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Zwei Leben mit Problemen
Der 52-jährige Karl M. (Name von der Redaktion geändert) hadert mit Behörden, dass ihm diese es nicht ermöglichten, ein neues Leben als Frau zu beginnen.
Pfullendorf - Hans-Peter Oßwald, Chef der Arbeitsagentur Sigmaringen, weist im Gespräch mit dem SÜDKURIER auf zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen für den Klienten hin, bei dem ab Februar gutachterlich seine Transsexualität sowie die Arbeits- und Leistungsbereitschaft geklärt werden soll. Ein ungewöhnliches Schicksal birgt der Körper von Karl M. in sich, wie sich im Lauf eines Gesprächs in der SÜDKURIER-Redaktion zeigt. Der untersetzte Mann mit schütterem Haar hat sich gegenüber Psychologen, Ärzten, Firmenchefs und Arbeitsamtsvertreter zu seiner Transsexualität bekannt, die Jahrzehnte in ihm schlummerte, bohrte und sich im vergangenen Jahr eruptiv entladen hat. "Wie ein Vulkanausbruch", beschreibt der hagere Mann sein Coming-Qut, das seinem ohnehin problembehafteten Leben weitere Mühlsteine auflud. Aber jetzt will er nur noch Frau sein und seinen Körper dem Geschlecht anpassen, dem er sich seit 42 Jahren zugehörig fühlt. Eine Ärztin diagnostizierte seine Transsexualität und weist auf die psychische Instabilität ihres Patienten hin, der sich als Jugendlicher, "immer mehr der Weiblichkeit zugezogen fühlte". Später leidet er immer häufiger unter schweren Depressionen und unternimmt einen Suizidversuch. Er beginnt eine Berufsausbildung, wird aus Überzeugung Krankenpfleger und ist häufig bei humanitären Auslandseinsätzen von Hilfsorganisationen dabei. Dann heiratet er und das Ehepaar bekommt zwei Kinder. "Das war ein Versuch, der Transsexualität zu entkommen", wertet der mittlerweile in Scheidung lebende Krankenpfleger die Eheschließung. Seine Frau war ahnungslos. Erst nach seinem Impulserlebnis im vergangenen Jahr offenbarte er sich auch ihr. Sie verließ mit den Kindern die gemeinsame Wohnung und vermeidet seither jeden Kontakt mit ihm. M. hat auf jegliches Umgangsrecht mit seinen Kindern verzichtet und will unbedingt verhindern, dass diese jemals den tatsächlichen Trennungsgrund erfahren. Allein will er sein neues Leben als Frau beginnen, aber wie? Er ist mittellos, hat den Offenbarungseid geleistet und will künftig nur noch in "Frauenjobs" arbeiten. Er bemüht sich intensiv um Arbeit, erhält bundesweit Einladungen zu Vorstellungsgesprächen, die aber alle erfolglos bleiben.
"Wir haben im vergangenen Jahr viele Bewerbungskosten übernommen", erklärt dazu Hans-Peter Oßwald, Leiter der Arge Sigmaringen, von denen Karl M. Hartz IV-Leistungen erhält. Der Behördenchef erläuterte auf Anfrage des SÜDKURIER den "komplexen Fall". Er bestätigte, dass seine Behörde öfters Vorschusszahlungen geleistet habe und nachdem sämtliche Gespräche erfolglos endeten, entschieden die Arge-Verantwortlichen, dass weitere Bewerbungen und Kostenübernahmen keinen Sinn machten, bevor grundsätzliche Fragen bezüglich der Transsexualität nicht geklärt sind. Dazu gehört, dass M. bei der seiner Krankenkasse wegen einer Geschlechtsumwandlung anfragte, und vom Medizinischen Dienst zwecks gutachterlicher Untersuchung in ein Freiburg Klinikum überwiesen wurde. Dieses Verfahren ist nach Angaben von Oßwald schon relativ weit fortgeschritten. Auch die Arge beantragte ein Gutachten, um festzustellen, ob Karl M. bis zur geplanten Geschlechtsumwandlung dem Arbeitsmarkt überhaupt zur Verfügung steht und wie dessen Leistungsfähigkeit einzustufen ist, da er künftig nur noch in Frauenjobs arbeiten will. "Der Gutachterauftrag wurde von der Amtsärztin der Agentur für Arbeit an einen Spezialisten übertragen, und dieser ist zufällig auch in Freiburg", erläutert Oßwald.
Der Behördenchef will die Gutachterergebnisse abwarten und dann mit M. das weitere Vorgehen besprechen. Solange erhält dieser weiter Hartz IV-Leistungen, obwohl er die Grundvoraussetzung, dass er jederzeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss, nicht erfüllt. Bewerbungen, die der 52-Jährige bis dahin verschickt, wertet die Arge als Eigeninitiative, die lobenswert, in diesem Fall aber wenig erfolgsversprechend ist. Deshalb gibt es keine Kostenübernahme. Den Vorschlag von M, dass ihm die Arge 2500 Euro zum Kauf einer "Frauenausstattung" mit Kleidern, Perücken und Brustersatz als Darlehen gewähren soll, um als Frau einen Job annehmen zu können, lehnt Oßwald ab. Aber er habe den Klienten auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, dass in Kleiderkammern günstig entsprechende Kleidung abgegeben werden.
Transsexualität
Unter Transsexualität, auch Geschlechtsidentitätsstörung oder Transsexualismus, versteht man die Identifikation mit dem entgegengesetzten biologischen Geschlecht. Dabei ist die betroffene Person der Überzeugung, dass ihr körperliches Geschlecht nicht ihrem psychischen Empfinden entspricht. In den meisten Fällen sind es Männer, die sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen und die ihr Geschlecht ändern möchten. In der Regel fällt es ihnen schwer, die eigenen primären Geschlechtsmerkmale wie zum Beispiel Brust, Vagina, Penis oder Hoden zu akzeptieren. Meist ist das Bestreben der Betroffenen schon früh darauf ausgerichtet, das körperlich sichtbare Geschlecht zu verheimlichen. Transsexuelle zeigen darüber hinaus oft Verhaltensweisen, die typisch für das andere Geschlecht sind.
Im falschen Körper
Ramona war Ingenieur, verheiratet, Vater - ein Mann. Aber einer, der sich stets als Frau gefühlt hat. Sie wählte die Frauenrolle: eine Entscheidung, die sie mit sozialem Abstieg und Ausgrenzung bezahlen musste
Ruhrgebiet. Fragen, nichts als Fragen, schwirren durch den Kopf. Wie fühlt sich das wohl an, jahrezehntelang als Mann durchs Leben zu laufen, obwohl Er innen drin immer eine Sie war? Erst im falschen Körper stecken, und dann im richtigen? - Irgendwo oben, draußen vor der Haustür, bewegt sich etwas. Eine Luke - "Momeeent, ich komme gleich" - das Fensterchen fällt sofort wieder zu, nichts mehr zu sehen. Warten. Dann geht die Tür auf. "Hallo, herein", sagt Ramona*. Eine Transsexuelle.
Der Händedruck - ganz schön fest. Sie ist groß, die Ramona, hat die Haare zum Zopf gebunden, sie ist nicht mehr die Jüngste. Aber sie lächelt, kleine Fältchen umspielen Mund und Augen, . . . - wie fühlt sich das wohl an, ständig so begafft zu werden? "Ich hab' es gelernt, Körpersprache genau zu lesen. Ich merke, wer meinen Blicken ausweicht, immer an mir vorbeiguckt." Und sie merke auch, wer ihr auf der Straße nachguckt, auch wenn sie hinten keine Augen im Kopf hat.
Dass Fremde neugierig sind, kann sie verstehen und erklären: "Das Thema elektrisiert, weil es immer auch die eigene Sexualität betrifft, das eigene Partnerbild, die eigene sexuelle Identität." Dennoch komme sie sich manchmal vor wie in einem Zoo - begafft, den "normalen" Menschen vorgeführt.
Das, sowie die permanenten Fragen, ist Ramona leid. Sie will Antworten lieber hören als selbst welche zu geben. Anfangs, da habe sie noch gekämpft, wollte den schweren Brocken aus Vorurteilen und Unwissenheit wegschieben, aber sie hat sich verhoben. "Ich habe resigniert."
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begreift Transsexualität als Krankheit, als eine Form der Geschlechtsidentitätsstörung. Die Bezeichnung Krankheit findet Ramona schrecklich. "Diabetes - das ist eine Krankheit." Sie spricht lieber von einer seelischen Behinderung, von einem "Software-Fehler", einer Fehlprägung. Das klinge zwar auch nicht schön, aber das liege nur an der Einstellung des Gegenübers. Pervers sei sie, ja, in der Bedeutung von abgewandelt, aber der Begriff an sich sei ja besonders schlecht belegt. Und von Transsexualität "betroffen" ist sie auch nicht - betroffen macht sie "nur die Reaktion der Gesellschaft". Oder das Verhalten eines Ex-Freundes, der sie zwar besucht hat - aber immer nur nachts, damit keiner was sieht.
Den typischen Rollenkonflikt Transsexueller, die Entscheidung für eines der zwei Geschlechter zu fällen, beschreibt Ramona als Dilemma. "Das hat sehr viel mit Unglücklichsein zu tun." Vor der Entscheidung für die Frauenrolle sei sie als Mann unglücklich gewesen, und das sei sie nach dem Entschluss - und der ist unumkehrbar - geblieben, weil sie schlimm enttäuscht worden ist; auch von den Menschen, von denen sie gedacht hat, dass sie sie lieben. Und Ramona bringt sogar noch Verständnis dafür auf: Sie hätten Angst gehabt, weil "sie den Ansehensverlust nicht miterleiden wollten".
Vorher, da ist sie Ingenieur gewesen, mit Direktorengehalt, das Haus steht in guter Gegend - heile Welt. Heute hingegen spricht sie vom viel zu hohen Preis, den sie bezahlt habe, spricht vom sozialen Abstieg: "Je höher man steht, desto tiefer fällt man - bis auf das Niveau einer Hure." Für Sozialhilfe sei sie aber noch nicht genug verarmt.
Den Job hat sie verloren, und trotz Antidiskriminierungsgesetz auch wenig Chancen auf einen neuen. Neulich hat sie sich auf eine Sekretärinnenstelle beworben und ist nicht genommen worden. "Sicher, ich bin überqualifiziert, aber daran lag es nicht - sondern an den Unterstellungen, was sonst noch in meinem Leben passieren würde." Für Transsexuelle gebe es nur zwei Berufe, die die Gesellschaft toleriert - "in einer Travestie-Show, oder als Hure".
Über ihren Lebenslauf will sie nicht viele Worte verlieren, er sei nichts Besonderes, zumindest nicht für Transsexuelle. "Als kleiner Junge habe ich es gemerkt, hatte eine schwierige Pubertät, habe geheiratet, bin Vater geworden - und dann habe ich es nicht mehr ausgehalten" - der innere Druck habe den Deckel vom Topf gepustet. Das Outing kam spät, und das, sagt sie, sei charakteristisch. "In der Pubertät geht es ja auch darum, bloß nicht ausgegrenzt zu sein."
Hätte sie noch einmal die Wahl, würde sich Ramona nicht mehr für eine Seite entscheiden, sondern als transvestitischer Transsexueller leben, der je nach Situation in die verschiedenen Rollen schlüpfen kann. "Auch wenn transsexuellen Transvestiten oft vorgeworfen wird, letztlich inkonsequent zu sein - ich empfehle das jedem, der etwas zu verlieren hat. Ich stelle mir das schön vor, es nicht so kompliziert zu haben." Durch die schlechten Erfahrungen habe sie heute Gewissheit: "Ich kann keine Frau sein, sondern nur ein Mann, der sich wie eine Frau fühlt."
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