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Rothenbächer 2012
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Transsexualität‘ in
einer Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit
Eine generelle Psychiatrisierung des transsexuellen
Begehrens ist Ausdruck der Pathologisierung einer Lebensform, die als
Infragestellung der Normen der Zweigeschlechtlichkeit und der schicksalhaften
unabänderlichen Anatomie verstanden
wird.
Psychiatrisiert wird jedes Individuum, das diesen Wunsch
äußert unabhängig davon, ob überhaupt eine manifeste psychische Störung zu
diagnostizieren ist. In der Sexualpathologie des 19. Jahrhunderts wurde der
Wunsch als Geschlechtsverwandlungswahn, im 20. Jahrhundert als Paranoia bzw.
Schizophrenie, als konstitutionelle Psychopathie, Borderline-Syndrom oder
Symptom einer Psychoseabwehr pathologisiert.
Die ‚Identitätslust‘, die insbesondere im psychoanalytischen
Diskurs auf Homosexualität zurückgeführt wurde, wurde psychiatrisiert, die
‚perversen Subjekte‘ sollten psychotherapeutisch normalisiert und diszipliniert
werden.
Doch auch das somatische Behandlungsprogramm, der
medizinische Geschlechtswechsel kann als Strategie im Sexualitätsdispositiv
charakterisiert werden. Denn nicht nur die zur Legitimation von
Geschlechtsumwandlungen entworfenen Ätiologiehypothesen, sondern auch die
Wünsche und deren Erfüllung bestätigen die
Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit.
Die‚ transsexuelle Identität‘ ist eine transitorische
Identität, die sich nach der erfolgten medizinischen Behandlung auflöst. Ohne
Medizin gebe es keine Transsexuellen,
die dann dank der Medizin wieder verschwinden. Die Medizin hat die Behandlung
Transsexueller ermöglicht, aber auch diszipliniert.
Mark Barry Sulcov sah bereits 1973 Transsexualität als ein
an das medizinische Behandlungsprogramm gebundenes Phänomen an. Dass seine
Dissertation, die sich dem Phänomen Transsexualität mit einem interaktionistischen
Ansatz näherte, kaum rezipiert wurde, lag vielleicht daran, dass Sulcov mit
diesem Ansatz den Prozess der Etablierung der Krankheit störte.
Sulcov hatte 1970 ein Stipendium
der Harry Benjamin Foundation zur Erforschung der Transsexualität erhalten.
Seine Interviews von
Transsexuellen ermittelten Ergebnisse,
die nicht mit dem medizinischen Zwangskonzept der Transsexualität vereinbar
waren. Dass er seine Studie ausgerechnet in der New Yorker Praxis von Harry
Benjamin und Charles Ihlenfeld durchgeführt hatte, machte seine Ergebnisse
besonders brisant.
„Transexualism is
an emergent product of the interaction between the medical profession and the
patient desiring to change his sexual status.”
Die Behauptung der Patienten, transsexuell zu sein – niemand
behaupte, Transsexualität zu haben – und die medizinische Typisierung, diese
Patienten seien Transsexuelle, verschleiere die soziale Realität dieses
Zustands !
Transsexualität wurde als eine Krankheit konstruiert für einen Prozess, den
Ärzte als Behandlung ansahen.
Dieses medizinische Modell erlaubte die Präsentation eines
Selbst mit dem Ziel, als transsexuell diagnostiziert zu werden, und es erlaubte
Ärzten, ‘transsexuelle’ Selbstpräsentationen als Krankheitssymptom zu
interpretieren.
Sulcov thematisierte zur Zeit der Auseinandersetzung um die
Ent-Psychiatrisierung des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung den
ermöglichenden Effekt der medizinischen Konstruktion der Transsexualität. Er
betonte, dass deren Konstruktion als durch Konstitution oder Erziehung
determinierte Identitätsstörung zur Folge hat – paradoxerweise könnte man sagen
–, dass der Patient die Macht hat, die Situation mit zu definieren.
So konstruierten nur knapp ein Viertel der 65 von Sulcov
interviewten Transsexuellen ihre Biographie nach dem Modell, sie seien Opfer
von Natur und/oder Erziehung. Mehr als die Hälfte gaben an, ihr Frausein bewusst
gewählt zu haben, und berichteten von frühen Lebenserfahrungen, die sie von der
Männlichkeit entfremdet hätten und ihr Potenzial der Weiblichkeit entdecken
ließen.
Transsexualität stellte eine Lösung für Identitätsprobleme
zur Verfügung, war eine Möglichkeit, vergangene Erinnerungen, eine gegenwärtige
‚Krankheit‘ und eine viel versprechende Zukunft zu organisieren.
Neben diesem Aspekt der latent vorhandenen Selbstbestimmung
ist mit Hirschauer festzustellen, dass
und wie Geschlechtswechsel medizinisch
bewerkstelligt werden, diszipliniert und normalisiert die Geschlechtswechsler
in der Ordnung der
Zweigeschlechtlichkeit. „Die ‚Geschlechtsumwandlung‘ hat einen
Differenzierungseffekt: sie transformiert die Sehnsüchte, als deren Lösung sie
sich präsentiert, entweder in eine Nachfrage oder sie entwertet sie zu bloßen Wünschen,
denen mangels Konsequenz die Authentizität fehlt.“
Dass der Geschlechtswechsel medizinisch als Transsexualität
konstruiert wurde impliziert, wie jener Wechsel medizinisch bewerkstelligt
wird: als temporäre einmalige Passage, nach der der Passagier unauffällig im
‘neuen’ Geschlecht verschwindet, dem er sich immer schon zugehörig gefühlt hat.
Die Medizinisierung des Geschlechtswechsels basiert darauf, dass
Geschlechtsumwandlungswillige von Ärzten – als Bestätigung ihrer Selbstdiagnose
– als Frau bzw. Mann im falschen Körper diagnostiziert werden. So ist
Hirschauers Diagnose von der „medizinische(n) Fabrikation authentischer
Geschlechtszugehörigkeit“ zuzustimmen.
Transsexualität ist historisch und kulturell einmalig – auf
wenn sie als „durchorganisierte Dauereinrichtung mit Trend zur Globalisierung“
beschrieben werden kann und konstituiert!
Sulcov (1973), S. 293. Wie später Runte mit dem Begriff
„biographische Operationen“ wies auch Sulcov darauf hin, dass das Leben im
Licht des Transsexualitätskonzepts reorganisiert werde: über den
Geschlechtswechsel kein ‚drittes Geschlecht‘.
Der gegenteilige Hinweis auf die räumliche und zeitliche
Universalität des Phänomens ist als Element der Strategie zur Legitimation von
Geschlechtsumwandlungen anzusehen. So schrieb z. B. Green: „Evidence for the phenomenon today called transsexualism
can be found in records backward through centuries and spanning widely
seperated cultures.“
In
verschiedenen Teilen der Welt gebe es beispielsweise Stämme, bei denen Männer „adopted the
ways and dress of women enjoyed high esteem as shamans, priests, and
sorcerers“.
Diesem Argument kann Sulcovs Hinweis gegenübergestellt
werden, dass Mann-zu-Frau ranssexuelle, die nicht die normale, unauffällige Frauenrolle
anstreben würden – z. B. Berühmtheiten in Nachtclubs oder politische Kämpfer für
die Emanzipation –, das Ziel unterminierten, den weiblichen Status zu
erreichen: “rather
than fostering the image of a two-role sexual status system, they establish a
third category,those moving from one status to the other.”
Vielleicht hat die Infragestellung und Aufweichung der
tradierten Geschlechterrollen im Kontext der so genannten Sexuellen Revolution
in den späten 1960er und den 1970er Jahren dazu beigetragen, dass das
„treatment pendulum“, wie Bockting und Coleman meinten, mit Hilfe des
Jorgensen-Falls und der Arbeit von Harry Benjamin von „attempting to ‘cure’ the transvestite or
transsexual with psychoanalysis (...) or aversion treatment” umgeschlug “to facilitating
acceptance and management of gender role transition.”
Doch Akzeptanz und Management des Geschlechtswechsels
basierten auf einem deterministischen Krankheitskonzept, das bipolar ‘konträre’
Geschlechtsidentitäten postulierte und ätiologisch wie symptomatologisch
Eindeutigkeit konstruierte.
Und Ärzte und Transsexuelle, weil ihre Ärzte es so wollten, betonten, dass der
gewünschte Geschlechtswechsel nicht auf dem freien Willen des Individuums
beruhe. Dass Benjamin 1969 nicht nur Transsexualität, sondern auch die gegen Geschlechterrollenkonventionen verstoßenden Hippies „longhaired boys and trousered girls“ – als eine Form von „gender role disorientation“ biologischen Ursprungs qualifizierte,zeigt die
heute skurril anmutenden Blüten des biologistischen Denkmodells.
Unsere Gesellschaft bleibt, so Mike Brake, nicht nur an die
strenge Dichotomie der Geschlechterrollen gebunden, sondern kennt nur ein
zugeschriebenes und kein “achieved gender”.
Der als Transsexualität konstruierte und medizinisch bewerkstelligte
Geschlechtswechsel stabilisiert die Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit.
Transsexuelle bringen sich selbst in diese Ordnung, sie
entschädigen, wie auch kritische Psychiater bemerken, die Öffentlichkeit
weitgehend durch die an ihnen „erkennbare Idealisierung der polaren
Geschlechtlichkeit“:
Ihre Identitätsbildung funktioniert auf der Basis der
herrschenden Geschlechternormen als Selbstnormalisierung, ein Prozess, bei dem
‚nicht männlich‘ notwendig ‚weiblich‘ und ‚nicht weiblich‘ notwendig ‚männlich‘
bedeutet. Ärzte bringen Transsexuelle in diese Ordnung, indem sie denn als
falsch diagnostizierten Körper in Übereinstimmung mit der gegengeschlechtlichen
Identität bringen.
An Transsexualität werden, so Hirschauer, „die Axiome unserer
kulturellen Annahmen über Geschlechtszugehörigkeit bewiesen und bestritten: daß
der Körper die Geschlechtszugehörigkeit begründet und daß sie von lebenslanger
Konstanz ist“.
Die Chirurgie Überschreite die körperliche Geschlechtsgrenze
und reaffirmiere zugleich die Körpergebundenheit der Geschlechtszugehörigkeit,
denn es könne nicht nur geschnitten werden, es müsse geschnitten werden. Und
trotz der sozialen und biographischen
Brüche eines Geschlechtswechsels werde negiert, dass ein Wechsel stattgefunden
habe: gerade an Transsexuellen werde gezeigt, wie früh das Geschlecht
determiniert sein soll.
Mit Hirschauer ist Transsexualität als „Ausdruck einer
historisch spezifischen Geschlechtskonstruktion“ zu qualifizieren, deren Kontingenz
sich am normalisierenden operativen Eingriff zeige.
Dem gegenüber sehen Psychiater entweder nur die eine Seite
der Medaille – „Transsexualität durchbricht die Grenze der zweigeteilten
Geschlechterordnung“ – oder aber sie instrumentalisieren die Position, dass durch
operative Geschlechtsumwandlungen „Stereotype bezüglich Geschlechtsrollen und Charakteristiken
der beiden Geschlechter noch verhärtet werden“ für ihre grundsätzliche Kritik
an der „Propagation der ‚Geschlechtskorrektur‘“.
Transsexualität wurde von der Medizin universalistisch als
eine Identitätsstörung konstruiert, die von den konkreten gesellschaftlichen
Geschlechterverhältnissen und ihren Veränderungen unabhängig ist und die
Behauptung impliziert, dass es immer und überall nur genau zwei Geschlechter
gegeben hat, gibt und geben wird; als eine Störung, deren Ursache auf paradoxe
Weise zugleich im Individuum und in der Natur der Sache, aber nicht in der
jeweiligen gesellschaftlichen Geschlechterordnung zu finden sei. Diesem
Postulat eines außergesellschaftlichen Ursprungs entspricht die fast mythenförmige
Darstellung der Transsexualität in Autobiographien und anderen Medien, eine
Darstellungsform, die die Angst der Transsexuellen wie der Nicht-Transsexuellen
vor dem Phänomen reduziert.
Das medizinische Management von Intersexualität, durch das
bereits frühkindlich eine geschlechtliche
Eindeutigkeit hergestellt wird, deute ich auch als Bewältigungsstrategie dieser
Angst vor der Verwischung der Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit.
Die medizinische Konstruktion der Transsexualität sowie die
Darstellung von Transsexuellen in der medialen Öffentlichkeit festigt die
Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit, weil sich Transsexuelle, die sich als Opfer
von Natur oder Erziehung sehen und darstellen, problemlos als Mann oder Frau –
lediglich im falschen Körper – fühlen können und wahrgenommen und (medizinisch)
behandelt werden
.
Das medizinische
Management des Geschlechtswechsel
stellt eine Strategie des Sexualitätsdispositivs dar, durch die die abweichende Identitätslust
zwar nicht mehr psychiatrisiert, aber normalisiert wird. Dass diese Strategie
wesentlich als Selbstnormalisierung der Transsexuellen funktioniert, die die
gesellschaftlichen Geschlechternormen internalisiert haben, verdeutlicht für
mich die Macht dieser Normen.
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