Dienstag, 15. März 2022

Geschlechtsbasierte und sexualisierte Gewalt steigt, wenn Aggression und Gewalt im Land allgemein stärker werden. Das ist für vulnerable Gruppen besonders gefährlich.

 Mehr als zwei Wochen war Lampusha allein in Kiew. Die Eltern der 18-jährigen trans Person leben fast 500 Kilometer entfernt und alle Freund:innen hatten das Land nach der russischen Invasion bereits verlassen. Lampusha wäre gern mit ihnen geflohen, konnte aber nicht. 


Denn ukrainische Grenzbeamt:innen lassen seit der von Präsident Wolodymyr Selenskyj verkündeten Generalmobilmachung Männer zwischen 18 und 60 nicht über die Grenze. Lampusha bezeichnet sich selbst als "transfem non-binary", ist also trans-feminin und nicht-binär, und benutzt keine Pronomen. 

Im Ausweis, der der Redaktion in Kopie vorliegt, steht jedoch ein anderer Name und das Kürzel "ч/M" – der männliche Geschlechtseintrag. 

Selbst interne Checkpoints, an denen der Ausweis vorgezeigt werden muss, könnte Lampusha damit aktuell nicht passieren. Das Passfoto zeigt eine junge, sehr feminine Person mit kinnlangem Bob, geschwungenen Lippen und perfekt gezogenem Lidstrich. 

Lampusha sieht aus wie ein sehr junges Mädchen, gilt offiziell aber als Mann und fürchtet deshalb, für den Militärdienst eingezogen zu werden. "Für mich ist die Armee gleichbedeutend mit Suizid. 

Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich dort überleben sollte. Und ich kann nicht mit Worten beschreiben, wie schrecklich groß meine Angst davor ist", sagt Lampusha.

Aufgewachsen bei Kamjanske im Zentrum der Ukraine, zog Lampusha vor zweieinhalb Jahren nach Kiew, arbeitete dort bis vor Kurzem bei der Post. In Kiew wurde Lampusha schnell Teil der queeren Community und begann, das Hormon Estradiol einzunehmen. Es lässt unter anderem die Brust wachsen. Vor der russischen Invasion sei das Leben in der Stadt "einfach toll und cool" gewesen, sagt Lampusha. 

"Kiew hatte eine starke trans Community, die LGBTQIA-Kultur war total lebendig." Auch für queere Geflüchtete aus Russland, Tschetschenien und Belarus galt die ukrainische Hauptstadt als vergleichsweise sicherer Ort. 

Aber am 24. Februar, dem Tag des Kriegsbeginns, habe sich das binnen Sekunden verändert, sagt Lampusha: "Für mich war plötzlich alles zweigeteilt in ein Davor und ein Danach." 

Im Danach sitzt Lampusha nun in einer Mietwohnung in Kiew, alle anderen Bewohner:innen im Gebäude hätten ihre Appartements bereits verlassen. 

Vor allem nachts seien die Schüsse und Explosionen zu hören, es sei laut und immer wieder unangenehm hell. Lampusha schlafe schlecht. "Jeden Morgen wache ich mit einer Welle von Angst auf. 

Es fühlt sich an, als müsste ich etwas Wichtiges tun, aber weiß nicht was. Oder als würde ich gleich etwas Wichtiges verlieren, aber ich weiß nicht was." 

Die Internetverbindung klappt zwar ohne Probleme, aber Lampushas Gesicht wirkt im Videogespräch eingefroren. Die heidelbeerfarben geschminkten Lippen bewegen sich beim Sprechen, sonst bleibt die Mimik starr. Nur bei der Frage nach der Angst vor dem Militär – dem russischen, aber auch dem ukrainischen, in dem Lampusha im Ernstfall kämpfen müsste – weiten sich die Augen und die hohe Stimme wird brüchig: 


"Ich habe so Panik, dass Russland tiefer nach Kiew vordringt. Sie sind schon so nah, es könnte jederzeit passieren, dass alle Fluchtkorridore versperrt sind." 

Den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, ist in der Ukraine mit hohen Hürden verbunden

Lampusha will nicht in Kiew oder der Ukraine bleiben aus Angst, irgendwann eingezogen zu werden. Aber auch das Risiko, im Krieg sexualisierte Gewalt zu erfahren, ist für Frauen und weiblich gelesene Personen groß. Für trans-feminine Personen wie Lampusha ist die Situation besonders gefährlich, weil sie zusätzlich transfeindlichem Hass ausgesetzt sind. "Ich muss irgendwie illegal über die Grenze", sagt Lampusha und sitzt den ganzen Tag am Handy, um herauszufinden, wie man unbemerkt nach Rumänien oder in die Republik Moldau gelangen könnte. Bis zur Grenze sind es jeweils mehrere hundert Kilometer. Doch selbst eine Zugfahrt, bei der Ausweise kontrolliert werden, könnte für Lampusha riskant werden. "Ich habe bisher von keiner trans-femininen Person gehört, die es geschafft hat, legal über die Grenze zu kommen. Es sei denn, der Personenstand im Ausweis war weiblich", sagt Lampusha. Das bestätigt auch die ukrainische trans Frau und Sängerin Zi Faámelu, über die mehrere Medien berichteten. Sie hat, wie Lampusha, einen männlichen Geschlechtseintrag in ihrem Pass, weshalb ihr nach eigenen Angaben mehrmals an der Grenze zu Rumänien die Ausreise verweigert wurde.

Bis 2017 mussten trans Personen in der Ukraine einen Monat in die Psychiatrie, bevor sie ihr Geschlecht juristisch anerkennen lassen konnten. Auch geschlechtsangleichende Operationen waren erforderlich, einschließlich einer Zwangssterilisation. Diese Regelung besteht zwar nicht mehr. Laut René Mertens, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), war es aber auch bis zum russischen Angriffskrieg extrem schwierig, den Personenstand ändern zu lassen. So ist zum Beispiel weiterhin ein psychologisches Gutachten notwendig. Beratungsstellen gibt es nur wenige und medizinisches Personal ist oft nicht sensibilisiert für den Umgang mit trans Personen. Lampusha transitioniert deshalb, wie viele andere auch, privat – ohne medizinische Begleitung und ohne das Geschlecht offiziell juristisch anerkennen zu lassen.

Trans Personen in der Ukraine sind gerade besonders vulnerabel", sagt auch die Politikwissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin Maryna Shevtsova, die an der Universität im slowenischen Ljubljana zu Anti-Gender-Bewegungen in Osteuropa forscht. Queere und trans Personen fürchteten sich zum einen vor dem russischen Militär und Regime, das von Putins LGBTQIA-feindlicher Propaganda geprägt sei. Hinzu komme aber auch die Gefahr, von ukrainischen Militärs Gewalt zu erfahren. "Das wird oft verschwiegen, um das Bild von der glorreichen ukrainischen Armee nicht zu stören", sagt Shevtsova. "Aber selbstverständlich steigt auch geschlechtsbasierte und sexualisierte Gewalt, wenn Aggression und Gewalt im Land allgemein stärker werden. Im Krieg entsteht eine Art Selbstorganisation, die Menschen leben nach anderen Regeln als in Zeiten des Friedens. Das ist für vulnerable Gruppen besonders gefährlich." 

Umfragen und Content-Analysen zeigten zwar, dass die Akzeptanz für queere Menschen medial und in der ukrainischen Bevölkerung allgemein gestiegen seien, sagt Shevtsova. Doch ihre Unversehrtheit gelte selbst in friedlichen Zeiten oft noch als Luxusproblem der Gesellschaft. "Im Ukrainischen gibt es den Ausdruck не на часі", sagt Shevtsova, "das bedeutet so viel wie: Jetzt ist nicht die Zeit dafür." In den vergangenen Jahren habe es immer wieder geheißen, die Bedrohung durch den Krieg im Osten des Landes sei dringender, als die Rechte von queeren und trans Menschen zu verwirklichen. Das gelte auch jetzt, beobachtet Shevtsova: "Die Mentalität ist im Moment: Wechsle deine Kleidung, geh kämpfen und nach dem Krieg kannst du wieder machen, was du willst. Es fehlt an Wissen zum Thema trans, denn wir hatten ja vermeintlich nicht die Zeit dafür." 

Zwar gebe es bereits Unterkünfte für geflüchtete queere Männer und trans Frauen in der Ukraine, sagt die Politikwissenschaftlerin. Doch dort mangle es an allem: Geld, Hormone, Shampoo, Binden. Shevtsova hofft, dass Aktivist:innen aus anderen europäischen Ländern das Benötigte in Nachbarstaaten wie die Slowakei bringen, damit es von dort aus in die ukrainischen Unterkünfte transportiert werden könne. Hinzu komme: Genaue Angaben, wo sich diese Schutzräume für queere und trans Menschen befinden, werden aus Sicherheitsgründen so vertraulich behandelt, dass selbst viele Betroffene nichts von diesen Zufluchtsorten wüssten, sagt Shevtsova. 

Sollte Lampusha es schaffen, die Grenze zu einem der Nachbarstaaten zu überqueren, soll die Flucht am liebsten nach Westeuropa weitergehen. Die meisten queeren und trans Personen aus der Ukraine wollten in Länder wie Deutschland oder nach Skandinavien, sagt Politikwissenschaftlerin Shevtsova. Die Regierungen in Polen, Ungarn und anderen umliegenden Ländern seien schließlich für ihre queerfeindliche Politik bekannt. "Mein Leben wird sich mit der Flucht radikal ändern", sagt Lampusha. "Ich weiß, dass Hormone in anderen europäischen Ländern verschreibungspflichtig sind und ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert." Lampusha hat Angst, die Hormontherapie im schlimmsten Fall unterbrechen zu müssen und hat deshalb vorgesorgt. Ihre Präparate bekommt sie in der Ukraine unter der Hand von einer Frau in Kiew, die die Stadt trotz des Krieges noch nicht verlassen hat. Für die nächsten neun Monate ist Lampusha versorgt. 


Am vergangenen Donnerstag hat sich Lampusha auf den Weg in den Westen der Ukraine gemacht. In Rumänien und in der Republik Moldau gebe es queere Organisationen, die trans Personen aus der Ukraine aufnehmen würden. Die letzte Nachricht von Lampusha auf Telegram war ein gelbes Herz, für zwei Tage brach der Kontakt ab. Erst am Samstag meldete sich Lampusha wieder – aus einer der Unterkünfte für queere Geflüchtete im Westen der Ukraine. Wie die Flucht dorthin geglückt ist, schrieb Lampusha nicht, nur: "Ich bin jetzt hier."   

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