Freitag, 18. Mai 2012

TRANSSEXUALISMUS laut Harry-Benjamin

Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle Rechte vorbehalten!
TRANSSEXUALISMUS (med.) a.g. Harry-Benjamin-Syndrom (HBS) ist eine körperliche Störung.

Die Betroffenen empfinden seit frühester Kindheit ihren Körper, spez. auch ihr Genital als falsch und nicht zu sich gehörig. Weitere Belastungen entstehen bei Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale in der Pubertät. Da in der Gesellschaft die Rollenzuweisung ebenfalls aufgrund körperlich von außen sichtbarer Merkmale geschieht, wird auch diese Rolle als belastend empfunden; obwohl dies bei Transsexualität im engeren Sinne (verbunden mit dem durch den Körper verursachten Leidensdruck) eher ein Sekundärsymptom ist. Transsexualität gibt es in beiden Richtungen: Frau zu Mann (FzM) = transsexuelle Männer und Mann zu Frau (MzF) = transsexuelle Frauen. Diese Bezeichnungen werden von Medien und oberflächlich denkenden Menschen sehr oft vertauscht. Die FzM-Transsexualität ist zumeist nicht so augenfällig.

Im ICD-10, dem Katolog der medizinischen Diagnosen, ist Transsexualität unter F.64.0 in der Gruppe der psychischen Störungen katalogisiert. Dieses ist eine Hilfskonstruktion (gem. Kommentar der WHO), damit die "Krankheit" im Sinne des Sozialrechts durch eine von den Krankenkassen übernommene Behandlung (Geschlechtsangleichung) therapiert werden kann. Im Grund genommen ist die Einordnung in diese Gruppe jedoch elementar falsch, da ja eben die pychische Geschlechtsidentität der Betroffenen vollständig in Ordnung und sehr eindeutig ist. Transsexuelle empfinden sich auch in keiner Weise als "zwischengeschlechtlich".

Bei vielen Fallgeschichten sind diese Merkmale sehr früh und weit vor der Pubertät zu bemerken; dennoch geschieht oft über Jahrzehnte eine "Anpassung" an die äußeren Erwartungen bis hin zu Ehe und Kinder zeugen. Diese extreme , einer Selbstvergewaltigung gleichkommende Anpassung beobachten wir zumeist nur bei der MzF-Transsexualität, weil die gesellschaftlichen Rollenfreiheiten der Männer weitaus geringer als die der Frauen sind. Wer stört sich schon an einem Neo-Mann, also genetisch Frau im Männeranzug. Umgekehrt kommt es hier zu ganz anderen Akzeptanzproblemen die auch heutzutage leider noch oft zum Verlust der Arbeitsplatzes führen. Das AGG hat dies zumindest im öffentlichen Dienst etwas abgemildert, wenngleich auch hier (Gesetzes-)Papier bekanntlich geduldig ist.


Wir lehnen den Begriff "TRANSGENDER" als Oberbegriff ab. Transsexualität im medizinischen Sinne, hat mit "Transgender", einer "hippen" anglizistischen Form des Geschlechtsrollenwechsels nichts zu tun. Transsexuelle leiden primär unter einem falschen Körper, ähnlich einer körperlichen Behinderung. Je besser die Angleichung des Äußeren an das Innere gelingt, desto mehr ist das Leid überwunden und die Normalität kehrt ein. Dadurch werden die Probleme einer falschen Sicht von außen automatisch angegangen.

Ein Beispiel: Ein Mensch mit nur einem Bein will trotz Krücke als normaler Mensch behandelt werden und besteht nicht auf der Einführung eines Sonderstatus als Einbeiniger. Dieser Mensch besteht mit Recht darauf, nicht in allen möglichen und unmöglichen sozialen Zusammenhängen auf seine Behinderung hingewiesen zu werden, sondern hat das Recht normal behandelt zu werden.

Ebenso wenig brauchen wir ein drittes Geschlecht. Das käme einer Stigmatisierung gleich. Außerdem keine Lösung weil alle echten Transsexuellen anschließend "Transgender-zu-Frau/Mann"-transsexuell wären.

Die einzige erfolgversprechende Behandlung ist die medizinisch maximal mögliche und individuell sinnvolle Angleichung des Körpers an das eigentliche und empfundene Geburtsgeschlecht.


Was ist Sexuallität überhaupt!

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Bevor wir unsere sexuellen Besonderheiten betrachten, müssen wir uns klarmachen, was Sexualität überhaupt ist. Das ist keineswegs so klar, wie es auf den ersten Blick scheint: ist z. B. Sexualität der körperliche Akt zur Zeugung von Kindern? Ist dann der homosexuelle Akt, der ja prinzipbedingt nicht zur Zeugung führen kann, keine Sexualität? Ist Sexualität etwa mit jenen Aktivitäten gleichzusetzen, die zu einem Orgasmus führen? Hat dann eine Frau, die zwar keinen Orgasmus hat, die aber trotzdem den Verkehr mit ihrem Partner durchaus auch erotisch genießt, keinen Sex – selbst wenn dabei ein Kind entsteht? Wo fängt Sexualität an: schon beim Wunsch nach körperlicher Nähe zu einem potentiellen Partner, mitsamt allen physiologischen Folgen eines solchen Wunsches – oder erst bei der unmittelbaren Hautberührung an erogenen Zonen? Ist z. B. ein Exhibitionist oder Spanner, der den körperlichen Kontakt zu seinen unfreiwilligen Partnerinnen gar nicht erst anstrebt, deswegen asexuell? Sexualität hat viele Aspekte, von denen kein einziger den Begriff vollständig definieren kann; erst in der Summe ergibt sich das, was wir unter Sexualität verstehen.



Der am häufigsten zitierte Aspekt von Sexualität ist die Fortpflanzung – genauer: der Austausch von Erbgut bei der Fortpflanzung, denn prinzipiell (und vermutlich in nicht allzuferner Zukunft auch beim Menschen) ist Fortpflanzung ja auch ohne einen solchen Austausch möglich. Doch Vorsicht mit der volkstümlichen Schlussfolgerung, der Sex diene der Fortpflanzung! Die Evolution kennt keinen wie auch immer gearteten Zweck, sie wirkt nicht gezielt; »Sinn« und »Zweck« bestimmter Eigenschaften eines Lebewesens sind nachträgliche Interpretationen unsererseits. Im Spiel von Mutation und Auslese sind Individuen einfach zweckfrei so, wie sie sind; die Gesamtheit ihrer Lebensbedingungen entscheidet darüber, ob sie ihre Eigenschaften erfolgreich an eine Nachkommenschaft vererben oder nicht. So hat eben Sexualität ihre Bedeutung nicht nur bei der Fortpflanzung, sondern auch in vielen anderen Lebensbereichen, auf die sie einwirkt: auf den sozialen Zusammenhalt mit der Familie oder Großgruppe zum Beispiel, oder auf die Hierarchie einer Gruppe, in der die Männer um die Frauen konkurrieren. Für die Fortpflanzung einer Art genügt es, wenn ein Teil der Individuen an ihr teilnimmt; bei allen anderen kann die Sexualität durchaus sogar ausschließlich andere »Zwecke« als die Fortpflanzung haben, ohne deshalb ihren Zweck zu verfehlen. Die Evolutionslehre grenzt Sexualität keineswegs auf einen klar definierten Zweck ein, und schon gar nicht versucht sie sie auf ein vermeintlich »gesundes« Erscheinungsbild hin zu normieren, wie diesem Wissenschaftszweig oft unterstellt wird. Im Gegenteil: eine gewisse Streubreite gehört zu jeder gesunden Population, denn erst dadurch wird eine Art anpassungsfähig und fähig zur Weiterentwicklung. Wären Menschen einander so ähnlich wie die Produkte einer Serienfertigung, dann würde der Austausch der Gene beim Sex jeglichen Sinn verlieren: es gäbe dann überhaupt nichts mehr auszutauschen und neu zu kombinieren. Das gilt auch für den Bereich der Sexualität selbst. Der Begriff »normal« im Sinne von »gesund« ist ein medizinischer oder auch moralischer, aber kein evolutionstheoretischer Begriff; wer der Evolutionslehre unterstellt, Menschen unter solchen Aspekten normieren zu wollen, hat diese Theorie grundlegend falsch verstanden.



Sexualität ist einer der ältesten, elementarsten, am tiefsten in unserer »Hardware« verankerten Triebe. Es gab sie schon lange, bevor es auch nur Wirbeltiere, geschweige denn Säugetiere oder schließlich Menschen gab. Nahezu jeder Aspekt unseres Menschseins hat sich in Jahrmillionen unter der Voraussetzung einer längst vorhandenen Sexualität entwickelt und wurde von ihr beeinflusst. Unsere Augen und Ohren, unser Knochengestell, unsere Haut, unser Gehirn wären anders geformt, wenn sie nicht bereits in ihrer Entwicklung unserer Sexualität Rechnung getragen hätten und in jedem Einzelfall beim Sex wieder ihre Rolle spielen würden – so gesehen hat der Mensch eigentlich weder primäre noch sekundäre Sexualorgane, sondern einen kompletten Sexualkörper.



Andererseits ist unsere vererbte Sexualität, unser Sexual-Trieb keineswegs eine so einfache, kompakte, eng umgrenzte Eigenschaft, wie uns das Wort weismachen will. Aus vergleichenden Untersuchungen bei anderen Primaten und Säugetieren wissen wir, dass da jede Art ihre ganz spezifischen, sehr differenzierten Besonderheiten hat. Schon die vererbte Sexualität ist in Wirklichkeit ein ganzes Bündel, verschiedenster, hochkomplizierter Eigenschaften mit vielfältigen Unterschieden nicht nur von Art zu Art, sondern auch zwischen den einzelnen Individuen – Stichwort Streubreite. Beim Menschen sind all diese Ausgestaltungen durch erlernte Gehirnfunktionen überlagert und entziehen sich deshalb dem Zugriff der Wissenschaft: denn bis heute können wir keine Emotionen messen, sondern nur Verhaltensweisen – der Rückschluss daraus auf zugrundeliegende Emotionen ist schon im höher entwickelten Tierreich mit Vorsicht zu genießen, um so mehr beim Menschen, der nahezu jede äußere Verhaltensweise gewollt oder unbewusst manipulieren kann. Schon Gespräche über Emotionen sind problematisch: während wir uns über die Wortbedeutung äußerer Gegenstände jederzeit verständigen können, ist das bezüglich Emotionen nicht möglich, die sind nun mal subjektiv für jeden einzelnen Menschen. Wir verfügen deshalb nur über recht wenige Worte für emotionale Zustände, was unserem Bewusstsein wiederum unsere Triebe als weit einfacher und primitiver vorgaukelt, als sie tatsächlich sind.



Wir haben davon auszugehen, dass auch wir Menschen via Erbgut mit einer komplizierten, differenzierten, spezifisch menschlichen Struktur an Sexualtrieben ausgestattet sind, die die Grundlage unseres Sexualverhaltens bilden, nur begrenzt modifiziert durch erlernte oder aufgeprägte Verhaltensmuster. Die von einer gewissen politischen Richtung heute so vehement vertretene These, die Sexualität des Menschen sei komplett ein Erziehungsprodukt, lässt sich zwar nicht mit letzter Sicherheit widerlegen; bei Kenntnis unserer Abstammung und einiger grundlegender Erkenntnisse der Biologie erscheint sie aber als grotesk unwahrscheinlich.





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Von einer Sexualität, die den Menschen in Jahrmillionen gegen ungeheure Konkurrenz zur herrschenden Art dieses Planeten gemacht hat, kann man nicht erwarten, dass sie so lieb und brav und harmlos ist, wie sich Oswalt Kolle in den 60er Jahren den »Familiensex« vorgestellt hat. Zumindest potentiell – und oft genug auch im tatsächlichen Leben – enthält dieser Sexualtrieb auch gewalttätige, skurrile oder gar zerstörerische Impulse, unterschiedlich von Individuum zu Individuum. Oft ist es nicht leicht, manchmal gar unmöglich, solche Impulse zwecks Sozialverträglichkeit bewusst zu unterdrücken, wie die Wiederholungstaten vieler straffälliger Exhibitionisten oder Pädophilen immer wieder beweisen – oder auch unsere eigene Besonderheit, mit der nahezu jeder von uns die Erfahrung machen musste, dass man auf Dauer nur damit, nicht dagegen leben kann.

Ich stelle hier unsere Transsexualität ganz bewusst in ein heikles Umfeld: nicht etwa, um Transsexuelle mit sexuellen Straftätern und -täterinnen auf dieselbe Stufe zu stellen, Gott bewahre! Ich engagiere mich seit Jahren dafür, dass wir uns mit unserer Besonderheit nicht als krank und auch nicht als behindert sehen, sondern als eine geschlechtliche Variante innerhalb der Bandbreite menschlicher Normalität. Diese Variante kann im Einzelfall zu ärztlich behandlungsbedürftigem Leiden führen – und sie tut es in unserer geschlechtlich dual orientierten Gesellschaft nahezu regelmäßig, die meisten von uns kennen das sattsam aus eigener Erfahrung. Trotzdem ist nicht die Variante an sich krankhaft, sondern nur deren häufige Folgen, die in einer anderen Gesellschaft durchaus weniger verbreitet sein könnten.

Wenn es aber uns Transsexuellen erlaubt sein soll, das – entgegen herkömmlichen Ansichten – so zu sehen, dann gehören konsequenterweise auch all die anderen herkömmlichen Ansichten über menschliche Sexualität und Geschlechtlichkeit auf den Prüfstand. Teilweise ist unsere Gesellschaft da schon sehr viel progressiver als wir selber und hat auch ehemals geächtete Aspekte der menschlichen Sexualität integriert. So erscheint unsere verschämte Art, hinter vorgehaltener Hand über sadomasochistische Impulse bei Transsexuellen zu flüstern, mittlerweile arg unzeitgemäß – in einer Zeit, in der schon ganz normale Großversandhäuser zwischen Bettwäsche und Hygieneartikeln auch Utensilien zu sexuellen Fesselungen im Katalog führen. Andererseits sind z. B. gewisse Parallelen zwischen Exhibitionismus und Transsexualität – wie ich später noch ausführen werde – zu deutlich, um uns da einfach nur mit einem kalten »Das geht uns nichts an« abzugrenzen.


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Bevor ich nach dieser langen – aber zum Verständnis notwendigen – Vorrede zum eigentlichen Thema komme, lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung machen: dies ist kein wissenschaftlicher Vortrag. Im wissenschaftlichen Sinn wissen wir über die menschliche Sexualität ganz allgemein noch recht wenig – und über die spezielle Sexualität transsexueller Menschen so gut wie nichts. Ich kann hier nur eigene Beobachtungen und Erzählungen anderer Betroffener weitergeben, in jedem Fall subjektiv und sicher auch nicht vollständig, und da ich selbst Mann-zu-Frau-transsexuell bin, vermutlich noch nicht einmal geschlechtlich ausgewogen. Aber immerhin einmal nicht durch das Filter einer sehnlichst herbeigewünschten, gutachterlichen Stellungnahme hindurch; und vielleicht findet sich in den nächsten Jahren auch mal ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, um hier diese Dinge genauso freimütig aus seiner sicherlich recht anderen Perspektive zu schildern. Erwarten Sie also von diesem Vortrag, bitte, keinen Almanach transsexueller Sexualität; nehmen Sie es stattdessen als einen sehr subjektiven Anstoß, als Denkanregung und Diskussionseröffnung. Es bedarf noch viel gemeinsamer, weiterführender Arbeit, bis wir uns ein auch nur halbwegs verlässliches Bild von unserer speziellen Sexualität machen können – sofern es eine solche überhaupt gibt. Unter anderem wird morgen auch der Arbeitskreis mit demselben Thema Gelegenheit dazu bieten, die Dinge zu vertiefen.


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Landläufig herrscht immer noch die Meinung, unsere Sexualität erwache erst in der Pubertät. Aber meine eigene Erinnerung widerspricht dem, und wenn ich heute Kinder beobachte, dann stelle ich immer wieder fest, dass sie spätestens ab drei, vier Jahren eindeutig sexuelle Verhaltensweisen zeigen, u. a. sogar wortwörtlich »zeigen« in exhibitionistischer Art. Sicher haben solche Verhaltensweisen eine geringere und teilweise auch qualitativ andere Bedeutung als bei Erwachsenen – trotzdem sind sie bereits Ausdruck kindlicher Sexualität.

Mehr noch: meine Erinnerungen – und die vieler Transsexueller, mit denen ich darüber gesprochen habe – weisen bereits in dieser frühen Zeit dieselben sexuellen Besonderheiten auf, die bis ins Erwachsenenleben meine Sexualität prägten. Ich weiß noch genau, wie ich als Achtjähriger zum erstenmal heimlich den damals viel zu großen BH meiner Mutter anprobiert habe: das Gefühl dabei hätte ich damals noch nicht als »erotisch« benennen können, rational wusste ich damals einfach noch nicht, was Erotik war; aber es war zumindest ansatzweise dasselbe, unbeschreiblich kribbelnde, euphorische Gefühl, das ich bis heute mit ähnlichen Bereichen meiner Sexualität verbinde. Ähnlich auch die Entwicklung bei sadomasochistischen Fantasien: meine gelegentlichen Fesselungsspiele als Kind waren weit entfernt von bloßer, unschuldiger Spielerei. In passiver Form mündeten sie schließlich in meine erste Masturbationsfantasie, noch lange bevor die Pubertät mein Interesse am weiblichen Körper als Sexualobjekt wachrief. Selbst meine spätere, erotische Schwäche für Gummi findet sich in einer sehr klaren, eindringlichen Szene meiner Kindheit schon mit etwa 7 Jahren wieder. All diese Extravaganzen schienen weit tiefer zu wurzeln als die angeblich normale Sexualität eines Mannes gegenüber einer Frau, die bei mir – nach einer recht intensiven homoerotischen Phase – tatsächlich erst in der Pubertät erwachte und dann freilich alles andere in den Hintergrund drängte.

Angesichts der prüden Atmosphäre, in der ich aufwuchs, hatte ich erst in der Pubertät Gelegenheit, überhaupt eine bewusste Vorstellung von Sexualität zu entwickeln. Damals war das schlicht mit »Schweinkram« gleichzusetzen: jegliche irgendwie lustvolle Betätigung mit eigenen oder fremden Geschlechtsorganen, für die einem der Herr Pfarrer Rückenmarkserweichung androhte… Dass zum Beispiel eine Frau sich durch das bewusste Herausstellen ihrer Figur und die dadurch provozierten männlichen Blicke durchaus euphorische Gefühle verschaffen kann, wusste ich damals nicht, und wusste es schon gar nicht unter »Sexualität« einzuordnen: denn das war ja erlaubt, das gehörte nicht zu dem verbotenen Bereich, den man uns damals als Sexualität verkaufte. Zudem waren die lustvollen Gefühle, die bei ersten Manipulationen am eigenen Geschlechtsteil auftraten, auch qualitativ anders als die ebenfalls sehr euphorischen Gefühle, die mich z. B. beim Anprobieren des mütterlichen Büstenhalters oder beim ersten öffentlichen Auftritt als Ministrant in der Kirche (»Ministrantenrock«…) befielen. Dass auch letzteres zu meiner Sexualität gehörte, habe ich erst sehr viel später verstanden – und vermutlich verstehen es manche Betroffene ihr ganzes Leben lang nicht.

Das letztere Beispiel bitte ich nicht als Gotteslästerung misszuverstehen: meine Religiosität als Ministrant war echt und tief. Die euphorischen Gefühle bei diesem für mich ersten transvestitischen Akt in der Öffentlichkeit, die ich freilich erst viel später als sexuelle Gefühle zu deuten lernte, standen keineswegs im Widerspruch dazu. Im Gegenteil: Spiritualität und Sexualität gehören untrennbar zusammen; man kann nicht harmonisch in einem größeren Ganzen aufgehen, wenn man dabei einen so wesentlichen Teil der eigenen Person wie die Sexualität ausklammert.

Im östlichen Tantra wird deshalb die Sexualität sogar explizit als ein Weg zur Erleuchtung gewählt, und selbst die katholische Kirche oder der Islam verleihen der Sexualität durch ihre systematische Ausgrenzung eine sehr wesentliche spirituelle Bedeutung, wenn auch in Form des Negativs.


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Die Pubertät war dann sexuell zunächst von drei Entwicklungen geprägt – lassen Sie mich das exemplarisch weiter an meinem eigenen Fall beschreiben, denn es ist zumindest in dieser Phase für sehr viele Mann-zu-Frau-Transsexuelle typisch; und so kann ich es anschaulich machen, ohne andere Leute bloßzustellen. Da war zunächst eine enorme Intensitätssteigerung beim Sexualtrieb. Zweitens begann sich dieser Sexualtrieb auf ein sexuelles Objekt, einen anderen Menschen zu richten, während er bis dahin einfach nur so für sich gestanden war. Und drittens driftete dieses Sexualobjekt langsam, aber gründlich vom zunächst bevorzugten, eigenen Geschlecht hin zum anderen Geschlecht.

Erst in dieser dritten Phase masturbierte ich so regelmäßig, dass ich gemäß der damals üblichen »Schweinkram-Definition« den Begriff »Sexualität« damit verband. Schon die vorhergehende homoerotische Phase konnte ich damals noch nicht als zu meiner Sexualität gehörig erkennen – und zwar keineswegs nur aus Homophobie, sondern vor allem deshalb, weil die erotischen Gefühle gegenüber Jungen einfach anders gewesen waren: da war mehr Schwärmerei, mehr Zärtlichkeits-, Anlehnungs- und Schutzbedürfnis dabei, wie es junge Mädchen gegenüber Jungen zu zeigen pflegen.

Bis zu diesem Punkt mag man die Entwicklung trotz aller Verwirrung als normal bezeichnen; bekanntlich machen sehr viele Jungen in der Pubertät eine homoerotische Phase durch. Während jedoch »normale« Jugendliche im geminsamen Erlebnis ihrer reifenden Sexualität selbst eine sehr prüde Erziehung irgendwann ablegen und zu einem emanzipierteren Verständnis von Sexualität finden, begannen sich bei mir – wie bei sehr vielen Mitbetroffenen – die Probleme ab diesem Punkt zu häufen. Im Gegensatz zu all meinen männlichen Altersgenossen war ich schlicht nicht in der Lage, sexuell aktiv auf ein Mädchen zuzugehen; ich bin es heute noch nicht, es widerstrebt mir einfach zutiefst. Alle Versuche, das zu ändern, endeten in Verkrampfung und Misserfolgen, obwohl ich – wie ich heute weiß – bei den Mädchen in meinem Umkreis durchaus als attraktiv galt. Ich erwartete immer, dass das Mädchen auf mich zugehen sollte; das widersprach aber der bis heute üblichen Rollenverteilung, bei der zwar sehr wohl die Frau entscheidet, mit welchem Mann sie ins Bett geht, aber die diesbezügliche Initiative – samt fallweisem Korb – hat auch heute noch üblicherweise der Mann vorzutragen bzw. zu erleiden.

So konnte für mich lange Zeit kein sexueller Kontakt zustandekommen, und ich handelte mir völlig entgegen den Tatsachen den Ruf ein, schwul zu sein.


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An dieser Stelle nochmal ein kleiner Ausflug in die Evolutionstheorie: es scheint so zu sein und ergibt auch evolutionstheoretisch Sinn, dass Männer im Allgemeinen einen stärkeren Sexualtrieb haben als Frauen. Ein Mann kann theoretisch nahezu beliebig viele Frauen schwängern, eine Frau kann dagegen nur relativ wenige Kinder austragen. Es ist daher naheliegend, dass die Evolution in die männliche Sexualität die Tendenz gelegt hat, den Samen möglichst breit zu streuen, also möglichst vielen zeugungsfähigen Frauen das Angebot zum Sex zu machen – und anderseits Frauen die Tendenz, aus einem solchen, sexuellen Überangebot eine sorgfältige Auswahl zu treffen, um für Zeugung und Aufzucht ihrer wenigen Nachkommen optimale Bedingungen zu schaffen.

Wir haben keine Möglichkeit, den Sexualtrieb als solchen zu messen, wir können nur Sexualverhalten messen – und das kann beim Menschen bekanntlich auch andere Gründe haben als die Triebstruktur. Aber immerhin wissen wir, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen der Sexualtrieb mit dem Testosteronspiegel variiert; gerade wir Transsexuelle machen da ja mit unseren gegengeschlechtlichen Hormoneinnahmen auch recht eindrucksvolle, praktische Erfahrungen. Zudem klagt eine große Mehrheit normal heteosexueller Männer immer wieder darüber, von ihren Frauen nicht oft genug »herangelassen« zu werden, und ihre Frauen beklagen sich vice versa darüber, zu oft bedrängt zu werden. Eine Erfahrung, die sich für uns Transsexuelle spätestens nach den ersten Hormongaben ins Gegenteil verkehrt… Was also in der Evolutionstheorie als logisch erscheint, scheint sich im sexuellen Alltag auch zu bestätigen: der Mann bietet im Überfluss an, die Frau wählt aus dem Überangebot aus. Dieser Unterschied hat sich wohl auch in die weitere Entwicklung menschlicher Sexualität eingegraben: denn sehr viele »normale« Männer empfinden es als höchst ernüchternd und haben prompt einen Hänger, sobald eine Frau ausnahmsweise das »Hasch-mich-Spielchen« nicht mitspielt, den Spieß umdreht und ihrerseits die sexuelle Initiative ergreift.


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Gegenwärtig ist es reine Spekulation, aber man könnte in der Unfähigkeit eines Mann-zu-Frau-Transsexuellen, sexuell auf Frauen zuzugehen, eine teilweise weibliche Triebstruktur sehen: denn das Verhalten, das ich ab der Pubertät zeigte, ist durchaus typisch für Frauen und untypisch für Männer. Es hatte in meinem Fall nur deshalb andere Folgen als sonst, weil ich äußerlich – und auch von meiner Partnerorientierung her – ein Mann war, womit zwei miteinander inkompatible Verhaltensweisen aufeinanderprallten: wo beide erwarten, dass der jeweils Andere den ersten Schritt tut, da tut sich halt nix…

Also blieb ich trotz großer Sehnsucht zunächst sexuell isoliert und hatte mangels Partnerin nur Sex mit mir selber. Dass bei meinen Masturbationsfantasien die schon früher erwähnten Besonderheiten – Transvestismus, Anflüge von Masochismus und Gummifetischismus – breiten Raum einnahmen, erlebte ich in Übereinstimmung mit der damals verbreiteten Sexualmoral als »pervers« und als männliches Versagen. Immerhin war der Erkenntnisprozess bei mir wenigstens schon soweit gediehen, dass ich diese Extravaganzen überhaupt bewusst meiner Sexualität zuzuordnen lernte, trotz ihrer höchst unterschiedlichen Gefühlsqualitäten. Jeder Transvestit wird bestätigen, dass der transvestitische Akt – selbst dann, wenn er in Masturbation mündet – eine ganz unverwechselbar eigene Gefühlsqualität hat, völlig anders als etwa das Penetrieren einer weiblichen Sexualpartnerin. Obwohl beides Euphorie vermittelt, sind diese Gefühle so unterschiedlich, dass man tatsächlich erst lernen muss, sie unter demselben Oberbegriff »Sexualität« einzuordnen. Dass diese »anderen« sexuellen Gefühle in Wahrheit Ausdruck einer weiblichen Sexualität sein könnten, auf diese Idee kam ich erst sehr viel später.


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Auch hier wieder ein kleiner Ausflug in die Evolutionstheorie: Männer und Frauen sind unterschiedlich groß, schwer und stark. Die Bereiche überlappen sich zwar, es gibt vereinzelt auch Paare, bei denen die Frau größer und stärker ist als der Mann – aber das sind seltene Ausnahmen.

Da dieser Unterschied offenbar älter ist als die Menschen selber (auch unsere engsten Verwandten im Tierreich zeigen diesen Unterschied), ist die Annahme naheliegend, dass sich unser Sexualtrieb daran angepasst hat. Eine Frau erlebt ihren Partner im sexuellen Akt ganz handfest als körperlich überlegen, zumal er dazu meistens auch noch derjenige ist, der die sexuelle Initiative ergreift. Sicher will keine Frau vergewaltigt werden; aber sie weiß und akzeptiert, dass sie mit einem von ihr erst mal angenommenen Sexualpartner ab einem bestimmten Punkt nur noch einen sehr begrenzten Einfluss auf das weitere Geschehen hat. Sie »gibt sich hin«, wie schon unsere Sprache in einem bemerkenswerten Gegensatz zum physiologischen Vorgang formuliert, bei dem ja rein körperlich gesehen eher der Mann sich der Frau hingibt, in Form seines Samens. Und er »nimmt sie«, obwohl er ihr doch in Wirklichkeit etwas gibt…

Die Frau akzeptiert nicht nur, dass der Mann ihr körperlich überlegen ist, sie genießt es beim Sex sogar. Nur so ist es zu erklären, dass so viele Frauen körperlich größere und stärkere Männer nicht nur gemäß Statistik akzeptieren, sondern bei der Partnerwahl sogar ausgesprochen bevorzugen. Es scheint zu den Besonderheiten weiblicher Sexualität zu gehören, die körperliche Kraft und Überlegenheit des männlichen Partners beim Sex spüren zu wollen.

Eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle ist aber nun mal körperlich ein Mann, samt seinen Durchschnittswerten bei Größe und Körperkraft. Gehen wir davon aus, dass dieser Mensch mit einer eher weiblichen Sexualität ausgestattet ist, dann hat er/sie mit Biofrauen als Partnerinnen ein Problem: die sind fast durchweg kleiner und schwächer als er, und die wenigen größeren bevorzugen eben deshalb andere, größere Partner. Das von Frauen beim Sex normalerweise erwünschte Kräfteverhältnis kann er/sie schlechterdings in den seltensten Fällen erleben, es sei denn, die Partnerin greift zu einem speziellen Hilfsmittel: gefesselt liefert er sich ihr etwa genauso hilflos aus, gibt sich ihr genauso hin wie eine ganz normale Frau einem ganz normalen Mann bei einem ganz normalen Akt. Ich denke, man kann die bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen so enorm verbreiteten, masochistischen Fantasien durchaus in dieser Richtung interpretieren: nämlich als ein Stück weiblicher Sexualität, das sich in der völlig anderen Situation eines äußerlich männlichen Körpers irgend einen Weg sucht, gelebt zu werden – zumal es bei mir wie bei vielen anderen Mann-zu-Frau-Transsexuellen mit einer sexuellen Vorliebe für größere Frauen korrespondiert, die nur leider mangels entsprechender Partnerinnen selten Befriedigung findet.

Ebenso könnte man den bei Mzf-Transsexuellen ebenfalls recht häufigen Gummifetischismus als das Bedürfnis interpretieren, in eine andere, glattere, weichere Haut zu schlüpfen – in die Haut einer Frau, der dieses Material weit ähnlicher ist als der eines Mannes.


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Es gibt immer wieder Stimmen, die schlicht ableugnen, dass Transsexuelle überhaupt häufiger zu solchen, sogenannten Paraphilien neigen würden als der Durchschnitt. Möglicherweise haben sie sogar recht damit: denn vielleicht sind diese Paraphilien in der Normalbevölkerung weit mehr verbreitet, als wir bisher glauben – und sie fallen bei uns Transsexuellen nur deshalb mehr auf, weil wir mit unserer Sexualität aufgrund unserer Lebensgeschichte ein Stück bewusster und ehrlicher umgehen als andere Leute.

Aber zwei Dinge lassen mich persönlich doch an der Überzeugung festhalten, dass solche Besonderheiten ein Stück weit typisch für Transsexuelle sind. Erstens sind das die vielen, persönlichen Gespräche, die ich in den letzten zehn Jahren mit Mitbetroffenen geführt habe. Abgesehen von einer Minderheit, die angibt, so gut wie überhaupt keinen Sexualtrieb zu haben – auch das gibt’s – haben die meisten im persönlichen Gespräch mit mir derartige Paraphilien zumindest im Ansatz eingestanden: die große Mehrheit zumindest Fesselungsfantasien, sehr viele auch weitergehende sadomasochistische Fantasien. Gelegentliche Ausflüge in die aktive Seite des Sadomasochismus speziell gegenüber weiblichen Partnern sind kein Widerspruch dazu: denn oft projizieren wir dabei unsere eigenen sexuellen Wünsche in die zum passiven »Opfer« gemachte Frau. Gummifetischismus wurde mir zwar nicht ganz so häufig, aber doch immer noch auffallend oft beschrieben.

Ein Gutachter, dem das bei »seinen« Transsexuellen selten oder gar nie begegnet ist, sollte sich m. E. einmal ein paar Gedanken zu seinem Auftreten gegenüber den Klienten machen: offensichtlich sehen sich die in der Mehrzahl genötigt, ihm wichtige Details zu verschweigen… Gegenüber einem Mitbetroffenen, der selbst zugibt, solche Paraphilien zu haben, sind Transsexuelle ganz einfach ehrlicher.

Zum Anderen widerlegt das breitere Auftreten solcher Paraphilien auch bei anderen Bevölkerungsschichten keineswegs die besondere Beziehung zu Transsexuellen. Die Übergänge zwischen Normalos und Transsexuellen sind genauso fließend wie die zwischen Transsexuellen einerseits und Fetischisten, Sadomasochisten, Transvestiten und Homosexuellen andererseits. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dieselben Paraphilien auch bei anderen, sich nicht als transsexuell verstehenden Menschen in ähnlicher Weise zu interpretieren. Möglicherweise liegen diese Menschen mit prinzipiell denselben Eigenschaften nur einfach noch unterhalb der Schmerzschwelle, die uns Transsexuelle zu Coming-Out und Rollenwechsel zwingt.


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Zurück zu meiner exemplarischen, sexuellen Entwicklung. Irgendwann ergaben sich schließlich doch erste sexuelle Beziehungen, zunächst noch unter der Prämisse, ein normal männliches Leben führen zu wollen. Hier die Schwierigkeiten zu beschreiben, die ich und andere Betroffene damit hatten und haben, hieße Eulen nach Athen tragen: so gut wie jeder hier hat damit sattsam Erfahrungen gemacht. Nur kurz ein paar Stichworte dazu für Nichtbetroffene, denen dieser Bereich nicht so vertraut ist: es genügt für eine befriedigende sexuelle Beziehung nicht, dass das Partnerbild stimmt, auch das sexuelle Selbstbild muss stimmen, denn ich habe ja nicht nur eine (in meinem Fall) Partnerin, ich bin auch Partner. In dieser letzteren Rolle ständig falsch gesehen zu werden, ständig eine Rolle spielen zu müssen, die den eigentlichen, originären Empfindungen zuwiderläuft, ist auf Dauer genauso unerträglich, wie wenn man mit dem falschen Partner auskommen soll. Wenn ich als Mann-zu-Frau-transsexueller Mensch versuche, in einer ganz normalen, heterosexuellen Beziehung zu leben, dann kann das nur schiefgehen – denn ich bin nun mal kein Mann, sondern (zumindest in Teilen, seelisch, emotional) eine lesbische Frau. Seit ich diesen Versuch aufgegeben habe und mich meiner Partnerin körperlich spürbar als der Mensch zu erkennen gebe, der ich bin, geht´s mir entschieden besser; erst seitdem hatte ich überhaupt erstmals wirklich befriedigende, sexuelle Beziehungen.

Einen Teil der typischen Probleme vor und nach dem Coming-Out kann ich nur aus zweiter Hand schildern: ich stehe von meiner Partnerorientierung her eindeutig auf Frauen und konnte mich zudem ohne Unterleibsoperation begügnen.

Sehr viele Transsexuelle müssen auch bezüglich der Partnerorientierung erst mühsam zu »ihrem« Partnergeschlecht finden, behindert durch eine falsche, angeblich homosexuelle Zuschreibung ihrer Präferenz; und die Operation schafft bei MzF zwar optisch einen halbwegs weiblich wirkenden Unterleib, wie jedoch die damit möglichen, sexuellen Gefühle beschaffen sind, das bleibt mit einem großen Fragezeichen versehen. Euphorische Äußerungen von Betroffenen sollte man mit einer gewissen Vorsicht zur Kenntnis nehmen: da sie nicht mehr zurück können, werden die Betroffenen schon aus Selbstschutz eher dazu neigen, den Zustand schönzureden, selbst wenn er nicht so toll sein sollte. Und bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen sind die diesbezüglichen Ergebnisse schon optisch sehr kompromissbehaftet, funktionell um so mehr.

Doch ich greife vor: vor diese Schritte haben die Götter Selbstfindung und Coming-Out gesetzt – und gerade diese Phase ist nun wiederum auch in sexueller Hinsicht besonders interessant, insbesondere im Hinblick auf die Motive.


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Auch nur teilweise unmittelbar sexuelle Motive für den transsexuellen Weg zu haben – volkstümlich gesagt: es »geil« zu finden, diesen Weg zu gehen – ist eines der letzten großen Tabus bei Transsexuellen. Die wenigsten Betroffenen wagen es, solche Impulse gegenüber Gutachter oder Chirurg offen einzugestehen. Die Zurückhaltung ist berechtigt: denn wo Medizin nicht nur Hilfe zur sexuellen Selbsthilfe bietet, sondern unmittelbar der Befriedigung sexueller Fantasien dient, da prostituiert sich der Arzt. Eine solche Medizin käme schnell in Misskredit.

Aber spielen denn unmittelbar sexuelle Motive überhaupt eine Rolle als Motivation für den transsexuellen Weg? Klassisch gelten solche Motive als Kontraindikation: wer sich am geschlechtlichen Rollenwechsel aufgeilt, ist Fetischist oder Transvestit oder Masochist, aber angeblich auf keinen Fall transsexuell. Transsexuelle – so die offizielle Lesart – haben allenfalls ein Interesse daran, im anderen Geschlecht sexuell funktionieren zu können; der Wechsel an sich erregt sie nicht.

Die Wahrheit ist komplizierter. Auch die seit Jahrzehnten erfolgreich im Wunschgeschlecht lebenden Mann-zu-Frau-Transsexuellen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir in ehrlichen Momenten immer wieder beschrieben, wie angesichts des Rollenwechsels teilweise auch der sexuelle Mann in ihnen wieder durchkam, bis hin zur Masturbation, bis hin zum »Abspritzen«. Gerade in der Phase des Coming-Outs konnte und kann das in regelrecht suchtartige Verhaltensmuster ausarten: es wird unverhältnismäßig viel Zeit auf den Rollenwechsel auf verschiedensten Stufen investiert, andere Lebensbereiche werden vernachlässigt, die sexuelle Befriedigung durch und mithilfe des allfälligen Rollenwechsels beherrscht zeitweise das gesamte Leben und Denken des Betroffenen. Nicht nur, aber auch daran scheitert das Leben so manches Betroffenen in dieser Phase.

Exhibitionisten sind sehr scheue Menschen – kein Wunder angesichts der strafrechtlichen Verfolgung ihres Tuns. Aber bei den wenigen Kontakten, die ich in der Aktionsgemeinschaft Sexualität (AHS) mit solchen Menschen hatte, war ich sehr verblüfft über die Parallelen, die sie mit vielen MzF-Transsexuellen in der Phase des Coming-Out zeigen: dasselbe suchtartige Getriebensein hin zu immer gewagteren Begegnungen, derselbe Zwiespalt zwischen Mut und Angst, dieselbe Beziehung gerade auch der sexuellen Erregung zu dem Nervenkitzel bei der Sache, dieselbe bevorzugte Offenheit genau der Art Menschen gegenüber, die man auch intim als Sexualpartner bevorzugen würde, dieselbe Euphorie nach einem gelungenen (sprich: mit positiver Akzeptanz aufgenommenen) Offenbarungsakt. Das Bild des Exhibitionisten, der sich am Entsetzen seiner unfreiwilligen Zuschauerin weidet, scheint nach meinen Informationen ziemlich falsch zu sein: genauso wie ein Transsexueller will ein Exhibitionist mit seiner Sexualität zwar deutlich und spürbar wahrgenommen, aber nicht etwa abgelehnt werden. Der größte Unterschied liegt einfach darin, was Exhibitionisten einerseits und MzF-Transsexuelle andererseits zeigen: letzteres darf in unserer Gesellschaft straffrei gezeigt werden, ersteres nicht – obwohl es für die zufälligen Zeugen im einen wie im anderen Fall gleich unschädlich ist. Das deutliche, körperliche Sich-Zeigen einer Frau wird gemeinhin noch nicht einmal als sexueller Akt der betreffenden Frau selber gesehen, obwohl dahinter oft genug euphorische Gefühle stecken, die kein bisschen weniger sexuell sind als die dadurch geweckten Begierden betrachtender Männer. Wir sind einfach gewohnt, »Sexualität« verbal mit männlicher Sexualität gleichzusetzen, mit der Beziehung eines männlichen Subjekts zu einem weiblichen Objekt. Wo die nicht handgreiflich in Form zumindest versuchter Penetration stattfindet, da pflegen wir allenfalls noch von »Erotik« zu sprechen, nicht von Sexualität…


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Aus Amerika kommt wieder einmal ein neuer Begriff zu uns herüber, mit dem sich dort viele Mzf-Transsexuelle identifizieren: Autogynäkophilie, abgekürzt AGP. Im Hinblik auf die vorhin beschriebene, sexuelle Komponente beim Coming-Out beschreibt dieser Begriff, dass MzF-Transsexuelle an sich selbst (»auto…«) die Frau (»…gynäko…«) als sexuelles Objekt lieben und begehren (»…philie«).

Nun: wenn Psychologen etwas nicht verstehen, dann erfinden sie erst einmal ein Fremdwort dafür. Isoliert gesehen ist dieses Konzept durchaus richtig; aber es ist nur die halbe Wahrheit. Man übersieht dabei die Tatsache, dass in nahezu jedem transsexuellen Menschen auch emotional beide Geschlechter stecken.

Ich will es am Beispiel der Östrogeneinnahme zwecks Brustwachstum veranschaulichen: hinter dem Wunsch einer MzF-Transsexuellen, weibliche Brüste zu haben, steckt zunächst ein Gemisch sowohl männlicher wie auch weiblicher Körper- und Sexualempfindungen. Einerseits ist da das weibliche Bedürfnis nach körperlicher Vollständigkeit und sexueller Attraktivität – wobei das Spüren der eigenen Brüste bei jeder Bewegung und das gleichzeitige Wissen um die optische Wirkung spezifisch weibliche, hoch erotische Gefühle vermitteln kann. Aus unserer männlichen Sozialisation heraus neigen wir freilich dazu, diese Gefühle gedanklich zunächst gar nicht mit Sexualität in Verbindung zu bringen, weil Sexualität für einen Mann nun mal traditionell etwas ziemlich anderes ist: wir nennen diese Gefühle daher eher »wohlig«, »euphorisch«, »prickelnd«. Sex dagegen ist für uns kulturell erlernt eher das, was wir als männliche Teilperson fühlen: dass uns der Anblick weiblicher Brüste von außen her geil (männlich kopulationsbereit, erigiert) macht, dass wir sie entblößen, anfassen, kneten, daran saugen und uns bei all dem weiter aufgeilen möchten – der weibliche Körper als sexuelles Objekt, während er bei den oben angesprochenen, weiblich-erotischen Gefühlen Teil des sexuellen Subjekts ist.

Die Kombination dieser beiden Gefühlsseiten im geschlechtlichen Rollenwechsel ergibt dann jenen unbeschreiblich prickelnden, wohligen, geilen Gefühlsmix, den Psychologen wegen der männlich-geilen Komponente – und unter Nichtbeachtung der immer auch vorhandenen weiblichen Seite – neuerdings so kalt und unemphatisch mit dem Wort »autogynäkophil« abstrafen. Ein ganz normaler Mann, der eine Frau liebt, wäre demnach »heterogynäkophil«: das klingt doch auch schön pervers, der muss auch dringend zum Psychiater, nicht wahr?


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Mit der Östrogeneinnahme wird nun allerdings die Balance verschoben: denn die männlich-geile Komponente ist Testosteron-abhängig. Unter Einwirkung des Östrogens fällt der Testosteronspiegel – und mit ihm die »männliche« Geilheit – auf ein für Frauen übliches Maß. Das ist durchaus eine Nagelprobe auf Transsexualismus, und insofern m. E. auch diagnostisch wertvoll: ist nämlich daraufhin aus dem Geschlechtswechsel-Begehren »die Luft raus«, erschrickt das Individuum gar über seine erschlaffte Männlichkeit und möchte da schleunigst wieder heraus, dann war wohl eher männlich-objektorientierter Fetischismus im Spiel als eine echte weibliche Seele. Tritt dagegen wie bei den allermeisten Transsexuellen Beruhigung ein, wird das Versanden der spezifisch männlichen Sexualität als eine Befreiung von einem (wegen der problematischen Triebrichtung) eher quälenden Getriebensein erlebt, und bleibt dabei der Wunsch nach dem Rollenwechsel stabil, dann kann man wohl tatsächlich von einer echten transsexuellen Veranlagung ausgehen. Auch bei echten Transsexuellen nimmt zwar die Intensität des Begehrens unter Östrogeneinnahme zunächst mal ein bisschen ab, weil ja die meisten von uns auch einen »autogynäkophilen« Mann in sich tragen; aber anstelle der gedämpften, männlichen Libido findet dann die spezifisch weibliche Erotik mehr Raum, sie wird sogar oft erst dann bewusst als solche wahrgenommen.

Im selben Maß, in dem die männlich-geile, objektorientierte, »autogynäkophile« Komponente im transsexuellen Weg sich selbst das Wasser abgräbt, werden wir ausgleichend durch wachsende Möglichkeiten bereichert, sexuell als weibliches Subjekt zu handeln. Unseren zwischenmenschlichen Beziehungen kann das nur gut tun, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.


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Obwohl wir also auch die sogenannte Gynäkophilie als logische Folge einer zweigeschlechtlichen Emotionalität verstehen können, bleibt doch das Phänomen eines zeitweisen sexuellen Kurzschlusses bestehen: eine Sexualität eines Teils einer transsexuellen Person mit einem anderen Teil derselben Person. Von außen gesehen ist diese Form von Sexualität tatsächlich eine Besonderheit Transsexueller; Durchschnittsmenschen können das nicht nachempfinden – obwohl es ausschließlich aus Komponenten besteht, die Durchschnittsmenschen auch haben, nur eben nicht in dieser Kombination. Lassen Sie es uns als einen Ausgleich dafür sehen, dass uns so manche für »Normalos« selbstverständliche sexuelle Befriedigung aus körperlichen und sozialen Gründen die meiste Zeit unseres Lebens versagt bleibt.

Überhaupt habe ich bei all meiner Selbstbeobachtung und bei all meinen Gesprächen mit Mitbetroffenen in den letzten zehn Jahren bis heute keine einzige sexuelle Komponente entdecken können, die man nicht auch bei »normalen« Männern und Frauen in irgendeiner Form wiederfindet, oder die sich nicht zumindest als durch äußere Umstände behinderter Ausdruck einer normalen Sexualität interpretieren lässt, siehe Paraphilien; im Grunde macht nur die individuelle Mischung das Besondere bei uns Transsexuellen aus und lässt unsere Sexualität nach außen bisweilen etwas skurril und unverständlich erscheinen.

Es ist wie in anderen Bereichen auch: Transsexuelle haben dieselben Eigenschaften, dieselben Stärken und Schwächen wie ganz normale Männer und Frauen, nur etwas exotisch zusammengemixt. Unsere Sexualität ist dabei zwar bei weitem nicht der einzige Aspekt, unsere Besonderheit durchzieht bekanntlich das ganze Leben; insofern war und ist unsere Abgrenzung gegen eine Sichtweise als sexuelle Perversion notwendig und richtig. Aber Transsexualität ist auch und sogar sehr zentral Trans-Sexualität. Es wird Zeit, zu dieser Seite unserer Veranlagung genauso selbstbewusst und selbstverständlich zu stehen wie zu allen anderen Aspekten unserer Besonderheit.
mfg Nikita Noemi

Mittwoch, 16. Mai 2012

Voraussetzungen für die Geschlechtsangleichung

Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle Rechte vorbehalten!

Voraussetzungen für die Geschlechtsangleichung
Bundesadler

Alter: Höchstens jeder zweite Transsexuelle wünscht sich eine Operation. Immer häufiger sind es jedoch Teenager oder sogar Kinder, die mit ihren Eltern auf eine medizinische Behandlung drängen. Sie fürchten sich vor den unumkehrbaren Folgen der Pubertät. Breite Schultern, Bartwuchs, ein männlicher Bass - all dies sind Merkmale eines als falsch empfundenen Geschlechts, gegen die das Skalpell später nichts mehr ausrichten kann. Mitunter schlucken schon Zwölfjährige Hormone, um die körperlichen Veränderungen aufzuhalten.
Die Ärzte stehen vor einem Dilemma: Einerseits drängt die Zeit. Andrerseits können sie sich gerade bei Pubertierenden nicht sicher sein, ob wirklich eine Transsexualität vorliegt. Mitunter steckt hinter dem Wunsch nach einem Geschlechtswechsel auch ein ganz anderes Problem - eine seelische Störung, sexueller Missbrauch oder frühe Anzeichen einer Homosexualität.
Außerdem kann die Pubertät wegen gesundheitlicher Risiken nur für einen begrenzten Zeitraum aufgeschoben werden, bevor sich die oder der Jugendliche endgültig für oder gegen eine Operation entscheiden muss. In Deutschland sind so weitreichende medizinische Maßnahmen bei unter 18-Jährigen nur in Ausnahmefällen erlaubt. Ob sie überhaupt zu verantworten sind, darüber streiten sich noch die Experten.
Psychotherapie und Alltagstest
Psychotherapie und Alltagstest: Grundsätzlich sind Hormontherapie und Geschlechtsangleichung an eine mehrjährige psychotherapeutische Begleitung und Begutachtung gekoppelt. Anders als früher wird normalerweise nicht mehr versucht, den Transsexuellen ihre Überzeugungen auszureden. Die Psychotherapie soll ihnen helfen, sich über ihre Erwartungen an die neue Geschlechtsrolle und die Lebbarkeit ihres Wunsches klar zu werden und ihre Entscheidung noch einmal zu überprüfen.
Viele Betroffene und Therapeuten halten die aus dem Jahr 1997 stammenden deutschen Behandlungsstandards mit ihren starren Regeln jedoch für überholt. Ihre Kritik: Weder die Indikation, noch Dauer und Häufigkeit der Psychotherapie orientieren sich am Einzelfall, wodurch das Verfahren oft unnötig verzögert und verteuert wird. Umstritten ist auch der vorgeschriebene "Alltagstest": Die Transidenten müssen bereits ein Jahr vor der medizinischen Behandlung täglich 24 Stunden lang den sozialen Rollenwechsel proben. Etliche Patienten empfinden dieses erzwungene Coming-out aber als unzumutbar und beschämend, zumal ihre äußeren Geschlechtsmerkmale noch nicht verändert sind.
mfg Nikita Noemi

Fremd im eigenen Körper

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Fremd im eigenen Körper

Transexuelle leben mit dem Gefühl, dass sie mit dem falschen Geschlecht zur Welt gekommen sind. Manche entscheiden sich für geschlechtsangleichende Operationen. Aber der Weg dahin ist beschwerlich - nicht zuletzt aufgrund der Bürokratie

Transsexuelle haben das sichere Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein. Sie sehnen sich nach einem Leben im anderen Geschlecht und versuchen, sich auch äußerlich diesem so weit wie möglich anzugleichen. Das hat nichts mit der Lust an Verkleidung zu tun. Ebenso wenig heißt das, dass sie lesbisch oder schwul sind. Transsexuelle scheinen zwar nach biologischen Kriterien Mann oder Frau zu sein - ihr Erbgut und ihre Hormone sind eindeutig. So einfach ist es aber nicht: Tatsächlich stimmt ihr Geschlecht nicht mit diesen sicht- und messbaren Geschlechtsmerkmalen überein. Diese innere Gewissheit ist dauerhaft und lässt sich auch nicht wegtherapieren. Dabei erweckt der Begriff Transsexualität den Anschein, es handele sich um ein sexuelles Problem. Das ist falsch. Es geht den Betroffenen nicht um Sex, sondern um Identität. Deshalb bezeichnen sie sich selbst lieber als "Transidente".

Transsexualität ist keine Krankheit, auch wenn sie nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation und nach dem medizinischen Diagnose-Katalog ICD-10 noch immer zu den "Störungen der Geschlechtsidentität" zählt. Dennoch geraten viele Betroffene wegen des falschen Geschlechts in eine seelische Krise, deshalb suchen sie therapeutische Hilfe. Sie fühlen sich beschämt und hilflos zugleich, ihre Familie und ihre Freunde reagieren merkwürdig - das alles lässt sie leiden und an sich sowie ihrem Anderssein verzweifeln. Sie werden häufig depressiv, quälen sich mit Selbstmordgedanken und nehmen Drogen, um die Realität zu vergessen.

Mann-zu-Frau-Transsexuelle (Transfrauen) haben es in ihrer neuen Rolle schwerer als Transmänner. Wenn sich männlich aussehende Transfrauen schminken oder Röcke tragen, wird daran schnell Anstoß genommen - auch, weil sie häufig als biologische Männer zu erkennen sind. Frauen in Hosen und mit eher männlichem Verhalten fallen einfach weniger auf.

Unterschiedliche transsexuelle Entwicklungen

Die Ursachen für Transsexualität liegen noch immer im Dunkeln. Klar ist nur: Es gibt nicht den typischen Transsexuellen oder die typische Transsexuelle. Die Betroffenen können heterosexuell, bisexuell, lesbisch oder schwul sein. Doch viele haben schon als Kind das Gefühl, kein richtiges Mädchen oder kein echter Junge zu sein. Andere entdecken erst in der Pubertät ihr Unbehagen am körperlichen Geschlecht. Einige ekeln sich richtig vor ihrer Vulva oder ihrem Penis. Sie wollen sich deshalb so schnell wie möglich operieren lassen. Anderen gelingt es, sich eine Zeit lang mit ihrem angeborenen Geschlecht zu arrangieren. Das betrifft vor allem biologische Männer, die ohnehin Frauen als Partnerinnen bevorzugen. Sie heiraten, bekommen vielleicht Kinder, bis sie später doch ihrem inneren Drang folgen und sich öffentlich zu ihrem Anderssein bekennen.

Wie viele Transsexuelle es in Deutschland gibt, ist ebenfalls nicht sicher. In den meisten Fachaufzsätzen ist die Rede von 6000 bis 7000 Menschen, die einen Geschlechtswechsel wünschen und deshalb ärztlich behandelt werden. Organisationen von Betroffenen gehen dagegen davon aus, dass die Zahl zehnmal größer ist. Denn es gibt eine hohe Dunkelziffer, längst nicht alle Transidente entscheiden sich für eine Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operation. Laut Transsexuellengesetz ist eine chirurgische Umwandlung zwar Bedingung für die rechtliche Anerkennung des gefühlten Geschlechts. Doch auch ohne diesen Eingriff können Betroffene zumindest ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag im Reisepass ändern.
mfg Nikita Noemi

Junge oder Mädchen? Oder beides?

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Junge oder Mädchen? Oder beides?
Die Frage nach dem Geschlecht ist üblicherweise schnell zu beantworten. Doch immer wieder kommen Kinder auf die Welt, die weder eindeutig Mädchen noch Junge sind. Für die Eltern ist dies meistens zuerst ein Schock - und eine große Verantwortung.
Wissenschaftlich ist die Vorstellung veraltet, dass sich alle Menschen in zwei Geschlechter einteilen lassen. Immer wieder kommen Babys auf die Welt, die weder eindeutig Mädchen noch Jungen sind. Die Fachwelt spricht in diesem Fall von Intersexualität, auch "Disorders of Sex Development" (Störungen der Geschlechtsentwicklung) genannt. Dazu zählen mehr als hundert Störungsbilder, die Ursachen dafür sind vielfältig.

Geschätzt leben in Deutschland etwa 80.000 Intersexuelle, die auch als Hermaphroditen oder Zwitter bezeichnet werden. Statistisch gesehen dürfte jeder von uns einen intersexuellen Menschen kennen: Die Häufigkeit liegt bei ungefähr 1 zu 500. Im Alltag jedoch ist das Wissen der Gesellschaft über eben diese Störungen nicht sehr groß. Es gibt Vorurteile und auch Verwechslungen, etwa mit Transsexuellen.

Kinder kommen später unters Messer

Erst in den letzten 20 Jahren kommt es zu einer umfassenderen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Leben zwischen den Geschlechtern. Doch viele Fragen bleiben: Wie reagieren Eltern richtig, wenn der Druck von außen wächst, da eine eindeutige Geschlechtszuordnung des Kindes in vielen Alltagssituation gefordert wird? Zum Beispiel von Behörden, die die gesetzliche Festlegung des Geschlechtes und Namens in der ersten Woche nach der Geburt verlangen – was vielfach nicht möglich ist, da eine gesicherte Diagnose von Intersexualität mitunter viel länger dauert. Und wie geht man am besten mit dem Thema um, sodass die psychische Belastung für alle Beteiligten möglichst gering gehalten wird?
Lange Zeit empfahlen Ärzte eine rasche Entscheidung für eines der beiden Geschlechter und eine frühzeitige Operation. Bis in die 80er Jahre war es üblich, dass intersexuelle Menschen im Kindes- und Jugendalter Operationen im Genitalbereich hatten, ohne ausreichend in diesen Entscheidungsprozess mit einbezogen zu werden. Dieser entmündigende Umgang wurde in den vergangenen 20 Jahren von Betroffenen und Medizinern kritisiert, es kam zu einem Umdenken. Auch wenn dies für Intersexuelle eine große Erleichterung ist, dauert die Auseinandersetzung mit dem "umgebauten Körper" - wie es ein Betroffener bezeichnet - oftmals ein ganzes Leben.


mfg Nikita Noemi

Transsexualität ist gesund

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Die Pathologisierung transsexueller Menschen beenden!





In den „Altdorfer Empfehlungen“ heisst es: Transsexualität und Psychiatrie haben nach unserem Verständnis primär nichts miteinander zu tun. Transsexualität ist eine neurobiologische Normvariante oder Normvariation und weist primär keinerlei psychischen Störungscharakter auf“. 
 
Die Altdorfer Empfehlungen beschreiben den aktuellen medizinischen „State of the Art“ und gehen dementsprechend von einem modernen, zeitgemässen, menschenrechtskonformen Psychiatrieverständnis aus. Es wird heute gerne vergessen und verdrängt, dass in der Vergangenheit die Psychiatrie den transsexuellen Menschen Übles angetan hat – stets im Einklang mit staatlichen-juristischen Autoritäten, z.T. ja auch im „Gleichschritt“. An der faschistischen Sonderbehandlung transsexueller Menschen per Gutachten, Kastration und KZ waren Psychiater beteiligt. Zwar wurden 1945 die KZ's geschlossen, es blieben aber die Psychiater, welche die Kastrationen, die Gutachten, die Zwangsbehandlungen und die unverrückbare psychiatrische Überzeugung, transsexuelle Menschen seien   
  • psychisch krank
  • pervers
  • persönlichkeitsgestört 
  • abnorm und 
  • wahnhaft
bis heute am Leben halten. 

Beispielsweise veröffentlichte Sigusch noch 50 Jahre später (1994) seine Beschreibung des „typischen Transsexuellen“:
Im ärztlichen Gespräch wirken Transsexuelle kühl-distanziert und affektlos, starr, untangierbar und kompromisslos, egozentrisch, demonstrativ und nötigend, dranghaft besessen und eingeengt, merkwürdig uniform, normiert, durchtypisiert ... Introspektions- und Übertragungsfähigkeit fehlen weitgehend ... Trotz oft unablässiger Schilderungen des Leidensweges drückt der Patient kaum Affekte aus. Bei oft gesten- und floskelreicher Redseligkeit wirkt der Patient stereotyp, monoton, fassadenhaft ... Die zwischenmenschlichen Beziehungen Transsexueller sind stark gestört, weil ihnen Einfühlungsvermögen und Bindungsfähigkeit weitgehend fehlen ... Alle Transsexuellen weisen eine Tendenz zum psychotischen Zusammenbruch unter Stress, in Krisensituationen auf." (1)

Obwohl derartige Auffassungen fachlich(-psychiatrisch) völlig obsolet sind, wird die Mär vom psychisch gestörten transsexuellen Menschen auch heute weiterhin verbreitet. Im Tea-Party-Amerika ist man diesbezüglich sehr aktiv: auch im neuen Entwurf des DSM-V werden transsexuelle Menschen als psychisch gestört klassifiziert (man greift dazu auf das Uraltetikett „Gender Dysphoria“ zurück). Und auch im deutschsprachigen Raum gibt es begeisterte Adepten des veralteten Denkens (z.B. Beier in Berlin), obwohl UNO, Europarat und europäisches Parlament vehement fordern, mit der Psychiatrisierung und der Störungsetikettiererei transsexueller Menschen endlich aufzuhören. 

Bei der WHO jedenfalls scheint diese Kritik langsam Früchte zu tragen. 
Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Anliegen transsexueller Menschen engagieren, wurden von der WHO zu einem Dialog aufgefordert, damit Transsexualität im neuen ICD11 nicht mehr als psychische Störung aufgeführt wird.

Das vorliegende Paper (siehe Links unten) liefert die wichtigsten psychiatrischen Argumente gegen eine Psychopathologisierung transsexueller Menschen. Es ist in Deutsch und Englisch publiziert, denn auch aus den USA wurde bereits Interesse signalisiert. 

Das Schweigen brechen.

Das Schweigen brechen.      Von Leslie Feinberg

Dieser Text stellt einen Versuch dar, den historischen Aufstieg einer Unterdrückungsform aufzuspüren, die bisher keine allgemein akzeptierte Bezeichnung besitzt. Wir reden hier von Menschen, die den Grenzen HERRschender Geschlechterrollen trotzen.

Geschlechterrolle: Selbstausdruck, Selbstdarstellung, nicht Anatonomie.

Unser ganzes Leben lang wird uns beigebracht, dass Geschlecht und Geschlechterrolle gleichbedeutend sind - Männer sind eben "maskulin/männlich" und Frauen "feminin/weiblich". Rosa für Mädchen und blau für Jungs. Es ist einfach "natürlich", laut dem, was uns erzählt wurde. Doch an der Jahrhundertwende in den Vereinigten Staaten wurde Blau als Mädchenfarbe betrachtet, und Rosa wurde für eine Farbe für Jungen gehalten. Vereinfachte und starre Verhaltensregeln für die Geschlechter sind weder von ewiger Dauer noch natürlich. Sie sind soziale Begriffe, die sich in einem Veränderungsprozess befinden.
Nichtdestotrotz ist es an sich nicht problematisch, dass es Männer gibt, die für maskulin gehalten werden, sowie Frauen, deren Selbstausdruck in jenem Teil des Verhaltensspektrums fällt, der als "feminin" gilt. Das Problem besteht darin, dass die vielen Menschen, die in die engen Grenzen dieses sozialen Rahmens nicht hineinpassen, auf vielfältige Weise Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sind.
Von daher die Frage: Wer hat diese "Norm" festgelegt? Warum werden manche Menschen für die Form ihrer Selbstdarstellung bestraft?
Heutzutage würde es viele überraschen, zu erfahren, dass die kommunalen Gesellschaften der Antike die Menschen besonders achteten, die die Grenzen der Geschlechterrollen überquerten. Es bedurfte einer blutigen Kampagne seitens der sich herausbildenden herrschenden Klassen, um das ehemals Natürliche in sein Gegenteil zu verwandeln. Dieses Vorurteil, das den Gesellschaften durch die herrschenden Eliten aufgezwungen wurde, dauert heute noch an.
Doch selbst in einer Gesellschaft, in der es strenge soziale Strafen für diejenigen gibt, die sich nicht anpassen können, kann bzw. will ein großer Teil der Bevölkerung ihre Natur nicht ändern. Es ist offensichtlich, dass es viele Möglichkeiten gibt, wie Frauen und Männer sein können; alles in der Naturist ein Kontinuum. Viele der Begriffe, die benutzt werden, um uns zu beschreiben, sind Wörter, die beleidigen und verletzen.
Als ich als Jugendliche angefangen habe, in den Fabriken der Stadt Buffalo zu arbeiten, wurden Frauen wie ich "he-shes" genannt. Obwohl die "he-shes" in den Betrieben meistens Lesben waren, wurden wir nicht durch unsere sexuellen Vorlieben erkannt, sondern durch unsere Art, unsere Geschlechterrolle auszudrücken.
Es gibt auch andere Wörter, die die breite Pallette von "gender-outlaws"
(Geschlechterrolle-Gesetzlosen) bezeichnen: Transvestiten, Transsexuelle,
Tunten oder Drag Queens, Drag Kings oder KVs, Butches, Androgyne, Bikerlesben oder auch Berdache - letzterer ein Begriff, der durch europäische Kolonialisten eingeführt wurde.
Wir haben uns diese Wörter nicht ausgesucht. Die passen nicht zu allen von uns. Es ist schwer, eine Form der Unterdrückung zu bekämpfen, ohne einen Namen zu haben, der mit Stolz verbunden ist, eine Sprache, die uns ehrt.
In den letzten Jahren haben sich die Anfänge einer "Community" herausgebildet, die manchmal im Amerikanischen als die "gender-" bzw "transgender-community" bezeichnet wird. (Trans- gender: wörtlich "Geschlechterrolle-überquerend"). Unsere Community besteht aus einer Gruppe verschiedenster Menschen, die wir uns auf vielen verschiedenen Arten definieren. Als Transgender-Menschen verlangen wir das Recht, unsere eigenen Selbstdefinitionen zu wählen. Mag sein, dass die Sprache dieser Broschüre schnell überholt erscheinen wird, so wie die Transgender-Community sich zusammenfindet und organisiert - an sich ein wunderschönes Problem.
Wir haben diesen Text in Begriffen verfasst, die hoffentlich für die überwältigende Mehrheit der arbeitenden und unterdrückten Menschen dieses Landes verständlich sind, damit er als Werkzeug im Kampf gegen Vorurteile und Gewalt benutzt werden kann. Wir versuchen Wörter zu finden, egal wie unausreichend sie sind, die uns verbinden können, die die Ähnlichkeiten bei der Unterdrückung, der wir ausgesetzt sind, festhalten können.
In der englischen Version haben wir uns auch viele Gedanken gemacht über den Gebrauch der persönlichen Fürwörter, um Klarheit und Sensibilität in einer Sprache zu finden, die nur zwei Geschlechter anerkennt. (Bei der deutschen Version haben wir uns ebenfalls auch viele Gedanken gemacht über den Gebrauch des grammatikalischen Geschlechts, um Klarheit und Sensibilität in einer Sprache zu finden, die zwar drei Geschlechtsmöglichkeiten besitzt, aber dennoch männlich dominiert und geprägt ist).
Große soziale Bewegungen bringen gemeinsame Sprachen hervor, das heißt, Werkzeuge, um Menschen zu erreichen und ein breiteres Verständnis zu erzielen. Doch sind wir weitgehend aus der fortschrittlichen Bewegung ausgeschlossen geblieben.
Es waren schwule Transvestiten - Tunten - die den Kampf um das Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street angeführt haben, einen Kampf, der zur Geburt der modernen Lesben- und Schwulenbewegung führte.
Doch genauso wie die Lesben- und Schwulenbewegung die fortschrittliche Bewegung zu der Einsicht bewegen musste, dass ein Kampf, der Schulter an Schulter geführt wird, eine stärkere Kraft für Veränderung bildet, so kämpft die transgender community um eine ähnliche Einsicht seitens der Lesben- und Schwulenbewegung.
Viele Menschen glauben, alle "maskuline" Frauen seien Lesben, und alle "feminine" Männer seien schwul. Dies ist ein Mißverständnis. Nicht alle Lesben und Schwule sind transgendered. Transgender-Menschen werden fälschlicherweise als die Spitze der Lesben- und Schwulenbewegung betrachtet. In Wirklichkeit sind diese beiden riesige Gruppen wie Kreise, die sich nur teilweise überschneiden.
Während die Formen der Unterdrückung, die von diesen Gruppen erfahren werden, nicht identisch sind, haben wir trotzdem einen gemeinsamen Feind. "Genderphobie" - die Angst vor einer Überquerung der Geschlechterrollen - soll, wie Rassismus, Sexismus und Homophobie uns gegeneinander ausspielen. Unsere Einigkeit kann uns nur stärken.
Solidarität wird auf einem Verständnis der Gründe dafür aufgebaut, wie Unterdrückung zustande gekommen ist und wer davon profitiert. Wir sind der Meinung, dass revolutionäre Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft notwendig sind, um Ungleichheit, Vorurteile und Intoleranz zu beseitigen. Im Sinne des Aufbaus dieser kämpfenden Bewegung wollen wir diese Perspektive vermitteln, die die übergreifenden historischen Entwicklungen und die Gemeinsamkeiten der Frauen und Männer aufzeigt, die den Pfad der Berdache, der Transgender-Menschen, gewandert sind, und die diesen Weg gegangen sind, ob sie dafür geehrt wurden, oder geächtet. Seht uns an. Wir kämpfen um unser Überleben. Hört zu. Wir kämpfen dafür, dass wir gehört werden.

Transgender ist älter als die Unterdrückung

Der Jazzmusiker Billy Tipton ist 1989 im Alter von 74 Jahren gestorben. Er wird aber weniger wegen seiner Musik in Erinnerung bleiben, als wegen der Enthüllung, dass Tipton als Frau geboren wurde. Tipton starb an den Folgen eines blutenden Geschwürs, das er lieber unbehandelt ließ, als einen Arzt aufzusuchen und sich der Möglichkeit der Entdeckung auszusetzen.
Nach seinem Tod fing auch folgende Debatte an: Lebte Tipton als Mann lediglich um als Musiker in einer männerdominierten Industrie arbeiten zu können, oder wegen der Unterdrückung von Lesben in der Gesellschaft? Es stimmt zwar, dass die Unterdrückung der Frauen - vor allem im Kapitalismus - einen tiefen und vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Druck ausübt, der Frauen zwingt, als Männer durchzugehen ("passing"), um überleben zu können. Doch ignoriert diese Argumentation Transgender-Frauen, sprich Frauen, die in der Klassengesellschaft für so "männlich" gehalten werden, dass sie extremen Formen der Belästigung und Gefahr ausgesetzt sind. Viele dieser Frauen werden gezwungen, als Männer durchzugehen, um zu überleben. Natürlich erfahren Transgender-Frauen auch den enormen Einfluß der wirtschaftlichen Ungleichheit sowie in vielen Fällen antilesbische Unterdrückung. Diese Faktoren spielen auch eine Rolle dabei, "männliche" Frauen sowie nichttransgender Frauen zum Durchgehen zu zwingen.
Wenn "männliche" Frauen überhaupt anerkannt werden, dann wird suggeriert, dass sie lediglich Produkt eines dekadenten patriarchalen Kapitalismus seien, und verschwinden werden, sobald die echte Gleichstellung erreicht ist.

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Das Neue ist das "Durchgehen"

Transgender-Frauen und -Männer sind schon immer da gewesen. Sie werden unterdrückt. Doch sind sie nicht nur die Produkte der Unterdrückungen. Es ist das "Durchgehen", das historisch betrachtet neu ist. "Durchgehen" heißt sich verstecken.
Durchgehen heißt Unsichtbarkeit. Transgender-Menschen sollten leben und ihr Selbstverständnis ausdrücken können, ohne Kritik oder Gewaltandrohungen. Das ist heute nicht der Fall.
Es gibt unzählige Frauen und Männer, deren Selbstdarstellung nach den Hollywood-Maßstäben gemessen ihrem Geschlecht "widerspricht". Manche werden wegen der Unterdrückung und Ausgrenzung, die sie erdulden müssen, in den Untergrund oder zum "Durchgehen" gezwungen.
Wenn heutzutage in Schulen über Geschlechterrollen erzählt wird, so wird gesagt, dass Frauen "feminin" und Männer "maskulin" seien, und dass der reißende Strom zwischen diesen beiden Ufern nicht zu überqueren sei. In Wirklichkeit aber gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten der Selbstdarstellung für Frauen und Männer.
Transgender ist eine uralte Form der menschlichen Selbstdarstellung, die schon vor der Unterdrückung da war. Transgender wurde als ehrenvoll betrachtet. Ein Blick in die Geschichte der Menschheit zeigt, dass in Zeiten als Gesellschaften nicht durch ausbeutende Klassen mit ihren Teile-und-herrsche-Strategien beherrscht wurden, Transgender- Jugendliche, -Frauen und -Männer auf allen Kontinenten angesehene Mitglieder ihrer Gesellschaften waren.

"Sie ist ein Mann"

"Merkwürdiges Land" schrieb ein weißer Mann 1850 über die Nation der Crow-IndianerInnen auf dem amerikanischen Kontinent, "wo die Männer die Kleidung der Frauen anziehen und deren Aufgaben übernehmen, während die Frauen sich als Männer ausgeben und mit ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen schlafen".
Randy Burns, einer der GründerInnen der modernen IndianerInnengruppe "Gay American Indians" (GAI) berichtet, dass die GAI solche alternativen Rollen für Männer und Frauen in über 135 verschiedenen Nationen der nordamerikanischen UreinwohnerInnen dokumentiert hat.
Die Häufigkeit der Transgender-Frauen und -Männer in den Gesellschaften der UreinwohnerInnen wurde auch von den Kolonialisten gemerkt, die sie als "berdache" bezeichneten. Vielleicht die bekannteste aller indianischen berdache-Frauen war eine Führerin der Crow namens Barcheeampe, die die berühmteste Kriegerin in der Geschichte der Nationen der oberen Missouri-Region war. Sie hatte mehrere Ehefrauen und ihre Tapferkeit als Jägerin und Kriegerin wurden in vielen Liedern geehrt. Als der Nationalrat der Crow tagte, nahm sie ihren Platz als dritthöchste in der Rangordnung der 160 Stammeshäuptlinge ein.
Heute wird Transgender als "asoziales" Verhalten betrachtet. Doch unter den Nationen der Klamath gab es besondere Initiationsriten für Transgender-Frauen.
Unter den Coopa, so Edward Gifford, "wurden weibliche Transvestiten "war'hameh" genannt, ihre Haare und Nasen- Piercings waren nach der männlichen Art, sie heirateten Frauen und kämpften in der Schlacht neben den Männern". Wewha, eine berühmte berdache der Zuni-Nation, wurde 1849 als Mann geboren und lebte bis 1896. Sie war einer der größten und kräftigsten Menschen der Zuni. Wenn sie darüber gefragt wurden, erzählten ihre Leute einfach "Sie ist ein Mann". Wewha wurde von den Zuni nach Washington DC geschickt, wo sie sich sechs Monate lang aufhielt. Dort traf sie den Präsidenten Grover Cleveland und andere Politiker, die nicht bemerkten, dass sie eine berdache war.
Osh-Tische (wörtlich:"Wer-findet-und-tötet") war eine berdache oder badé der Crow, die auch als Mann geboren wurde und in der Schlacht der Rosenknospe (Battle of the Rosebud) kämpfte. Als ein Agent der Kolonialisten versuchte, Osh-Tische dazu zu zwingen, Männerkleidung zu tragen, hielten die anderen UreinwohnerInnen dem entgegen, das sei gegen die Natur der berdache und vertrieben den Agenten aus ihrem Gebiet. Sie sagten, es wäre eine Tragödie zu versuchen, die badé in ihrem Wesen zu verändern.
Ein Jesuit bemerkte 1670 über die berdache:"Sie werden zu jeder Ratssitzung gebeten, und nichts darf ohne ihren Zuspruch beschlossen werden". Doch die Missionare und das kolonialistische Militär reagierten mit mörderischer Feindseligkeit auf die berdache der UreinwohnerInnen auf diesem Kontinent. Viele berdache wurden von den christlichen Eroberern zu Tode gefoltert und verbrannt. Andere Kolonialheere schickten wilde Hunde gegen die berdache.

Warum solche Feindseligkeit?

Warum waren die europäischen Kolonialisten den Transgender- Frauen und -Männern so feindlich gesinnt? Die Antwort kann auf dem europäischen Kontinent in den Kämpfen zwischen den sich entwickelnden Klassen der Besitzenden und Besitzlosen gefunden werden.
Die alten Gesellschaften auf dem europäischen Kontinent waren kommunal ausgerichtet. Tausende von Artefakten - manche davon aus dem Jahr 25.000 vor Christus - sind ausgegraben worden und deuten darauf, dass diese Gesellschaften eher Göttinnen als Götter ehrten. Manche dieser Gottheiten waren transgendered, so wie viele ihrer Schamanen oder PriesterInnen.
Uns wird beigebracht, dass es schon immer so war, wie es jetzt ist - die "Fred Feuerstein"-Schule der menschlichen Entwicklung. Die eindeutige Aussage dabei ist: Versuch nicht, die Menschen zu verändern. Doch ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass die menschliche Gesellschaft einen kontinuierlichen Prozeß der Entwicklung und Veränderung durchmacht. Seit über 150 Jahren wird über die Rolle der Frauen in den alten Gesellschaften der Menschheit diskutiert. Auch wenn manche vorurteilsbeladenen PolitikerInnen meinen, die patriarchale Kleinfamilie existiert schon immer, die Wahrheit sieht anders aus.
Die AnthropologInnen des 20. Jahrhunderts haben die Tatsache anerkannt, dass kommunale, nach dem Mutterrecht organisierte Gesellschaften in einem frühen Stadium der sozialen Entwicklung überall in der Welt existierten. Frauen waren die Oberhäupter von "gens" oder Clans, die wenig Ähnlichkeit mit den heutigen "Familien" besaßen.
Aber viele sind der Meinung, dass das Mutterrecht mit der Unterwerfung der Frauen gleichzeitig existieren konnte, und dass es keine bestätigten Beweise dafür gibt, dass Frauen in irgendeiner Kultur in der Geschichte durchgängig die Führungspositionen innehatten. Diese Argumentation ignoriert das Verhältnis zwischen männlicher Herrschaft und Privateigentum, und suggeriert, dass die Unterdrückung der Frauen lediglich Ergebnis einer vermeintlichen "menschlichen Natur" sei.
Diese ideologische Argumentation ist genauso sehr eine Waffe im Klassenkampf wie Gefängnisse es sind.
In ihrem Buch "Patriarchal Precedents" (Prezedenzfälle des Patriarchats) gibt die Schriftstellerin Rosalind Coward einen wertvollen Überblick über diese Debatte. Sie zeigt auf, dass die meisten europäischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts, die patriarchale Klein- bzw. Kernfamilie als universal betrachteten. Aber gegen Ende des Jahrhunderts begannen europäische Kolonialisten, die die Völker Südindiens und Südwestasiens studiert hatten, dieser Ansicht zu widersprechen.
1861 veröffentlichte Johann Bachofen sein berühmtes Buch Das Mutterrecht, eine wissenschaftliche Abhandlung über die Familie als sich entwickelnde soziale Einrichtung. Sein Werk wurde als grundlegender Beitrag zur modernen Anthropologie betrachtet.
Lewis Henry Morgan, der große Ethnologe und einer der GründerInnen der Anthropologie schrieb 1877 sein bedeutendes Werk Ancient Society - eine ausführliche Studie kommunaler Gesellschaften mit Verwandtschaftssystemen, die auf Frauen basierten. Er studierte die nordamerikanischen Haudenosaunee (Völkerbündnis der Irokesen), sowie viele der UreinwohnerInnenvölker Indiens und Australiens. Seine Forschung über die soziale Evolution bestätigte die Annahme, dass die partriachale Form der Familie nicht die älteste Form der menschlichen Gesellschaft darstellte.
Diese Studien von Bachofen und vor allem Morgan wurden zur Grundlage für den großen Klassiker von Friedrich Engels aus dem Jahre 1884, den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Engels vertrat die Position, dass die frühen Gesellschaften auf gemeinschaftlicher Arbeit und gemeinschaftlichem Eigentum aufgebaut waren. Zusammenarbeit war notwendig für das Überleben der Gruppe.
Engels, der zusammen mit Karl Marx die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus entwickelte, fand bei diesen alten Gesellschaften keine Beweise für die Existenz von einem staatlichen Repressionsapparat, großangelegter Kriegführung, Sklaverei oder von Kernfamilien. Engels und Marx sahen in Morgans Studien einen weiteren Beweis dafür, dass die moderne Unterdrückung der Frauen ihren Ursprung in der Aufspaltung der Gesellschaft in auf dem Privatbesitz von Eigentum basierenden Klassen. Die Tatsache, dass Unterdrückung kein Merkmal der früheren kommunalen Gesellschaften war, verlieh Gewicht ihrer Vorhersage, dass die Abschaffung des Privatbesitzes zugunsten vergesellschafteten Eigentumsformen die Grundlage für eine Revolutionierung zwischenmenschlicher Beziehungen bilden würde.
Forschung in diesem Jahrhundert, vor allem durch Frauen, hat weitere Beweise gegen die Ansicht hervorgebracht, dass Frauen schon immer als "minderwertig" betrachtet wurden. Die ausführliche Forschungsarbeiten von Marija Gimbutas und Gerda Lerner haben gezeigt, dass es vor 4500 v.Chr. eher Göttinnen statt Götter waren, die überall in Europa und Westasien angebetet wurden.
Wie Jacqetta Hawkes in ihrer History of Mankind (Geschichte der Menschheit) schlußfolgerte: "Es gibt jeden Grund anzunehmen, dass das Mutterrecht und das Clansystem unter den Lebensbedingungen der primären Neusteinzeit noch vorherrschend waren, und dass Landbesitz im Allgemeinen durch die weibliche Blutlinie weitervererbt wurde. Es wäre von daher verführerisch, zu der Überzeugung zu gelangen, dass die frühsten neusteinzeitlichen Gesellschaften durch ihre ganze zeitliche und räumliche Ausbreitung der Frau den höchsten Status beigemessen haben, die sie seitdem jemals gekannt hat". (Interessant auch zu bemerken, dass diese fortschrittliche Forscherin sich im Jahre 1963 immer noch genötigt fühlte, den englischen Begriff "mankind" für Menschheit zu verwenden.
Der Anfang der Diskriminierung

Im Zeitraum zwischen 4500 und 1200 v.Chr. wurde in den fruchtbaren Tälern der großen Flüsse Eurasiens und Nordostafrikas die menschliche Arbeit allmählich produktiver, und der Überfluß wurde als Reichtum angehäuft. Die alten kommunalen Systeme wurden unbewußt und langsam verändert. Es fand eine enorme gesellschaftliche Veränderung statt. Der Wunsch, Reichtum an männliche Erben weiterzugeben erforderte die Monogamie seitens der Ehefrauen; die patriarchale Familie wurde zur neuen gesellschaftlichen Wirtschaftseinheit. Doch der Respekt, den alte kommunale Gesellschaften vor Transgender-Frauen und Männern und vor der gleichgeschlechtlichen Liebe hatten, dauerte nach den dramatischen Veränderungen dieser Gesellschaften noch lange an.
Eine ägyptische Skulptur aus dem Jahr 1485 v.Chr. zum Beispiel, die die Königin Hat-sheput mit Bart in den Gewändern eines Pharaos darstellt, zeigt die Langlebigkeit in den überlieferten Traditionen der Figur der bärtigen Frau als heiliges Macht- und Wissenssymbol.
Eine Verbindung zwischen Transvestismus und religiösen Praktiken ist auch in den alten Mythen um die griechischen GöttInnen und HeldInnen zu finden. Der Mythos von Achilles erzählt, wie er am königlichen Hof von Lykomedes in Skyros sich als Frau kleidete, und als Frau lebte, bevor er zum Krieger ausgebildet wurde.
"Makrobius berichtet, dass die männlichen Priester zu Ehren der Bärtigen Aphrodite von Zypern sich als Frauen kleideten; auf der gleichen Insel war der Kult um Ariadne (ursprünglich ein Fruchtbarkeitskult) dadurch gekennzeichnet, dass in einer Zeremonie ein Junge als Frau gekleidet wurde, der dann alle Symptome der Geburtswehen einer Gebärenden nachmachen sollte." (aus: Dressing Up)
Herodotus bemerkte, dass die skythischen religiösen Schamanen wie Frauen sprachen und sich auch dementsprechend kleideten, und dafür hoch verehrt wurden. Die Priester der Artemis von Ephesus trugen den Berichten zufolge "die Kleidung der Frauen".. (aus: Dressing Up)
"Männer mussten sich als Frauen kleiden, bevor sie an den Riten des Herkules in Rom teilnehmen durften (Herkules selbst verbrachte drei Jahren als Frau gekleidet am Hof der Omphale,Königin von Lydien).....Auf dem Fest der WinzerInnen, dem athenischen Oschophoria, trugen zwei als Frauen gekleidete Jünglinge einen Rebstock in einem feierlichen Umzug. Beim Fest der Hera von Samos trugen die Männer lange weiße Gewänder und sowie goldene Netze um ihr Haar". (aus: Dressing Up) Um das neue Wirstschaftssystem zu "rechtfertigen" und den Widerstand der Menschen zu brechen, die kommunal gelebt und gearbeitet hatten, wurde der gesellschaftliche Status der Frauen systematisch abgebaut, und ein Angriff auf die Transgender-Bevölkerung gestartet.
Ein frühes Transgenderverbot wurde im mosaischen Gesetz der HebräerInnen, einer der ersten patriarchalen Gesellschaften, festgehalten: "Weder soll die Frau das tragen, was dem Manne gehört, noch soll ein Mann die Kleidung einer Frau anziehen; denn alle, die so tun, sind eine Abscheulichkeit vor dem Herr deinem Gott". (Deuteronomium, 22:5)
Der Aufstieg der griechischen Stadtstaaten in der Zeit vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v.Chr ist ein weiteres Beispiel der Unterwerfung der Frauen. Die neue patriarchale Wirtschaftsordnung konnte nicht gleichzeitig mit dem Mutterrecht existieren. Doch in vielen Gebieten gediehen Transgender, gleichgeschlechtliche Liebe und viele der alten religiösen Bräuche weiterhin, da sie noch keine Bedrohung für die neue Herrschaftsordnung darstellten.
Die Sklavenbesitzer entwickelten eine frauenfeindliche Ideologie, um ihren Angriff auf die gesellschaftliche Gleichheit der Frauen zu rechtfertigen. Viele der alten griechischen Mythen sowie die häufigen Darstellungen von Schlachten gegen Amazonen-Kriegerinnen symbolisierten den Umsturz der mutterrechtlichen kommunalen Gesellschaften sowie ihre Ersetzung durch patriachale Sklavenhaltergesellschaften.
Patriarchale Götter wie die griechische Gottheit Dionysos nahmen die Stellung der Göttinnen der Zeit vor den Klassengesellschaften ein. Dionysos war einer der griechischen Götter, die die Göttinnenanbetung ersetzte. Doch griechische MalerInnen und AutorInnen stellten Dionysos als weiblich bzw. als Frau angezogen dar. Der Transvestismus zeigte sich auch weiterhin in den Riten des Dionysos, die selbst nachdem das Christentum zur Staatsreligion der herrschenden Elite wurde, noch andauerten.
Diese Haltung Frauen gegenüber erklärt auch zum Teil die wachsende Feindseligkeit der herrschenden Klassen den Transgender-Männern gegenüber. Doch ein anderer Aspekt der Kampagne gegen "effeminierte" Männer, und gegen Dionysos insbesondere, lag eventuell in der Schaffung einer Rambo- Mentalität, vergleichbar dem extremen Appell an "Männlichkeit" der Kriegsmaschinerie der Nazis oder des heutigen Pentagon. Dies waren militaristische Gesellschaften, die auf Expansion um jeden Preis ausgerichtet waren. Im Gegensatz zum Kriegsgott Ares war Dionysos ein "make love not war"-Gott, der Soldaten ermunterte, von ihren Posten in der Schlacht zu desertieren. Der christliche Autor Clemens von Alexandria schrieb im 3.Jahrhundert ein Werk namens Exhortatio, das die griechischen Heiden dazu aufforderte, den Irrtum ihres Glaubens anzuerkennen: "Wenn man euere Bilder und Statuen untersucht, so sind euere Götter von ihren schamlosen Darstellungen, Dionysos von seiner Kleidung, leicht zu identifizieren".

Die Beharrlichkeit des Transgenders

Obwohl die Haltung der Herrschenden den Selbstdarstellungsformen der Transgender-Bevölkerung gegenüber sich veränderte und zunehmend repressiver wurde, war der alte Respekt vor dem Transgender schwer auszulöschen, und Transgender-Frauen und -Männer waren weiterhin in allen Klassen der Gesellschaft vorhanden.
"Unter den römischen Kaisern war Berichten zufolge das Tragen von Frauenkleidung sehr beliebt, und insbesondere Kaligula, so der Autor Suetonius, zog sich oft als Frau an". (Dressing Up). Doch die Unterdrückung der herrschenden Klasse verlangte einen zunehmenden Konformismus - sogar unter der Elite. "Das berühmteste Beispiel ist das des Elagabalus..." schrieb Arthur Evans, "er wurde im Jahre 218 n.Chr. Kaiser von Rom. Als Kaiser ist er oft öffentlich in Fummel aufgetreten, praktizierte rituellen Sex mit PartnerInnen beider Geschlechter, und erklärte öffentlich einen seiner Liebhaber zu seinem Ehemann, was die herrschenden Klassen zutiefst empörte. 222 n.Chr fiel er einem Attentat, der von der erzürnten Prätorianischen Wache verübt wurde, zum Opfer. Seine Leiche wurde verstümmelt, durch die Straße von Rom geschleppt und schließlich in den Fluß-Tiber geworfen". (Witchcraft and the Gay Counterculture)
Im vierten Jahrhundert nach Christus verurteilte der Bischof von Amasia in Kappadozien den Neujahrsbrauch der einheimischen Männer, sich "in langen Gewändern, Korsetten, Pantoffeln und riesigen Perrücken zu kleiden". Der Bischof Isidore von Sevilla (560-636 n.Chr) schimpfte gegen die Neujahrstänzer, "die ihre männlichen Gesichter verweiblichten, und weibliche Gesten ausführten".
Die Anbetung eines als Frau angezogenen Gottes brachte die christliche Hierarchie so in Rage, dass der Rat von Konstantinopel (691 n.Chr) folgenden Erlaß veröffentlichte: "Wir verbieten die Tänze und Initiationsriten der "Götter", wie sie unter den Griechen fälschlicherweise genannt werden, da sie - ob von Frauen oder Männern - nach einem alten Brauch ausgeführt werden, der gegen die christliche Lebensführung verstößt, und wir befehlen, dass kein Mann die Kleidung einer Frau anziehen sollte, noch sollte eine Frau die Kleidung eines Mannes anziehen....." (The God of Ecstasy).



Das Natürliche wird "unnatürlich"

Vor der Aufteilung der Gesellschaft in Klassen verbanden die alten Religionen gemeinsam geglaubte Ansichten mit materiellen Beobachtungen über die Natur. Das Christentum als Massenreligion hatte seinen eigentlichen Ursprung unter den Armen der Städte des römischen Reiches, und nahm auch Elemente des Kollektivismus und einen Hass gegen eine reiche herrschende Elite mit in sich auf. Doch über mehrere hundert Jahren verwandelte sich das Christentum von einer revolutionären Bewegung der städtischen Armen in eine mächtige Staatsreligion, die den Interessen der Reichen diente.
Transgender in all seinen Ausprägungen wurde zum Feindbild. In Wirklichkeit war es der Aufstieg des Privateigentums, der männlich dominierten Familie und der Klassenspaltungen, der zu einer Einengung dessen führte, was als akzeptable Selbstdarstellung betrachtet wurde. Was ehemals natürlich gewesen war, wurde zu seinem Gegenteil erklärt.
Der Zerfall des römischen auf der Sklaverei basierenden Produktionssystems führte zu seiner allmählichen Ersetzung durch den Feudalismus. ArbeiterInnen, die ehemals in Ketten gearbeitet hatten, waren fortan an das Land ihrer Gutsherren gekettet.
Das Christentum war eine städtische Religion. Doch die herrschenden Klassen waren noch nicht in der Lage, ihr neues Wirtschaftssystem und die Religion, die es rechtfertigen sollte, der Bauernschaft aufzuzwingen. In dem aufkommenden gewalttätigen Klassenkrieg wurde das lateinische Wort "paganus" - Landbewohner oder Bauer - symbolisch gleichbedeutend mit "Heiden" oder "Ketzer" (englisch: "pagan").
Selbst nach dem Aufstieg des Feudalismus gab es noch Überreste der alten heidnischen Religion, die Sex - lesbisch, schwul, bi- und heterosexuell- lustvoll befürwortete. Viele Frauen waren unter ihren AnhängerInnen. Viele Schamanen waren immer noch Transvestiten. Und der der Transvestismus bildete immer noch Teil fast aller ländlichen Feste und Rituale.
Im mittelalterlichen Narrenfest kleideten sich sowohl Laien wie Priester als Frauen. Die Theologische Fakultät an der Universität von Paris berichtete von Priestern, "die als Frauen gekleidet im Chor tanzten".
Aber um ihre Herrschaft durchzusetzen musste die Gutsbesitzende katholische Kirche die alten Religionen, die noch aus den Zeiten vor dem Aufkommen der Klassengesellschaften stammten, ausrotten, da sie den privaten Landbesitz in Frage stellten. Der alte Respekt vor Transgender-Menschen war immer noch bei der Bauernschaft tief verwurzelt. Der Transvestismus spielte eine wichtige Rolle im ländlichen Kulturleben. Viele der FührerInnen der heidnischen Religionen waren transgendered. Also war es keine Überraschung, dass die katholische Kirche männliche wie weibliche Transvestiten verfolgte, sie als KetzerInnen brandmarkten und versuchte, den Transvestismus zu unterdrücken und ihn aus allen bäuerlichen Ritualen und Festen zu verbannen.
Bis zum 11. Jahrhundert hatte sich die katholische Kirche -damals der reichste unter den Gutsherrn Westeuropas - die organisatorischen und militärischen Mittel angeeignet, einen regelrechten Krieg gegen die AnhängerInnen der alten Religionen führen zu können. Die Kampagne wurde unter christlich-religiösem Vorzeichen ausgeführt - doch war sie in der Tat ein Klassenkrieg gegen die Resten der älteren kommunalen Gesellschaften.

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Jeanne d'Arc

Fast alle haben von der Jeanne d'Arc - der Johanna von Orleans
- gehört. Doch heutzutage sind sich nur wenig Leute darüber im Klaren, dass Jeanne d'Arc im Jahre 1431, als sie erst 19 Jahre alt war, von der katholischen Inquisition zum Tode durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde, unter anderem deswegen, weil sie sich
weigerte, aufzuhören, sich als Mann anzuziehen.
Fast 500 Jahre später in 1920 wurde sie von der katholischen Kirche zur Heiligen erklärt, da die Kirche zu einer Zeit weltweiter revolutionären Umwälzungen eine populäre Figur brauchte. Weil Jeanne d'Arc vom gemeinen Volk stammte, war sie noch sehr beliebt, vor allem unter den ArbeiterInnen und BäuerInnen. Doch die Kirche und der französische Staat verschwiegen die Tatsache, dass sie Transvestitin war - ein Ausdruck ihrer Identität, für den sie bereit war zu sterben, eher als ihn verleugnen.
Die Jeanne d'Arc war eine analphabetische Tochter der BäuerInnenklasse. Der Mut, mit dem sie ihr Recht auf Selbstdarstellung verteidigte, war genauso außerordentlich wie die Brillanz ihrer militärischer Führung, die zur Herausbildung des französischen Nationalstaates beitrug. Was war das Besondere am sozialen Nährboden, aus dem sie stammte, das so eine bemerkenswerte Persönlichkeit erklären könnte?
Jeanne d'Arc wurde circa 1412 in Domrémy, in der Region Lorraine geboren. Ab 1348 hatte die Beulenpest den Zusammenhalt der alten Feudalordnung gesprengt. Bis 1350 sollte die Hälfte der Bevölkerung Westeuropas sterben, und ganzen Provinzen wurden entvölkert.
Frankreich steckte damals noch tief im Hundertjährigen Krieg. Die Armeen der englischen Feudalherren fielen seit fast einem Jahrhundert ständig über das Land her. Die BäuerInnen mussten die Plünderungen der Besatzungsarmee sowie die schwere Besteuerung des französischen Adels erdulden.
Das dringendste Problem der Landbevölkerung war die Vertreibung der englischen Armee aus dem Lande, etwas, was dem französischen Adel bisher nicht gelungen war. Doch im breiteren Ausmaß erschütterten BäuerInnenrevolten - darunter der bedeutende Volksaufstand, der die "Revolte der Jacquerie" genannt wurde - die gesamte Struktur des europäischen Feudalismus.
Die Führung der Jeanne d'Arc bildete sich während dieser Periode mächtiger sozialer Erdbeben heraus. 1429 stellte sich diese selbstbewusste 17-jährige Frau, die Männerkleidung trug, zusammen mit einer Gruppe ihrer AnhängerInnen am königlichen Hof des Thronfolgers Prinzen Charles vor. Ihr Ziel war es, eine BäuerInnenarmee zu schmieden, die die Besatzungsarmee vom französischen Boden vertreiben sollte.
Jeder Aspekt des damaligen Lebens in Frankreich wurde von der Religion durchdrungen. Jeanne behauptete, ihre Aufgabe, ihre Motivation und ihre Art, sich zu kleiden, seien von Gott so vorgegeben worden. Sie musste eine sehr beeindruckende Frau gewesen sein, denn der Hof stimmte ihrem Vorhaben zu. Jeanne wurde Befehlshaberin eines 10.000-köpfigen Heeres.
Am 28. April, 1429 führte Jeanne ihre Armee gegen die Stadt Orleans. Am nächsten Tag ritt sie in die Stadt ein, gefolgt von ihrer Armee. Am 8. Mai wurde die englische Armee in die Flucht geschlagen. Während der nächsten Monate stellte sie ihr geniales Können als Militärstrategin, sowie ihre Fähigkeit ihr Fußvolk zu begeistern, unter Beweis. Mit Jeanne an ihrer Spitze befreite ihre Armee andere französische Dörfer und Städte und zwang die englische Armee, sich immer weiter zurückzuziehen.
Jeanne überzeugte dann Charles, nach Rheims zu gehen, um zum König gekrönt zu werden. Es war eine lange und gefährliche Reise durch ein Gelände, das von der englischen Armee noch besetzt war. Ihre Truppen wurden unterwegs angegriffen und mussten auch hungern, doch sie kamen erfolgreich an ihr Ziel, und die englische Armee musste erneut zurückweichen. Als Charles zum König gekrönt wurde, stand Jeanne an seiner Seite, ihr Schlachtbanner in der Hand. Der Nationalstaat Frankreich, der bald völlig aus der Besatzung befreit werden sollte, wurde geboren.





Gefangen

Jeanne wurde in Compiègne von den Burgundern, die mit den englischen Feudalherren verbündet waren, gefangengenommen. Wäre sie ein Ritter oder Adliger gewesen, so wäre es für den König Charles normale Praxis gewesen, ein Lösegeld für ihre Freilassung anzubieten.
Doch Jeanne war Bäuerin. Der französische Adel verweigerte die Zahlung, was nicht nur ihre Arroganz verreit, sondern auch inwieweit ihr Wunsch, sie loszuwerden, bis dahin gewachsen war. Denn als militärische Führerin einer populären Bewegung der BäuerInnen, hätte sie zur Bedrohung für die feudale Adelsklasse werden können.
Die Engländer drängten die katholische Kirche dazu, sie wegen ihres Transvestismus zu verurteilen. Heinrich der VI., König von England, schrieb: "Es ist zur Genüge bekannt und berüchtigt, dass seit einiger Zeit eine Frau, die sich Jeanne la Pucelle (die Jungfrau) nennt, die Kleidung des weiblichen Geschlechts beiseite legend, was dem heiligen Gesetz widerspricht und vor Gott abscheulich ist, sowie von allen Gesetzen verboten, Kleidung und Rüstung trug, wie sie von Männern getragen wird".
In November 1430 gaben die Burgunder Jeanne an die gefürchtete Inquisition weiter. Zunächst klagte die Kirche sie wegen 70 Delikte an - von Zauberei bis Pferdestehlen. Die Anklage wurde anschließend auf 12 Punkte reduziert.
Die Richter warfen Jeanne vor, als Heidin erzogen worden zu sein. Die Oberhäupter der Kirche waren schon länger der Ansicht, dass ihre Heimatregion Lorraine eine Brutstätte des Heidentums und der Hexerei sei. Die BäuerInnen der Region hielten immer noch an manchen der alten Glauben fest, selbst zu den Lebzeiten der Jeanne. Der alte Brauch, Kindern den Familiennamen der Mutter, statt den des Vaters zu geben, wurde immer noch gepflegt.
Die Feudalherren waren auch in einem ständigen Krieg gegen KommunardInnen verwickelt, die sich weigerten, als Leibeigene zu leben. Indem die Feudalherren Jeanne, und mit ihr die Region ihrer Herkunft, zum Sündenbock erklärten, nährten sie auch ihre konterrevolutionäre Kampagne.
Am 2. April, 1431 ließ die Inquisition den Vorwurf der Hexerei fallen, da es zu schwierig war, ihn zu beweisen. Die Inquisition wurde eh erst 1451 befugt, nach Hexerei zu fahnden.
Transvestismus als Verbrechen Jeanne wurde wegen ihrer Behauptung verurteilt, ihr Transvestismus sei eine religiöse Aufgabe und die Autorität ihrer Visionen sei höher als die der Kirche. Viele HistorikerInnen und AkademikerInnen haben ihren Transvestismus als nebensächlich betrachtet. Aus dem Protokoll ihres gerichtlichen Verhörs wird jedoch klar, dass die Richter ihren Transvestismus abstoßend fanden und verlangten, dass sie Frauenkleidung tragen sollte. Jeanne weigerte sich, obwohl sie wußte, dass das zu ihrer Verurteilung führen würde.
Die Aussage, die Jeanne zu ihrer Verteidigung machte, zeigte wie tief ihr Transvestismus in ihrer Identität verwurzelt war. Sie schwor: "Um nichts in der Welte werde ich versprechen, mich nicht zu bewaffnen und als Mann zu kleiden".
Jeanne wurde zur Abschreckung in die Folterkammern geführt, wo ihr die Instrumente der Tortur gezeigt wurden. Sie wurde auf einen Friedhof geführt, wo ihre Peiniger ihr ein Schafott zeigte, das auf sie warte, wenn sie sich weiterhin weigere, sich ihnen zu unterwerfen. Nachdem sie diese psychologische Folter und die Bedrohung der Verbrennung bei lebendigem Leib erlitten hatte, widerrief Jeanne am 24. April 1431, indem sie sich selber bezichtigte, Kleidung getragen zu haben, die die natürlichen Schamgefühle verletzten. Sie versprach, sich der Autorität der Kirche zu unterwerfen und Frauenkleidung zu tragen. Sie wurde "gnädigerweise" zu lebenslänglicher Haft in Frauenkleidung bei Wasser und Brot verurteilt.
Innerhalb weniger Tage hatte sie wieder Männerkleidung angezogen. Ihre Richter fragten sie, warum sie es getan habe, da dies den sicheren Tod bedeute. Ihre Antwort wurde im Verhandlungsprotokoll festgehalten: "Sie sagte, aus freien Stücken. Und, dass niemand sie dazu gezwungen hätte. Und, dass sie Männerkleidung der Frauenkleidung vorziehen würde".
Die Inquisition verurteilte sie wegen ihrer Wiederaufnahme der männlichen Kleidungsart zu Tode, mit den Worten: "Immer wieder bist du rückfällig geworden, wie ein Hund, der zum Erbrochenen zurückkehrt". Jeanne d'Arc wurde sofort auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Was war die besondere Bedeutung des Vorwurfs des Transvestismus?
Der eigentliche Grund ist in einem Dekret vom 14. Mai 1431 der theologischen Fakultät der Universität von Paris zu finden, das den Transvestismus der Jeanne verurteilte und dazu aufrief, sie als Ketzerin zu verbrennen. Die Kirchentheologen waren der Meinung, dass ihre Art, sich zu kleiden, "dem Brauch der Ungläubigen und Heiden" entsprechen würde.
Die Kirche war nun die einzige mächtige Institution, die das gesamte feudale Westeuropa zu einem zusammenhängenden politischen System zusammenschweißte. Noch wichtiger war, dass die Kirche bei weitem der mächtigste Feudalherr war, mit einem Drittel des Bodens der katholischen Welt im eigenen Besitz. Die Inquistion und später auch die Hexenprozesse waren Waffen des Terrors und Massenmordes, die von Irland bis Polen einen unglaublich hohen Zoll an menschlichem Leben forderte. Viele Bäuerinnen, darunter auch viele lesbische Frauen, die noch Anhängerinnen der älteren ländlichen Religionen waren, wurden der Hexerei bezichtigt und daraufhin gefoltert und verbrannt. Transgender-Menschen, Schwule, AraberInnen, JüdInnen, WissenschaftlerInnen und Naturheilkundige - all diejenigen, die die herrschende Klasse und die Kirche in Frage stellten oder herausforderten, wurden als Bedrohung betrachtet und vernichtet.
Dies war konterrevolutionärer Terror seitens der Landbesitzenden Klasse. Er wurde gegen die widerspenstige und aufrührerische BäuerInnenschaft gerichtet, sowie gegen die noch kleine Bourgeoisie, die zur Herausforderung für die feudale Klassenherrschaft werden sollte.
Folter war die Regel. Die Inquisitoren kamen nicht nur mit der Bibel gewappnet - sie waren ebenfalls mit Feuer und Schwert ausgerüstet, um die Aufstände der BäuerInnen zu unterdrücken. Der bevorstehende Sturz der feudalen Ordnung erhöhte nur das Ausmaß der reaktionären Unterdrückung.

Transgender besteht weiter

Dennoch wurde Transgender trotz der Jahrhunderte der mörderischen Repression nicht ausgelöscht. Im mittelalterlichen Italien, sowie in Frankreich, gab es sogar Gruppierungen von männlichen Transvestiten, die als "Kloster der Unordnung" bezeichnet wurden. In seinem Gedicht "Der Papistische Königreich" von 1570 schrieb der Autor Naogeorgus, dass beim Fest von Shroveport "die Männer wie die Frauen die Kleidung wechseln taten, die Männer im Frauengewand, und lüsterne Frauen als Männer gekleidet, den Weg entlang gerannt"..... Transgender bestand auch weiter unter den herrschenden Klassen. Als Königin Christina von Schweden zum Beispiel im Jahre 1654 abdankte, zog sie sich fortan als Mann an und nannte sich "Graf Dohna". Heinrich der III. von Frankreich kleidete sich Berichten zufolge als Amazone, und ermunterte seine Höflinge es ihm ähnlich zu tun.
Während des gesamten Mittelalters bis hin zum frühen industriellen Kapitalismus spielte der Transvestismus eine wichtige Rolle bei vielen militanten Auseinandersetzungen als eine Form der sozialen und politischen Rebellion gegen die Klassenherrschaft.
"Im Jahre 1630 griff zum Beispiel die "Mère Folle" (Verrückte Mutter) und "ihre" Truppe die königlichen Steuerbeamten in Dijon an. In Beaujolias im Jahre 1770 zogen sich Bauer als Frauen an und attackierten die Landvermesser ihres Gutsherren. In Wiltshire in 1631 lehnten sich die BäuerInnen, angeführt von Männern, die sich als Frauen kleideten und sich "Lady Skimmington" nannten, gegen die vom König verordnete Einzäunung der öffentlichen Wälder auf. April 1812 führten zwei als Frauen gekleidete Weber - "die Frauen des General Ludd"- eine Menschenmenge bei der Zerstörung von mechanischen Webstühlen und Fabriken in Stockport an. Die walisischen Aufstände der 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts gegen Wegezölle und andere Steuerabgaben wurden von "Rebecca" und anderen Transvestiten angeführt. Der Porteous-Aufstand von 1736 in Edinburg wurde von als Frauen verkleideten Männern geleitet, deren Anführer als "Madge Wildfire" bekannt war. In Irland zogen sich die "Whiteboys", die ca. 1760 im Kampf gegen die britischen Gutsherren aktiv waren, lange weiße Kleider an "um die traditionellen Länder der Gemeinschaft wiederherzustellen, und andere Klagen wiedergutzumachen"". (Dressing Up)
Während die alte an Landbesitz orientierte Feudalordnung durch den Kapitalismus verdrängt wurde, so wurde auch die Existenz von Transvestiten und anderen Transgender-Frauen und -Männern zunehmend verleugnet und in den Untergrund gedrängt. Viele wurden gezwungen als das jeweils andere Geschlecht durchzugehen, um zu überleben. Transvestitinnen gingen als Männer durch und wurden Soldaten, Piraten und Wegelagerer. Doch erschien der Transvestismus weiterhin in kultureller Form durch ganz Europa bei Feiertagsfesten, Ritualen, Karnevalsumzügen und Maskenbällen, sowie im Theater und in der Oper.
Diese Transgender-Traditionen bestehen heute noch beim Mummer's Festival, Mardi Gras und Halloween. Im heutigen imperialistischen Japan sind Transgender-Rollen nach wie vor zentral bei den traditionellen Noh und Kabuki Theateraufführungen. Transgender-Frauen und -Männer existieren weiterhin, ungeachtet dessen, wie schwierig ihr Überlebenskampf geworden ist.

Transgender um die Welt

Wir haben uns hier auf die europäische Geschichte konzentriert, und dies auch bewusst. Die Schuld für die Gesetze und Haltungen, die Transgender verurteilen und verteufeln, liegt eindeutig bei den herrschenden Klassen jenes Kontinents. Die Beschlagnahme der Güter und des Besitzes der "Angeklagten" während der Hexenjagden und der Zeit der Inquisition trug zur Anhäufung des Kapitals seitens der Herrschenden bei und half ihnen, ihre Herrschaft über Asien, Afrika und Nord- und Südamerika auszuweiten. Die europäische Elite versuchte dann ihre Ideologie den von ihnen kolonisierten Völkern der Welt aufzuzwingen.
Aber trotz der rassistischen Versuche der Kolonialisten, kulturellen Völkermord zu verüben, kann der Transvestismus und anderen Ausdrücken des Transgenders immer noch in den Riten und Glauben unterdrückter Völker beobachtet werden. Es ist offensichtlich, dass Transgender-Menschen angesehene gesellschaftliche Rollen in einer großen Anzahl diverser und geographisch weit auseinander liegender Kulturen innehatten. Seit dem 16. Jahrhundert "gibt es Berichte über Transvestiten- Schamanen....unter den AraukanierInnen, einem großen Stamm im Süden Chiles und Teilen von Argentinien. Männliche Transvestiten-Schamane sind auch unter den Guajira, einem viehtreibenden Volk im Nordwesten Venezuelas und im Norden Kolumbiens, sowie bei den JägersammlerInnen der Tehuelche aus Argentinien gesichtet worden". (Construction)
"Transvestismus wurde früher auch von Schamanen in den ländlichen Regionen Vietnams und Burmas praktiziert, sowie in Indien unter den JägerInnen des Pardhi-Volkes und bei den Lhoosais im Südosten des Landes, sowie in Korea". (Construction)
Berichtet wird immer noch über Transgender bei religiösen Zeremonien in Teilen von Westafrika: "Eine der wichtigsten Gottheiten bei den Abomey ist Lisa-Maron, eine Figur, die sowohl das Männliche wie das Weibliche in sich vereint; ebenfalls kann die große Gottheit Shango als Mann oder Frau dargestellt werden; auch beten zeitgenössische Schamane in Brasil die Gottheit Yansan an, die die "Mann-Frau" genannt wird". (Dressing Up)
"Der Mugawe, ein mächtiger religiöser Führer der Meru aus Kenya, wird als Gegenpart der männlichen politischen Führer betrachtet und muss von daher weibliche Qualitäten darstellen: Er trägt Frauenkleidung und hat eine Frisur wie eine Frau; er ist oft homosexuell und hat manchmal auch einen Ehemann. Unter dem angolanischen Bantu-Stamm der Kwayama, die sichhauptsächlich von der Landwirtschaft und der Viehzucht ernähren, tragen viele Weissager und männliche Heilkundige Frauenkleidung, verrichten Frauenarbeit und werden zur Nebenfrau von Männern, deren andere Ehefrauen weiblich sind.
Bei den südafrikanischen Zulus sind die WeissagerInnen normalerweise Frauen, obwohl ungefähr 10% männliche Transvestiten sind ". (Construction)
Ebenfalls wurde berichtet über Mann-zu-Frau-Transgender ohne scheinbare besondere religiöse Bedeutung beim Hirtenvolk der Nandi in Kenya, bei den Dinka und Nuer im Sudan, bei den äthiopischen Konso und Amhara, bei den Ottoro in Nubien, den Fanti in Ghana, den Ovimbundu in Angola, bei den Thonga- BäuerInnen in Simbabwe, bei den Tanala und Bara auf Madagaskar, bei den Wolof in Senegal sowie bei den Lango, Iteso, Gisu und Sebei in Uganda. (Construction) Transvestismus ist ebenfalls bei brasilianischen und haitianischen Zeremonien zu beobachten, die sich auf westafrikanischen Religionen berufen. (Construction)
Die Chukchee, Kamchadal, Koryak und Inuit - Eingeborenenvölker der nordamerikanischen Polarkreisregion- hatten alle männliche Schamanen, die sich als Frauen kleideten.
"In Indien kleideten sich die Krishna-Anhänger des Vallabha- Sektes als Frauen......Berichte von 1870 und 1930 erzählen von den Bissu-Priester der Celeben, die als Frauen leben und sich kleiden." (Dressing Up)
In seinem wichtigen Buch The Golden Bough (Der Goldene Ast) bemerkte James Frazier, dass auf den Pelew-Inseln "eine Göttin eher einen Mann als eine Frau als Priester und inspiriertes Sprachrohr auswählt....Er kleidet sich dann als Frau, trägt ein Stück Gold am Hals und arbeitet wie eine Frau auf dem Tano-Feld". Frazier berichtet, dieser Brauch sei unter den Eingeborenenvölkern weit verbreitet.

"Durchgehen" um zu überleben

Als die Industrielle Revolution in Europa anfing, Pflugscharen zu Waffen und Maschinerie zu schmieden, waren die Vorurteile gegen Transgenderfrauen und -männer zum festen Bestandteil der Mechanismen der Ausbeutung geworden.
Doch schufen auch der Handel und der frühe industrielle Kapitalismus ebenfalls Möglichkeiten anonym zu bleiben, die unter dem Feudalismus, in dem die großen Leibeigenenfamilien und ihre NachbarInnen zusammen auf dem Land lebten und arbeiteten, selten vorkamen.
Der Kapitalismus befreite die leibeigenen BäuerInnen aus ihrer Bindung zum Land - und kettete sie als LohnsklavInnen an Maschinen, oder schickte sie in Armeen und Flotten hinaus, um neues Land, neue Arbeitskräfte und Rohstoffe zu erobern. Nicht nur Transgenderfrauen sondern auch Männer hatten jetzt die Möglichkeit, als anderes Geschlecht durchzugehen. Die Unterdrückung der Frauen unter dem Kapitalismus zwangen tausende von Frauen, die nicht transgendered waren, als Männer durchzugehen, um den wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten ihrer Unterdrücken zu entgehen. Die Strafen fürs Durchgehen waren streng. In den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts bestand in England die Bestrafung darin, in den Stock gelegt zu werden und durch die Straßen auf einem offenen Wagen gezogen zu werden. In Frankreich war bis zum Jahre 1760 die Strafe für Transvestismus immer noch Tod durch Verbrennung.
Trotz der Bestrafungen gingen in ganz Europa Frauen als Männer durch - vor allem in den Niederlanden, in England und in Deutschland. Das Durchgehen war während der 17. und 18. Jahrhunderte so weit verbreitet, dass es zum Thema vieler Romane - oft als Biographien oder Erinnerungen verkauft - sowie anderer Kunstformen, Theaterstücke, Opern und populärer Lieder wurde.
Eine der berühmtesten durchgehenden Frauen des 17. Jahrhunderts war Mary Frith - auch als "Moll Cutpurse" (von "cut"= schneiden, und "purse" = Geldbeutel) genannt. Diese mutige Figur trank und kämpfte mit den Männern der Londoner Unterwelt des 17. Jahrhunderts. Sie merkten nie, dass sie eine Frau war. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt durch Wahrsagerei, Hehlerei und dadurch, dass sie PassantInnen um ihre Geldbeutel erleichterte. Nachdem sie als Frau enttarnt wurde, veröffentlichte Moll ihr Tagebuch und wurde noch vor ihrem Tod im Alter von 74 Jahren zur Figur in zwei Theaterstücken.
Angélique Brulon ging unter dem Namen Liberté durch und wurde zum hoch dekorierten Offizier in der Infanterie Napoleons. Sie diente bei sieben Feldzügen zwischen 1792 und 1799, die weite Teile Europas vom Feudalismus befreiten.
Charley Wilson wurde 1834 in England als Catherine Coombes geboren, und lebte über 40 Jahre lang als Mann. Im Alter von 63 musste Wilson ins Armenhaus, wo ihr Geschlecht entdeckt wurde. Die Leitung des Armenhauses zwang sie dazu, ein blau bedrucktes Kleid mit rotem Kopftuch zu tragen. "Wenn ich das Geld hätte", so Wilson an einer Besucherin, "würde ich hier raus und mich wieder als Mann kleiden, und keiner würde mich wieder finden".
Viele Frauen wurden zu Piraten und Wegelagerern. Transgender als Sellbstdarstellungsform bestand auch weiter unter Männer. Der deutsche Historiker Johann Wilhelm von Archholz beschrieb eine Londoner Kneipe namens "The Bunch of Grapes" (Die Weintraube) in den 70er Jahren des 18.
Jahrhunderts: "Beim Betreten des Raumes entdeckte (ich) zwei als Frauen gekleidete Kerle, jeder mit Muff, weitem Umhang und sehr modischem turbanähnlichem Hut ..... es stellte sich auch heraus, dass jedes Mitglied des Clubs einen Frauennamen hatte". Bei einem pariser Tuntenball im Jahre 1864 "waren mindestens150 Männer anwesend, manche von ihnen so gut verkleidet, dass der Chef des Hauses nicht in der Lage war, ihr Geschlecht zu entscheiden". (Dressing Up)
Transgender stand auch im Mittelpunkt eines der berühmtesten Skandale im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts. Als sogenannte "Vere Street Coterie" (coterie = Clique) wurde die Kundschaft einer Kneipe bezeichnet, "in der viele der Kunden sich wie Frauen kleideten, und auch weibliche Namen annahmen...". Dem zeitgenössischen Berichterstatter Hollingway zufolge hat die Polizei eine Razzia gegen eine ihrer Zusammenkünfte durchgeführt, wurde aber von mindestens einer der anwesenden Damen so hinters Licht geführt, dass "sie" von Richter und Polizei als Frau aus der Haft entlassen wurde. (Dressing Up)
Über viele solche Transgenderclubs wurde aus dem viktorianischen London des 19. Jahrhunderts berichtet. Einer der berühmtesten Fälle war die Verhaftung von Stella (Ernest) Boulton und Fanny (Frederick) Park am 28. April 1890 vor dem Strand Theater, London. Sie wurden wegen "Verabredung eine Straftat zu begehen" angeklagt. Boultons Mutter sagte zur Verteidigung ihres Sohnes als Zeugin aus. Sie erklärte, er kleide sich als Mädchen (bzw Frau) seit seinem 6. Lebensjahr. Stelly und Fanny wurden beide freigesprochen.
Während es biologisch einfacher ist für eine Frau als junger Mann durchzugehen als für einen Mann, der als Frau durchgehen will, haben dennoch viele Transgendermänner erfolgreich als Frauen gelebt, ohne entdeckt zu werden.
Frau Nash, zum Beispiel, heiratete einen Soldaten in Forte Meade im US Bundesstaat Dakota. Nachdem ihr Mann woandershin versetzt wurde, heiratete sie erneut einen Soldaten. Erst nach ihrem Tod wurde entdeckt, dass sie ein Mann war. (Vested Interests)
Der Kapitalismus bedient sich alter Vorurteile Als die neue Bourgeoisie in der anfänglichen Konkurrenzphase des Kapitalismus noch gegen den Feudalismus und seine alte ideologische Last ankämpfte, rühmte sie sich auch ihrer aufgeklärten und wissenschaftlichen Ansichten über die Welt und die Gesellschaft.
Doch einmal an der Macht bedienten sich die Kapitalisten vieler der alten Vorurteile, vor allem derjenigen, die in ihre Teile-und-herrsche-Politik hineinpaßten.
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit," wurde bald zur leeren Worthülse als die höllischen Arbeitsbedingungen der Kleinbetriebe sich im neuen Fabriksystem fortsetzten. Kolonisierte Völker wurden als Untertanen betrachtet, die bei der Produktion neuen Reichtums verbraucht werden konnten. So wie die neue herrschende Klasse sich etablierte, verlangte sie auch Konformität mit dem System der Lohnsklaverei und entledigte sich ihres Radikalismus. Doch trotz der langen Zeit, in der der Transvestismus als "illegal" und "widernatürlich" verschrien wurde und noch mit einer "inoffiziellen" Todesstrafe versehen wurde, blieb er dennoch Teil der menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten.
TransvestitInnen und andere Transgendermenschen waren unter den AnführerInnen der ersten Welle der lesbischschwulen Befreiung, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland ihre Anfänge hatte. Jene Bewegung genoß auch die Unterstützung vieler Mitglieder der sozialistischen Massenparteien.
Magnus Hirschfeld, ein jüdischer schwuler Mann, der diese erste Welle der lesbischschwulen Befreiung auch mit anführte, war den Berichten zufolge auch Transvestit bzw. Tunte. Er schrieb auch ein epochemachendes Werk zum Thema. Die wertvolle Dokumentation dieser Bewegung hinsichtlich der Rolle des Transgenders in der Geschichte, sowie ihre Forschung über Lesben und Schwule, wurden bei den Bücherverbrennungen der Nazis größtenteils vernichtet.
Lebensläufe, die unsichtbar gemacht wurden
Während, wie wir gesehen haben, es Transgender als Selbstdarstellungsform schon immer in der westlichen Halbkugel gegeben hat, wurde die Notwendigkeit "durchzugehen" erst mit der Ankunft des Kapitalismus an diese Ufer gespült. Viele Frauen und Männer sind zum Durchgehen gezwungen worden. Einige ihrer Geschichten sind uns erhalten Geblieben.
Deborah Sampson ging als männlicher Soldat im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg durch. Als sie verwundet wurde, zog sie einmal eine Kugel alleine aus ihrem eigenen Oberschenkel, um nicht entdeckt zu werden. Später veröffentlichte sie ihre Erinnerungen mit dem Titel The Female Review (Die Weibliche Rückschau) und ging auf Vorlesungstournee in 1802. Jack Bee Garland (Elvira Mugarrieta), die als Tochter des ersten mexikanischen Konsuls in San Francisco geboren wurde, wurde 1897 in Stockton, Kalifornien von der Polizei festgehalten. Ihr wurde zur Last gelegt, sie habe sich als Mann ausgeben wollen. Ein Monat später wurde der gesellige und freimütige Garland zum Ehrenmitglied des Stocktoner Junggesellenklubs gemacht.
Lucy Ann Lobdell, geboren in 1892 in New York, war berühmt als Jägerin und Trapperin. Sie erklärte folgendermaßen ihre schmerzhafte Entscheidung, ihre junge Tochter bei ihren Eltern zu lassen und als Pastor Joseph Lobdell in die "Männerwelt" hinauszugehen: "Ich entschloß mich, Männerkleidung anzuziehen und Arbeit zu suchen, da ich an Männerarbeit gewohnt war. Und da ich im Haushalt vielleicht hätte schwerer arbeiten müssen, um nur einen Dollar pro Woche zu bekommen, und doch fähig war, Männerarbeit zu machen und dafür auch den Lohn eines Mannes zu bekommen, so habe ich das Gefühl, die ganze sklavische Plackerei, mit der die Frauen unterdrückt werden, nicht mit ansehen zu können; noch kann ich die Stimme der Mode lauschen oder mich auf die Brust des Todes ausruhen. Ich bin Mutter.
Ich liebe mein Kind mehr, als ich es in Worten ausdrücken kann. Ich kann es nicht ertragen, sterben zu müssen und die Kleine zu hinterlassen und zu wissen, dass sie wie ich auch so ums Überleben wird kämpfen müssen". Lobdell starb in einer Irrenanstalt.
Harry Gorman lebte mehr als 20 Jahre lang als Mann, bis er 1903 in ein Krankenhaus in Buffalo gebracht wurde. Der 40- jährige Zigarren rauchende Koch bei der Eisenbahn schwor, dass nichts ihn dazu bringen würde, Frauenkleidung zu tragen. Gorman sprach auch von mindestens 10 anderen Frauen bei der gleichen Eisenbahngesellschaft, "die sich als Männer kleideten, ganz männlich aussahen, und nie unter dem Verdacht standen, etwas anderes als Männer zu sein. Manche von ihnen waren Gepäckträger, Rangierer oder auch Handelsvertreter für die Eisenbahngesellschaft. Sie trafen sich oft und machten sich nicht wenig lustig über ihren erfolgreichen Übergang von der einen Klasse der Menschheit zur anderen". (Gay American History)
Cora Anderson lebte über 13 Jahre lang als Ralph Kerwinieo, bis sie 1914 in Milwaukee wegen "ungebührlichen Benehmens" vor Gericht erscheinen musste, nachdem ihr Geschlecht entdeckt wurde. Als ihr vom Gericht auferlegt wurde, Frauenkleidung zu tragen, erklärte Anderson, die südamerikanische Indianerin war: "In zukünftigen Jahrhunderten wird eine Frau wahrscheinlich Besitzerin ihres eigenen Körpers und Hüterin ihrer eigenen Seele sein. Aber bis dahin können Sie davon ausgehen, dass die Gesetze, die Frauen betreffen, allesamt falsch sein werden. Die gut behütete Frau ist ein Parasit, und die Frau, die arbeiten muss, ist Sklavin. Der Mindestlohn für Frauen wird Abhilfe schaffen, aber er wird nicht - ja kann nicht - eine komplette Lösung sein. Manche Leute mögen denken, dass ich den Männern gegenüber sehr verbittert bin. Ich bin nur über die Bedingungen verbittert - die Bedingungen, die in dieser von Männern gemachten Welt vorherrschen". (Gay American History)
Über den Kampf des James McHarris (Annie Lee Grant) um das Recht, als Mann zu leben, wurde in einem Artikel in einer Ausgabe der Zeitschrift Ebony vom Jahr 1954 berichtet. McHarris, der in Mississippi wegen einer ganz anderen Sache verhaftet wurde, musste sich vor dem Bürgermeister und der Polizei ausziehen, und wurde in ein Männergefängnis eingesperrt.
Der Transvestismus blüht und gedeiht weiterhin in Dramen und Komödien in den Vereinigten Staaten und Europa. Im 19. Jahrhundert waren Transgender-Darstellungen integrale Bestandteile vom burlesque und vaudeville (verschiedenen Varietétraditionen) in den Vereinigten Staaten.
Die Blues-Tradition der 20er und 30er Jahre schloss ebenfalls Liedtexte über Transgender-Selbstdarstellung in den städtischen afroamerikanischen Communities mit ein, wie zum Beispiel bei den "Prove It On Blues" von Ma Rainey oder den "B-D Women" (B-D = bull-dagger bzw. bull-dyke = Lesbe) von Bessie Jackson. Transgender-Rollen gibt es immer noch - meistens als "Humor" - im Fernsehen, Film, Theater, in der Literatur, bei Tanz- und Musikperformances. Doch die soziale Strafen für Transgender- Menschen, die versuchen, in Würde und mit Respekt zu leben und zu arbeiten, sind immer noch grausam und oft gewalttätig.

Der Kampf der Christine Jorgensen gegen die Vorurteile

Die Entwicklung der Anästhesie und die kommerzielle Synthese von Hormonen sind relativ neue Entdeckungen dieses Jahrhunderts. Diese Fortschritte machten es einzelnen Menschen möglich, ihr Geschlecht so zu verändern, dass es ihrer Geschlechterrolle entsprach. Seitdem haben zehntausende von Transsexuellen allein in den Vereinigten Staaten die gleiche Lebensentscheidung gemacht, wie damals Christine Jorgensen.
Während Jorgensen nicht die erste Person war, die eine Geschlechtsumwandlung machte, war sie bei weitem die bekannteste. Sie starb am 3. Mai 1989 im Alter von 62 Jahren, nach einem langen Kampf mit dem Krebs. Die Autoren der Nachrufe der bürgerlichen Presse erinnerten sich an sie als George Jorgensen, den ex-G.I. aus der Bronx, der in den frühen 50er Jahren nach Dänemark fuhr, um Christine zu werden - und damit die erste von den Medien berichtete Geschlechtsumwandlung vollzog.
Die Nachrufe geben zu, dass es damals international viel Aufsehen um ihre Lebensentscheidung gegeben hat, aber fügen hinzu, dass sie "dadurch sofort Star-Status erlangte. Sie machte die Runde der Nachtclubs, hielt Vorlesungen, traf KönigInnen und Stars und wurde schließlich selber reich" (New York Daily News, 4. Mai 1989)
Hört sich an wie ein Märchen, nicht wahr? Dies ist aber eher die totale Heuchelei seitens der Medien (und der Herrschenden, die ihnen ihre Stories diktieren), die damals dieselben waren, die Jorgensen überall zur Spottfigur machten. Kein einziges Mal während ihres Lebens hatte irgendjemand, der Macht in dieser Gesellschaft besitzt, gesagt, dass Christine Jorgensen ein Mensch war, der Respekt verdient.
Die Nachricht über Jorgensens Geschlechtsumwandlung wurde spät im Jahre 1952 an die Presse weitergeleitet - zu einer Zeit also, die als eine der reaktionäresten Epochen der US- amerikanischen Geschichte bekannt werden sollte. Die Hexenjagd des berüchtigten Senator McCarthy war an ihrem Höhepunkt, was zu Haftstrafen für hunderte von Menschen nur wegen ihrer politischen Meinungen führte. Das Ehepaar Rosenberg saß in der Todeszelle und wartete auf ihre Hinrichtung im Gefängnis Sing-Sing. Die Flugzeuge des Pentagons warfen Bomben über Korea ab und die Wasserstoffbombe wurde im Südpazifik getestet.
Die "Jim Crow" Rassentrennungsgesetze bestimmten immer noch das Leben in den Südstaaten. Lesben und Schwule kämpften ohne eine politische Bewegung um ihr Überleben. Der Transvestismuswurde nur in verzerrter Darstellung als "Komödie" geduldet.
Als die Nachricht über Christine Jorgensen eintraf, war die Hölle los. Von entsetzten NachrichtensprecherInnen bis hin zu fiesen Talkshow-ModeratorInnen, alle griffen sie so gnadenlos an, dass es schien, als ob sie aus der Menschheit ausgeschlossen worden war.
Das, was eine wichtige persönliche Entscheidung war, wurde von den feindseligen Medien aufgegriffen und durch die Gosse gezogen. Ihr Privatleben war nicht mehr ihr eigenes. Sie wurde gnadenlos verfolgt. In einem Interview kurz vor ihrem Tode erzählte Jorgensen: "Ich bin nicht mehr so erkennbar. Jetzt kann ich tatsächlich in einen Supermarkt hineingehen und die Menschen wissen nicht, wer ich bin, was wunderbar ist und mir total gut paßt".
"Es tut auch alles nicht mehr so weh wie damals" fügte sie noch hinzu.
Irgendwie hat sie es geschafft, diesen hohen emotionalen Preis zu zahlen und mit Fassung und Würde zu überleben. Das hat großen Mut erfordert.
Die Angriffe gegen Jorgensen waren Teil einer Kampagne, die die Bevölkerung zum Konformismus zwingen sollte. Doch dafür war es geschichtlich betrachtet schon zu spät.
Jorgensen erzählte in einem Interview in 1986: "Ich konnte nie verstehen, warum ich so viel Aufmerksamkeit erregte. Jetzt im Nachhinein wird mir klar, dass es damals der Anfang der sexuellen Revolution war, und dass ich zufällig einer der Auslösemechanismen war".

Von Jeanne d'Arc bis Stonewall

In den letzten Jahrzehnten sind viele der beruflichen Trennungen zwischen Männern und Frauen durch die Entwicklung der Technik hinfällig geworden. Größere Anzahlen von Frauen sind ins Berufs- und Arbeitsleben eingestiegen und wurden Teil der ArbeiterInnenklasse im aktivsten und unmittelbarsten Sinn. Dies hat zu der Herausbildung eines ganz neuen Bewusstseins geführt.
Die Antibabypille, die 1952 auf den Markt kam, hat die soziale Beziehungen vieler Frauen revolutioniert, und ermöglichte Frauen, sich an alle Phasen des Lebens mit der gleichen Sorglosigkeit ungewollten Schwangerschaften gegenüber wie Männer zu beteiligen.
Rigide abgegrenzte Geschlechterrollen hätten auch abgeschafft werden müssen. Doch die treibende Kraft des Kapitalismus bedient sich immer noch der Vorurteile und der Ungleichheit als Spaltungsinstrument. Es bedurfte riesiger Kämpfe - und noch größere zeichnen sich am Horizont ab - um diese Ungerechtigkeiten zu korrigieren.
Die Bürgerrechts- und nationale Befreiungsbewegungen der 50erund 60er Jahre, sowie der massive Widerstand gegen den Vietnamkrieg erschütterten die ganze Welt und trugen auch zur Herausbildung der Frauenbefreiungsbewegung bei.
In 1969 kämpften militante junge Tunten in New Yorker Greenwich Village gegen Bullen, die versucht hatten, eine Razzia im Stonewall Inn durchzuführen. Die Straßenkämpfe haben vier Nächte lang angedauert. Der Stonewall-Aufstand war der Ursprung der modernen Lesben- und Schwulenbewegung, die sich nie wieder zum Schweigen bringen lassen wird.
Von den BäuerInnenaufstände gegen den Feudalismus des Mittelalters zum Stonewall-Aufstand im 20. Jahrhundert sind Transgender-Menschen an vielen militanten Kämpfen beteiligt gewesen, sowohl zur Verteidigung ihres Rechts auf freie persönliche Selbstdarstellung als auch als Form der politischen Rebellion.
Doch von der Gewalt auf den Straßen zur Brutalität der Polizei, von der Diskriminierung bei der Arbeit bis hin zur Verweigerung von medizinischer Betreuung und Wohnraum - die Transgender-Bevölkerung muß immer noch um ihr Überleben kämpfen.
Transgender-Menschen werden immer noch im Fernsehen und in Filmen verspottet. Filme wie "Psycho", "Dressed to Kill" und "Das Schweigen der Lämmer" stellen Transgender-Menschen als gefährliche PsychopathInnen dar.
Im "Schweigen der Lämmer" bringt eine Art Möchtegern Transvestit Frauen um, um sie zu enthäuten und sich daraus einen Frauenkörper zu nähen. Der Film stellt aber die Realität auf den Kopf: In der Tat sind es eher die Transvestiten und Transsexuelle, die Opfer grausamer Morde geworden sind.
Dieser Punkt wurde nochmals von den AktivistInnen betont, die die Preisverleihung der National Film Society im Frühjahr 1992 gestört haben. Die haben Flugblätter verteilt über den echten Mord der transsexuellen Venus Xtravaganza, die im Dokumentarfilm "Paris is Burning" erscheint. Xtravaganza wurde vor dem Ende der Dreharbeiten über die Fummelbälle Harlems ermordet.
Das "Schweigen der Lämmer" erhielt mehrere Preise bei der Oskarverleihung. "Paris is Burning" wurde nicht einmal nominiert.

Der Kampf um eine bessere Welt

Die institutionalisierten Vorurteile und die Unterdrückung, mit denen wir heute konfrontiert sind, haben nicht immer existiert. Sie haben ihren Ursprung in der Spaltung der Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete. Teile-und- herrsche-Taktiken haben es Sklavenhaltern, feudalen Gutsherren und koorporatistischen Herrscherklassen ermöglicht, den Löwenanteil des von den arbeitenden Klassen geschaffenen Reichtums für sich zu behalten.
Ähnlich dem Rassismus und allen anderen Vorurteilsformen sind Vorurteile gegenüber Transgender-Menschen wie eine tödliche Krankheit. Wir werden gegeneinander ausgespielt, damit wir uns nicht gegenseitig als Verbündete betrachten.
Echte Solidarität kann zwischen Menschen geschaffen werden, die ihre Unterschiedlichkeiten gegenseitig respektieren und bereit sind, ihren Feind gemeinsam zu bekämpfen. Wir sind die Klasse, die die Arbeit der Welt macht, wir können diese Welt auch revolutionieren. Wir können echte Befreiung gewinnen. Der Kampf gegen unerträgliche Bedingungen ist global im Kommen. Und die militante Rolle von Transgender-Frauen, -Männern und -Jugendlichen in der heutigen Widerstandsbewegung trägt jetzt dazu bei, die Zukunft zu gestalten.
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Quellen:
* Dressing Up - Transvestism and Drag: The History of an Obsession von Peter Ackroyd. Thames and Hudson, London 1979
* The God of Ecstasy - Sex Roles and the Madness of Dionysos von Arthur Evans. St. Martin's Press, New York 1988
* Witchcraft and the Gay Counterculture von Arthur Evans. Fag Rag Books, 1978.
* Vested Interests - Cross-Dressing and Cultural Anxiety von Marjorie Garber. Routledge, New York and London, 1992.
* Living the Spirit von Gay American Indians. St. Martin's Press, New York 1988.
* The Construction of Homosexuality von David F. Greenberg. The University of Chicago Press, Chicago and London, 1988.
* Gay American History von Jonathan Katz. harper & Row, New York, 1976.
* The Trial of Joan of Arc von W.S. Scott, ed., Associated Booksellers 1956.
Zur Autorin:

Leslie Feinberg hatte ihr Coming-Out als junge Butch-Lesbe vor mehr als 25 Jahren während sie in den Fabriken der Stadt Buffalo, N.Y. arbeitete. Sie hat über ihre Erfahrungen als Frau, die als Mann "durchging", ausführlich geschrieben. Feinberg ist seit 20 Jahren Mitglied der Workers World Party. Sie arbeitet in der Redaktion der Zeitung Workers World sowie in der Redaktionsgruppe der Zeitschrift Liberation and Marxism.
Zwei ihrer Kurzgeschichten über Transgender-Unterdrückung sind in der Sammlung The Persistent Desire: A Femme-Butch Reader enthalten. Ihr Roman zum gleichen Thema Stone Butch Blues erschien 1992 im Verlag Firebrand Books.

mfg Nikita Noemi

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