Dienstag, 25. Juli 2023

"Wir existieren", heißt es auf einer Demo für LGBTIQ*-Rechte. Queere Menschen erfahren in der Ukraine, Russland und Nachbarstaaten noch immer Nachteile /// We exist," says a demo for LGBTIQ* rights. Queer people are still disadvantaged in Ukraine, Russia and neighboring countries

We exist," says a demo for LGBTIQ* rights. Queer people are still disadvantaged in Ukraine, Russia and neighboring countries
Ausgerechnet der Angriffskrieg Russlands könnte den Nebeneffekt haben, dass die Rechte von queeren Menschen in der Ukraine gestärkt werden. Das könnte auch Soldaten an der Front helfen. Seitdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, kämpfen jeden Tag Hunderttausende für ihr überfallenes Land. Und für ihr Leben. Queere Menschen werden in der Ukraine noch immer diskriminiert. Doch im Krieg stehen viele von ihnen Seite an Seite mit ihren Kameradinnen und Kameraden. Sie verteidigen ihre persönliche Freiheit. In Russland und russisch kontrollierten Gebieten wird "homosexuelle Propaganda" strafrechtlich verfolgt, trans Personen werden als psychisch krank gebrandmarkt. Gegenüber anderen ukrainischen Soldatinnen und Soldaten haben LGBTIQ+-Militärs massive Nachteile. Wenn sie im Krieg fallen, dürfen ihre Partnerinnen und Partner sie nicht bestatten. Sie dürfen sich auch nicht um mögliche Kinder kümmern, medizinische Entscheidungen treffen und erhalten keine finanziellen Hilfen des Staates. Mehr als 28.000 Menschen hatten deshalb im Juli 2022 die Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen gefordert. Ein Gesetzesentwurf soll homosexuelle Beziehungen in der Ukraine mit mehr Rechten ausstatten Der Krieg erhöht die Wahrscheinlichkeit dieser tragischen Situationen massiv. Nun versuchen einige Abgeordnete, gleichgeschlechtliche Beziehungen mit ähnlichen Rechten auszustatten wie heterosexuelle Beziehungen. Die ukrainische Parlamentarierin Inna Sovsun brachte im Frühjahr einen Gesetzesentwurf dazu ein. Sie und weitere Unterstützer wollen den Betroffenen zeigen, dass das Land, für das sie zu sterben bereit sind, "ihre Persönlichkeit und ihre Werte respektiert", sagte sie dem "Guardian". Doch bisher zögert die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenkskyj. Zumindest vordergründig, weil die Verfassung in Kriegszeiten nicht oder nur schwer geändert werden könne. Maksym Potapovych ist Aktivist bei Kyiv Pride, einer NGO, die sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzt. Er hält es gerade im Angesicht des Krieges für wichtig, das Gesetz zu verabschieden, sagte er dem "Guardian": "Wir müssen dieses Gesetz während des Krieges verabschieden, damit sich unsere Soldaten auf dem Schlachtfeld sicherer fühlen. Aber auch, damit sie, wenn sie ins zivile Leben zurückkehren, wissen, dass während sie für uns in den Schützengräben gekämpft haben, wir hier [für sie] gekämpft haben."
Seit 1991 ist Homosexualität in der Ukraine legal, doch wird in vielen Familien nur mäßig geduldet. Das liegt vor allem an der deutlichen Positionierung der Kirchen, die in der Ukraine über große Macht verfügen. Das Auswärtige Amt weist in dem Land auf "deutliche Vorbehalte gegen LGBTIQ+-Personen" hin. Doch mehr und mehr Menschen trauen sich, zu ihrer Identität zu stehen. Twitter-Profile wie "LGBTIQ Military" machen diese sichtbar, obwohl die abgebildeten Personen dafür mit Anfeindungen rechnen müssen. Mehr als 100 Soldaten wurden dort bisher portraitiert. Auch Umfragen zeigen, dass die Aktzeptanz in der breiten Bevölkerung langsam zunimmt. Laut einer Studie des ukrainischen Nash Svit Center aus dem Mai 2022 steht etwa die Hälfte der Bevölkerung (57,6 Prozent) LGBTIQ+-Personen positiv oder gleichgültig gegenüber. 38,2 Prozent sehen diese Community eher negativ. Das ist im EU-weiten Vergleich eine hohe Zahl, doch 2016 waren noch mehr als 60 Prozent diesen Bevölkerungsgruppen gegenüber negativ eingestellt. Unterstützung des Militärs ist eine Art "Religion" Die ukrainische Abgeordnete Inna Sovsun glaubt, die erhöhte Sichtbarkeit von queeren Soldatinnen und Soldaten könnte dazu führen, dass auch unter Konservativeren die Toleranz zunimmt. "Die Unterstützung des Militärs ist im Moment die nationale Religion", sagte sie dem Magazin "Foreign Policy". "Die Leute denken: 'Sie kämpfen für uns, also können wir nicht wirklich gegen sie sein.'" Das Sovsun damit nicht ganz falsch liegt, zeigt eine Rede des konservativen Parlamentariers und Ex-KGB-Spions Andrii Kozhemiakin.  Für Sovsun überraschend unterstützt dieser ihren Gesetzesentwurf, mit einer einfachen Begründung.
"Alles, was unser Feind hasst, werde ich unterstützen", sagte Kozhemiakin im Kiewer Parlament. "Wenn es in Russland niemals existieren wird, sollte es hier existieren und unterstützt werden, um ihnen zu zeigen und zu signalisieren, dass wir anders sind. Dieses Gesetz ist wie ein Lächeln an Europa und ein Mittelfinger an Russland. Deshalb unterstütze ich es."

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