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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2020
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Nach 1945 wurde Casablanca erneut zu einem Hoffnungsort,
nämlich für transgeschlechtliche Menschen
Neugeboren in Casablanca!
Casablanca – den meisten Menschen fällt dazu der Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann von 1942 ein: eine dramatische Liebesgeschichte mit historischem Hintergrund.
Die direkt am Pazifik gelegene marokkanische Stadt Casablanca war ein Fluchtpunkt für jüdische Menschen und andere Verfolgte des Naziregimes und oft die letzte Hoffnung auf Emigration in die Vereinigten Staaten.
Nach 1945 wurde Casablanca erneut zu einem Hoffnungsort, nämlich für transgeschlechtliche Menschen. Ab 1956 führte dort der Gynäkologe Dr. Georges Burou geschlechtsangleichende Operationen durch.
Transgeschlechtliche Frauen konnten sich dort auf eigene Kosten und „auf eigene Gefahr“
operieren lassen. Für viele transgeschlechtliche Personen war allein die Information, dass es so eine Möglichkeit gab, eine Erleichterung. Sie erfuhren dadurch, dass sie nicht die Einzigen auf der Welt waren, die sich eine solche Operation wünschten.
Die Naziherrschaft, Krieg, Zerstörung, Flucht, der Verlust von Menschen und Dingen waren auch nach 1945 unmittelbar präsent.
Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen erfolgte durch die Alliierten in den Westzonen nur punktuell – viele Unterstützer_innen des Regimes kamen in Justiz, Verwaltung und Bildung wieder in Amt und Würden.
Gleichzeitig wurde mit dem Marshall-Plan ein schneller Wiederaufbau gefördert. In der DDR wurde unter der Führung und Kontrolle Moskaus ein neuer Staat aufgebaut, der unter dem Anspruch eines „Arbeiter- und Bauernstaates“ kollektive Strukturen schaffte, die mit einer engen Kontrolle von individuellen Lebenswegen und -entwürfen einhergingen.
In beiden deutschen Staaten spielte nach 1945 das Streben nach allgemeingültigen Werten und Normen für das gesellschaftliche Leben eine große Rolle. Die Moralvorstellungen der beiden christlichen Kirchen gewannen in Westdeutschland erneut an Bedeutung und damit einhergehend ein traditionelles, ausgesprochen konservativ geprägtes Familienbild. Auch in der DDR galt die Familie als „Keimzelle“ der sozialistischen Gesellschaft.
Weder in Ost- noch in Westdeutschland war damit für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten Platz, die den staatlichen Werte- und Normvorstellungen nicht entsprachen. Homosexuelle Männer wurden weiter strafrechtlich verfolgt, Lesben und transgeschlechtliche Menschen lebten im Verborgenen.
Der niederländische Dokumentarfilm „I Am a Woman Now“
porträtiert fünf starke Frauen und Pionierinnen: Sie hatten in
den 1960er und 1970er Jahren den Mut aufgebracht, sich einer
geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen.
In Corinne van Tongerloos ganz privater Zeitrechnung gibt es ein Leben vor und nach ihrer Reise in die marokkanische Metropole. „In Casablanca“, sagt die heute weit über 70-Jährige, „wurde ich geboren“. Zu Beginn von Michiel Van Erps Dokumentarfilm sucht sie auf dem dortigen Friedhof nach dem Grab jenes Mannes, den sie ihren Vater nennt.
Dr. Georges Burou hat sie, wie unzählige andere transidente Menschen, zur Frau gemacht. Als erster Arzt führte der Franzose in den 1960er und 1970er Jahren geschlechtsangleichende Operationen an Mann-zu-Frau-Transidenten durch und galt als Koryphäe auf diesem Gebiet. Das Verfahren, aus einem Penis eine so genannte „Neovagina“ zu formen, hatte er selbst entwickelt. Seine chirurgische Leistung war unter Medizinerkollegen unumstritten, juristisch allerdings waren derlei Eingriffe damals noch illegal.
Von einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse wollte man zu jener Zeit nicht einmal träumen. Dafür musste man sich bei Dr. Burou weder erniedrigenden psychiatrischen Tests unterziehen noch langwierige Formalitäten erledigen. Gefordert waren stattdessen etwas Wagemut und vor allem Cash.
Gezahlt wurde bar und im Voraus
Anfang der 70er Jahre bestieg Corinne ein Flugzeug nach Casablanca, in ihrem Dutt hatte sie das nötige Kleingeld versteckt – fein säuberlich zusammengerollte Dollarnoten.
Dafür würde der Gynäkologe das vollenden, was Corinne allein mit der Einnahme von Hormonen nicht würde erreichen können. Dass er dabei auch ein wenig exzentrisch auftrat, musste in Kauf gekommen werden. Die Operationen in seiner Privatklinik führte Burou mit nacktem Oberkörper durch, die Zigarette stets lässig im Mundwinkel.
Corinne van Tongerloo, Bambi, April Ashley, Colette Berends und Jean Lessenich, die Protagonistinnen von „I am a Woman Now“, haben die Reise nach Casablanca zu einer Zeit angetreten, als es weder eine Frauen- noch eine Transgender-Bewegung gab, weder Rechte für transidente Menschen noch die Aussicht auf Solidarität im privaten Umfeld, geschweige denn in der Gesellschaft oder Politik.
Was sie hinter sich gelassen haben, reißt der niederländische Regisseur Van Erp in seinem Film nur recht kurz an, mit einigen Kinder- und Jugendfotos von Jungs in kleinbürgerlichen Familien und Anekdoten wie der Geschichte des androgynen Matrosen, der sich an Bord des Marineschiffes nur schwerlich der sexuellen Übergriffe seiner Kameraden erwehren konnte.
Mein Vater wollte nichts mehr von mir wissen
Ebenso beiläufig und mit größer Würde erzählen die fünf Frauen, wie viel Schmerz, Erniedrigung und Ausgrenzung sie in ihrem Leben erfahren haben – sowohl vor als auch nach Casablanca.
„Mein Vater wollte nichts mehr von mir wissen. Meine Geschwister wollten nicht mit mir reden. Sie schämten sich alle für mich. Sie waren sehr katholisch“, berichtet beispielsweise die Britin April Ashley, eine wundersame Erscheinung mit lila getönten Haaren und geradezu aristokratischer Ausstrahlung. „An Heiligabend sagte meine Mutter, ich solle das Haus verlassen und nie wieder zurückkommen. Daran hielt ich mich.“
Flatterige Super8-Aufnahmen lassen für einige Momente jene Welt aufleuchten, in der April wie viele andere Transfrauen sich damals akzeptiert und zuhause fühlen konnten. Es sind Bilder des legendären Pariser Cabaret „Le Carrousel“ und ähnlicher Etablissements, in denen Glamour, sexuelle Befreiung und die Verruchtheit von Striplokalen miteinander verschmolzen und eine Bühne boten, auf der die Frauen stolz ihren nunmehr perfektionierten Körper präsentierten.
Nicht alle Biografien aber führten ins Showbusiness, dem damals einzig denkbaren toleranten Arbeitsbereich für Transsexuelle abseits der Prostitution. Die Niederländerin Colette Berends etwa lebt das Leben einer kleinbürgerlichen Hausfrau, und nicht alle Lebengeschichten verlaufen so scheinbar gradlinig und glücklich wie das der eleganten, schampus-seligen High-Society-Lady April.
Die deutsche Jean kämpft immer wieder mit ihrer geschlechtlichen Identität. Vor Casablanca nutzte der junge verheiratete Ehemann Geschäftsreisen, um heimlich Frauenkleider tragen zu können. Dann wagt Jean den Schritt zur Geschlechtsangleichung und kann endlich so leben, wie sie sich fühlt: als Frau.
Zurück zu einem Leben als Mann
Bis sie eine Beziehung mit einer Japanerin eingeht, in deren konservativen Vorstellungen von Mann und Frau ein Transgender wie Jean keinen Platz findet. Was Jean heute als „Selbstmord“ bezeichnet, war damals ein einzigartiger Liebesbeweis: nämlich die Östrogen-Behandlung abzusetzen, die Frauenkleider zu entsorgen und wieder als Mann zu leben.
20 Jahre lebte das Paar zusammen. Nach dem Tod der Gefährtin steht Jean erneut am Anfang seiner Suche und Verwirklichung. Sich als Frau geschminkt und mit Perücke in der Öffentlichkeit zu bewegen, das wagt Jean derzeit nur außerhalb ihres kleinen Wohnortes.
Kämpfe der unterschiedlichsten Art haben alle fünf Protagonistinnen dieses Films ausgestanden, von manchen erzählen sie diskret, von anderen in mitreißender Offenheit. Inzwischen aber können sie mit großer Ruhe auf ihr bisheriges Leben zurückschauen. „Jeden Morgen, noch 51 Jahre danach, verspüre ich etwas von der Freude, die ich am ersten Tag nach der OP empfunden habe“, sagt April Ashley.
Dieses Gefühl, damals die einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben, verbindet die fünf Frauen. Rund 50 Jahre liegen diese Ereignisse zurück, und so ist „I Am a Woman Now“ unweigerlich auch ein Film übers Älterwerden geworden, über das Leben von Transfrauen im Herbst ihres Lebens.
„Ich hätte mir damals einfach nicht vorstellen können, dass ich mal ’ne alte Frau bin. Das war in der Fantasie nicht drin“, sagt Jean. Colette hat sich damit arrangiert, dass ihr 20 Jahre jüngerer Mann inzwischen eine Geliebte hat. „Mich entlastet das“, sagt sie.
Die letzten Filmminuten gehören wieder Corinne van Tongerloo und ihrem Besuch auf dem Friedhof von Casablanca. Die Kamera beobachtet sie aus diskreter Entfernung, aber das Mikrophon fängt ein, was sie Dr. Georges Burou an dessen Grab mitzuteilen hat. „Sie haben mir sehr geholfen, Dr. Burou. Früher war ich sehr unglücklich. Sie haben uns alle sehr glücklich gemacht. Mich und meine Schwestern im Geiste.“
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