Samstag, 12. März 2022

Der Tyrann Putin fordert die Welt heraus, für Minderheiten ein grausamer Gedanke

 Seine übermenschliche Macht erhält der Tyrann ausgerechnet von denen, die er beherrscht. Deshalb können sie ihm diese Macht auch wieder nehmen – und erst noch ohne jedes Blutvergießen: „Er ist gestürzt, sobald das Land nicht mehr einwilligt, sein Sklave zu sein.“ Je mehr Tyrannen ungehindert zerstören und vernichten können, und je mehr Menschen ihnen dienen, desto stärker werden sie, sobald ihnen jedoch niemand mehr gehorcht, verdorren sie, „gleich der Pflanze, welcher man die Feuchtigkeit und Nahrung entzogen hat“. Unblutige Entmachtung – nur ein Gedankenmodell Wie wohltuend sich das liest, wie einleuchtend die Logik dahinter erscheint! Wie sehr möchte man, dass es so einfach ist. Wir alle wissen, dass die Wirklichkeit eine ganz andere ist. Das Problem beginnt schon damit, dass die Untertanen erst einmal die Absicht haben müssen, den Gehorsam aufzukündigen. Die unblutige Entmachtung der Herrscher durch die Beherrschten ist nur ein Gedankenmodell, das wusste auch Étienne de la Boétie. Man darf die Rechnung nicht ohne die Schergen machen. Immer gebe es fünf oder sechs, die dem Tyrannen zu Dienste seien: „Diese sechs haben wieder sechshundert Kreaturen unter sich, und diese sechshundert haben wieder sechstausend in ihrer Abhängigkeit.“ Und so weiter. Der Tyrann nährt sich von der Angst Am grausamsten sind jene Tyrannen, die nicht durch Erbfolge oder einen gewaltsamen Umsturz an die Macht gekommen sind, sondern von ihrem Volk gewählt wurden. Weil ein gewählter Tyrann von seinem Volk abhängig ist, muss seine Untertanen umso mehr knechten. Er muss sie erstens von ihrer Freiheit so gründlich entfremden, „dass sie endlich die Freiheit ganz vergessen“. Und nicht nur von der Freiheit muss er sie entfremden, sondern zweitens auch von der Wirklichkeit: Wenn die Untertanen seine Märchen glauben, kann er machen, was er will. Dazu kommt als Drittes die Angst: von ihr ernährt sich jeder Tyrann. Deshalb fürchtet er nichts so sehr wie die Furchtlosigkeit seiner Untertanen, seien es Teenager oder unerschrockene alte Frauen. Ein Tyrann ist ein Mensch, der weder liebt noch geliebt wird, so schreibt Étienne de la Boétie, einer, „der aus Mangel eigener vernünftiger Selbstliebe sein eigenes Land und dadurch sich selbst zugrunde richtet“. Die Tyrannen in Shakespeares Dramen sind ausnahmslos dem Untergang geweiht, denn sie haben kein Konzept für Zukunft. Doch genau das ist es, was sie so gefährlich macht.

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