Sonntag, 16. September 2018

Beleidigt, bespuckt, verprügelt . Darum haben Lesben und Schwule noch immer Angst auf deutschen Straßen


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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Beleidigt, bespuckt, verprügelt – darum haben Lesben und Schwule noch immer Angst auf deutschen Straßen

Wenn du glaubst, mit der „Ehe für alle“ ist für LGBT*s alles in Ordnung, dann lies diesen Text.
„Bist du die Transe von eben?” Als Max E. diese Worte hört, ahnt er, dass der Tag nicht gut enden wird. Es ist ein später Abend im Frühling, Max E. hat eine Travestieshow auf einer Firmenfeier gespielt. Dort hat er sich bei einem Mann auf den Schoß gesetzt, als scherzhafter Teil der Einlage – und direkt gesehen, dass das nicht gut ankommt. Dieser Mann steht jetzt vor ihm, groß, muskulös, vermutlich Ende zwanzig.

„Ich bin die Person, die eben die Travestieshow gespielt hat“, antwortet Max. Er ist abgeschminkt, will gerade das Gebäude durch den Künstlerausgang verlassen, zum Parkplatz, es ist schon dunkel. Der Mann pfeift, zwei Freunde kommen dazu und halten Max am Oberkörper fest. Dann schlägt ihn der Mann in den Unterbauch, immer wieder, tritt in die Genitalien, bespuckt ihn, Max’ Nase bricht und eine Rippe.

Max E. ist 1,93 groß, ein kräftiger Mann, aber er wehrt sich nicht. „Ich dachte nur: Lass es vorbeigehen und wehr' dich nicht. Das spornt sie nur an“, erzählt Max BuzzFeed News Deutschland am Telefon. Wenige Minuten später lassen die Männer von ihm ab und verschwinden. Im Krankenhaus wird neben den Verletzungen eine Gehirnerschütterung festgestellt. Max erzählt dem Arzt, er sei die Treppe hinunter gefallen. Das erzählt er später auch seinen Freunden und seiner Familie. Aus Scham und aus Angst. „Ich habe das einfach verdrängt. Mir wurde erst viele Jahre später richtig bewusst, was da passiert ist.“ Heute hält er es für einen Fehler, nicht zur Polizei gegangen zu sein. Obwohl der Vorfall lange zurückliegt will Max E. nicht, dass der Angriff auf ihn zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Deshalb nennt BuzzFeed News seinen Nachnamen nicht.

Es dauert lange, bis Max E. sich wieder traut, eine Show zu spielen. Dabei ist das schon lange seine große Leidenschaft. Als Kind hat er bei Schulaufführungen mitgespielt. „Ich liebe die Bühne seit ich klein bin“, sagt er. Wenn er jetzt zur Arbeit fährt, steckt er die Hände in die Hosentaschen, damit niemand seine künstlichen, bunten Fingernägel sieht. Als kürzlich in einem Berufsseminar die Frage aufkam, ob man in der Berufskleidung zur Arbeit fahren könne, rief Max E. „Nein“.

Erst vor wenigen Jahren hat Max erstmals einer guten Freundin von dem Vorfall erzählt. Der Vorfall bei der Firmenfeier liegt jetzt neun Jahre zurück, Max lebt inzwischen in Magdeburg und arbeitet als Travestiekünstler unter dem Künstlernamen Lady Maxime und als Theaterpädagoge. Er ist ein fröhlicher Mensch, denkt nicht häufig daran zurück. „Aber wenn ich auf Facebook oder Instagram andere Schicksale lese, die oftmals viel Schlimmer sind als meines, kommt das wieder hoch. Dann denke ich: Verdammt, du hattest echt Glück.“
Angriffe auf Grund der sexuellen Orientierung gibt es in Deutschland jedes Jahr dutzende. Doch die Dunkelziffer der Menschen, die wie Max E. nicht in der Polizeistatistik auftauchen, liegt laut Schätzungen bei 90 Prozent.

Die offiziellen Zahlen sind irreführend. 313 Straftaten bundesweit meldete das Bundesinnenministerium für 2017. Ahnlich viele meldete das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo– allerdings nur für Berlin.

Im Vergleich: In den USA werden 20 Prozent aller Hassdelikte auf Grund der sexuellen Orientierung verübt. Das zeigt ein Bericht des FBI von 2014. In England und Wales sind LGBT*s laut Kriminalstatistik die am zweithäufigsten von Hassverbrechen betroffene Gruppe. Für das Jahr 2016/2017 wurden dort 9.157 Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Glaubt man der offiziellen Statistik, sollen es in Deutschland im gleichen Zeitraum nur etwa 300 gewesen sein.

Polizeibehörden ignorieren die Probleme in einigen Bundesländern vollkommen, nur wenigen Länder geben Geld für konkrete Präventionsprojekte, aktuelle Zahlen außer denen des Bundesinnenministeriums gibt es zu dem Thema nicht. Der letzte umfangreiche Report für Deutschland stammt von einer NGO und liegt zehn Jahre zurück. In einem nationalen Aktionsplan gegen Hassgewalt vom Sommer 2017 schlug die Bundesregierung keine konkreten Maßnahmen zum Schutz sexueller Minderheiten vor.

Deshalb will BuzzFeed News Deutschland herausfinden, wie viele Übergriffe LGBT*s tatsächlich erleben. Dafür haben wir mit allen 16 Landespolizeibehörden und zahlreichen Expertinnen und Betroffenen gesprochen. Zudem haben wir im Sommer 2018 eine Umfrage zur Gewalt gegen queere Menschen gestartet – die mittlerweile mehr als 650 Personen beantwortet haben. Unsere Ergebnisse sind nicht repräsentativ, aber ein Hinweis darauf, wie groß das Problem wirklich ist.

So gaben mehr als 400 Befragte an, im letzten Jahr Opfer von verbalen Übergriffen geworden zu sein. Mehr als 130 Personen seien körperlich angegriffen worden. Jede vierte teilnehmende Person erklärte, sie wurde im vergangenen Jahr körperlich attackiert.




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