Donnerstag, 25. Mai 2017

Genital mutilations of all kinds are human rights violations // Genitalverstümmelungen aller Art sind Menschenrechtsverletzungen



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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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Genitalverstümmelungen aller Art sind Menschenrechtsverletzungen

Die in Amerika lebende, 1924 geborene Hanny Lightfood-Klein befasst sich in ihrem Buch Der Beschneidungsskandal mit global verbreiteten Verstümmelungspraktiken an intersexuellen, weiblichen und männlichen Genitalien.

Als Menschenrechtsverletzungen werden diese, aus soziokulturell unterschiedlichem Kontext stammenden Praktiken in ihrer Schädlichkeit dokumentiert und kommentiert. Die hohe Zahl der Gebärmutterentfernungen, Damm- und Kaiserschnitten in Industriestaaten wird von der Autorin kritisch in Frage gestellt.

Zudem werden Schönheitsoperationen kritisiert. Die westliche Öffentlichkeit tendiere zur Barbarisierung und/oder Exotisierung afrikanischer Praktiken, ignoriere jedoch die in Industriestaaten serienmäßig durchgeführten Verstümmelungspraktiken.

Diese würden bislang tabuisiert und selten öffentlich diskutiert. Ziel des Buches sei es deshalb, die Öffentlichkeit über die Problematik dieser Eingriffe aufzuklären und zu sensibilisieren. Die Autorin will ferner motivieren, gegen diese Praktiken einzutreten.

Begründungen und Geschichte der Praktiken

Die von der Frauenbewegung der 1970er Jahre beeinflusste Autorin behandelt „die Geschichte der Genitalbeschneidung“ auf knapp fünf Seiten und stellt dabei fest: „Wir wissen nur, dass diese Praktiken blutige Praktiken sind, die tief im Unterbewusstsein der Ausführenden eingebettet sind, und dass sie verwoben sind mit kulturellen Mythen und Werten aus Jahrhunderten“ (S. 12). In diesem Kapitel wird kaum differenziert zwischen den bekannten religiösen oder medizinischen Begründungen, noch werden die teilweise bereits gut recherchierten sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen analysiert. Dass in Europa Genitalverstümmelung schon im Mittelalter vor der Christianisierung der Elbslawen zur Strafe von Ehebrecherinnen verbreitet war und dass verschiedene religiöse Sekten wie bspw. die Skopzen in Russland derartige Praktiken im 19. Jahrhundert ebenfalls durchführten, bleibt unerwähnt. Die Literaturrecherche könnte auch an anderen Stellen des Buches besser durchgeführt worden sein. Denn um die unterschiedlichen Genitalverstümmelungen effektiv bekämpfen zu können (also für die Entwicklung von Strategien zur Überwindung der unterschiedlichen Praktiken), ist es entscheidend, die unterschiedlichen Argumentationen der Befürworter von Genitalverstümmlungen sowie Geschichte und Hintergründe zu kennen. In das Kapitel „Die jüngste Geschichte der Sexualchirurgie in der westlichen Welt“ werden von der Autorin weitere Zitate und Berichte eingebaut. Auf ca. 30 Seiten wird die erstmals 1977 in einer Studie von B. und V. Bullough aufgearbeitete Geschichte der weiblichen Genitalverstümmelung im 19. Jahrhundert behandelt. Als wissenschaftliche Lektüre bleibt überdies die im Jahr 2002 erschienene Dissertation von M. Hulverscheidt zu empfehlen, welche die Diskussion und Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung im deutschsprachigen Raum umfassend analysiert.
Beschneidung von intersexuellen Kindern ist eine Menschenrechtsverletzung
Das Kapitel zu Intersexualität ist mit sechs Seiten recht kurz geraten: die Argumentation gegen Verstümmelungen von intersexuellen Kindern wird reduziert auf zwei Berichte von Betroffenen. Jährlich sollen in Deutschland ca. 350 operative Eingriffe an Genitalien von minderjährigen Intersex-Kinder durchgeführt werden (S. 7 und 42). Für die USA wird von der Autorin eine geschätzte Zahl von bis zu 12000 Fällen angegeben und kommentiert: „Erschreckenderweise scheint ihre Zahl ständig zuzunehmen“ (S. 42). Aufgrund der Tatsache, dass es Intersexualität weltweit verbreitet zu allen Zeiten gab und geben wird, sind Vermutungen der Autorin über die möglichen Ursachen, wie beispielsweise die Wirkung toxischer Substanzen während der Schwangerschaft (S. 42 f.), für die Suche nach Strategien zur Überwindung dieser Form der Genitalverstümmelungen eher kontraproduktiv.

Leser/-innen, die sich das erste Mal mit Intersexualität beschäftigen, wird suggeriert, dass Intersexualität durch die „Umstände ihrer ungewöhnlichen Beschaffenheit“ (S. 49) anomal sei, was in diesem Kontext problematisch ist.

Jedoch wird eine Diskussion angesprochen, die in den letzten Jahren in den Medien teilweise bearbeitet wurde: Um eine eindeutige, der gesellschaftlichen Normierung entsprechende Geschlechtlichkeit herzustellen (männlich oder weiblich), wird von Medizinern bislang immer noch die Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Integrität in Kauf genommen. Die ethisch selten hinterfragte Macht der Mediziner, den menschlichen Körper nach Normen zu klassifizieren, möchte die Autorin vermutlich als das eigentliche Problem herausstellen.

Leider lenkt sie die Aufmerksamkeit mit vielen Kommentaren und Zitaten immer wieder von der Kernaussage ab. Es ist diskutabel, ob „institutionalisierte psychotherapeutische Hilfsprogramme“ (ebd.), welche „die Furcht der Eltern mindern sollen“, damit sie sich „mit ihrem intersexuellen Kind wohl fühlen“ (ebd.), zur Überwindung dieser Menschenrechtsverletzung beitragen. An dieser Stelle wäre wichtig gewesen, derzeitige Diskussionen der Nichtregierungsorganisationen von Intersexuellen einzubringen:

Sie sehen ein Problem in der Wahrnehmung und Klassifizierung der Intersexuellen durch Ärzteschaft und Gesellschaft . In Deutschland wurde von Aktivist/-innen beispielsweise deshalb eine zusätzliche Geschlechtsnorm (neben Männlich und Weiblich, Intersex oder Hermaphrodit) für Personalausweise gefordert.

Die Entwicklung von Ethikleitlinien und die Integration der Menschenrechte in das Curriculum der Medizinstudierenden könnte ein erster Schritt gegen diesen Beschneidungsskandal sein.

Männliche Genitalverstümmelung

In dem 21 Seiten langen Kapitel „Männliche Beschneidung“ findet sich neben einer Sammlung verschiedener Aufsätze von Betroffenen zudem Berichte von Aktivist/-innen: Schätzungsweise 13 Millionen Jungen weltweit würden im Kindesalter „dem Ritual unterworfen“ (S. 153). In den USA werden trotz der jahrzehntelang durchgeführten Aufklärungskampagnen gegen männliche Beschneidung ca. 60 % aller männlichen Säuglinge beschnitten. Gut dargestellt werden die Probleme der Aktivist/-innen, wie von Tim Hammond (www.noharmm.org) und Marylin Milos (www.nocirc.org), die versuchen dieses Tabu in der Gesellschaft zu brechen. Langfristige negative Folgen dieses unnötigen Eingriffs seien nicht nur die Schädigung der psychischen und physischen Gesundheit der Männer.

Auch die Gesundheit von Frauen könne beeinträchtigt werden. Die Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen der männlichen Beschneidung und der in einer Studie von 1999 bei 43 % der Amerikanerinnen diagnostizierten weiblichen sexuellen Dysfunktion (S. 39) ist jedoch wissenschaftlich noch nicht belegt. Fraglich bleibt, ob es für die verschiedenen Kampagnen förderlich ist, die Themen weibliche und männliche Genitalverstümmelung miteinander zu vermengen, da die sozioökonomischen Rahmenbedingungen sowie die Konsequenzen der Eingriffe vollkommen unterschiedlich sind.

Weibliche Genitalverstümmelung

Der Beschneidungsskandal will Genitalchirurgie in Industrienationen als Schwerpunkt des Buches unter die Lupe nehmen, so wird es in Vorwort und Klappentext des Buches versprochen. Gleichwohl beherrscht das oft diskutierte und besser bekannte Thema „Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika“ mit über 82 Seiten beinahe die Hälfte des Buches. Größtenteils finden sich hier Fakten aus den ersten beiden Büchern der Autorin wieder. Damit kann der Anspruch, Neues analysieren zu wollen, nur begrenzt als eingelöst gelten.

Die Menschenrechtsverletzung „Weibliche Genitalverstümmelung“ wird langatmig und recht pauschalisierend dargestellt: Beispielsweise wird behauptet, dass „sich europäische Missionare des 19. Jahrhunderts bemühten, der in ganz Afrika verbreiteten Genitalverstümmelung ein Ende zu setzen“ (S. 17). Solch ein falscher Satz kann zu einem undifferenzierten und negativen Afrikabild führen: Zum einen war weibliche Genitalverstümmelung zu keinem Zeitpunkt in ganz Afrika verbreitet. Und zum anderen haben Missionare selten zu einer klaren Positionierung gegen die Genitalverstümmelung gefunden.

Dass es ca. 250 Ethnien im subsaharischen Afrika gibt, die weibliche Genitalverstümmelung aus unterschiedlichen Gründen praktizieren, wird nur ansatzweise klar. An manchen Stellen ist strittig, über welche der Verstümmelungsarten die Autorin schreibt: Infibulation,

Exzision oder Sunna sind unterschiedlich verbreitet, begründet und haben diverse gesundheitliche Konsequenzen. Die Suche nach Begründungen für die Verbreitung dieser Praktik wird relativ einseitig angelegt, manchmal auf Gesundheitsvorteile reduziert (S. 68). Hier sieht die Autorin eine Parallele zu den USA. Projekte internationaler Nichtregierungsorganisationen gegen weibliche
Genitalverstümmelung und deren Erfolge werden mit Beispielen belegt.

Wichtigste Erkenntnis daraus: Bildung und ökonomische Macht helfen afrikanischen Frauen bei der Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung. Mit der Auflistung erfolgreicher Projekte von afrikanischen Organisationen schließt das Buch einen Kreis: Es zeigt auf, dass Veränderungen durch zivilgesellschaftliche Organisation möglich sind.

Fazit
Die Autorin bricht ein Tabu: Unterschiedliche Beschneidungsskandale werden in einem Buch aufgeführt. Durch die teilweise Vermischung unterschiedlicher Problemkomplexe – so etwa von Schönheitsoperationen, Dammschnitten und Genitalverstümmelungen – kommt die Autorin leider nicht immer zur Entwicklung plausibler Strategien zur Bekämpfung der zur Debatte stehenden Praktiken. Weder die Begründungen und Folgen von Schönheitsoperationen noch deren sozioökonomischen Rahmenbedingungen sind mit denen der Genitalverstümmelungen, die an Kindern durchgeführt werden, vergleichbar. Für effiziente Kampagnen gegen diese Eingriffe sind differenzierte Argumentationen und Projektkonzeptionen nötig. Der Beschneidungsskandal macht noch eines deutlich: Es bedürfte einer adäquaten wissenschaftlichen Untersuchung jedes Teilbereichs, um – wie Hanny Lightfood-Klein selbst fordert – „zu einer Art Verständnis zu kommen und davon ausgehend, das Notwendige dazu beizutragen, um die Praktik zu beenden“


 Erzwungenes Geschlecht
Wenn Kinder bei Geburt nicht eindeutig Junge oder Mädchen sind, werden sie oft an den Genitalien operiert. Das war nicht immer so. Kritik wird jedoch wenig gehört, die Folgen sind oft verheerend.



Recht auf Unversehrtheit Verbände fordern Operationsverbot intersexueller Kinder
Männlich oder weiblich? Nicht immer ist die Antwort eindeutig. Künftig muss das Geschlecht von intersexuellen Babys in der Geburtsurkunde nicht erfasst werden. Aktivisten fordern: Geschlechts-OPs dürfen frühestens in der Pubertät stattfinden.



Intersexualität Die alltägliche Folter in Deutschland Ein Forschungsbericht

„Unser verstümmeltes Geschlecht ist ein medizinisches Konstrukt, also Theorie. So schob man uns von einem Nichts in das andere Nichts: Unser Geschlecht, wie es uns angeboren wurde, hat keine gesellschaftliche Existenz. ... Nun ist fraglich, welche psychischen Auswirkungen sich bei intersexuell Diagnostizierten, jedoch nicht Operierten, konstatieren lassen ... Vermutlich wären wir AUCH durch alle Kategorien durchgefallen. Aber mit Sicherheit hätten wir etwas EIGENES entwickeln können, hätten z. B. unser sexuelles Potential entdeckt und unseren Körper kennengelernt“




"Genitaloperationen müssen verboten werden"

Es gibt Menschen, die sind weder Mann noch Frau, sondern intersexuell. Sie haben sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale. Wenn Kinder so auf die Welt kommen, hat man sie bisher meist operiert, um ein Geschlecht festzulegen. "Diese Verstümmelung muss aufhören", sagt Lucie Veith im Interview mittagesschau.de.



Kosmetische Operationen an Genitalien intergeschlechtlicher Kinder noch immer traurige Realität


Studie zur Häufigkeit von Genitaloperationen im Kindesalter erschienen

In deutschen Krankenhäusern werden weiterhin kosmetische Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Kindern durchgeführt. Behauptungen, dass diese schwerwiegenden Eingriffe der Vergangenheit angehörten,[1] sind schlichtweg falsch. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine am 1. Dezember veröffentlichte Studie von Dr. Ulrike Klöppel, die die Entwicklung der Operationshäufigkeit für die Jahre 2005 bis 2014 analysiert.[2] Demnach wurden etwa ein Fünftel der als weiblich registrierten Kinder, die wegen einer Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale im Krankenhaus aufgenommen worden waren, einer komplexen Genitaloperation unterzogen, die einer Anpassung an Weiblichkeitsnormen dient – und dies in einem Alter von 0 bis 9 Jahre. Auch im Säuglingsalter sind z.B. Klitoris-Operationen weiterhin üblich. Maskulinisierungsoperationen werden jährlich an Hunderten Kindern durchgeführt.

Die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Studie bestätigt die Vorwürfe, die Organisationen intergeschlechtlicher Menschen (Organisation Intersex International, Verein Intersexuelle Menschen e.V., zwischengeschlecht.org) seit Langem erheben: Menschenrechtsverletzungen an Kindern sind auch in deutschen Kliniken Praxis. Die im September 2014 eingesetzte „Interministerielle Arbeitsgruppe zu Inter- und Transsexualität“ hält es trotz dieser Tatsachen und verschiedener Rügen durch UN-Ausschüsse nicht für nötig, rechtliche Regelungen in der Bundesrepublik zum Schutz intergeschlechtlicher Kinder vorzubereiten.[3] „Verstärkte Aufklärung und (Peer-)Beratung, wie von der Interministeriellen Arbeitsgruppe empfohlen, sind zweifelsohne nötig, aber sie bieten keine Rechtssicherheit“, kommentiert Andreas Hechler, Beirat der Organisation Intersex International (OII) Deutschland.

„Dieser Zustand ist unhaltbar“, betont Dr. Dan Ghattas, Vorstandsmitglied von OII: „Deutschland hat alle in diesem Zusammenhang relevanten UN-Menschenrechtskonventionen ratifiziert. Zugleich ist Deutschland als EU-Mitgliedsstaat und Mitglied des Europarats dazu aufgefordert, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten. Die Bundesregierung muss sich dieser Verantwortung endlich stellen.“ Ins A Kromminga, ebenfalls aus dem Vorstand, ergänzt: „Auf Länderebene hat die GMFK bereits 2014 klargestellt, dass die Verstümmelung intergeschlechtlicher Genitalien mit ‚weiblicher Genitalverstümmelung’ vergleichbar ist. Diese ist in Deutschland verboten. Aber hier misst die Bundesregierung ganz offenbar mit zweierlei Maß.“

OII Germany fordert daher in Übereinstimmung mit den anderen in Deutschland aktiven Organisationen intergeschlechtlicher Menschen ein Verbot kosmetischer Genitaloperationen im Kindesalter. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Kinder zu schaffen, bedarf es klarstellender Regelungen, wie sie mit § 226a StGB bereits für die „weibliche Genitalverstümmelung“ eingeführt wurden. Es muss gewährleistet sein, dass intergeschlechtliche Erwachsene ihre Rechte durchsetzen können. Dazu müssten die Krankenakten von Kindern bei Eingriffen an den Genitalien längeren Aufbewahrungsfristen unterliegen und die Verjährung sollte ruhen, bis die Betroffenen volljährig sind.

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