Ist Transgeschlechtlichkeit nur ein Hype und Ergebnis der „Gender-Ideologie“? Bekommen Jugendliche übereilt Pubertäts-Blocker verschrieben? Werden sie zu schnell über irreversiblen Hormon-Behandlungen und OPs unterzogen? Was ist mit Keira Bell und dem Rapid Onset Gender Dysphoria? Antworten in unserem neuen Beitrag "Trans*: Hype der Gender-Ideologie und Gefahr für Kinder und Jugendliche?". Zudem gibt es inzwischen eine ausführliche Kritik zu den Thesen von Alice Schwarzer.
Mediales Herbeischreiben eines angeblichen „Transgender-Hype”
Entgegen der Forderungen des LSVD und BVT* nimmt die Zahl unsensibler oder negativer Berichterstattung bis hin zur Falschdarstellung von trans* Menschen durch die Medien zu. Das betrifft nicht mehr nur „dead names” (Nennung der alter Namen), die Verbreitung von Fotos vor einer Transition und die Verwechselung von Geschlechtsidentität mit sexueller Orientierung. Inzwischen behauptet zwar auch Alice Schwarzer in der EMMA eine „Solidarität mit Transsexuellen, die um jeden Preis den Körper wechseln wollen“, warnt aber „vor dem Wechsel, nur weil eineR nicht rollenkonform lebt.”
Wenn ich in meinen Kleiderschrank schaue, habe ich dort noch keinen Körper gefunden, den ich heute gewechselt hätte. Ich habe aber auch in Artikeln wie dem von Alice Schwarzer, keine Solidarität mit mir als trans* Mann gefunden, sondern lediglich viel Unwissen zum Thema, das Absprechen der Tatsache, dass ich mit Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, die vor meiner Angleichung nicht zu mir passten, sowie Hetze gegen das Recht auf Selbstbestimmung von uns trans* Menschen.
Dass sich heute mehr Menschen und viele junge Menschen als trans* outen, liegt auch nicht an einem angeblichen „Transgender-Hype”, wie die FAZ zuletzt schrieb, sondern daran, dass unsere Gesellschaft viel offener geworden ist. Auch die Entpathologisierung von trans* Menschen und Streichung von Transsexualität als psychische Störung durch die Weltgesundheitsorganisation hat dazu beigetragen. Allerdings erschweren vermehrt reißerische Artikel jungen Menschen ihr Coming-out und verhindern, dass noch vorherrschende Vorurteile und Wissensdefizite abgebaut werden.
Noch immer verhindert veraltetes TSG das Recht auf Selbstbestimmung
Wie es der Zufall will, wird dieses Recht auf Selbstbestimmung nicht nur in den Medien verhandelt, sondern auch in der Politik. Für eine Änderung des Geschlechtseintrag sind trans* Menschen weiterhin auf das veraltete Transsexuellengesetz (TSG) angewiesen. Das verlangt immer noch zwei psychologische Gutachten, die viele sehr persönliche und intime Details zur Person offenlegen. Außerdem fallen Gerichtskosten in Gesamthöhe von bis zu 3.000 Euro an. Der klägliche Versuch einer Reform im Jahr 2019 sah erneut kein Recht auf Selbstbestimmung vor, sondern hätte von Betroffenen weiterhin eine Zwangsberatung und sogar eine Befragung von (Ehe-)Partner*innen vorgesehen. Nach großem Protest liegt er nun auf Eis.
Letztlich wird es auch durch einen selbstbestimmten Personenstand nicht mehr von uns geben, als es uns ohnehin schon gibt. Denn wir sind nicht ansteckend. Wenn man allerdings die Anhäufung diskriminierender und reißerischer Artikel in den Medien beobachtet, könnte man annehmen, dass diese sehr wohl ansteckend sind. Darum mein Appell an die Medien – seid weniger Alice und mehr Ally!
ERFAHRUNGEN VON TRANS* MENSCHEN IN DEUTSCHLAND
Coming-out, Transition, Offenheit und Diskriminierung im Alltag, Erfahrungen mit Hasskriminalität
Massivste Ausdrucksform von Homophobie und Transfeindlichkeit ist Hasskriminalität. Hassmotivierte Straftaten zielen nicht nur auf die Menschen als Individuen, sondern zusätzlich auch darauf, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern. Es kann auch heute noch gefährlich sein, im öffentlichen Raum als schwul, lesbisch, trans erkannt oder dafür gehalten zu werden. Allein der Anblick einer Drag Queen, einer trans Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter motivieren, brutal zuzuschlagen. Aus solchen Taten spricht Hass. Die Täter sehen sich als Vollstrecker eines von ihnen fantasierten Mehrheitswillens. LSBTI gelten ihnen als minderwertig und vogelfrei.
Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, wenn Menschen sich nicht sicher im öffentlichen Raum bewegen können, wenn sie bestimmte Orte aus Angst vor Gewalt meiden oder eher das Fahrrad als öffentliche Verkehrsmittel nehmen, um nicht Opfer von homo- und transphobe Vorfällen zu werden - dann ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit.
Der LSVD fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich eine unabhängige Expert*innen-Kommission einzusetzen, die eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTI-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität erarbeitet und der Bundesregierung sowie dem Bundestag einen Lagebericht mit Handlungsempfehlungen vorlegt. Solche Kommissionen wurden bereits zu Antisemitismus und Antiziganismus eingesetzt und haben sich bewährt.
An die Innenminister*innen und Innensenator*innen in Bund und Ländern appellieren wir, das Thema endlich auf der Innenministerkonferenz auf die Agenda zu setzen. Sie sollen endlich eine gemeinsame Strategie gegen homophobe und transfeindliche Hasskriminalität entwickeln. Seit 1954 gibt es die Innenministerkonferenz als ständige Einrichtung.
Auf der 215. Sitzung der Innenministerkonferenz im Dezember 2021 haben sich die 16 Innenminister*innen und Innensenator*innen der Länder erstmalig mit der vorurteilsmotivierten Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen befasst. Mit einem einstimmig gefassten Beschluss bitten sie das Bundesinnenministerium, eine unabhängige Fachkommission einzuberufen. Diese soll zur Herbstkonferenz 2022 einen ersten Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen vorlegen, wie die Bekämpfung von gegen LSBTI gerichteter Gewalttaten weiter verbessert werden kann.
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