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Intersexuelle vergessenWarum die Ehe doch nicht für alle ist
Die LGBT-Szene feierte Ende Juni. Kurz vor der Sommerpause hat der Bundestag beschlossen, dass bald jede(r) jede(n) heiraten darf. Eine Gruppe hat er aber übersehen.
Die Ehe für alle ist doch nicht für alle. Das hat jetzt Dieter Schwab, ein emeritierter Jura-Professor aus Regensburg, herausgefunden. Er hat sich den neuen Eheparagrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) genauer angeschaut: Auf den ersten Blick ist alles cool. Der Satz: "Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen" wird ausgetauscht. Ab Oktober gilt dann der neue Satz: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen."
Wer kein Geschlecht hat, darf nicht heiraten
Auf den zweiten Blick aber ist auch schon der neue Satz eigentlich veraltet. Denn manche Menschen haben kein Geschlecht. Intersexuelle werden geboren ohne Geschlechtsmerkmale, mit denen ein Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann. Rechtlich ist das bei der Geburt seit 2013 so geklärt: Wenn die Ärzte kein eindeutiges Geschlecht festlegen können, lassen die Standesbeamten die Geschlechtsangabe im Geburtsregister einfach weg. Vor Gesetz sind Intersexuelle also geschlechtslos. Und wer kein Geschlecht hat, kann damit auch nicht heiraten – zumindest nicht bei dem neuen Eheparagraphen, der ja ausdrücklich bei beiden Ehepartnern ein Geschlecht voraussetzt. Im Ehegesetz klafft jetzt also eine Lücke, in die all diejenigen reinfallen, die kein definiertes Geschlecht haben. Der Jura-Prof findet diesen Zustand "untragbar". Er schreibt:
"Wenn ‚Ehe für alle‘, dann wirklich für alle!"
Dieter Schwab, emeritierter Jura-Professor, Regensburg
Problem: Das Gesetz wurde zu hastig verabschiedet
Wie konnte so etwas passieren? Denn die Befürworter der Ehe für alle wollten mit der Gesetzesänderung sicherlich keine Intersexuellen diskriminieren und sie von der Ehe für alle ausschließen. Vermutlich haben die Politiker im Bundestag in der Eile einfach vergessen, dass der Begriff "Geschlecht" problematisch ist. Längst zweifeln Sozialwissenschaftler an, dass es so etwas wie ein natürliches Geschlecht überhaupt gibt. Sie gehen davon aus, dass wir unser Gender vor allem als Kinder lernen – über kulturelle Normen und Rollenmodelle.
Denkbar wären verschiedene Lösungen. Die kleinere wäre: Man korrigiert den Eheparagrafen noch einmal. Das würde auch deshalb Sinn machen, weil im BGB sowieso noch andere Paragrafen korrigiert werden müssten, die bei den Ehepartnern noch von "Mann" und "Frau" sprechen. Eine andere und umfassendere Alternative, um das Problem zu lösen, wäre es, ganz offiziell ein drittes Geschlecht einzuführen. Dann gäbe es "Frau", "Mann" und "Inter". Bisher haben Gerichte das abgelehnt. Ein Diskussionsthema für die nächste Regierung ab September wäre damit auch gefunden.
Auf jeden Fall: Diesmal bitte sorgfältiger
Egal, welchen Weg der Bundestag bei dem Thema einschlägt. Wichtig wäre vor allem eines: Er sollte sich mehr Zeit lassen bei der Formulierung der neuen Gesetze als bei der Hau-Ruck-Aktion im Juni, als die Ehe für Alle noch schnell beschlossen wurde. Denn schließlich wäre es äußerst doof, wenn dann wieder eine Gruppe unbeabsichtigt diskriminiert würde.
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