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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Die Entwicklung der
Transsexologie
1953 wird der Begriff der Transsexualität von Benjamin in
die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. In diesem Aufsatz unterscheidet
Benjamin Transvestiten und Transsexuelle dadurch, dass Transsexualität von ihm
als höchster Grad des Transvestitismus aufgefasst wird: Der Wunsch nach den
Kleidern des anderen Geschlechts könne so stark werden, dass eine vollständige
Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht erstrebt werde. 1964 behält sich Benjamin
dann allerdings vor, umgekehrt den Transvestitismus als mildeste Form der
Transsexualität aufzufassen oder eventuell beides zu trennen. Mitte der 60er
Jahre etablierte sich der Begriff ›transsexuell‹ für die Vorstellung rein
subjektiven Geschlechtsempfindens, wogegen der Transvestitismus im engeren
Sinne als eine gelegentliche Praxis des Kleidertauschs aufgefasst und als
fetischistisches Sexualverhalten begriffen wird. Auch diese Vorstellung ist
nicht unwidersprochen geblieben. So heißt es beispielsweise in der Hamburger
Szene-Zeitschrift »Die Freundin«: »Für mich sind Transvestiten nicht Männer,
die manchmal Frauenklamotten tragen, sondern Männer, die manchmal Frauen sind«
(1983, Nr. 1)
Die Etablierung des Konzeptes der Transsexualität wäre nicht
vorstellbar ohne die Entwicklungen der pharmakologischen und chirurgischen
Sexualtherapie. So wurde den männlichen Homosexuellen sowohl homolog mit dem
Ziel einer Vermännlichung als auch heterolog mit dem Ziel einer triebdämpfenden
Entmännlichung behandelt (vgl. Springer, 1981). Der gleiche Expertenkonflikt
existierte auch in bezug auf die Behandlung der Transvestien. Benjamins
Patienten der 20er Jahre waren oft mit homologen Hormonen behandelt worden,
bevor er die Medikation im Sinne eines biologischen ›Tranquilizers‹ umstellte.
Dies geschah nicht um eine Operation vorzubereiten, sondern um den Wunsch nach
Kleidertausch und Operation zu dämpfen (King 1986, S. 73). Die Behandlung,
durch die die Transsexualität zur eigenständigen Kategorie wurde, ist die
Genitaloperation. Die neuzeitlichen chirurgischen Bemühungen hatten im
Gegensatz zu chirurgischen Manipulationen in anderen Kulturen einen
›therapeutischen‹ Sinn und begrenzte Anwendungsgebiete. Slotopolsky zählt 1925
die Anwendungsgebiete verschiedener sexualchirurgischer Operationen an Männern
auf: Die Kastration bei Hypersexualismus (bes. bei schwerem Onanis-mus),
Perversionen und – als eugenische Maßnahme – bei Geisteskranken und
(Sexual-)Verbrechern, vor allem bei Exhibitionisten; die Steinachoperation zur
Sterilisation, Steigerung und Herabsetzung der Libido und zur Verjüngung; die
Keimdrüsentransplantation zur Verjüngung, Steigerung der Libido bzw. Dämpfung
bei Homosexuellen und für Transvestiten; und schließlich »verstümmelnde und
plastische Eingriffe verschiedener Art bei hermaphroditischen Zuständen und bei
›Geschlechtsumwandlungstrieb‹ (Transvestitismus)« (Slotopolsky 1925, S. 105).
Durch die endokrinologische und chirurgische Praxis seit
Beginn des 20. Jh. hatte es einen entscheidenden Wandel im Bereich der
Geschlechtsbestimmung gegeben. Ulrichs Satz von der weiblichen Seele, die im
männlichen Körper gefangen sei, wurde nun wörtlich genommen. Das Verhalten
wurde nun nicht mehr als ›falsch‹ bezüglich des Körpers angesehen, sondern der
Körper wurde als ›falsch‹ bezüglich der psychischen Sexualität erklärt. Mit dem
Scheitern der psychotherapeutischen Behandlungsbemühungen wandte man sich von
dem Versuch fort, die Seele dem Körper anzupassen, hin zur Angleichung des
Körpers an die Seele.
Den großen öffentlichen Durchbruch fand das Konzept der
Transsexualität mit der Behandlung des New Yorker Studenten George (Christine)
Jorgensen. Eicher berichtet 1984: »die chirurgische Kastration… (erfolgte) im
September 1951. Ein Jahr später amputierte der Chirurg Dahl-Iversen den Penis,
Fogh-Anderson formte die Vulva aus Skrotum und ersetzte die Urethra. Im Jahr
1954 wurde in Jew Jersey eine Neovagina konstruiert« (Eicher 1984, S. 8). Als
Reaktion auf die internationale Publikation des Falles, der eine sensationelle
Aufmerksamkeit in der Weltpresse erreichte, erhielt Hamburger insgesamt 465
Briefe von anderen Menschen, die die Durchführung einer solchen Operation
erbaten. Aufgrund dieses Ansturms wurde in Dänemark staatlich verfügt, dass nur
dänische Staatsangehörige einer solchen Behandlung in Dänemark unterzogen
werden dürften. Daher überwies Hamburger die Verfasser der Briefe an seinen
Kollegen Benjamin in New York, der in den Vereinigten Staaten für eine
Etablierung des Konzeptes der Transsexualität sorgte.
»Sorgte diese Überweisungspraxis für Kontakte zwischen
Operationsnachfragern und Therapeuten, so begann die Erikson Educational
Foundation Informationskreise (…) und führte 1964 erstmals Behandler von
Transsexuellen zur ›Harry Benjamin Foundation‹ zusammen. Bis in die 80er Jahre
folgten neun weitere internationale Symposien. Die schriftliche Kommunikation
zwischen Ärzten in Form von Aufsätzen verdreifachte sich in den Jahren zwischen
1965 und 1980« (Hirschauer 1992, S. 80).
Die endgültige Anerkennung des Konzeptes der Transsexualität
als eigenständiger wissenschaftlicher Fachbereich erfolgte 1990 mit der
Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Transsexologie an der Freien Universität
Amsterdam, der mit dem international bekannten Endokrinologen Prof. Gooren
besetzt wurde.
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