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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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had him, you also? Organ donation can help others to life, be proud of your self
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Aber das
Verfassungsgericht (BVG) hätte sich einer grundlegenderen Frage widmen müssen:
Welche Rolle können die Zuwendungen des Sozialstaats bei der Erfüllung des
Grundgesetzgebots aus Artikel 1, Absatz 1 spielen?
Dort heißt es
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Von einer staatlichen Herstellung
der Würde ist hier nicht die Rede.
Das Grundgesetz geht
davon aus, dass die Menschenwürde immer schon da ist. Sie gehört bereits zum Menschen
und geht der staatlichen Gewalt voraus. Die staatliche Gewalt wird auf die
Rolle der Achtung und des Schutzes begrenzt und verpflichtet.
Die Menschenwürde in
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Das
Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der Menschenwürde in zahlreichen
Entscheidungen definiert. Hiernach bezeichnet die Menschenwürde den Wert- und
Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig
von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen
Leistungen oder sozialem Status.
Im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts bezieht nach
der Ordnung des Grundgesetzes der Staat seine Legitimation allein daraus, dass
er den Menschen konkret dient.
Die Menschenwürde ist damit der oberste Grundwert und die Wurzel
aller Grundrechte.
Als einzige Verfassungsnorm gilt die Menschenwürde absolut,
sie kann durch keine andere Norm beschränkt werden, auch nicht durch ein
anders, von der Menschenwürde abgeleitetes Grundrecht.
Das
Bundesverfassungsgericht versteht die Menschenwürde als ein Grundrecht, dass
nachArt. 1 Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt bindet
-wörtlich gesehen würden nur die „nachfolgenden“ Grundrechte, also nicht die
Menschenwürde des Art. 1
Abs. 1 GG, diese Bindung
auslösen. So sind auch alle gesetzlichen Bestimmungen im Lichte der Bedeutung
der Menschenwürde auszulegen, so dass eine Norm, die gegen die Menschenwürde
verstößt, stets als verfassungswidrig einzustufen ist.
Das menschliche Leben, so das Bundesverfassungsgericht
zuletzt im Jahr 2006 in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz1, ist die vitale
Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem
Verfassungswert2. Jeder Mensch
besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen
körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen
Status3. Sie kann keinem Menschen
genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt4. Das gilt unabhängig auch von der
voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens5.
Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von
Lebensrecht und Menschenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen
unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das
Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes
menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht gebietet es dem Staat und
seinen Organen, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu
stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von
Seiten Dritter zu bewahren6. Ihren Grund hat
auch diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, der den Staat
ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet7.
Was diese Verpflichtung für das staatliche Handeln konkret
bedeutet, lässt sich nicht ein für alle Mal abschließend bestimmen8. Art.
1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung,
Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder
durch den Staat selbst9.
Jede quantifizierende Betrachtungsweise menschlichen Lebens
ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde, der Staat darf also nicht etwa viele
Menschenleben gegen ein einzelnes abwägen. Jedes Menschenleben ist gleich
wertvoll, jeder Mensch besitzt die gleiche Würde. Jeder einzelne hat daher
einen Anspruch, dass sich der Staat schützend vor sein Leben stellt1.
Die Menschenwürde in der deutschen Rechtswissenschaft[↑]
Einen starken Einfluss auf das Verständnis der Menschenwürde
in der deutschen Rechtswissenschaft hätte zunächst die quasi naturrechtliche
Einordnung durch Günter Dürig. Hiernach ist jeder Mensch ein Mensch kraft
seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener
Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewusst zu werden, sich selbst zu
bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“, was aktuell allerdings
relativiert wir. So beschreibt etwa der Bonner Staatsrechtsprofessor Matthias Herdegen:
„Trotz des kategorialen Würdeanspruchs aller Menschen sind Art und Maß des
Würdeschutzes für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen
Rechnung tragen.“
Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen Gedanken 2006
in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz1 noch einmal
aufgegriffen. Danach ist nach der Wertordnung des Grundgesetzes der Mensch ein
Wesen, das „in Freiheit (über) sich selbst bestimmt.“
Die Menschenwürde des Art.
1 GG wird damit verstanden sowohl als Wesensmerkmal eines jeden
Menschen wie auch als Gestaltungsauftrag an den Staat. Adressat der
Menschenwürde ist daneben aber auch jeder Einzelne: Die Annahme sittlicher
Autonomie des Menschen führt zum Recht eines jeden Menschen auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit10.
Dieses doppelte Verständnis der Menschenwürde als
unantastbares Wesensmerkmal und als Gestaltungsauftrag führt dabei zu einem
Spannungsverhältnis: Als Wesensmerkmal ist die Menschenwürde unveräußerlich und
stets gegeben, als Gestaltungsauftrag muss die Menschenwürde hergestellt und
erworben werden. Umstritten ist in diesem Zusammenhang auch, ob das Grundgesetz
mit dem Postulat der Unantastbarkeit das Bestehen eines Sachverhalts formuliert
(„ist unantastbar“) oder aber das Bestehen des Sachverhalts nur suggeriert
wird. So versteht etwa Dürig die Bestimmung des Art.
1 Abs. 1 GG so, dass das Grundgesetz lediglich unter der Suggestion
einer Tatsache eine Forderung von höchster Stärke formulieren wollte, so dass
die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 GG demnach zu lesen
ist, dass die Menschenwürde eines jeden Menschen von staatlicher Gewalt und
anderen unter keinen Umständen angetastet werden darf11.
Genau genommen wird der Streit damit jedoch nur verlagert, denn mit dem hiermit
verbundenen implizierten Eingeständnis, dass die Menschenwürde angetastet und
damit auch eingeschränkt werden kann, wird die Auffassung vom Wesensmerkmal
verlassen.
Die „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichts[↑]
Aus der Menschenwürde ergibt sich nach dem Verständnis des
Bundesverfassungsgerichts der Anspruch eines jeden Menschen, in allen
staatlichen Verfahren stets als Subjekt und nie als bloßes Objekt behandelt zu
werden. jeder einzelne Mensch hat damit ein Mitwirkungsrecht, er muss
staatliches Verhalten, das ihn betrifft, selber beeinflussen können.
Die nach dieser „Objektformel“ für den Gesetzgeber bindenden
ethisch-rechtlichen Maßstäbe hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt im
Februar 2006 in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz1 beschrieben:
Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des
Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten,
und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als
gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden12, schließt es die Verpflichtung zur
Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen
zum bloßen Objekt des Staates zu machen13. Schlechthin
verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt,
die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in
Frage stellt14.
Das Bundesverfassungsgericht sieht dabei die Würde eines
jeden einzelnen Menschen absolut, menschliches Leben und menschliche Würde
genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen
Menschen den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz:
Auch die Einschätzung, diejenigen, die sich als Unbeteiligte
an Bord eines Luftfahrzeugs aufhalten, das im Sinne des § 14 Abs. 3 LuftSiG
gegen das Leben anderer Menschen eingesetzt werden soll, seien ohnehin dem Tode
geweiht, vermag der mit einer Einsatzmaßnahme nach dieser Vorschrift im
Regelfall verbundenen Tötung unschuldiger Menschen in einer für sie ausweglosen
Lage nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser
Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne
Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen
verfassungsrechtlichen Schutz. Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt
denjenigen, die sich wie die Opfer einer Flugzeugentführung in einer für sie
alternativlosen Notsituation befinden, gerade die Achtung, die ihnen um ihrer
menschlichen Würde willen gebührt.1
Personaler und räumlicher Schutzbereich der Menschenwürde[↑]
Die Schutzverpflichtung des Staates gilt nicht nur gegenüber
seinen eigenen Staatsbürgern sondern gegenüber allen Menschen, die sich im
Geltungsbereich des Grundgesetzes, also auf deutschem Staatsgebiet, aufhalten.
Sie gilt darüber hinaus auch für alle außerhalb des deutschen Staatsgebiets
vorgenommene Akte deutscher Staatsgewalt, also beispielsweise auch für deutsche
Botschaften und Konsulate, in denen etwa Bürgerkriegs-Flüchtlinge Zuflucht
suchen, aber auch für Schiffen unter deutscher Flagge, für ex-territoriale
Einrichtungen der Bundeswehr, oder für die Handlungen eines im Ausland tätigen
Soldaten oder Mitarbeiter eines deutschen Nachrichtendiensten, selbst dann,
wenn dieser Einsatz nach dem Recht des Einsatzortes illegal ist.
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat darüber hinaus, sich
weltweit für das Prinzip der Menschenrechte einzusetzen, wobei allerdings die
Entscheidung darüber, in welcher Form und welchem Umfang dies geschieht, im
Ermessen der Bundesregierung und des Bundesgesetzgebers liegt. So ist die
Bundesrepublik etwa internationalen Verträgen beigetreten, ist Signatarstaat
der Europäischen Menschenrechtskonvention und hat sich verpflichtet,
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu beachten.
Artikel 1 GG hat auch eine postmortale Wirkung, gilt
also auch für das Andenken und den Ruf des Toten. So hat das
Bundesverfassungsgericht in seiner Mephisto-Entscheidung15ausdrücklich betont, dass der Mensch auch nach
seinem Tod nicht seinen persönlichen Achtungsanspruch verliert.
Als Menschenwürde versteht man die Vorstellung, dass alle
Menschen unabhängig irgendwelchen Merkmalen wie etwa Herkunft, Geschlecht oder
Alter denselben Wert haben, da sie sich alle durch ein dem Menschen einzig
gegebenes schützenswertes Merkmal auszeichnen, nämlich die Würde. Seine
Verankerung als erste Norm des Grundgesetzes ist eine bewusste Reaktion auf die
massive Missachtung der Menschenwürde im Nationalsozialismus.
Was ist Würde? Fast
alle wissen, was gemeint ist aber kaum jemand kann es erklären. Woraus besteht
sie, wie entsteht sie?
Die Würde
des Menschen ist unantastbar. Dieser Satz wird oft und gern zitiert. Als
Forderung, als Ermahnung, als Beweis unserer Kultur. Seit 1949 steht diese
Aussage von der Unantastbarkeit der Menschenwürde an erster Stelle unseres
Grundgesetzes, das ist wohl einmalig in der Welt. Es war eine Reaktion auf die
Unmenschlichkeit im 3. Reich. Wie sieht es mit dieser Aussage in der Praxis
aus? Wie oft wird sie täglich widerlegt! Liegt dies an der Form der
Formulierung, die ja den Eindruck entstehen lässt, dass es so sei mit der
Unantastbarkeit? Der Inhalt kann ja wohl nicht so falsch sein. Liegt es
vielleicht an einem mangelnden inhaltlichen Verständnis des Begriffes?
Würde bedeutet Wertigkeit, Erhabenheit, Vornehmheit,
Majestät erhabene Gesinnung, Autonomie und sittliche Selbstgesetzgebung; dem
Menschen innewohnender Wert und innerer Rang, Menschenwürde; innere Haltung,
die durch das Bewusstsein vom eigenen Wert oder von einer geachteten Stellung
bestimmt wird; Echtheit. Ähnlich wie bei der Identität enthält Würde
Selbstbild, soziale Aufgabe und Anerkennung durch bedeutsame Bezugspersonen
sowie Selbstverantwortung. Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft
ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.
(Friedrich Schiller)
Würdigen bedeutet werten, anerkennen, achten, Achtung
erweisen, respektieren, Respekt haben vor etwas, Respekt zollen, schätzen,
hochschätzen, bewundern, von Bewunderung erfüllt sein für etwas, ehren,
Ehrfurcht erweisen, in Ehren halten, Wert legen auf etwas. Weitere Begriffe,
die damit in lockerem Zusammenhang stehen sind: Status, Ansehen, Bekanntheit,
Beliebtheit, Berühmtheit, Namen, Popularität, Prestige, Renommee, Reputation,
Ruf, Ruhm.
Menschenwürde entsteht durch Anlage, Zuweisung oder Anspruch
und Leistung oder Erfüllung, sie ist ein Teil menschlicher Identität, und zwar
der wesentliche, nämlich der geistige, der ideelle. Hier wird deutlich, wie
wichtig eine ideelle Orientierung ist. Menschenwürde ist ein veränderlicher
Teil des Menschen, ihre Beschaffenheit wird sowohl von der jeweiligen
gesellschaftlichen Kultur, als auch von dem einzelnen Menschen selbst
mitbestimmt.
Die Anlage der Menschenwürde enthält zunächst die
Daseinsform als Mensch sowie seine angeborenen körperlichen und geistigen
Fähigkeiten. Die Zuweisung enthält die sozialen Verhältnisse, in die der Mensch
hineingeboren wurde sowie die Wertschätzung durch seine Mitwelt. Die Leistung
besteht aus der eigenen Wertschätzung, der Entfaltung der Fähigkeiten sowie der
ethischen Einstellung und der praktizierten Solidarität.
Die Menschenwürde ist also keine feste Größe, sie ist
abhängig von der allgemeinen Wertschätzung der jeweiligen gesellschaftlichen
Gruppierungen, in denen sich der Einzelne bewegt, sowie von seinem allgemeinen
und besonders von seinem ethischen Verhalten.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. So lauten die ersten
Worte unseres Grundgesetzes in Artikel 1 der Grundrechte. Weiter heißt es in
diesem Artikel: Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt.
Die Formulierung des ersten Satzes, der meist nur allein
gebraucht wird, ist eine sehr verkürzte, subjektive; sie ist missverständlich,
fast könnte man sagen eine Selbsttäuschung, ein Wunsch, der eine Tatsache
vortäuscht. Es stimmt leider so nicht, wie es in der Formulierung klingt, dass
sie unantastbar ist, denn die Menschenwürde wird oft genug angetastet. Indem
etwa Kinder zu früh zur Anpassung erzogen und meist auch in eine bestimmte
ideologische Richtung gedrängt werden, wird die in Artikel 2 GG gewährte freie
Entfaltung ihrer Persönlichkeit behindert und wird ihre Menschenwürde
nachhaltig angetastet. Leider werden diese eigentlichen Ursachen späteren
unwürdigen Verhaltens noch immer viel zu wenig beachtet.
Der Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar"
bedeutet eigentlich: "Die Würde des Menschen ist verletzlich, sie ist zu
ermöglichen, zu achten, zu wahren und zu schützen." Dies sollte nicht nur
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sein, sondern auch aller elterlichen,
schulischen betrieblichen und sonstigen Gewalt oder besser: Verantwortlichkeit.
Da das Grundgesetz nicht nur für den Staat gilt, müssten sich dessen Inhalte
auch in allen außerstaatlichen Bereichen entsprechend widerspiegeln, z.B. in
wirtschaftlichen Bereichen im Betriebsverfassungsgesetz, in schulischen in den Vorschriften
der Kultusministerien und in privaten in den religiösen Richtlinien, die jedoch
entweder ethische Normen wie Artikel 1 GG nicht enthalten oder sogar gegen
diese verstoßen.
Fast immer liegt ein Verstoß gegen Artikel 1 und gegen
Artikel 2 GG vor, wenn in Anwendung der Artikel 4 und 7 unter Gewährung
ungestörter Religionsausübung Kinder in eine bestimmte ideologische Richtung
erzogen werden, die sie von anderen Menschen abgrenzt. Artikel 4 und 7 wären zu
ergänzen bzw. zu differenzieren, um die darin enthaltenen Möglichkeiten des
Verstoßes gegen Art. 1 und 2 zu verhindern. Für Art.4 müsste es heißen: Die
ungehinderte freie Entfaltung eines individuellen Glaubens ist durch Vermeidung
jeglicher einseitigen Einflussnahme bis zum 18. Lebensjahre zu gewährleisten
und durch Erschließung vieler, möglichst aller ethischen Orientierungen zu
fördern. Für Art. 7 müsste es heißen: Religionsunterricht bedeutet unabhängige
und gleichberechtigte Unterrichtung über alle vorhandenen Religionen,
Weltanschauungen und ethischen Orientierungen ohne Bevorzugung einer
bestimmten. Und Art.1 sollte ergänzt werden in: ... ist Verpflichtung aller
Bürger und der staatlichen Verantwortlichkeit.
Menschenwürde hängt ab von einem Menschenbild, dieses hängt
mit einem Weltbild zusammen. Die Würde ist etwas, was dem Menschen zunächst als
Möglichkeit gegeben ist, was ihm zusteht, was er aber auch erfüllen muß. Ein
Mensch, der sich würdelos verhält, kann schwerlich erwarten, dass man ihn
würdig behandelt. Ein Politiker beispielsweise, der seine politischen Gegner
beschimpft und herabwürdigt, der verliert damit gleichzeitig an eigener Würde,
zumindest bei denjenigen Wählern, denen Würde etwas bedeutet.
Es ist demnach nützlich, den Begriff der Menschenwürde immer
wieder zu hinterfragen und zu definieren, um dadurch auch die Selbstwahrnehmung
und Selbstkontrolle zu fördern und sich der Beschaffenheit der eigenen Würde bewusst
zu werden. Wenn dieses verstärkt geübt und praktiziert würde, käme es dazu, dass
mehr Menschen als bisher in der Lage wären, das Verhältnis der egoistischen zu
den altruistischen Anteilen der Antriebe des eigenen Handelns zu erkennen und
zu steuern. Damit wären auch mehr Menschen in der Lage, Politiker auf ihre
Wahrhaftigkeit hin einzuschätzen und vielleicht gerechter zu beurteilen. Die
Politiker selbst würden dann vielleicht mehr als bisher bereit sein, sich
selber zu kontrollieren und Supervisionen zu unterziehen.
Wenn beispielsweise Politiker den Eindruck erwecken, dass
sie "an ihrem Sessel kleben", dann geschieht da etwas, das ihre Würde
antastet. Dann scheint der Egoismus im Vordergrund zu stehen, was negativ
bewertet wird. Andererseits wird aber auch Durchsetzungsvermögen erwartet und
geschätzt, was ohne egoistische Anteile kaum möglich ist. Würde kann erst dann annähernd
unantastbar sein, wenn genügend Gespür in die eigene Befindlichkeit, in die
eigenen wirklichen menschlichen Bedürfnisse und eine klare ethische
Orientierung vorhanden sind, und wenn diese und vielleicht noch weitere
Merkmale miteinander in ein gewünschtes Verhältnis gebracht werden können.
Der Begriff 'unantastbar' sagt ja eigentlich vom Begriff
her, dass etwas nicht angetastet werden kann. Das ist aber in der Formulierung
so gar nicht gemeint, denn es heißt ja weiter: Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Wenn etwas unantastbar wäre, müsste
es nicht geschützt werden. Es ist also lediglich eine Verpflichtung und noch
kein Ergebnis. Gemeint ist, dass die Menschenwürde nicht angetastet werden darf
oder zumindest nicht soll. Es ist auch wichtig, zu wissen, dass sich die
Verpflichtung in dem Artikel 1 lediglich auf das Verhalten des Staates
gegenüber dem Volk bezieht.
Da Menschenwürde selbst unbedingt etwas mit Wahrhaftigkeit
sich selbst und anderen gegenüber zu tun hat, ist es schon bedeutsam, ja
bedenklich, wenn in diesem Zusammenhang von einer Unantastbarkeit gesprochen
wird. Das entwertet sowohl den Begriff, als auch die Absicht der Verwendung,
und damit seine Wirksamkeit. Es kann so der unbewusste Eindruck entstehen, dass
die Unantastbarkeit bereits gewährleistet sei. Besser, weil wahr-haftiger wäre
wohl gewesen, anstatt von Unantastbarkeit von Verletzbarkeit oder
Unverzichtbarkeit zu sprechen. Es hätte heißen müssen: "Die Achtung und
der Schutz der Würde des Menschen sind unverzichtbar" oder "Die
verletzbare Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen", und zwar
nicht nur von gewaltausübenden Staatsbeamten und -angestellten, sondern auch
von Eltern, Vorgesetzten, von jedermann gegenüber jedermann und -frau. Schließlich
auch gegenüber der Natur, gegenüber Tier und Pflanze.
Haben nicht auch Tiere ihre Würde? Wenn Menschen z.B. den
von ihnen als König der Tiere eingestuften Löwen hinter Gittern dazu bringen,
durch Männchenmachen die Zuschauer zu unterhalten und belustigen, dann ist das
nicht nur ein Antasten der Würde des Tieres, sondern auch ein unwürdiges
Verhalten des Dompteurs und der Zuschauer dem Tier und den Mitmenschen
gegenüber. Auch ist es einigen Nachdenkens wert, ob nicht bereits mit dem
Beobachten von Tieren, besonders des Liebesspiels und -aktes genaugenommen eine
Verletzung von Würde gegeben ist - zumindest der unsrigen.
Wenn man hin und wieder in Fernseh-Berichten über
Natur-Katastrophen sehen muß, in welch menschenunwürdiger Lage sich Menschen
befinden, die versuchen, im überfluteten Ufergebiet eines Flusses ihr Leben zu
retten, dann kann man Ureinwohner verstehen, die achtsam mit ihrer Umwelt
umgehen und selbst Bäumen, Flüssen, Seen und Bergen eine Würde zugestehen.
Vielleicht wird es eines Tages heißen: Die Würde von Mensch und Natur ist zu
gewährleisten. (Man schlägt, schneidet oder beleidigt einen Fluss nicht, man
umsorgt ihn wie ein lebendiges Wesen. Weisheit der Maori, Ureinwohner
Neuseelands.)
Es scheint jedenfalls dringend erforderlich, den Begriff
Menschenwürde immer wieder ins Gespräch zu bringen, ihn zu hinterfragen und neu
zu definieren, um ihn dadurch mehr als bisher zu verinnerlichen und anzuwenden.
Auch ein Bekenntnis zum Humanismus kann zu einer stärkeren Beachtung der
Menschenwürde beitragen, denn seine Definition lautet sehr konkret: Humanismus
ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und
dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient.
Menschenwürde und Recht auf Leben
Die dritte Weichenstellung, die das Gericht in seiner Rechtsprechung zur Menschenwürde vorgenommen hat, ist die Kopplung der Menschenwürde mit anderen Grundrechten, insbesondere mit dem Recht auf Leben. Die Folge dieser Verkopplung ist, dass auch einzelne Schutzbereiche der Spezialgrundrechte, soweit sie sich mit dem der Menschenwürde decken, an der besonderen Gewährleistung der Menschenwürde teilnehmen; das heißt sie werden uneinschränkbar und unabänderlich.
Am Verhältnis von Artikel 1 Absatz 1 GG zum Recht auf Leben kann dies exemplarisch skizziert werden. Das Gericht koppelt die Menschenwürde mit dem Recht auf Leben hinsichtlich des personellen Geltungsbereichs. Der personelle Schutzbereich des Grundrechts auf Leben in Artikel 2 Absatz 2 GG sei mit Artikel 1 Absatz 1 GG untrennbar verbunden. "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; (...) die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen."
Das Grundgesetz aber regelt die Würde des Menschen in Artikel 1 Absatz 1 und das Recht auf Leben in Artikel 2 Absatz 2 voneinander getrennt. Nach dem Grundgesetz soll die Menschenwürde unantastbar sein, während das Recht auf Leben demgegenüber unter Gesetzesvorbehalt gestellt wird. Geht man aber wie das Gericht davon aus, dass die Menschenwürde und das Lebensrecht bei einem Eingriff immer gemeinsam betroffen sind, kann ein Eingriff in das Lebensrecht genauso wenig gerechtfertigt werden wie eine Verletzung der Menschenwürde. Der Gesetzesvorbehalt in Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 GG läuft dann leer. In dieser Debatte geht es letztlich immer wieder um den Schutz des vorgeburtlichen Lebens. Demnach ist nicht allein die natürliche Person Träger der Menschenwürde, sondern bereits die befruchtete Eizelle. Die Grundrechtsberechtigung soll sich bei Artikel 1 Absatz 1 GG wie bei Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG nach dem Lebensbeginn richten, was bei dieser Gelegenheit dann auch entschieden wird. Setzt man in dieser Weise Leben mit Menschenwürde gleich, ist der personale Schutzbereich der Menschenwürde zeitlich in der Tat mit dem so definierten Lebensbeginn eröffnet.
Mit diesen Dezisionen in den Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch hat das Gericht nicht nur eine selbstbestimmte Schwangerschaft stark beschränkt, sondern tief in existenzielle und weit in die Zukunft reichende Grundfragen eingegriffen. So wird in allen aktuellen Diskussionen in der Gentechnik unter Berufung auf die Menschenwürde damit abgeblockt, dass uns dieses oder jenes Vorgehen durch Artikel 1 Absatz 1 GG verboten sei.
Dies geschieht vor allem auch deshalb, weil sich das Gericht in seiner zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich gegen einen abgestuften Lebensschutz ausgesprochen hat: "Das Grundgesetz enthält für das ungeborene Leben keine vom Ablauf bestimmter Fristen abhängige, dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgende Abstufung des Lebensrechts und seines Schutzes. Auch in der Frühphase einer Schwangerschaft hat die Rechtsprechung deshalb dieses Maß an Schutz zu gewährleisten."
Dabei ist vielfach zu Recht darauf hingewiesen worden, dass, obwohl das Bundesverfassungsgericht einen abgestuften Lebensschutz verneint, die befruchtete Eizelle nach den Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch keineswegs absolut geschützt ist. Sie darf beispielsweise durch Benutzung einer Spirale an der Einnistung gehindert und ausgeschieden werden. Nach der Nidation darf das ungeborene Leben bis zur 12. Woche abgetötet werden, wenn die Schwangere die Schwangerschaft als schwere, außergewöhnliche und unzumutbare Belastung empfindet. Bis zur 22. Woche darf abgetrieben werden, wenn nach ärztlicher Erkenntnis das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren gefährdet sind, unter anderem durch die Belastung der Schwangeren mit einem vermutlich behinderten Kind. Es gibt also trotz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch durchaus Abstufungen und Abwägungen beim Lebensschutz des Embryos in vivo.
Wenn dem so ist, warum dann die Berufung des Gerichts auf die Menschenwürde mit der Folge der Aufrechterhaltung des strafrechtlichen Abtreibungsverbots in Paragraf 218 des Strafgesetzbuches? Das Verfassungsgericht konnte beim zweiten Abtreibungsurteil nur noch den Schein eines absoluten Verbots wahren. Es hat mit dem Passieren lassen einer Fristenlösung mit Beratungspflicht zwar den Gesetzgeber zum Teil korrigiert, ist aber letztlich, indem es abgewogen hat, über weite Strecken dem gesetzgeberischen Kompromiss gefolgt. Das ist vom Ergebnis zu begrüßen, überzeugt aber in der Begründung nicht.
Dass die beim Schwangerschaftsabbruch gefundene Lösung einer normativen Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 GG entsprechen soll, leuchtet nicht ein. Naheliegend ist vielmehr die Verneinung einer Kongruenz von Menschenwürde und Lebensschutz, wie sie in Teilen der Rechtswissenschaft vertreten wird - mit der Folge, dass für das vorgeburtliche Leben kein absoluter Lebensschutz gilt, sondern ein abgestufter. Man kann, wenn man Lebens- und Würdeschutz entkoppelt, beim Lebensschutz des Embryos wegen des Gesetzesvorbehalts in Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 GG differenzieren und gestufte Lösungen gemäß den verschiedenen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens begründen
Wie wird Menschenwürde bestimmt?
Das mit der Bestimmung der Menschenwürde als subjektives
Grundrecht heraufbeschworene Strukturproblem einer positiven
Schutzbereichsbestimmung ist bis heute nicht gelöst und kann im Zweifel auch
nicht zufriedenstellend gelöst werden. Zunächst ist bei Artikel 1 Absatz 1 GG
jede Schutzbereichsbestimmung nicht nur notwendig von einer bestimmten
philosophischen Tradition geprägt, sondern diese Prägungen sind auch das
Einfallstor für die Verabsolutierungen einzelner, partikulärer ethischer
Auffassungen oder politischer Haltungen.[12] Gelingt es, diese Auffassungen zum
Schutzinhalt der Menschenwürde zu erklären, wird die weitere gesellschaftliche
Konsensbildung zum jeweiligen Thema aufgehalten, weil die Berufung auf die
Menschenwürde als Verbot anderer Auffassungen und Haltungen durchgesetzt wird.
Dieser Gefahr ist das Gericht scheinbar entgangen. Die
positiven Inhaltsbestimmungen der Menschenwürde haben sich in der
Rechtsprechung des Gerichts nicht zu einem konkreten, gegenüber anderen
Grundrechten abgrenzbaren Normeninhalt verdichtet. Vielmehr entscheidet das
Gericht von Fall zu Fall, ob die Menschenwürde verletzt ist. In der
Gesellschaft gibt es deshalb auch einen von Fall zu Fall wechselnden Konsens
über die einzelnen Verbote, die das Gericht unter Berufung auf die
Menschenwürde ausspricht.
Im Unterschied zu anderen Entscheidungen des Gerichts, die
auch Entscheidungen zu gesellschaftlichen Konfliktlagen sind, ist aber das
Verbot, welches das Gericht wegen der Verletzung der Menschenwürde ausspricht,
wegen Artikel 79 Absatz 3 GG weder durch den Gesetzgeber noch durch den
Verfassungsgeber beseitig bar. Das Gericht hat mit seinen Entscheidungen unter
Berufung auf die Menschenwürde die Macht, Endgültigkeit zu verkünden; das heißt
jede gegen die Aufhebung des Verbots gerichtete Bewegung zu blockieren.
Das scheint, wenn es um gesellschaftliche Rückschritte geht
oder gar den Rückfall in die Barbarei, eine wünschenswerte Sicherung für den
Erhalt des demokratischen Rechtsstaats zu sein. Aber kann es das wirklich, handelt
es sich nicht vielmehr um schlichte Überforderung des Gerichts, hinter der
seine Überhöhung zum säkularen Verkünder der letzten Wahrheiten steckt?
Wie aber umgeht das Gericht, wenn es die Menschenwürde als
Maßstab für die Entscheidung eines Falles anwendet, eine positive inhaltliche
Bestimmung des Schutzbereichs der Menschenwürde? Wenn es wegen Verletzungen der
Menschenwürde angerufen wird, wendet es zunächst die Objektformel an. Diese
gibt ihm scheinbar die Möglichkeit, ohne Inhaltsbestimmung der Menschenwürde
einen Eingriff in sie festzustellen.[13] Das kommt notwendig nicht ohne
Tautologien aus: Die Feststellung einer Würdeverletzung erst auf der
Eingriffsebene mit Hilfe der sogenannten Objektformel geschieht durch die
Feststellung, die Menschenwürde werde verletzt, "wenn der konkrete Mensch
zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt
wird".[14] An anderer Stelle heißt es, dass Artikel 1 Absatz 1 GG den
Menschen davor schütze, "dass er durch den Staat oder durch seine Mitbürger
als bloßes Objekt, das unter vollständiger Verfügung eines anderen Menschen
steht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass
ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen
wird".[15]
Relativierung des
Würde-Prinzips
Diese Formel, die der Staatsrechtsprofessor Günter Dürig in
der Rechtswissenschaft durchgesetzt hat, wurde bereits sehr früh vom
Bundesverfassungsgericht aufgegriffen und im Folgenden zu einem festen
Bestandteil des gerichtlichen Kanons.[16] Im Abhörurteil aus dem Jahr 1970 sah
sich das Gericht jedoch gezwungen, ihren normativen Gehalt deutlich zu
relativieren: "Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum
bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, können lediglich die
Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden
werden können. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der
Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts,
insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muss."[17]
In dieser Art des Objektseins des Menschen sieht das
Bundesverfassungsgericht keine Verletzung der Menschenwürde. Vielmehr muss die
Behandlung seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellen oder in der
Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Menschenwürde
liegen.[18] Bei der Behandlung durch die öffentliche Gewalt sei eine Verletzung
der Menschenwürde dann zu konstatieren, wenn eine Verachtung des Wertes, der
dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, vorliegt (verächtliche
Behandlung).[19]
Diese Formulierungen haben immer wieder zu Recht Rückfragen
provoziert. So fragt etwa der Rechtsphilosoph und Verfassungsjurist Hasso
Hofmann: "Was heißt Ausdruck der Verachtung des Person-Wertes? Wann ist
eine staatliche Maßnahme 'Ausdruck' einer solchen Verachtung? Und: gibt es
außer der 'willkürlichen Missachtung der Würde des Menschen', von der das
Gericht spricht, auch noch eine willkürfreie?"[20] Der Versuch des
Gerichts, im Abhörurteil die Tautologie der Objektformel durch ihre
Konkretisierung zu beseitigen, endete mit neuen normativen Unschärfen.
Günter Dürig selbst hat die Relativierung des absoluten
Achtungsanspruchs des Würde-Prinzips durch den "subjektiven Faktor"
kritisiert.[21] Auf den Einwand der Konkretisierungsbedürftigkeit der
Objektformel und dessen Folgen, welcher oben auf die These des Gerichts, dass
im Einzelfall nur dann eine Verletzung der Menschenwürde festgestellt werden
könne, wenn die Objektformel ihrerseits konkretisiert werde, folgte, reagierte
er folgendermaßen: "Die positivrechtlich gebotene Ausfüllung dieser
Wertbegriffe ist auch in unserer pluralistischen Gesellschaft viel exakter
möglich als manche behaupten. (...) Es gibt einen sehr exakten Konsensus, wie
eine Staats- und Gesellschaftsordnung nicht aussehen soll. Diese gleichsam
negative Interpretationsmethode ist im Verfassungsrecht durchaus legitim (...)
Natürlich sollte man sich nicht anmaßen, das Menschenwürdeprinzip positiv
verbindlich zu interpretieren, aber man kann sagen, was dagegen
verstößt."[22]
Daraus wird ersichtlich, dass auch Dürig, zumindest was
Verletzungstatbestände angeht, auf den gesellschaftlichen Konsens abgestellt
hat. Was aber, wenn ein Konsens in der Gesellschaft über das, was eine
Verletzung der Menschenwürde ist, gerade nicht herstellbar ist und das
Verfassungsgericht zur Entscheidung angerufen wird? Kann das Gericht diesen
Konflikt entscheiden, ohne abzuwägen? Kann es die Objektformel für den
Einzelfall so konkretisieren, dass sie verlässlich ein normatives Prüfprogramm
ergibt?
Diese Frage zu stellen, heißt, sie zu verneinen:
Verlässlichkeit bei der Konkretisierung der Objektformel ist nur erwartbar, wo
geistesgeschichtlich und rechtsvergleichend kein anderes Urteil möglich ist als
die Annahme einer Würdeverletzung. Überall dort aber, wo die Dinge nachhaltig
in Streit geraten, kann das Gericht nur seine eigene Dezision an die Stelle des
nicht vorhandenen gesellschaftlichen Konsenses setzen. Dazu aber muss es das
tun, was es immer tut: werten und abwägen - ausgehend vom Vorverständnis der
beteiligten Richterinnen und Richter. Sich dieser Einsicht zu stellen, bedeutet
nichts weiter als das Gericht als das wahrzunehmen, was es ist: eine
diesseitige fehlbare Instanz, die in sich noch mal den gesellschaftlichen
Konflikt austrägt, wegen dessen es angerufen wurde, bevor es eine Entscheidung
findet.
Dies ist beim Streit um die Menschenwürde umso mehr der
Fall, als hier ein verlässliches normatives Programm weithin fehlt. Worum die
Richter dabei methodisch und inhaltlich streiten, ist vom Staats- und
Verwaltungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde sehr deutlich formuliert worden,
als er nach den geistigen Grundlagen unserer Menschenwürdevorstellungen gefragt
hat: "Ist die Würde des Menschen in ihrem Kern das Unverlierbare und
Unverfügbare, das den Menschen auszeichnet, die metaphysische Verankerung
seines personalen Seins, aus der die Menschenrechte fließen und die selbst
jeder Disposition entzogen ist? Oder bedeutet Menschenwürde primär die
Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung, ist sie im Kern das Recht auf diese
Selbstbestimmung und Selbstdarstellung, gewissermaßen der höchste Gipfel der
Menschenrechte, worin die Freiheit der Disposition auch über sich selbst und
die moralischen Bindungen und Pflichten, denen man sich unterstellt,
eingeschlossen ist? Lässt sich die Würde des Menschen - so oder anders
verstanden - immanent-rational, mit den Mitteln autonomer Vernunft und aus der
Vernunftbegabtheit des Menschen begründen, oder bedarf es zu ihrer Begründung
des Rückgriffs auf etwas vorausliegendes, transzendentes, das letztlich nur
metaphysisch oder religiös-theologisch auszumachen ist?"[23]
Menschenwürde als
unabwägbares Menschenrecht
Die wichtigste und folgenreichste Weichenstellung des
Gerichts im Umgang mit der Menschenwürde liegt darin, Artikel 1 Absatz 1 GG als
individuelles subjektives Grundrecht zu verstehen und anzuwenden. Das Gericht
hätte angesichts des Verfassungstextes auch anders verfahren können: Es hätte
Artikel 1 Absatz 1 GG nicht als subjektives Grundrecht, sondern ausschließlich
als objektive Verfassungsnorm interpretieren können. Heißt es doch in Artikel 1
Absatz 3 GG, das die darauffolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende
Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden. Insoweit war
es möglich den Katalog der Grundrechte des Grundgesetzes erst bei Artikel 2 GG
beginnen zu lassen und aus Artikel 1 Absatz 1 GG kein subjektives Grundrecht zu
folgern, sondern nur einen objektiven Rechtssatz. Während Ersteres ein vom
Individuum einklagbares Recht ist, bezeichnet Letzteres einen
"Grundsatz", welcher den Staat zu einem bestimmten Tun verpflichtet.
Dies umso mehr, als die Menschenwürde als Verfassungsnorm im
Deutschland vor 1949 keine Tradition hatte.[5] Erst mit dem Grundgesetz wurde
sie in die Verfassung eingeführt und den zentralen, rechtsstaatlichen
Verfassungsbegriffen Freiheit und Gleichheit hinzugefügt.[6] Dies geschah nach
dem Vorbild von Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.
Dezember 1948, in dem es heißt: "Alle Menschen sind frei und gleich an
Würde und Rechten geboren."[7] Damit war die Entscheidung, die Menschenwürde
zum selbstständigen subjektiven Grundrecht zu machen, nicht vorgegeben. Als das
Verfassungsgericht diesen Weg beschritt, gab es dafür kein Beispiel, es hat
vielmehr die Weichen früh[8] und selbstständig in diese Richtung gestellt.[9]
Die Wirkungen dieser Interpretation der Menschenwürde lassen
sich wie folgt beschreiben: Mit der Qualifizierung der Würdegarantie als
subjektives Recht entsteht der Zwang, die spezifisch juristische Struktur eines
Grundrechts mit Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der
Rechtsprechung zur Geltung zu bringen. Mit anderen Worten: Wer eine
Grundrechtsprüfung vornimmt, geht in drei Schritten vor. Er muss erstens
feststellen, ob das umstrittene Handeln in den Schutzbereich des Grundrechts
fällt; nur wenn dies der Fall ist, wird es auch vom Grundrecht geschützt. Im
zweiten Schritt muss festgestellt werden, ob in diesen Schutzbereich
eingegriffen wurde. Im dritten Schritt wird je nach Schrankenregelung der
festgestellte Eingriff gerechtfertigt oder die Verfassungswidrigkeit des
Eingriffs festgestellt. Für die Menschenwürde muss nach diesem Schema ein
Schutzbereich bestimmt und die Qualität der Schrankenregelung festgestellt
werden.
Das Bundesverfassungsgericht ist nicht so verfahren. Es hat
nicht zunächst positiv den Schutzbereich der Menschenwürde bestimmt, sondern
aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde ihre Unabwägbarkeit gefolgert.[10]
Anders als bei allen anderen Grundrechten gilt deshalb ein Eingriff in das
Grundrecht der Menschenwürde für nicht rechtfertigbar. Eine Verletzung der
Menschenwürde kann mit keinem Argument gerechtfertigt werden, sondern ist
lediglich festzustellen. Die juristische Arbeit des Abwägens fällt damit aus.
Eine Grundrechtsprüfung am Maßstab der Menschenwürde endet
demnach bei Schritt zwei, der Feststellung des Eingriffs, weil bereits aus dem
Vorliegen des Eingriffs die Menschenwürdeverletzung gefolgert wird. Damit wird
die Menschenwürde absolut gesetzt, ohne zu sagen, was inhaltlich von der
Menschenwürde geschützt wird. Hinzu kommt der Schutz der Menschenwürde durch
die Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 GG, nach der es auch dem
Verfassungsgeber verwehrt ist, die Menschenwürde anzutasten.
Man kann nun annehmen, dass es dieses Konstrukt ist, was uns
davor schützt, Folter oder andere Verbrechen wider die Menschlichkeit zu
legitimieren. Bei einigem Nachdenken kommt man aber schnell darauf, dass ein
solches Verbot auch aus den anderen Grundrechten zu folgern wäre. Auch in
anderen freiheitlichen, demokratischen Rechtsordnungen, in denen die
Menschenwürde nicht als subjektives Grundrecht behandelt wird, gelten derlei
Verbote. Es hat dort allerdings nicht die Qualität eines absoluten Verbots.
Die Frage bleibt daher, ob durch den oben beschriebenen
Umgang mit der Menschenwürde tatsächlich mehr Sicherheit dafür herstellbar ist,
dass wir nicht in barbarische Zustände zurückfallen. Verneint man dies, stellt
sich sofort die nächste Frage, ob denn Artikel 1 Absatz 1 GG als
selbstständiges subjektives Grundrecht tatsächlich unverzichtbar ist, denn der
Preis für die Absolutheit des Schutzes ist das absolute Verbot. Leuchtet das
bei der Folter ein, wird es beim Schwangerschaftsabbruch fragwürdig. Man kann
dies soziologisch als Tabuisierung[11] beschreiben oder auch einfach als
Totschlagargument für alles Gegenläufige. Je nachdem auf welcher Seite des
Streites man selbst agiert, wird man das als grundsätzlich richtig oder als
grundsätzlich falsch empfinden.
Wie wird Menschenwürde bestimmt?
Das mit der Bestimmung der Menschenwürde als subjektives Grundrecht
heraufbeschworene Strukturproblem einer positiven Schutzbereichsbestimmung ist
bis heute nicht gelöst und kann im Zweifel auch nicht zufriedenstellend gelöst
werden. Zunächst ist bei Artikel 1 Absatz 1 GG jede Schutzbereichsbestimmung
nicht nur notwendig von einer bestimmten philosophischen Tradition geprägt,
sondern diese Prägungen sind auch das Einfallstor für die Verabsolutierungen
einzelner, partikulärer ethischer Auffassungen oder politischer Haltungen.[12]
Gelingt es, diese Auffassungen zum Schutzinhalt der Menschenwürde zu erklären,
wird die weitere gesellschaftliche Konsensbildung zum jeweiligen Thema
aufgehalten, weil die Berufung auf die Menschenwürde als Verbot anderer
Auffassungen und Haltungen durchgesetzt wird.
Dieser Gefahr ist das Gericht scheinbar entgangen. Die
positiven Inhaltsbestimmungen der Menschenwürde haben sich in der
Rechtsprechung des Gerichts nicht zu einem konkreten, gegenüber anderen
Grundrechten abgrenzbaren Normeninhalt verdichtet. Vielmehr entscheidet das
Gericht von Fall zu Fall, ob die Menschenwürde verletzt ist. In der
Gesellschaft gibt es deshalb auch einen von Fall zu Fall wechselnden Konsens
über die einzelnen Verbote, die das Gericht unter Berufung auf die
Menschenwürde ausspricht.
Im Unterschied zu anderen Entscheidungen des Gerichts, die
auch Entscheidungen zu gesellschaftlichen Konfliktlagen sind, ist aber das
Verbot, welches das Gericht wegen der Verletzung der Menschenwürde ausspricht,
wegen Artikel 79 Absatz 3 GG weder durch den Gesetzgeber noch durch den
Verfassungsgeber beseitig bar. Das Gericht hat mit seinen Entscheidungen unter
Berufung auf die Menschenwürde die Macht, Endgültigkeit zu verkünden; das heißt
jede gegen die Aufhebung des Verbots gerichtete Bewegung zu blockieren.
Das scheint, wenn es um gesellschaftliche Rückschritte geht
oder gar den Rückfall in die Barbarei, eine wünschenswerte Sicherung für den
Erhalt des demokratischen Rechtsstaats zu sein. Aber kann es das wirklich,
handelt es sich nicht vielmehr um schlichte Überforderung des Gerichts, hinter
der seine Überhöhung zum säkularen Verkünder der letzten Wahrheiten steckt?
Wie aber umgeht das Gericht, wenn es die Menschenwürde als
Maßstab für die Entscheidung eines Falles anwendet, eine positive inhaltliche
Bestimmung des Schutzbereichs der Menschenwürde? Wenn es wegen Verletzungen der
Menschenwürde angerufen wird, wendet es zunächst die Objektformel an. Diese
gibt ihm scheinbar die Möglichkeit, ohne Inhaltsbestimmung der Menschenwürde
einen Eingriff in sie festzustellen.[13] Das kommt notwendig nicht ohne
Tautologien aus: Die Feststellung einer Würdeverletzung erst auf der
Eingriffsebene mit Hilfe der sogenannten Objektformel geschieht durch die
Feststellung, die Menschenwürde werde verletzt, "wenn der konkrete Mensch
zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt
wird".[14] An anderer Stelle heißt es, dass Artikel 1 Absatz 1 GG den
Menschen davor schütze, "dass er durch den Staat oder durch seine
Mitbürger als bloßes Objekt, das unter vollständiger Verfügung eines anderen
Menschen steht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt
und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz
genommen wird".
Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht
und man sieht die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht.
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