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Transsexuelle in Thailand
Bei Rotlicht betrachtet
Überarbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012
Bei
schwachem Licht werden den Männern in Bangkok neben kopierten DVDs und unechten
Lacoste-Hemden auch falsche Frauenkörper angeboten. Im buddhistischen Thailand
sind Transsexuelle - die „Ladyboys“ – akzeptiert
Nachts sind sie noch schwerer zu erkennen, das hilft
manchmal. Viv und vier andere sitzen an der breiten Sukhumvit Road in Bangkok,
gegenüber einer Skyline teurer Hotels. Es ist weit nach Mitternacht. Viv trägt
einen kurzen goldenen Rock über den schlanken Schenkeln, hochhackige Schuhe und
ein weißes Trägerhemd, durch das der Büstenhalter schimmert. Die dunklen Haare
sind zum Bob geschnitten, die lackierten Fingernägel klopfen an eine Flasche
Cola. In einer Freiluftbar warten Viv und die anderen auf männliche Touristen,
die der schmale Gang zwischen den Verkaufsständen vor ihnen ausspuckt. Bei
schwachem Licht werden den Männern nach kopierten DVDs und unechten
Lacoste-Hemden nun falsche Frauenkörper angeboten.
Viv, die als Jai auf die Welt kam, ist transsexuell, eine
Frau in einem Männerkörper, wie Viv sagt. In Thailand heißen Transsexuelle
Katoeys, die Touristen nennen sie Ladyboys. Wie viele Katoeys es in Thailand
gibt, ist nicht bekannt, und ihren Anteil an der Bevölkerung zu schätzen
scheint unmöglich - zum einen, da viele von ihnen ein Doppelleben führen und
tagsüber kein Zeichen von Weiblichkeit offenbaren; zum anderen, da manche
Katoeys so überzeugend als Frauen auftreten, dass kein Außenstehender ihr
biologisches Geschlecht je anzweifeln würde. Allein die erkennbaren Katoeys sind
jedoch schon so zahlreich, dass sie in Orten wie Bangkok, Pattaya oder Phuket
genauso zum Stadtbild gehören wie die mobilen Garküchen, die scheppernden
Tuk-Tuks und die blinkenden Werbeschilder.
Meist sind sie zu finden, wo Touristen ihr Geld lassen, in Rotlichtvierteln
oder in Cabaret-Shows. Aber man sieht sie auch im Park mit der Familie oder in
buddhistischen Tempeln beim Meditieren. Sie sitzen in Supermärkten an den
Kassen, stehen in Restaurants am Herd oder am Fließband in Fabriken. Sie
verdienen ihr Geld in Designerläden oder in Friseursalons. Sie putzen Wohnungen
oder pflegen Kranke. Sie sind überall, wo das patriarchalische Thailand Platz
für Frauen hat.
Dass Transsexuelle ausgerechnet in eine Gesellschaft
integriert scheinen, die derart gläubig und konservativ ist wie die
thailändische, mag verwundern. Tatsächlich aber seien Katoeys nicht trotz der
allgegenwärtigen Religiosität akzeptiert, sondern gerade deswegen, schreibt der
Soziologe Richard Totman in seinem Buch "The third sex". Bereits in
den ersten buddhistischen Niederschriften würden nicht zwei, sondern vier
Geschlechter genannt: Männer, Frauen, Hermaphroditen und Katoeys - biologische
Männer, die sich seit ihrer Kindheit als Frauen fühlen.
Glaubt man Totmans Interpretation der Schriften, ist die
Geburt im falschen Körper die Strafe für die in früheren Leben angehäuften
moralischen Verfehlungen. Da jeder Buddhist mindestens eines seiner unzähligen
Leben selbst als Katoey verbracht hat und davor auch in Zukunft nicht gefeit
ist, solle die Gesellschaft den leidgeprüften Katoeys mit Empathie und
Verständnis begegnen, heißt es in den Schriften.
So sorgt das dritte Geschlecht für Verwunderung bei den
Besuchern Siams. Seit Jahrhunderten werden in Reisetagebüchern männliche
Kindererzieher oder androgyne Tänzer in Frauenkostümen als thailändisches
Phänomen beschrieben. Der Schriftsteller W. A. R. Wood, der im 19. Jahrhundert
in Thailand weilte, wundert sich auch über den Umstand, dass im
fortschrittlichen England Transvestiten von Mobs durch die Straßen getrieben
werden, während sich hier - zu Recht, wie er schreibt - niemand über die
integeren Katoeys aufrege.
Heute sind Katoeys präsenter denn je: Die schönsten
Transsexuellen werden bei eigens veranstalteten Wahlen zur "Miss
Tiffany" von 15 Millionen thailändischen Fernsehzuschauern bewundert; in
Filmen wie "Beautiful Boxer", der das Leben des geschminkten
Thai-Box-Helden Nong Tum zeigt, wird das dritte Geschlecht gefeiert und
verklärt; die "Iron Ladys", eine aus Katoeys formierte
Volleyball-Mannschaft, die 1996 die thailändische Meisterschaft gewann, haben
längst Kultstatus. Das glitzernde Bild, das diese Katoey-Elite vermittelt, mag
Transsexuelle in Thailand gesellschaftsfähiger denn je machen. Aber so sehr es
oben glänzt, so düster ist es unten.
In der Sukhumvit Road setzt sich eine Gruppe junger
Backpackerinnen in die Freiluftbar. "Die Blonde würde mir gefallen",
sagt Viv, "wenn ich ein Mann wäre." Als Viv zwölf Jahre alt und noch
der Junge Jai war, erkannte dieser, dass er sich als Mädchen fühlte. Er wollte
nicht mehr mit dem Vater Fußball spielen und benutzte stattdessen das Make-up
seiner eingeweihten Mutter. Manche Jungs in der Schule in Phuket nannten ihn
"Monster", andere verliebten sich in ihn. Von einer Gruppe älterer
Katoeys wurde Jai mit Ratschlägen und Hormontabletten versorgt. Die
fürchterlichen Kopfschmerzen waren die einzigen Nebenwirkungen der Hormone, die
Jai unmittelbar spürte. Von Thrombosen und Knochenschwund, von dem
Brustkrebsrisiko, das mit jeder Tablette stieg, wusste er nichts. Es hätte
ohnehin nichts geändert. Jai wollte einen Busen, wie ihn die anderen Mädchen in
seiner Klasse auch hatten.
Vor fünf Jahren, als Jai zwanzig war, haben seine Eltern ihn
in die Hauptstadt geschickt, um Geld für die Familie zu verdienen. Er begann
dort als DJ bei einem Radiosender. Als er jedoch das erste Mal in
Frauenkleidern zur Arbeit erschien, wurde er entlassen. Wie die meisten
Thailänder habe sein Chef nichts gegen Katoeys, sagt er, "solange er nur
nichts mit ihnen zu tun haben muss". Auch sein Vater gehörte zu diesen
Thailändern.
Als Jai sich schon längst Viv nannte, schickte sie
regelmäßig Geld nach Hause, und der Vater fragte nie, woher das Geld stammte.
Er starb vor zwei Jahren, ohne sein Kind ein einziges Mal so zu sehen, wie es
sich selbst sieht.
Vivs Vorbild ist Vivian Ward, die Figur, die Julia Roberts
in "Pretty Woman" gespielt hat - deshalb hat sich Jai auch in Viv
umbenannt. Vivian Ward kommt in dem Hollywood-Liebesfilm mit einem reichen Mann
zusammen, der sie aus dem Milieu holt.
Bis zu drei Freier hat Viv heute pro Nacht. An ihnen
verdient sie ein Vielfaches des Geldes, das Jai nach seinem Rausschmiss beim
Radio als Kosmetiker und als Stylist bekam. Aber wenn Viv mit ihren Kunden in
deren Hotelzimmer geht, muss sie ihren Ausweis an der Rezeption kopieren
lassen. Zu oft haben in letzter Zeit Hotelangestellte Gäste, die einen Ladyboy
mit auf ihr Zimmer genommen hatten, am nächsten Morgen betäubt und ausgeraubt
im Bett vorgefunden. Und mit jeder Nachricht über kriminelle, drogensüchtige
und HIV-infizierte Katoeys wächst die Zahl derer, die auch in Viv wieder das
Monster sehen.
Die meisten ihrer Freier, sagt Viv, wüssten natürlich um ihr
biologisches Geschlecht. Die anderen, die Ahnungslosen, sind heikler. Sie
werden sich später im Bett vielleicht von Vivs nacktem Körper ebenso abgestoßen
fühlen wie sie selbst. Viv wird ihren Lohn dennoch einfordern, damit ihr
ungeliebter Körper endlich die eigene Transformation verdienen kann. Viv spart
für die große Operation. "The cutting", wie sie sagt.
Dr. Saran und macht aus Männern Frauen
Eine halbe Autostunde von der Sukhumvit Road entfernt liegt
das Piyavate Hospital. In der kühlen Lobby des Privatkrankenhauses hängen
Flachbildschirme, um die Patienten kümmert sich die
"Kundenbetreuung". In der Mitte der Lobby verteilen gläserne Aufzüge
die Besucher auf 27 Stockwerke.
Dr. Saran kommt etwas verspätet. Der Verkehr in Bangkok sei
furchtbar, sagt er, außerdem habe die Tagung, auf der er zu sprechen hatte,
länger gedauert als gedacht. Es war kein Medizinerkongress, sondern eine
Konferenz über Tourismus. Jedes Jahr fliegt mehr als eine Million Medizintouristen
nach Thailand, die das dortige Preis-Leistungs-Verhältnis genauso zu schätzen
weiß wie die anderen Urlauber - "Sun, Sand and Surgery" ist in Asien
zu einem Milliardengeschäft geworden. Dr. Sarans Patienten etwa kommen aus
Japan, Nordamerika oder Europa. In Thailand haben sie etwa ein Viertel der
Kosten, die in ihren Heimatländern anfallen würden. Dabei, sagt Dr. Saran, sei
er noch einer der teuersten Ärzte in Bangkok.
Der Doktor ist 45 Jahre alt und hat 2000
Geschlechtsumwandlungen hinter sich. Wie viele transsexuelle Thailänder es
gibt, weiß auch er nicht. Er wisse nur, sagt er, dass es prozentual nicht mehr
sind als in anderen Ländern. "Die Frage ist also nicht, weshalb in
Thailand so viele ein offenes Leben führen", sagt er, "sondern in
anderen Teilen der Welt so wenige."
Er blickt dem nach oben fahrenden Aufzug nach. In einer
Etage werden kaputte Knie gegen neue eingetauscht, in einer anderen
arthritische Patienten behandelt oder löchrige Herzen zusammengeflickt.
Dazwischen operiert auch morgen wieder Dr. Saran und macht aus Männern Frauen.
"Ich bin nicht Gott", sagt er, "ich rette Leben, wie andere
Ärzte auch." Die meisten seiner Patienten sind depressiv, wenn sie zu ihm
kommen. Viele seiner thailändischen Patienten haben versucht, sich das Leben zu
nehmen, um als Frau wiedergeboren zu werden.
Silikonbrüste und Poimplantate
Die Expresswiedergeburt im Piyavate dauert drei Stunden und
kostet 5700 Euro. Um von Dr. Saran von ihrem Leben erlöst zu werden, müssen die
Patienten über 18 Jahre alt sein, seit mindestens einem Jahr Hormone genommen
und unter weiblicher Identität gelebt haben sowie von einem Psychologen
untersucht worden sein. Dr. Saran kastriert die Patienten und formt aus Nerven,
Gewebe und Blutgefäßen die bestellten Vaginas. Für Silikonbrüste und
Poimplantate, für Nasenverkleinerung und Kinnreduktion, für Haarentfernung und
das Abraspeln des Adamsapfels müssen die Patienten extra zahlen. Wenn sie nach
der Operation ihren Unterleib im Spiegel betrachten, sehen manche zum ersten
Mal in ihrem Leben eine Vagina. Dann muss ihnen Dr. Saran, bevor er sie
entlässt, sein Werk erklären.
Die Prostituierten von der Welten entfernten Sukhumvit Road
werden es wahrscheinlich niemals in die teure Piyavate-Klinik schaffen. Viv
nimmt einen letzten Schluck aus ihrer Cola-Flasche, die am oberen Rand vom
Lippenstift rot eingefärbt ist, und steht auf. Mit einem Bein wippt sie im Takt
eines Technoliedes, das aus einem nahen Club dröhnt. Die Verkaufsstände sind
eingeklappt, die Lichter in den Hotelzimmern gegenüber längst gelöscht. Es ist
mittlerweile früh am Morgen, und Viv hatte noch keinen Freier. Sie sollte
vielleicht ihren Standort wechseln, sagt sie, um diese Zeit treibe es die
schlaflosen Touristen, die ihren Jetlag nicht überwunden hätten, noch einmal
ins Rotlichtviertel.
Auch sie habe übrigens einen reichen Freund, sagt Viv. Es
ist ein verheirateter Arzt aus Deutschland, der sie so oft wie möglich in
Bangkok besucht. Er könnte die Geschlechtsumwandlung locker bezahlen. Aber er
teilt den Traum seiner Freundin nicht. "Er liebt den falschen
Körper", sagt Viv noch, bevor sie in der Dunkelheit einer Seitengasse
verschwindet und nur noch das Klacken ihrer Stöckelschuhe zu hören ist. Ihr
Freund liebt den Katoey Viv und würde ihm niemals die Frau vorziehen, die
einmal ein Junge namens Jai war.
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