Donnerstag, 2. November 2023

Warum der offene Geschlechtseintrag die Ausnahme bleibt

Warum der offene Geschlechtseintrag die Ausnahme bleibt Im Jahr 2013 hält der Gesetzgeber mit einer Änderung des Personenstandsrechts Eltern dazu an, den Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde offenzulassen, wenn Kinder nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Zehn Jahre später passiert das immer noch erstaunlich selten. Im Dezember 2010 beauftragen Forschungs- und Gesundheitsministerium den Ethikrat, sich mit der Situation intergeschlechtlicher Menschen in Deutschland zu beschäftigen. Der Ethikrat befragt Hunderte Betroffene, tauscht sich mit Eltern und Fachleuten aus. Auf dieser Grundlage entsteht ein umfassender Bericht über den medizinischen und rechtlichen Umgang mit Menschen, die nicht eindeutig als männlich oder weiblich gelesen werden können - über ihre Lebenswirklichkeit und ihre Leidensgeschichten. Erzählt wird unter anderem die Geschichte eines 1965 mit "uneindeutigem Genitale" geborenen Menschen: Sein Penis ist nur zwei Zentimeter lang, die Hoden liegen im Bauchraum. Wegen eines Herzfehlers wird das Neugeborene im Krankenhaus behalten und dort mit zweieinhalb Monaten kastriert - ohne Einwilligung und Wissen der Eltern. Ein folgenreicher Fehler, wie die Ärzte später laut Krankenakte eingestehen: "Die Situation ist nun jedoch so, dass auf diesem Wege fortgefahren werden muss und aus dem kleinen Patienten ein Mädchen gemacht werden muss." Danach habe sich auch die Erziehung zu richten. Am Ende des 76-seitigen Papiers kommt der Ethikrat zu klaren Schlussfolgerungen: Es braucht demnach weitreichende Bildungsmaßnahmen für Ärztinnen, Hebammen und Psychotherapeuten und hohe Hürden für operative Eingriffe bei Kindern. Neben der Eintragung des Geschlechts als männlich oder weiblich müsse es noch eine dritte Option geben für Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig sei. Der Ethikrat fordert außerdem die Möglichkeit, den Eintrag offenzulassen. Auch solle geprüft werden, "ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist". 2013 wird "Minimallösung" beschlossen Die schwarz-gelbe Koalition reagiert auf diese Forderungen gut ein Jahr später mit einer Änderung des Personenstandsrechts. Am ersten November 2013 tritt in Kraft, was die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte als Minimallösung bezeichnet hatte: Können Neugeborene weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, ist die Geburt nach der Gesetzesänderung ohne Angabe zum Geschlecht ins Geburtenregister einzutragen. Damit will der Gesetzgeber den tiefgreifenden und langfristigen Folgen Rechnung tragen, die eine verfrühte Entscheidung haben kann. Mit der Geschlechtszuweisung gehen soziale Weichenstellungen einher: Kinder wachsen als Junge oder Mädchen auf, werden von ihren Umfeldern in Rollen gedrängt, in denen sie sich oft genug selbst überhaupt nicht sehen. Der offene Geschlechtseintrag soll zudem Druck vom medizinischen Personal und den Eltern nehmen, er soll intergeschlechtliche Kinder vor nicht zwingend nötigen Eingriffen schützen, bis sie selbst über mögliche Operationen oder Behandlungen entscheiden können.
Infolge der Gesetzesänderung kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, an deren Ende das Bundesverfassungsgericht urteilt: Menschen, "die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen", steht mehr zu, als den Geschlechtseintrag offenzulassen. Das Gericht verpflichtet den Gesetzgeber im Oktober 2017 zur Einführung eines positiven Geschlechtseintrags jenseits von "weiblich" oder "männlich". Das Bundesverfassungsgericht lässt dabei aber eine Hintertür offen: Es weist ausdrücklich darauf hin, der Gesetzgeber könne auf die Geschlechtsangabe im Personenstandsrecht auch komplett verzichten. Die Große Koalition geht darauf nicht ein und erlaubt stattdessen ab 2019 im Geburtenregister zusätzlich die Bezeichnung "divers". "So eine Operation kann lebenslange Beschwerden verursachen" Der erste rechtliche Schritt in Richtung der Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen jährt sich nun zum zehnten Mal. Dennoch bezweifeln Betroffenenverbände einen Einfluss auf die medizinische Praxis: Laut Charlotte Wunn von Intergeschlechtliche Menschen e.V. ging die Zahl geschlechtszuweisender Operationen nach der Gesetzesänderung nicht zurück. Der Bundestag beschloss deshalb im März 2021 ein Verbot aufschiebbarer Behandlungen von intergeschlechtlichen Kindern. Petra Weitzel von der deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intergeschlechtlichkeit aber beklagt ntv.de gegenüber, dieses Verbot werde leider immer wieder umgangen. Ihr zufolge nutzen manche Ärzte ein Schlupfloch im Gesetz, indem sie die Intergeschlechtlichkeit der Kinder unterschlagen: "Die sagen dann, das Kind ist nicht intergeschlechtlich und operieren trotzdem, nur weil zum Beispiel die Harnröhre am Penis nicht an der üblichen Stelle endet", klagt Weitzel. "So eine Operation kann lebenslange Beschwerden verursachen". Die im Bericht des Ethikrates zitierte intergeschlechtliche Person etwa berichtet mehr als 40 Jahre nach ihrer Kastration, die durch den Eingriff nötig gewordene Hormonersatztherapie führte vermehrt zu Gelenkschmerzen, Schwindel, Hitzewallungen und Müdigkeit. Dass trotz Verbot operiert wird, erklärt sich Weitzel vor allem mit der fehlenden Schulung des medizinischen Personals. Sie wünscht sich verpflichtende Fortbildungen zum Thema und eine bessere Finanzierung derselben. Aber auch die Eltern seien nach der Geburt oft überfordert oder machten sich die Sache leicht, indem sie einfach ein Geschlecht eintrügen. "Welcher Name, welche Farbe hat der Strampler?" Die studierte Sexualwissenschaftlerin Christiane Kolb erklärt das im Gespräch mit ntv.de so: Der Druck auf die Eltern sei riesig. Die erste Frage sei schließlich immer: Was ist es denn? "Das offenzulassen, scheint schwer und kompliziert", sagt die Mit-Autorin des Ratgebers "Queere Kinder".
Eltern müssten die Uneindeutigkeit ständig verteidigen oder erklären: "Welcher Name, welche Farbe hat der Strampler, was sollen wir schenken, welche Gruppe im Sport?". Das alles seien potenzielle Konfliktthemen. Kolb gesteht ein, wie anstrengend es ist, über die Stereotypen hinauszudenken - sowohl für die Eltern als auch für deren Umfeld: "Wir sind ja alle im zweigeschlechtlichen System aufgewachsen und manche fühlen sich darin komplett wohl." Auch der Hamburger Kinderfacharzt Achim Wüsthof berichtet ntv.de vom Wunsch nach Eindeutigkeit. Die meisten Eltern wollten einen Jungen oder ein Mädchen. Der Hormonspezialist kann das gut verstehen, auch aus Sorge um das Kind: "Denn als divers zu leben, ist wahrscheinlich gar nicht so einfach in unserer Gesellschaft." Christiane Kolb dagegen sieht die Eltern in der Pflicht, die Uneindeutigkeit anzunehmen - zum Wohle des Kindes. Und Kolb macht Mut: "Wenn die meisten Menschen im Umfeld Bescheid wissen, hören die Fragen irgendwann auf. Das Kind ist ein Kind, Punkt." Verletzt und vernarbt Der 1965 als Mensch "mit uneindeutigem Genitale" geborenen Person hätte eine solche Akzeptanz wahrscheinlich viel Leiden erspart. Sie sei weder Mann noch Frau, aber auch nichts dazwischen, schreibt sie Jahrzehnte später: "Ich bleibe Flickwerk, geschaffen von Medizinern, verletzt, vernarbt." Dass es mit der von Kolb geforderten Akzeptanz auch zehn Jahre nach Änderung des Personenstandsrechts nicht allzu weit her ist, darauf deutet die Zahl der Anwendungsfälle hin: Laut Statistischem Bundesamt wurden 2022 nur acht Neugeborene mit unbestimmtem oder "diversem" Geschlecht gemeldet. In den Jahren zuvor lag die Zahl nie über 20. Daten aus deutschen Kinderkliniken und Schätzungen der Bundesärztekammer aber legen nahe, dass in Deutschland pro Jahr rund 280 bis 300 Kinder mit uneindeutigen Genitalien geboren werden. Damit wird in weniger als sechs Prozent aller Fälle die im Gesetz gegebene Möglichkeit genutzt. Charlotte Wunn von Intergeschlechtliche Menschen e. V. weist ntv.de gegenüber darauf hin, dass seit 2018 keine Pflicht mehr besteht, ein intergeschlechtliches Kind ohne Geschlechtseintrag oder als "divers" zu registrieren - auch um Eltern und Kinder vor einem "Zwangsouting" zu bewahren. Die niedrige Zahl Neugeborener mit alternativem Geschlechtseintrag weise aber deutlich auf eines hin: "An der binären Welt, in der die Kinder aufwachsen sollen, hat sich nichts geändert." Nun meine sehr geehrten Damen und Herren wie andere, das geschilderte hat seine Auswirkungen, wenn man bedenkt was Prägung alles anrichten kann! Verbleibe mit der Bitte, seit so nett und Teilt die Beiträge welche "Ihr" für gut haltet, denn "Wissen ist Macht!" Mfg Nikita Noemi Rothenbächer

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