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Die Kultur der Weiblichkeit
von Julia S. ©
Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht das Thema der Weiblichkeit unter MzF-Transidenten diskutiert wird. Was bedeutet es, weiblich zu sein? Bist Du weiblicher als ich? Was muss man tun, um endlich weiblich zu sein? Mehr weiblicher Busen? Die OP? Die Namensänderung? Fragt man eine Frau, die als Frau geboren wurde, was sie denn zur Frau macht, zuckt sie meistens nur verständnislos die Schultern, weil sie sich diese ‚schwierige’ Frage wahrscheinlich noch nie gestellt hat. Auch wenn sie noch so resolut, noch so burschikos auftritt, wird sie doch nie daran zweifeln, eine Frau zu sein. Es wurde ihr ein Leben lang bestätigt, dass sie weiblich ist. Ist es der Bart? Wie viele Frauen tragen einen Damenbart vor sich her, ohne dass jemand daran zweifelt, das es sich um Frauen handelt. Auch Unfruchtbarkeit nehmen einer Frau nicht ihre Weiblichkeit, denn wer weiß schon, ob eine Frau in der Lage ist, Kinder zu bekommen oder nicht. Was also macht die Frau zur Frau?
Transidenten finden sich oft zwischen den Geschlechtern wieder, denn Frauen zweifeln: ‚Das soll eine Frau sein?’ und Männer: ‚Das soll ein Mann sein?’
Die Antwort auf die Frage „Was ist weiblich?“ geben Vergleiche, in denen ähnliche Probleme auftauchen. ‚Beweis durch Induktion’, wie Mathematiker bemerken würden.
„Das sind die Russen!“ erklärte Frau Schmitz Ihrem Mann, als er fragte, wer denn nebenan eingezogen sei.
„Das sind die Deutschen!“ sagten die Nachbarn zu den gleichen Deutsch-Russen, als sie noch in Russland lebten.
Von den ‚Türken’ sprechen wir, auch wenn sie schon lange die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sich aber nur unter Türken aufhalten. Die gleichen Menschen werden in Ihrem Geburtsland ‚die Deutschen’ genannt, weil sie ihre Muttersprache Türkisch nicht mehr beherrschen.
Die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe wird also hauptsächlich durch das behende Beherrschen der ihr eigenen Sprache und der Pflege der gruppentypischen Gewohnheiten demonstriert bzw. anerkannt.
Ein Deutscher wird als Deutscher erkannt, wenn er akzentfrei Deutsch spricht und typisch deutsche Gewohnheiten pflegt. Dabei ist es gleichgültig, ob er in Deutschland geboren ist oder nicht und wenn das äußere Bild nicht zu sehr vom gewohnten abweicht. Das Mitglied einer Religionsgemeinschaft wird in der Gruppe anerkannt, wenn es die typischen internen Ausdrücke pflegt und die Zeremonien beherrscht. Ein Obdachloser, der es wagt, mit sauberer Kleidung unter seinesgleichen aufzutauchen, wird ausgelacht. Vergleiche gibt es unendlich viele und sie zeigen, dass der kulturelle Aspekt der Weiblichkeit mindestens so wichtig oder sogar wichtiger als der körperliche Aspekt ist.
Das Tragen von Röcken oder eine OP macht also noch keine Frau. Weiblich ist der Mensch, der von den Frauen trotz aller Unvollkommenheiten als ihresgleichen erkannt ist. Dabei sind Äusserlichkeiten natürlich wichtig, da viele Frauen sich sehr genau gegenseitig beobachten. Weibliche Hormone helfen, die Kurven zu verschönern und eine weibliche Brust wachsen zu lassen. Wichtiger noch als die Brust ist das Aussehen des Gesichts, denn das Gesicht vermittelt den wichtigen ersten Eindruck.
Das Zentrale an der Weiblichkeit ist also das Beherrschen der weiblichen Kultur, bestehend Körpersprache, typischen Themen und Verhaltensweisen. In einem der nächsten Gruppenabenden werden wir uns mit der typisch weiblichen Körpersprache beschäftigen. Nun gibt es nicht ‚die’ weibliche Kultur, sondern je nachdem in welchen Kreisen man sich bewegen wird oder will, gibt es unterschiedliche Kulturen, die es gilt, sich anzueignen, wenn man in den gewünschten Frauenkreisen aufgenommen werden möchte. Wer sich unter Feministen aufhalten möchte, hat eine andere Sprache zu lernen als jemand, der einen Schönheitswettbewerb gewinnen möchte.
Wem es Vergnügen bereitet, sofort und überall als Transident definiert zu werden, hat es allerdings recht einfach, er braucht kaum etwas hinzuzulernen. Er sollte vielleicht noch lernen, sich im Minirock breitbeinig auf einen Stuhl zu setzen. Aber die Erfahrung zeigt, dass es recht wenige unter uns gibt, die so militant zum Cross-Dressing stehen.
Ein starkes Gefühl der Integration überkam mich persönlich, als mir auf einer Party eine Frau erzählte, dass sie gerade ihre Tage gehabt hatte und wie sie damit umging. Hätte sie das unaufgefordert einem fremden Mann erzählt? Ein ähnlich freudiges Gefühl beschlich mich, als sich bei einer anderen feierlichen Gelegenheit die fußballbegeisterten Männer absonderten, um sich über Sport zu unterhalten und sich die jungen Frauen in meine Ecke begaben, um sich über ihre Kinder zu unterhalten. Ich konnte da fachlich zwar nicht mithalten, aber es zeigte mir, dass sie mich kulturell integrierten.
Deswegen mein Appell an alle Neo-Frauen, die sich auf dem langen Weg zur Weiblichkeit befinden: Nicht schicke Kleidung und weibliche Hormone allein machen seelig. Lernt die typische Sprache und subtile Kultur der Frauen sprechen und leben und ihr werdet Euch bald als integrierte Frauen erleben. Viel Erfolg!
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