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Niederlande:
Transgender-Gesetz verletzt Menschenrechte
Das niederländische Zivilrecht verletzt die Menschenrechte
von Transgender und muss unverzüglich geändert werden, so Human Rights Watch in
einem heute veröffentlichten Bericht. Die Regierung soll Artikel 28 des
entsprechenden Gesetzbuches revidieren. Er zwingt Transgender, die ihr
Geschlecht auf offiziellen Dokumenten anerkennen lassen möchten, Hormone
einzunehmen und Operationen durchführen zu lassen, die den Körper verändern und
die zu einer dauerhaften und irreversiblen Sterilisation führen.
Der 85-seitige Bericht „Controlling Bodies, Denying
Identites: Human Rights Violations Against Trans People in the Netherlands“
dokumentiert die Folgen des im Jahr 1985 verabschiedeten Gesetzes für das Leben
von Transgender. Die in ihm verbrieften Voraussetzungen für die Änderung der
offiziellen Geschlechtsangabe verletzen die persönliche Autonomie und das Recht
auf körperliche Unversehrtheit. Sie sprechen Transgender die Fähigkeit ab, ihre
Geschlechtszugehörigkeit selbst zu bestimmen. Eine menschenrechtskonforme
Änderung des Gesetzes ist notwendig, die medizinische und rechtliche Fragen
voneinander trennt. Medizinische Eingriffe dürfen nicht Voraussetzung für die
rechtliche Anerkennung einer bestimmten Geschlechtsidentität sein.
„Das niederländische Recht ist verantwortlich für das Leid
von Transgender, die den erforderlichen Eingriff nicht vornehmen lassen“, so
Boris Dittrich, Advocacy-Direktor des Human Rights Watch-Programms für
lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Menschen (LGBT). „Ihre Papiere passen
nicht zu der Geschlechtsidentität, die sie empfinden. Dadurch erleben sie
regelmäßig öffentliche Demütigung und Diskriminierung. Sie finden nur schwer
Arbeit und haben Probleme, ihre Stellen zu behalten.“
Für den Bericht hat Human Rights Watch 28 Transgender
befragt und Stellungnahmen von Medizinern, Rechtsexperten,
Regierungsangehörigen, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und
Wissenschaftlern eingeholt. Ein Transgender kommentiert das Gesetz: „Menschen
pendeln viel länger als nötig zwischen zwei Welten. So werden Personen, die
ohnehin sehr verletzlich sind, grundlos traumatisiert.“ Eine andere Person
fasst die Einwände gegen Artikel 28 so zusammen: „Der Staat soll die Finger von
unserer Unterwäsche lassen.“
Im Jahr 1985 gehörten die Niederlande zu den ersten
europäischen Staaten, die Transgender ermöglichten, ihr Geschlecht offiziell zu
ändern. Aber mehr als ein Vierteljahrhundert später gehört das Land nicht mehr
zu den führenden Ländern. Das ehemals progressive Gesetz hat den Anschluss an
aktuelle Best-Practice-Beispiele verloren und widerspricht internationalen
Menschenrechtsnormen, denen die Niederlande verpflichtet sind.
Einige europäische Staaten, etwa Portugal, Großbritannien
und Spanien, haben die Pflicht zu Operationen und Hormonbehandlungen bereits
abgeschafft. In den Niederlanden müssen Transgender immer noch schwerwiegende
Eingriffe mit langen Genesungszeiten über sich ergehen lassen, um ihr
Geschlecht offiziell ändern zu können. Das Recht von Transgender auf persönliche
Autonomie und körperliche Unversehrtheit ist in der niederländischen Verfassung
verbrieft und wird durch Gesetzesvorschriften eingeschränkt. Darüber hinaus
schützen zahlreiche internationale Menschenrechtsabkommen, die die Niederlande
ratifiziert haben, die Menschenrechte von Transgender, etwa der Internationale
Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die Europäische
Menschenrechtskonvention.
„Es dauert Jahre, bis Menschen die Anforderungen aus Artikel
28 erfüllen“, sagt Dittrich. „In der Zwischenzeit müssen sie mit
Ausweispapieren leben, die einen grundlegenden Aspekt ihrer Persönlichkeit
leugnen. Wer sich keiner Operation unterziehen will, kann seine Dokumente nicht
ändern lassen – und lebt für immer mit dieser Belastung.“
Für viele Transgender spielt eine große Rolle, ihre
Arbeitsplätze zu behalten oder eine neue Anstellung zu finden.
„Wenn ich neue Papiere hätte, würde es in meinen
Vorstellungsgesprächen nicht mehr darum gehen, dass ich Transgender bin“, sagt
eine Frau. Ein Mann beschreibt, dass er im Wartezimmer eines Krankenhauses
ignoriert wurde, weil die Krankenschwester ausschließlich nach einer „Frau K.“
suchte, deren Unterlagen ihr vorlagen. Die Yogyakarta-Prinzipien über die
Anwendung internationaler Menschenrechtsnormen auf sexuelle Orientierung und
Geschlechtsidentität liefern eine Grundlage für die Änderung des strittigen
Paragraphs. Sie ermutigen Regierungen zu Maßnahmen, die allen Menschen
ermöglichen, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen. Die niederländische
Regierung befürwortet diesen Grundsatz. Im Mai 2008 sicherte der Außenminister
Maxime Verhaben in einer Stellungnahme gegenüber den Vereinten Nationen (UN)
zu, dass die Niederlande sich auf die rechtlich unverbindlichen
Yogyakarta-Prinzipien verpflichten. Er rief andere UN-Mitgliedsstaaten dazu
auf, diesem Beispiel zu folgen und die Prinzipien ebenfalls zu übernehmen.
Die niederländische Regierung muss das Recht von Transgender
wahren, einen Vornamen zu wählen, der ihrer Geschlechtsidentität entspricht.
Dieses Recht muss unabhängig von der offiziellen Geschlechtsangabe gewährt
werden. Unter den gegenwärtigen Bestimmungen haben einige Richter Transgender
untersagt, ihren gewählten Namen zu benutzen, weil dieser ihrer offiziell
anerkannten Geschlechtszugehörigkeit „nicht angemessen“ sei. Die neuen
Rechtsvorschriften müssen auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es im
besten Interesse von transsexuellen Kindern sein kann, ihre offizielle
Geschlechtszugehörigkeit zu ändern, bevor sie volljährig werden. Es soll dafür
kein Mindestalter geben. Stattdessen soll die individuelle Situation jedes
Kindes berücksichtigt werden, um zu entscheiden, ob es in ihrem besten
Interesse ist, Geschlechtsangaben zu ändern.
„Auch minderjährige Kinder müssen ihre Meinung darüber
äußern dürfen, ob die Änderung ihrer Geschlechtsangabe erforderlich ist. Je
älter ein Kind wird, desto größeres Gewicht hat seine Meinung“, so Dittrich.
Mehrere Male seit 2009 haben die frühere und die aktuelle niederländische
Regierung bei unterschiedlichen Gelegenheiten zugesagt, Artikel 28 zu ändern.
Im März 2011 hieß es aus dem Justizministerium, dass noch vor der Sommerpause
ein Gesetzesentwurf eingebracht werde, der die Anforderung der Unfruchtbarkeit
für die offizielle Anerkennung der Geschlechtsidentität von Transgender
abschafft. Bislang wurde keine entsprechende Vorlage gemacht.
„Transgender haben es satt, mit leeren Versprechungen
vertröstet zu werden“, so Dittrich. „Sie fordern sofortige Veränderung. Es wird
viel Zeit vergehen, bevor ein neues Gesetz in Kraft tritt. Bis dahin müssen
Transgender täglich mit Demütigung, Diskriminierung und Frustration leben.“
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