Die Geschichte von trans* Personen gilt auch heute für viele noch als verhandel- und bestreitbar. Dabei ist sie auch gezeichnet von Gewalt und Willkür durch Dominanzgesellschaft und Staatsgewalt, insbesondere während des Nationalsozialismus in Deutschland. In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, wie Lebensrealitäten von Menschen aussahen, die sich nicht (vollständig) mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizierten.
Queeres Aufblühen in den Großstädten
Unsere Reise in die Geschichte von trans* Personen beginnt in den 1920er-Jahren: Großstädte (allen voran Berlin) entwickelten sich zu Hochburgen des queeren Lebens mit internationaler Bekanntheit. Queere Gemeinschaften, insbesondere schwule und lesbische, bildeten sich allmählich immer stärker heraus und Zusammenschlüsse ermöglichten es, queere Safe(r) Spaces zu schaffen, in denen das eigene Sein nicht versteckt werden musste. Gemeinsam wurden Orte geschaffen, an denen gefeiert werden konnte, die Möglichkeiten zur Vernetzung und zur gegenseitigen Unterstützung boten. Transvestie-Lokale wie das Eldorado waren Treffpunkt für Transvestiten, Crossdresser und Co. Hier war es möglich, die eigene Geschlechtlichkeit zu erkunden und in einem geschützte(re)n Rahmen auszuleben.
Die Presse als Sprachrohr
Auch die deutsche Presselandschaft spiegelte dieses Aufblühen deutlich wider: Bereits 1919 war mit Die Freundschaft die weltweit erste Zeitschrift erschienen, die sich explizit an homosexuelle Männer richtete. Fünf Jahre darauf erschien Die Freundin, das lesbische, transinklusive Gegenstück, welches zunächst monatlich, dann vierzehntäglich und bis zum Verbot März 1933 wöchentlich erschien. Besondere Einblicke in Lebensrealitäten von trans* Personen gibt uns Das 3. Geschlecht, eine von 1930 bis 1932 im Straßenhandel erhältliche Zeitschrift für Menschen, die wir heute wohl irgendwo auf dem trans* Spektrum verorten würden. Neben wissenschaftlichen Artikeln lag hier der Fokus vor allem auf persönlichen Texten und Fotografien – wir lesen von Gewalt, aber auch von Momenten der Gender-Euphorie, Liebe und Gemeinschaft.
Eine besondere Rolle nahmen hier Werbeanzeigen ein. So wurde in jeder Ausgabe für eine Vielzahl an Büchern geworben, die sich mit Trans*identität, ebenso wie mit Homosexualität, Sadismus und Masochismus sowie Sexarbeit befassten. Darüber hinaus gab es Anzeigen für Tanzlokale, Transvestitenbälle, Friseursalons, Fotostudios, Pensionen, oft mit einem direkten Hinweis auf höchste Diskretion – denn die positiven Entwicklungen im Kleinen konnten nicht verhindern, dass selbstverständlich auch trans* Personen unter dem in der Weimarer Republik erstarkenden nationalsozialistischen Klima litten, täglich mit Polizeigewalt zu rechnen hatten und Kriminalisierung fürchten mussten.
Kriminalisierung von trans* Personen als Kollateralschaden
Auch wenn Trans*identität nicht explizit in Gesetzen benannt wurde (dazu steckte die Forschung noch zu sehr in den Kinderschuhen), wurden trans* Personen durch verschiedene Paragrafen bedroht. So konnte das Tragen von vermeintlich „gegengeschlechtlicher Kleidung“ auf Grundlage des §360 („Grober Unfug“) mit einer Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft sanktioniert werden. Aber auch §175, der (vermutete) sexuelle Handlungen zwischen Männern sanktionierte, war eine große Gefahr für trans* Personen, insbesondere trans* Weiblichkeit_en. Sie wurden lange als homosexuelle Männer fehlkategorisiert, was zur Folge hatte, dass auch sie auf Basis des §175 kriminalisiert wurden. Die Angst war dementsprechend groß, sie fürchteten Haftstrafen in Männergefängnissen, in denen sie zusätzlicher Gewalt ausgesetzt waren, Berufsverbote oder Zwangskastrationen, um angedrohten KZ-Haftstrafen zu entgehen.
Die Anfänge der Abhängigkeit
Schutz davor konnte der sogenannte Transvestitenschein bieten, welcher durch den jüdischen und schwulen Arzt und Aktivisten Dr. Magnus Hirschfeld in Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Walter Niemann initiiert wurde. Dieser Schein ermöglichte es, nach vorheriger Prüfung durch einen Mediziner, die „gegengeschlechtliche“ Kleidung zu tragen, ohne Strafen fürchten zu müssen. Wie gut das in der Praxis letztlich funktioniert hat, ist nicht belegbar, aber es scheint eher unwahrscheinlich, dass ein schriftliches Zwangsouting trans* Personen jemals vor Polizeigewalt geschützt haben soll. Auch die Namensänderungen, welche möglich waren, kamen nicht ohne ein Zwangsouting aus. Bezeichnend ist, dass trans* Menschen schon vor 100 Jahren und rund 60 Jahre vor dem TSG in einem doppelten Abhängigkeitsverhältnis zu Medizin und Justiz standen. Kaum gab es die ersten Begriffe um Geschlecht außerhalb der vermeintlichen cis Norm zu beschreiben, mussten trans* Menschen sich und ihre Existenz erklären und rechtfertigen.
Das Institut für Sexualwissenschaft
Eine Institution, die sich der Aufklärung über queere Lebensweisen und Sexualität verschrieben hatte, war das 1919 gegründete Institut für Sexualwissenschaft, welches durch die Arbeit Magnus Hirschfelds maßgeblich geprägt wurde. Hier fanden alle Menschen Zugang zu Aufklärung über Sexualität, Verhütung, Krankheiten oder auch Ehe- und Familienplanung. Hirschfeld selbst hatte sich, natürlich nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Perspektive als schwuler Mann, der Aufgabe gewidmet, die Kriminalisierung und Stigmatisierung Homosexueller durch Forschung und Aufklärungsarbeit zu beenden. Als jüdischer, schwuler Sozialist, der vielen queeren Menschen einen sicheren Hafen bot (so war das Institut auch Austragungsort für Feierlichkeiten, Pension für queere Reisende wie den Schriftsteller Christopher Isherwood und bot Wohn- und Arbeitsplätze für trans* Frauen wie Dora Richter) konzentrierten sich in Hirschfeld direkt mehrere Feindbilder der Nationalsozialisten. Das Institut, so hieß es in der NS-Presse, sei eine „Brutstätte für Schmutz und Sudelei“.
Die Plünderung und Zerstörung des IfS
Dass diese Haltung schon längst in alle Teile der Gesellschaft gesickert war, zeigte sich einmal mehr bei der Zerstörung des Instituts am 6. Mai 1933. 100 Studierende der Hochschule für Leibesübungen hatten sich die Zerstörung des IfS zum Ziel gemacht. Gegen 9:30 Uhr verschafften sie sich Zugang zu den Räumlichkeiten des IfS und zerstörten das Archiv, die Bibliothek, schmissen Fensterscheiben ein, kippten Tintenfässchen auf Akten und Dokumenten aus und setzen alles daran, die Arbeit im Institut zu verunmöglichen. Die Studierenden zogen nach wenigen Stunden ab, doch die Gefahr war noch nicht vorüber: Wenige Stunden später, gegen 15 Uhr, schlug ein SA Trupp am Institut auf. Erneut wurde das Institut durchsucht, Unterlagen, Bücher, Akten, Lehrbücher und Aufklärungsbroschüren im Umfang von zwei Lastwagen beschlagnahmt. All diese Teile queerer (Medizin-)Geschichte fielen am 10. Mai der Bücherverbrennung zum Opfer, wenige Tage später wurde das Institut endgültig geschlossen. Hirschfeld selbst war während dieser Zeit nicht mehr in Deutschland. Was mit den Mitarbeiter*innen des Instituts geschah ist nicht bekannt, die Optionen sind aber allesamt nicht positiv.
Nicht nur diese Anlaufstelle verschwand, auch Bars und Tanzlokale wurden zum Ziel von Razzien und nach und nach geschlossen. Für viele Menschen bedeutete das auch den Verlust ihrer mitunter wichtigsten sozialen Kontakte, den Verlust von Gemeinschaft und letzten Sicherheiten.
Hoffnungen für die Geschichte der Zukunft
Trans* Geschichte ist mehr, als die Gewalt und der Schmerz, der trans* Personen seit jeher angetan wurde und nach wie vor angetan wird. Um die Gegenwart einordnen zu können, müssen wir uns aber bewusst sein, worin diese Gewalt wurzelt. Daher müssen wir auch anerkennen, welcher Gewalt trans* Personen, aber vor allem trans* Weiblichkeit_en, auch im Kontext der nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland ausgesetzt waren. Diese Geschichte zu leugnen ist ein Mittel, um Cisgeschlechtlichkeit als vermeintliche Norm zu installieren und Grundlage, um Trans* als „neues Phänomen“ oder „Trend“ zu inszenieren.
Damals wie heute stören auch trans* Personen ganz maßgeblich die faschistoiden Fantasien einer weißen, nichtjüdischen, cis-endo-heterosexuellen Gesellschaft und ebenso lang weigert sich die Dominanzgesellschaft, trans* Personen ihre Selbstbestimmung zuzugestehen und ihre Rechte bedingungslos zu stärken.
Für die Zukunft wünsche ich mir zwei Dinge: Einen Planeten, der noch nicht untergegangen ist und Texte, die vielleicht gar nicht in so ferner Zukunft liegen und davon erzählen, wie das TSG endlich abgeschafft wurde, wie die Gewalt gegen Trans* endlich anerkannt wurde und Konsequenzen nach sich zog und eine Dominanzgesellschaft, die endlich begreift, was dieses kontinuierliche Verhandeln von Existenzen mit Menschen macht und dass eben diese Verhandlungen Geschichte sind.
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