Sonntag, 26. September 2021

Warum das Transsexuellengesetz endlich abgeschafft gehört


 

Warum das Transsexuellengesetz endlich abgeschafft gehört

In der neuen Doku "Ab heute" erzählen 20 Menschen vom Leidensweg mit dem Transsexuellengesetz. Wir sprachen mit den beiden Regisseur*innen über den bewegenden Film, den man kostenlos streamen kann.

Seit vierzig Jahren gibt es in Deutschland das Transsexuellengesetz. Anfangs waren noch viel heftigere Zumutungen festgeschrieben. Heute, nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, ist das Gesetz nur noch eine Ruine seiner selbst. Wer sich durch das Verfahren kämpft, muss viel Geduld, Demut und Geld mitbringen.

In dem neuen Dokumentationsfilm "Ab heute" erzählen 20 Menschen von den (Leidens-)Wegen, die unter diesem Gesetz gegangen worden sind. Und sie widmen sich der Frage: Was muss passieren, damit es endlich auf den Schutthaufen der Geschichte wandert? Seit Freitag lässt sich die Doku online auf der Film-Homepage ansehen. Über den Film sprach queer.de mit den Regisseur*innen Sophia Emmerich und Sam Arndt.

Euer Film heißt "Ab heute – der lange Weg zum eigenen Namen". Wieso "ab heute"?

Emmerich: Ich glaube, wir haben da beide eine eigene Antwort zu.

Arndt: Ich bin diesen Weg ja selber vor zehn Jahren gegangen. Es gibt häufig diesen einen Moment, wo man sich hinstellt, sei es vor der Schule, dem Arbeitgeber, der Familie, und wo man dann sagt: "Okay. Nennt mich bitte ab heute XY." Daher kam der Name. Der zweite Teil erklärt sich vielleicht von selbst.

Emmerich: Es gibt diese persönliche Komponente von Sam, für mich hat der Titel aber auch eine gewisse Zukunftsperspektive, nämlich: "'Ab heute" soll sich etwas ändern. Das ist etwas sehr persönliches, aber auch etwas hoffnungsvolles. Es beinhaltet das Nach-vorne-Schauen und den Aufbruch. "Ab heute" kann sich etwas ändern.

Und dann kommt aber erst ein mal das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz, um das es im Film vorwiegend geht.

Arndt: Ja.

In Zeiten, in denen die Sehgewohnheiten von schnellen Handlungsabfolgen und Schnitten beeinflusst sind und in denen Dokumentarfilme transgeschlechtliche Menschen gerne beim Schminken, vorm Spiegel, bei der Bartrasur oder im OP-Beratungsgespräch zeigen, setzt ihr ausschließlich auf Interviews. Welchen Hintergrund hat diese Entscheidung?

Arndt: Wir wollen weg von diesem Voyeuristischen. Wir wollen trans Personen als ganz normale Menschen darstellen. Wir haben vorher selber nach Dokus über das Transsexuellengesetz gesucht, die auch aufklären und den geschichtlichen Hintergrund geben und haben dazu nichts gefunden. Unsere Interview-Partner*innen leisten genau das.

Emmerich: Ein anderer Aspekt war noch: Jede dieser Personen, die wir interviewen, ist in Bezug auf die eigenen Erfahrungen Expert*in. Wir möchten diese Personen auch als solche darstellen. Ganz oft wird den Menschen ja vorgeworfen, sie seien "zu nah dran" oder "zu emotional", da findet eine Entexpertisierung statt. Jede Person, die wir interviewen, hat einen Riesen-Mehrwert für das Projekt. Wir wollten weg von diesem "Zeig uns alte Kinderfotos", von Deadnaming und Schminken, weil das im Prinzip für unsere Arbeit und unser Projekt auch überhaupt keine Rolle spielt.

Wie habt ihr die Gespräche aufgezogen? Gab es eine bestimmte Leitfrage?

Emmerich: Wir haben uns auf jede Person einzeln vorbereitet und vorab auch mit jeder Person vorher gesprochen. Wir haben geklärt, worüber gesprochen werden darf: Persönliches oder nur Fachliches? Im Endeffekt war dann ein Frage, die sich immer wiederholt hat: Wo stehen wir jetzt und was muss passieren, damit sich was ändert? Was ist der Status quo in Bezug auf das Transsexuellengesetz, und was müsste passieren, damit es in Zukunft wirklich reformiert wird?

Arndt: Der Focus lag dann auf dem Politischen und dem Gesellschaftlichen.

Emmerich: Macht die Politik die Gesellschaft oder macht die Gesellschaft die Politik? Personen, die zudem bereit waren, ihre persönliche Geschichte zu erzählen, konnten oft auch aufzeigen, wie viel Diskriminierung aus diesem Verfahren nach dem Transsexuellengesetz resultiert.

Ist damit Diskriminierung im Verfahren selber gemeint oder die Diskriminierung, die aus diesem Verfahren resultiert?

Emmerich: Beides.

Arndt: Wenn der Focus auf Erfahrungen lag, haben wir oft während der Gespräche gemerkt, wie viele Auswirkungen das im Nachhinein für die Person hatte, etwa durch Traumatisierung.

Emmerich: Allein, dass man dieses Verfahren überhaupt durchlaufen muss, welche Fragen da gestellt werden, wie man behandelt wird, ist meiner Ansicht nach auch eine Form von Diskriminierung. Das ist kein Umgang mit einem Menschen, der einfach nur seinen Namen auf einem Blatt Papier ändern möchte. Auch die Begutachtungen an sich, die ja Teil dieses Verfahrens sind, werden von sehr vielen Personen in unseren Gesprächen als diskriminierend wahrgenommen: Warum muss ich das machen? Wieso darf mich irgendwer fremdbegutachten und entscheiden, ob ich meinen Namen tragen darf? Und dann gibt es natürlich noch die Konsequenzen daraus, dass es so ein langwieriges und kostspieliges Verfahren ist, nämlich, dass ich, wenn ich die Papiere nicht habe, ständig Alltagsdiskriminierung erlebe, dass ich in meinem Wohl gefährdet bin.

Euer Release ist kurz vor der Bundestagswahl. Ein Versuch, Druck auf die Politik zu machen?

Emmerich: Druck auf die Politik kriegen wir damit wohl nicht mehr hin. Aber wir hoffen auf die Aufklärung. Wenn Menschen, die von diesem Verfahren nichts wussten, davon erfahren, sind sie oft empört. Nur wenn viele Menschen über einen Missstand Bescheid wissen, kann sich etwas ändern, weil in einer Demokratie natürlich Mehrheiten entscheiden.

Ihr habt den Aspekt des Voyeurismus in anderen Filmen schon genannt. Was war euch sonst noch besonders wichtig an eurer Arbeit?

Emmerich: Uns war es immer sehr wichtig, aufzuzeigen, dass wir selber ein queeres Team sind, das am Projekt arbeitet, weil uns das oft gefehlt hat in den Arbeiten, die wir gesehen haben. Wir sind weit weg davon, andere Arbeiten schlecht zu machen, aber wir haben selten Dinge gefunden, wo wir uns repräsentiert und angemessen dargestellt gefühlt haben. Wir wollten das Thema aus der eigenen queeren und trans Perspektive zeigen. So "von der Community, für die Community". Wir haben das dann auch in einer ziemlichen Hauruck-Aktion durchgeboxt in den letzten drei Monaten.

Wieso drei Monate? Habt ihr das erst vor drei Monaten beschlossen, dass ihr das macht?

Emmerich: Ja.

Arndt: Wir beiden haben uns unterhalten und haben so über das Selbstbestimmungsgesetz herum philosophiert und warum das im Bundestag gescheitert ist. Sophia wollte Instagram-Videos dazu machen und aus ihrer juristischen Perspektive Aufklärungsarbeit leisten. Dann kamen wir auf die Idee: Warum nicht eine Doku darüber machen? Warum nicht trans Personen selber sprechen lassen? Dann haben wir, wie gesagt, in einer Art Hauruck-Verfahren angefangen, Personen anzufragen, und jetzt stehen wir schon kurz vor der Premiere.

Also war euer Film motiviert durch die eingebrachten und gescheiterten Gesetzentwürfe zu einem Selbstbestimmungsgesetz?

Emmerich: Ja.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat kürzlich in einer Talkshow gesagt, mit ihm in der Regierung werde es zu "so einem Gesetz" kommen. Da war etwas unklar, was für ein Gesetz er genau meint. Stehen wir kurz davor, dieses Selbstbestimmungsgesetz, das zuletzt im Bundestag gescheitert ist, zu bekommen?

Emmerich: Vor Koalitionsverhandlungen kann ja niemand etwas Konkretes sagen, weil das ja erst in den Verhandlungen dann tatsächlich entschieden wird. Es kommt also darauf an, welche Parteien dann letztlich in der nächsten Regierung sitzen werden. Insofern ist es leicht zu sagen, man werde irgendeine Form von "Selbstbestimmungsgesetz" einführen, das TSG in irgendeiner Form abschaffen. Das ist nicht wirklich eine befriedigende Aussage. Gerade heißt es daher tatsächlich: Abwarten, was die nächsten Wochen und Monate bringen. Wie es weiter geht, entscheidet sich in der nächsten Legislaturperiode.

Arndt: Es kann genauso gut sein, dass das Thema immer weiter vor das Bundesverfassungsgericht kommt und die Politik trotzdem immer wieder herausstreicht, was vom Gericht eigentlich entschieden worden ist. Dann bliebe das Transsexuellengesetz erhalten und würde immer löchriger. Wobei ja eh noch kaum etwas davon übrig ist, außer eben die Begutachtungen, die hohen Kosten und die lange Dauer.


Quelltext: https://www.queer.de/detail.php?article_id=40076&fbclid=IwAR1GM1BU5FBqnZNIWRCXvnzpK22ilioyJfDdrRDFoJJGmiohNA5DL8dNH0E

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