoch nicht nur
eine Bedrohung der Weiblichkeit, sondern auch hegemonialer Männlichkeit dar.
Die junge Sportlerin hat nämlich noch einige Muskeln mehr als die meisten
Männer gerne hätten. Wenn eine Frau sein kann wie ein Mann (muskulös, schnell,
selbstbewusst), dann muss sie ein Mann sein, weil sich sonst Mann-Sein nicht
mehr von Frau-Sein unterscheidet.
Im »Fall« Caster Semenya wird schließlich
offenbar, dass es nicht nur um eine Abweichung von der Norm-Frau geht, sondern
um die Verdächtigung, Semenya sei keine Frau, die durch vollkommen willkürliche
weitere Differenzmerkmale wie die sexuelle Orientierung oder das soziale
Geschlecht untermauert wird: Da meint etwa eine alte Freundin zu wissen, dass
Caster schon immer auf Mädchen stand. Zudem hätte sie gern Fußball gespielt.
Ein Beweis ihrer Unweiblichkeit? Interessant sind diesbezüglich auch die
Bilder, die durch die Weltpresse gingen. Semenya zeigt sich oft in männlich
konnotierten Siegerposen. Die Verdächtigungen resultieren nicht nur aus einer
besonderen körperlichen Erscheinung, denn diese haben viele andere
Sportlerinnen auch, sondern vielmehr aus Semenyas Verhalten. Eine sich freuende
Frau sieht so eben nicht aus.
Auch medizinisch-psychologische
Untersuchungen »befürchten« immer wieder eine Zunahme der homosexuellen Neigung
bei Frauen mit hohen Testosteronwerten und Intersexuellen. Zudem wird in Untersuchungen
nachzuweisen versucht, dass sich intersexuelle Mädchen »wilder« benehmen als
andere. Trotz vollkommen widersprüchlichen Resultaten und kleinsten Stichproben
hält man an diesen Fragen fest. Homophobie und Sexismus im 21. Jahrhundert?
Die südafrikanische Öffentlichkeit sorgte
sich jedoch weniger um die Diskriminierung Caster Semenyas aufgrund homophober
und sexistischer Berichterstattung, sondern warf der Welt rassistische Motive
vor. Begründet wurden diese Vorwürfe jedoch nicht. Warum sind die Medienberichte
über Caster Semenya (auch) rassistisch? Die Norm-Frau resp. das
Weiblichkeitsideal sind »weiß« konstruiert, wie die feministische Kritik der
letzten Jahrzehnte immer wieder gezeigt hat. Damit fällt alles, was nicht
schlank ist, wenig Muskeln hat und weiß ist, unter die Kategorie »abweichend«.
Problematisch an der medialen Berichterstattung ist diesbezüglich einerseits
die Annahme, dass »Rasse« und Geschlecht natürliche Entitäten seien und nicht
konstruierte Differenz- und Diskriminierungsmerkmale. So taugt Geschlecht im
Sport zwar noch als Unterscheidungs- und damit Segregationsmerkmal, »Rasse« und
Klasse jedoch nicht. Im Unterschied zur Klasse ist die »Rasse« eines Menschen
jedoch sichtbar und kann deshalb weiterhin Diskriminierungen hervorrufen. Zum
Glück werden im Sport keine »Rassen« unterschieden und das Argument,
»Nicht-Weiße« müssten in einer separaten Kategorie laufen, weil sie
durchschnittlich besser bemuskelt seien als »Weiße«, von Vornherein zum
Scheitern verurteilt. Eine Segregation nach Geschlechtern ist jedoch absolut
unumstritten. Weil Geschlecht nach wie vor als natürlich und vor allem
eindeutig verstanden wird.
Ein Aufschrei der Empörung geht durch
Südafrika, weil ihre Läuferin als Zwitter verdächtigt wird. Aus einem Superstar
wird ein Freak. Heute ist klar, dass der südafrikanische Verband nicht nur die
Welt, sondern auch Semenya selbst getäuscht hat. Es bestand bereits früher ein
»Verdacht«. Man hätte jedoch, wäre man an die Öffentlichkeit gegangen der
ganzen Welt verkündet, Semenya sei nicht »normal«, so das Argument für die Lüge
um Casters Geschlechtszugehörigkeit.
Semenya könnte ein Zwitter sein -
intersexuell. Ob sie daraus einen Vorteil zieht, ist mit dieser Aussage
vollkommen unklar. Hätte sie einen XXY-Chromosomensatz, wie in manchen Medien
spekuliert wurde, wäre sie medizinisch gesehen ein Mann mit einer
Chromosomenvariante. Sie hätte die Muskulatur eines Mannes, einen Penis und
allenfalls sehr kleine Hoden. Sie wäre unter Umständen groß gewachsen und
allenfalls zeugungsunfähig. Hätte Caster das komplette
Androgeninsensitivitätssyndrom (CAIS), [13] hieße das, dass sie zwar
einen männlichen XY-Chromosomensatz besitzt, ihr Körper aber nicht oder nur
teilweise auf das Testosteron reagieren konnte und sie sich deshalb bereits im
Mutterleib äußerlich weiblich entwickelt hat. Daraus zöge sie sporttechnisch
keinen Vorteil und die IAAF erlaubt – wie im Falle von Maria Patiño –
ausdrücklich eine Teilnahme an Wettkämpfen als Frau.
Das Resultat hat für Caster Semenya jedoch
nicht nur karrieretechnische, sondern auch persönliche Konsequenzen. Die Macht
der binären Geschlechterordnung wirkt insofern disziplinierend, als das Wissen
um oder gar die Akzeptanz von Intersexualität einer Selbstentwertung gleich
käme und zwar nicht nur, weil damit der Betrugsverdacht manifest würde, sondern
auch weil Caster sich als »abnorm« bezeichnen würde. Die Bekräftigungen ihres
Vaters, sie sei ein Mädchen und die Plakate der südafrikanischen Bevölkerung,
sie sei 100 Prozent Frau mögen zwar nett gemeint sein, machen aber Casters
Situation nur noch verzweifelter. Würde sich nämlich herausstellen, dass sie
eben doch kein echtes Mädchen und nicht 100 Prozent Frau ist, so ist zu
befürchten, dass man nicht mehr hinter ihr steht. Als intersexueller Mensch hat
man immer nur zwei Möglichkeiten: Man normalisiert sich mit dem Verweis darauf
»wie alle andern« zu sein oder man betont das Anderssein. Die Normalisierung
ist häufig zum Scheitern verurteilt: Man fühlt sich eben oft nicht als Frau,
menstruiert nicht, kann nicht mitreden oder sieht nicht aus wie die Idealfrau.
Dies führt dazu, dass sich viele Intersexuelle in ihrer Verzweiflung das Leben
nehmen. Die andere Möglichkeit ist, sich das Anderssein anzueignen und sich der
Zweigeschlechternorm nicht zu unterwerfen. Zwitter sein, Hermaphrodit, eine
Beschenkte, eine besondere Art. Nur wo ist der Raum, dies auszuleben, ohne sich
vollkommen ins Abseits zu manövrieren? Wer ermöglicht ein Ausprobieren
intersexueller Geschlechternormen, wenn jedes Kind kurz nach der Geburt »zurechtgestutzt«
wird?
Schon Michel Foucault hat
festgestellt, dass es im Falle des Hermaphroditismus stets nur darum gehe, das
wahre Geschlecht hinter der abweichenden Erscheinung herauszufinden. [14] Intersexualität
existiert als Kategorie nicht in unseren Köpfen, Zwitter sind immer »kranke«
Frauen oder Männer, sei es in der Medizin oder in der gesellschaftlichen
Wahrnehmung. Und dies zeigen die zahlreichen Zwitterfälle im Sport sehr
plastisch: Die Skirennfahrerin Erik(a) Schinegger war demnach schon immer ein
Mann, man hat es nur nicht bemerkt. Dies suggeriert beispielsweise der Film von
Kurt Mayer. [15] Die russischen Hermaphroditen im kalten Krieg waren
nur Betrugsversuche, Männer, die man als Frauen tarnte. [16] Die
Tennisspielerin Sarah Gronert ist trotz Intersexualität eine »richtige« und
schöne Frau. [17]Die Existenz von Zwittern wird zwar durch die
Medienpräsenz von Caster Semenya offensichtlich, gleichzeitig verhindern jedoch
solche Ereignisse eine Aufweichung des Geschlechterbinarismus, indem sie eigentlich
nur bestätigen, was normal und was abweichend ist. Stellt sich heraus, dass
Caster Semenya ein Hermaphrodit ist, ließe sich aufatmen: Dann ist ja alles in
Ordnung, es war nur ein Freak. Was also paradoxerweise wirklich zum Nachdenken
anregen würde, wäre, wenn Caster eine »richtige« Frau mit XX-Chromosomen, einer
Gebärmutter und einer Vulva wäre. Dann müsste sich so manch eine
Medienkonsumentin mit ihrem Bild von Weiblichkeit und ihren persönlichen
Rassismen auseinandersetzen.
Die Diskussion reicht nicht, ein Umdenken
zu bewirken, sie bestätigt nur einmal mehr das Groteske des Zwitters, was so
gar nichts mit uns »Normalen« zu tun haben soll. Sie bekräftigt also eine
Grenze, an der Geschlecht nur ein bestimmtes Maß an Abweichung erträgt und
keinesfalls fließend sein kann. Intersexuelle Sportler werden exotisiert und
ausgestellt. Dies ist nicht im Sinne der Zwitterbewegung. Und dennoch wird
diese indirekt von Semenya profitieren, indem das Tabuthema Intersexualität
endliche eine mediale Präsenz erreicht. Im Kampf um Befreiung sollte jedoch
jedeR selber entschieden, ob er/sie ihn mitträgt oder nicht. Semenya hielt
bisher an ihrer Weiblichkeit fest, auch wenn sie intersexuell sein sollte, will
sie sich nicht unbedingt als Aushängeschild der Zwitterbewegung verstehen. Sie
wird – sollte sich der »Verdacht« bestätigen – damit beschäftigt sein, sich
innerlich mit Intersexualität zu versöhnen und äußerlich als Frau zu
positionieren. Denn sonst hat sie keine Chance. Nicht im Sport. Nicht in der
Gesellschaft.
Diese Qualifizierung kommt nicht von
ungefähr. Nach wie vor glauben die medizinischen Entscheidungsträger, Differenz
lasse sich wegoperieren, Zwitter ließen sich normal machen, indem man sie kurz
nach der Geburt operativ an eines der Geschlechter angleicht. Die Wahl dieses
Geschlechts wird zwar erst nach exakten Tests – ähnlich wie sie nun bei Caster
Semenya vorgenommen werden – getroffen, die Interpretation ist jedoch eher
beliebig. Geschlecht ist so komplex, dass die Wahl von Mann oder Frau nur einem
Auf- oder Abrunden einer exakten Rechnung gleichkommt. Zudem sind Kriterien der
Machbarkeit häufig wichtiger als was tatsächlich vorhanden ist. Es ist
beispielsweise viel einfacher, eine penetrierbare Vagina herzustellen als einen
penetrationsfähigen Penis – also werden Intersexuelle häufig zu Mädchen
operiert, egal, ob die Organe mit den Operationen noch lustempfindlich sind.
Funktion steht hier an erster Stelle. Das ist nicht nur ein krasser Fall von
Heteronormativität, sondern auch unsinnig, weil man damit Sexualität nur als
einen Akt der Fortpflanzung liest. Viele Intersexuelle sind jedoch unfruchtbar,
ihre Geschlechtsorgane sind in erster Linie Sexual- und nicht
Fortpflanzungsorgane.
Auch Caster Semenya wird die Welt nicht
verändern. Die Welt hat jedoch einmal mehr das Leben eines (vielleicht)
intersexuellen Menschen auf tragische Art und Weise verändert.
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