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Roxana fällt auf !!
Geschlechtsumwandlungen sind in Iran erlaubt, während auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Das Leben eines Transsexuellen ist in der islamischen Republik trotzdem nicht leicht
Überarbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012
"Kommt her!" ruft Roxana einem Touristenpärchen
aus Deutschland hinterher, das an einem kleinen Kebab-Laden im Zentrum von
Teheran vorbeischlendert. Die 25-jährige winkt das Paar mit einer Puderquaste
in der Hand zu sich heran. Roxana fällt auf wie ein Paradiesvogel unter Raben.
Ihr Gesicht ist geschminkt wie das einer japanischen Geisha. Einen
bonbonfarbenem Kussmund und grelle Rotkäppchen Wangen hat sie sich gemalt. In
ihrem Pony glitzert silbernes Haarspray.
Roxana tritt aus dem Laden heraus in die gleißende Sonne.
Dreht sich vor den Touristen wie eine Eisprinzessin. Ihr Glockenrock mit bunten
Troddeln am Saum schwingt um ihren Körper. "Ihr seid die ersten Menschen,
die sich für mich interessieren", sagt sie, klimpert mit den fliegenbeinlangen
Wimpern und nimmt die Hand der Ausländerin, als suche sie eine Verbündete.
Roxana ist ein Sheboy, ein Mädchenjunge. In einem Land, in
dem sich Frauen verschleiern müssen und laut Verfassung halb so viel Wert sind
wie ein Mann, hat sie sich um operieren lassen. Vom Mann zur Frau.
Jährlich wechseln ungefähr 450 Iraner das Geschlecht. Nur in
Thailand sind diese Zahlen höher. Roxana hieß früher Arash. Nun steht Roxana in
ihrem Ausweis. Ein altpersisches Wort für Morgenröte. Roxana mag ihren Namen.
Er klingt nach Neuanfang und Aufbruch, sagt sie und ihre Stimme überschlägt
sich vor Aufregung.
Roxana und die Touristen betreten den Schnellimbiss. Vier
Männer, die bereits bestellt haben, bilden eine Traube um Roxana und die
Touristen. Zwei schwarz verschleierte Frauen tuscheln. Roxana zupft ihr
Kopftuch mit pink lackierten Fingernägeln zu Recht und lacht, als ein Teenager
in Jeans ein Handyfoto macht. Roxana liebt es, im Mittelpunkt zu stehen.
Meistens jedoch meiden sie die Menschen. Ein Mann drängt sich mit seinen
Einkäufen an ihr vorbei, rempelt sie versehentlich an. "Ich hätte Angst,
mich mit einem Sheboy zu unterhalten", sagt der Mann leise.
Roxanas Freund Said ist ebenfalls in dem Imbiss. Er
beobachtet das Geschehen von seinem Platz am Fenster aus. Der 59-jährige Anwalt
wirkt mit weit aufgeknöpftem Hemd, Nadelsteifenanzug und übergroßer
Gucci-Sonnenbrille in der Elvis-Tolle exzentrisch. Als er hört, dass der Fremde
Angst vor Roxana hat, seufzt er: "Typisch. Viele befürchteten, dass sie
sich nur verkleidet. Dass sie biologisch ein Mann ist, keine Frau. Dann wäre
sie ein Transvestit, vielleicht schwul", sagt er.
Homosexualität ist in Iran verboten und wird mit dem Tode
bestraft. Transsexualität ist hingegen legal, eine Krankenkassenleistung. Diese
verblüffende Tatsache ist Fereydoo Molkara, zu verdanken, einem inzwischen
59-jährigem Fernsehtechniker und Krankenpfleger aus Teheran, der von sich
selbst sagt, er habe von klein auf gewusst, dass er im falschen Körper stecke.
Eine Operation war in Iran der 1980er Jahre unmöglich.
Damals ging der Staat mit Transsexuellen noch genauso um wie
heute mit Schwulen: Er ließ sie foltern und hinrichten. Fereydoo Molkara war
verzweifelt. Tief gläubig und voller Angst, was aus ihm werden solle, schrieb
er Ende der siebziger Jahre einen Brief an Revolutionsführer Chomeini. Als er
die Einladung des Geistlichen aus seinem Briefkasten fischte, konnte er es kaum
fassen: Er durfte bei der höchsten Instanz des Landes vorsprechen.
Er stellte dem bärtigen Gelehrten eine einzige Frage:
"Was spricht aus Sicht des Koran gegen Transsexuelle?" Ajatollah
Chomeini blätterte in der heiligen Schrift. Er durchforstete 114 Suren nach
einer Antwort. Er fand keine. Im Gegenteil: Die Veränderung göttlicher Ordnung
gehört zum Alltag der Menschen, lautete seine Erkenntnis.
"Wir wandeln Weizen zu Mehl und backen Brot. Der Baum
wird gefällt, zu Holz und Stuhl oder Tisch verarbeitet", erklärt ein
anderer Regimevertreter die Toleranz des Gottesstaates gegenüber
Transsexualität. Chomeini, der Mann, der niemals zu lächeln schien, war weich
geworden angesichts des Schicksals von Fereydoo Molkara. Er erließ eine Fatwa,
einen Rechtsspruch, der es den Iranern erlaubt, ihr Geschlecht zu wechseln.
Fereydoo heißt nun Maryam Khatoon Molkara. Die Dame mit vollen
Gesichtszügen und knallroten Lippen ist Vorsitzende einer iranischen
Organisation für Transsexuelle.
Im Wartezimmer des Mirdamad Surgical Centers in Teheran
sitzen täglich Transsexuelle, die zu Dr. Bahram Mir-Dschalali wollen, einem
Spezialisten für Geschlechtsumwandlungen. Darunter viele Homosexuelle, die in
einer Operation den einzigen Weg in ein legales Leben sehen. Roxana war 22
Jahre alt, als sie ohne die Zustimmung ihrer Eltern zu Dr. Dschalali ging. Ihr
Freund Said begleitete sie. Er war froh, dass Roxana sich zu einer Operation
entschieden hatte, sagt er. Das Leben im Verborgenen hatte durch den Eingriff
ein Ende.
Damals war Roxana ein grell geschminkter Mann mit der Seele
einer Frau und hieß Arash. Said musste Arash oft aus dem Gefängnis boxen. Immer
wieder war der Transvestit von den Sittenwächtern verhaftet und demütigenden
Untersuchungen ausgesetzt worden. Man vermutete, dass er schwul ist, sagt Said.
Said steckte den Polizisten ein paar iranische Rial zu, versicherte, dass Arash
sich nun nicht mehr verkleiden würde. Meistens bekam er ihn gegen eine
Geldstrafe frei.
Roxana ist nun auch körperlich eine Frau. Doch sie ist nicht
in der Gesellschaft angekommen. Sie fühle sich als Außenseiterin, sagt Roxana
und blickt mit Kinderaugen zu Boden. In ihrem kleinen Plastik-Kulturbeutel
fliegen Cremetöpfe und Tiegel durcheinander, Wimperntusche und Kajal. Mehrmals
am Tag schminkt sie sich neu. Ihr Bedürfnis aufzufallen und sich gleichzeitig
unter einer dicken Schicht Make-Up zu verstecken ist riesengroß.
Das beschert ihr oft Ärger. "Als Frau kann zu viel
Schminke ein Grund sein, ins Gefängnis zu wandern", sagt Said und deutet
auf eine Kundin im Laden. "Diese Frau macht es richtig: wenig Lippenstift,
wenig Lidschatten, das Haar komplett bedeckt", sagt er.
Roxana hat keinen Job. Mit ihrem auffallenden Äußeren werde
sie auch in Zukunft keinen finden, sagt Said. Roxana nickt. Für einen Moment
überschattet Traurigkeit ihr Gesicht. Vor dem iranischen Gesetz mag alles in
Ordnung mit ihr sein. In den Augen der Menschen, wird sie nie die Anerkennung
finden, die sie sich erträumt hat. Aber Roxana hat sich daran gewöhnt, ihre
Stimmung zu überspielen. Sie lacht, wirft sich wieder in Pose und lässt sich
fotografieren.
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