Dienstag, 10. April 2018

Kosmetische Operationen an Genitalien intergeschlechtlicher Kinder noch immer ‎traurige Realität /// Cosmetic operations on genitals of intersex children are still sad reality

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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Kosmetische Operationen an Genitalien intergeschlechtlicher Kinder noch immer ‎traurige Realität

Cosmetic operations on genitals of intersex children are still sad reality
Intersex-Menschen, Zwitter, Hermaphroditen oder Menschen mit Varianten der Geschlechtsanatomie sind so alt wie die Menschheit selbst, aber selten ging es ihnen so schlecht wie heute. Noch im “finsteren” Mittelalter waren sie in Europa gesellschaftlich integriert und bis 1900 rechtlich anerkannt. Seit 1950 werden ihre Körper systematisch im Säuglingsalter medizinisch ausgelöscht.

60 Jahre später gewinnt der Kampf der Überlebenden um körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung langsam an Fahrt: UN-Ausschüsse verurteilen Intersex-Genitalverstümmelungen als “schädliche kulturelle Praxis” und “unmenschliche Behandlung”. Schon 11 mal rügten sie Staaten, weil sie die Praxis weiter zulassen – darunter auch die Bundesrepublik.

Doch solange kosmetischen Genitaloperationen und sonstige medizinisch nicht notwendige Eingriffe an Intersex-Kindern weiterhin verjähren, bevor die Überlebenden erwachsen sind und vor Gericht gehen können, werden in den Universitäts-Kinderkliniken weiterhin täglich wehrlose Kinder verstümmelt – auch in Kassel.

Markus Bauer ist der Partner einer IGM-Überlebenden und Gründungsmitglied der internationalen Intersex-NGO Zwischengeschlecht.org. Er ist Mitverfasser zahlreicher thematischer Berichte an UN-Vertragsorgane und Sachverständiger bei Menschenrechtsorganen, Ethikgremien und in den Medien. Zuletzt erschienen: Zusammen mit Daniela Truffer “Intersex und Selbstbestimmung” im Sammelband “Geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung”!

Kosmetische Operationen an Genitalien intergeschlechtlicher Kinder noch immer traurige Realität

Studie zur Häufigkeit von Genitaloperationen im Kindesalter erschienen.
In deutschen Krankenhäusern werden weiterhin kosmetische Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Kindern durchgeführt. Behauptungen, dass diese schwerwiegenden Eingriffe der Vergangenheit angehörten, sind schlichtweg falsch. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine am 1. Dezember veröffentlichte Studie von Dr. Ulrike Klöppel, die die Entwicklung der Operationshäufigkeit für die Jahre 2005 bis 2014 analysiert.
Demnach wurden etwa ein Fünftel der als weiblich registrierten Kinder, die wegen einer Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale im Krankenhaus aufgenommen worden waren, einer komplexen Genitaloperation unterzogen, die einer Anpassung an Weiblichkeitsnormen dient und dies in einem Alter von 0 bis 9 Jahre. Auch im Säuglingsalter sind z.B. Klitoris-Operationen weiterhin üblich. Maskulinisierungsoperationen werden jährlich an Hunderten Kindern durchgeführt.

Die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Studie bestätigt die Vorwürfe, die Organisationen intergeschlechtlicher Menschen (Organisation Intersex International, Verein Intersexuelle Menschen e.V., zwischengeschlecht) seit Langem erheben: Menschenrechtsverletzungen an Kindern sind auch in deutschen Kliniken Praxis.

 Die im September 2014 eingesetzte „Interministerielle Arbeitsgruppe zu Inter- und Transsexualität“ hält es trotz dieser Tatsachen und verschiedener Rügen durch UN-Ausschüsse nicht für nötig, rechtliche Regelungen in der Bundesrepublik zum Schutz intergeschlechtlicher Kinder vorzubereiten. ‎‎Verstärkte Aufklärung und (Peer-)Beratung, wie von der Interministeriellen Arbeitsgruppe emp-fohlen, sind zweifelsohne nötig, aber sie bieten keine Rechtssicherheit, kommentiert Andreas Hechler, Beirat der Organisation Intersex International (OII) Deutschland.

„Dieser Zustand ist unhaltbar“, betont Dr. Dan Ghattas, Vorstandsmitglied von OII: „Deutschland hat alle in diesem Zusammenhang relevanten UN-Menschenrechtskonventionen ratifiziert. Zugleich ist Deutschland als EU-Mitgliedsstaat und Mitglied des Europarats dazu aufgefordert, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten.
Die Bundesregierung muss sich dieser Verantwortung endlich stellen. Ins A Kromminga, ebenfalls aus dem Vorstand, ergänzt:„Auf Länderebene hat die GMFK bereits 2014 klargestellt, dass die Verstümmelung intergeschlechtlicher Genitalien mit weiblicher Genitalverstümmelung vergleichbar ist. Diese ist in Deutschland verboten. Aber hier misst die Bundesregierung ganz offenbar mit zweierlei Maß.

OII Germany fordert daher in Übereinstimmung mit den anderen in Deutschland aktiven Organisationen intergeschlechtlicher Menschen ein Verbot kosmetischer Genitaloperationen im Kindesalter. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Kinder zu schaffen, bedarf es klarstellender Regelungen, wie sie mit § 226a StGB bereits für die„weibliche Genitalverstümmelung“ eingeführt wurden.
Es muss gewährleistet sein, dass intergeschlechtliche Erwachsene ihre Rechte durchsetzen können.
Dazu müssten die Krankenakten von Kindern bei Eingriffen an den Genita-lien längeren Aufbewahrungsfristen unterliegen und die Verjährung sollte ruhen, bis die Betroffenen volljährig sind.

Genitalverstümmelung bei Kindern: Das sagen UN und LSVD

Eine neue vom Bundesfamilienministerium geförderte Studie „Zur Aktualität kosmetischer Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter“ von Ulrike Klöppel, Wissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland nach wie vor „feminisierende“ und „maskulinisierende“ Genitaloperationen an Säuglingen und Kindern vorgenommen werden. Das ist nach den Statuten der UN Folter und ein schwerwiegender Verstoß gegen die EU-Grundrechte-Charta. Wir dokumentieren die Stellungnahme von Axel Blumenthal, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD):

„Statt die Annahme natürlicher Zweigeschlechtlichkeit zu hinterfragen, werden intergeschlechtliche Menschen in Deutschland nach wie vor „passend“ gemacht.

Die medizinisch unnötigen kosmetischen Genitaloperationen sind keine Heileingriffe, sondern verletzen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde von intergeschlechtlichen Menschen und verstoßen gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) fordert, dass medizinische Eingriffe ausschließlich aufgrund der informierten Einwilligung der betroffenen intergeschlechtlichen Menschen erfolgen dürfen. Die von der Bundesregierung eingerichtete Interministerielle Arbeitsgruppe „Trans- und Intersexualität“ muss dafür sorgen, dass diese menschenrechtswidrigen kosmetischen Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern beendet werden.
Neben einem eindeutigen Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern fordert der LSVD eine obligatorische und nicht-medizinische Beratungsverpflichtung für Eltern von intergeschlechtlichen Kindern. Außerdem braucht es massive Aufklärung unter der Ärzteschaft und dem medizinischem Personal, vor allem in den Bereichen Geburtshilfe und Kinderchirurgie. Die LS2k-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist eindeutig und muss umgesetzt werden. Für Menschen, die menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen unterworfen wurden, fordern wir Entschädigung und angemessene gesundheitliche Versorgung.

Laut dem Verein intersexueller Menschen e.V. gibt es 80.000 bis 120.000 intergeschlechtliche Menschen in Deutschland. Durchschnittlich wird jedes 500. Kind mit einem uneindeutigen Geschlecht geboren. Diese Operationen geschehen ohne Einwilligung der Kinder und die Eltern werden oft nur unzureichend über die möglichen Folgen solcher Eingriffe und Behandlungen aufgeklärt. Ärzt*innen wissen nicht, dass sie sich mit diesen Eingriffen strafbar machen.

Viele intergeschlechtliche Menschen leiden an psychischen und physischen Spätfolgen durch gravierende und irreversible chirurgische und verstümmelnde Zwangsoperationen.








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