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Vielfalt der
Transsexualitäten – Von der Transsexualität zum Transgenderismus
Die Eindeutigkeit und das ‚Immer-schon‘ der
gegengeschlechtlichen Identität von Transsexuellen – ihre total und dauerhaft
transponierte Geschlechtsidentität – war eine Konstruktion mit strategischem
Charakter, die Psychiater und Transsexuelle in einem Wechselverhältnis
entwickelten, um den medizinisch bewerkstelligten Geschlechtswechsel zu
legitimieren.
Der Eindeutigkeit der behaupteten Identität entsprachen die
deterministischen Atiologiespekulationen sowie die eindeutigen Symptome dieser
Identität.
Und ihr entsprach das idealisierte Therapieziel des
‚passing‘, des unauffälligen Aufgehens im anderen Geschlecht. Die Operation
erscheint im medizinischen Diskurs als der krönende Abschluss einer jeden
echten Transsexuellenkarriere.
Das transportiert schon die Sprache: nicht operierte werden
zu präoperierten Transsexuellen, eine Sichtweise, die von vielen Transsexuellen
selbstnormalisierend übernommen wird. Alternativen zur Geschlechtsumwandlung
werden entwertet. Die Geschlechtsumwandlung wird „durch die (diagnostischen)
Zugangskontrollen zu einer Auszeichnung“ aufgewertet.
Doch die Biographien und die Lebenssituationen
Transsexueller sahen schon immer vielfältiger aus notgedrungen oder freiwillig. Vielfalt
kennzeichnete sowohl die Wege und die Motivation, die zum Wunsch, das bei der
Geburt zugewiesene Geschlecht zu verlassen, führten, wie auch die Art und Weise
der Realisierung dieses Wunsches.
Nur ein Teil der Personen, die mit Psychiatern oder
Therapeuten wegen ihrer Geschlechtsidentitätsstörung Kontakt aufnahmen, wurde
geschlechtsumwandelnd operiert. Gründe dafür mögen zunächst eine verbreitete
skeptische, abwartende oder die Patienten hinhaltende Haltung seitens der
Psychiater oder Resignation oder mangelnde finanzielle Möglichkeiten seitens
der Transsexuellen gewesen sein, sich die Behandlung in Deutschland oder im
Ausland leisten zu können.
Auch wenn heute Geschlechtsumwandlungen leichter verfügbar
sind und in einigen Ländern die Behandlungskosten von der Sozialversicherung
übernommen werden und sich so vermutlich der Anteil der
Geschlechtsumwandlungen bei dieser
Patientengruppe erhöht hat, hat sich an dem Sachverhalt grundsätzlich nichts
geändert, dass nur ein Teil der Wünsche eines Geschlechtswechsels auch
medizinisch realisiert wird. Das muss nicht unbedingt etwas mit einer
Verweigerungshaltung der behandelnden Ärzte zu tun haben.
Manche Transsexuelle kommen im Laufe der psychologischen Begutachtung
wieder von ihrem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung ab und entwickeln eine
Lebensperspektive ohne medizinischen Eingriff.
Andere wollen von Anfang an keinen chirurgischen Eingriff
oder lassen sich nur hormonell behandeln oder leben ihren Geschlechtswechsel
ganz ohne medizinische Mittel, wechseln etwa nur ihren Vornamen, wie es z. B.
das Transsexuellengesetz in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht.
Vielfältig und geschlechtlich uneindeutig ist auch die Phase
des Geschlechtswechsels derjenigen, die eine operative Geschlechtsumwandlung
durchführen lassen. Die Zeitspanne zwischen den Medizinischen Eingriffen hat
sich zwar verkürzt.
In der Weimarer Republik vergingen manchmal Jahre zwischen
der Kastration, der Penisamputation und
der scheidenplastischen Operation, wohingegen heute die Durchführung dieser
Eingriffe in einer Operation Behandlungsstandard sein sollte. Doch leben
Transsexuelle in der Phase des sogenannten Alltagstests und der Hormonbehandlung
manchmal Jahre mit einem Körper, der sich auf verschiedenen Stufen der
Metamorphose befindet. Subjektive Leibwahrnehmung, objektive Körpergestalt
sowie das Begehren sind verwickelt und vielschichtig und lassen sich nicht
immer den Kategorien Frau oder Mann bzw. homo- oder heterosexuell zuordnen.
Und die immer noch mangelhaften Ergebnisse einer
phallopastischen Operation lassen Frau-zu-MannTranssexuelle in der Regel davon
Abstand nehmen, so dass ihre Körpertransformation nicht im männlichen ‚Normkörper‘
ankommt. Dafür wirkt ihr Körper aber durch die Hormonbehandlung meist
überzeugend vermännlicht, wohingegen Mann-zu-Frau-Transsexuelle trotz Hormonbehandlung
die pubertären Folgen wie Stimmbruch oder Körperbehaarung nicht bzw. nur zum
Teil rückgängig machen können.
Dafür bietet ihnen die Genitalchirurgie mittlerweile optisch
wie funktional gute Produkte an. Diese geschlechtsspezifischen Möglichkeiten
und Grenzen der Körpertransformation bedingen eine Vielfalt ‚transsexueller
Körper‘, die jedoch nur mittelbar die soziale Geschlechtsdarstellung und damit
die Geschlechtswahrnehmung bestimmt, denn für die Wahrnehmung des in der Regel
bekleideten Körpers sind außer der Körperstatur noch andere Faktoren wie
Habitus, Gestus und Mimik relevant.
Dass diese Vielfalt von Transsexualitäten im medizinischen
Diskurs und insbesondere bei der Symptomatologie und Diagnostik – schematisch
gesagt – in den 1960er Jahren negiert, in den 1970er Jahren typologisiert und
in den 1980er Jahren flexibilisiert worden ist, charakterisiere ich mit
Kategorien von Jürgen Link als Übergang von einer protonormalistischen
Strategie zu einer flexibel-normalistischen Strategie, wobei sich die
protonormalistischen Strategien noch stark an Mechanismen der Normativität
anlehnen.
D. h., Geschlechterrollen und
Geschlechtsidentität waren bis Ende der 1960er Jahre noch Orientierungsnormen
und Charakter binärer Erfüllungsnormen, waren nicht bloß dem Handeln postexistente deskriptive ‚Grenznormen‘,
die Link als einen durch Normalitätsgrenzen
bestimmten Bereich um den Durchschnitt versteht, sondern hatten auch den
Charakter von dem Handeln präexistenten präskriptiven
imperativen ‚Punktnormen‘, denen das Individuum entspricht oder nicht. In diese
Phase fallen die legitimierenden biologistischen, lerntheoretischen und
ichpsychologischen Hypothesen einer angeborenen oder frühkindlichen
konfliktfreien Genese der Transsexualität und damit die Konstruktion transsexueller
‚Lehrbuchfälle‘. Wie der restriktive Charakter der Konstruktion der
Transsexualität auf die Normativität der Geschlechternormen verweist, so wird
das ‚typisch Weibliche‘ und ‚typisch Männliche‘ normalisierend über
Abweichungen bestimmt, z. B. durch das, was an einem Frau-zu-Mann-Transsexuellen
nicht dem männlichen Durchschnitt entspricht.
Vielleicht ist das unterschiedliche Verhältnis von
operierten Transsexuellen zu nicht medizinisierten Geschlechtswechslern auch
eine Erklärung für die höchst unterschiedlichen epidemiologischen Angaben zur Häufigkeit
von Transsexualität in einzelnen Ländern.
Eine andere Erklärung ist, dass unter problematischen statistischen
Bedingungen und mit diskurspolitischen Absichten Häufigkeiten eher geschätzt
als errechnet worden zu sein scheinen. Die bei Osburg / Weitze (1993) genannten
Statistiken einzelner Länder geben im Mittel eine Häufigkeit um 1:50000 an. Die
niedrigste Häufigkeit nennt Pauly 1968: 1:100000 bei
Mann-zuFrau-Transsexuellen, 1:400000 bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen. Die
größte Häufigkeit wurde 1988 für Singapur ermittelt mit 35,2 Mann-zu-Frau- und
12 Frau-zu-Mann-Transsexuellen pro 100000 Einwohner.
Für die Niederlande wurde 1992 die zweithöchste Häufigkeit von
Transsexualität ermittelt. (Osburg / Weitze (1993), S. 103.)
Ich beziehe mich auf Jürgen Links Monographie „Versuch über den
Normalismus. Wie Normalität produziert wird“ (1999a), insb. S. 75-82, sowie auf
dessen Aufsatz „Normativ“ oder „Normal“? (1999b), insbesondere auf die dortige
Gegenüberstellung von Normativität und Normalität (a.a.O., S. 32).
Erst im Rückschluss vom Anormalen erschließt sich das
Normale, das als ‚blinder Fleck‘ die Klassifizierungen des Anormalen regiert.
Der Durchschnitt als Norm der normalisierenden Subjektivierung ist, so Link,
qua Definition eine imaginäre Größe, eine Leerstelle, die die Abweichungen
brauche. Für das Funktionieren der Normalisierung sei es wichtig, dass die Norm
im Kern gerade nicht definiert ist.
So sei die Grenze normal - anormal beliebig verschiebbar –
im Gegensatz zu den starren aus der Natur abgeleiteten anthropologischen
Geschlechtscharakteren der Aufklärung.
Dem tradierten bipolaren Bild von Männern und Frauen entsprach das eindimensionale Bild des ‚echten‘
Transsexuellen. Auch die typologisierende Binnendifferenzierung, z. B. die Unterscheidung
von primären und sekundären Transsexuellen in den 1970er Jahren, deute ich noch
als protonormalistische Strategie der Subjektivierung; ebenfalls die durch
Leitsymptome markierten harten Normalitätsgrenzen und die Tatsache, dass
einzelne Normalfelder wie Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung
isomorph aneinander gekoppelt waren, denn ‚echte‘ oder primäre Transsexuelle
hatten postoperativ heterosexuell zu sein. Als die dazu gehörigen
Subjekttaktiken der Transsexuellen identifiziere ich einen an den
‚Lehrbuchfällen‘ orientierten Konformismus und
eine „Fassaden-Normalität“: Transsexuelle wussten, wie sie zu sein
hatten.
In den 1980er Jahren setzte sich die flexibel-normalistische Strategie
durch. Das lag zum einen daran, dass sich der medizinische
Geschlechtswechsel nach der offiziellen Klassifikation der Transsexualität als
Krankheit langsam als ‚Behandlung der
Wahl‘ durchsetzte. Zum anderen auch am allmählichen Aufbrechen der tradierten
Geschlechterrollen, gewissermaßen als mit 15-jähriger Verzögerung eingetretene
Spätfolge der so genannten Sexuellen Revolution. Die Normalitätsgrenzen wurden
weicher, an die Stelle transsexueller Typologien trat eine fein graduierte
Binnendifferenzierung, die individuelle Besonderheiten zuließ.
Die Kopplung der Normalfelder Geschlechtsidentität und sexuelle
Orientierung wurde gelockert. An die Stelle des außengelenkten Konformismus
trat als Subjekttaktik ein selbständiges Kalkül. Das konnte zwar auch
selbst-normalisierenden Charakter haben, bot aber meiner Einschätzung nach auch
die Chance der Authentizität.
Doch die medizinische Konstruktion des Phänomens setzt aller
Flexibilisierung und Anerkennung der Vielfalt der Wege zur Transsexualität ihre
Grenze. Auch die in den Klassifikati-537
onen der WHO und der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft
vergleichsweise offen formulierten Symptome definieren Transsexualität als
Krankheit, als ein Zwangsphänomen.
D. h., auch wenn die Diagnose ‚transsexuell‘ nicht von einer
bruchlosen ‚Immer-schon‘-Biographie abhängt, wäre eine mit freiem Willen getroffene Entscheidung für eine Geschlechtsumwandlung
nicht mit der medizinischen Definition des Phänomens vereinbar.
Deswegen halte ich Siguschs Versuch,
Transsexualität nicht als Krankheit und Transsexuelle als
geschlechtlich-sexuelle Minderheit zu verstehen, für problematisch.
Homosexuelle haben eine kollektive emanzipatorische
Identität entwickelt, um gegen soziale Diskriminierung und strafrechtliche
Verfolgung anzugehen und um sich von der Pathologisierung durch die Medizin zu
emanzipieren.
Anders Transsexuelle. Transsexuelle können
sich nur mit Hilfe der Medizin emanzipieren und ihre Wünsche realisieren.
Die Frage ist, ob die Flexibilisierung der
Normalitätsgrenzen des Weiblichen und Männlichen Konsequenzen hat für das
Phänomen Transsexualität. Eine mögliche Konsequenz wäre, dass die Nachfrage
nach einer operativen Herstellung des anderen Geschlechts allmählich zurückgeht,
eine andere, dass sich das Phänomen Transsexualität in Richtung
Transgenderismus transformiert, was
umgekehrt zu einer Medizinisierung von subkulturellen Kontexten und Formen des
Geschlechtswechsels führen würde.
Letztlich geht es dabei um die Machtfrage: ist die Medizin
bereit, ihre Souveränität des Diagnostischen Wissens und der Entscheidung zum
operativen Eingriff aufzugeben und mit den
Geschlechtswechslern in einen nicht nur latenten, sondern manifesten
offenen Aushandlungsprozess zu treten, der zu einer
‚operationon-demand-Situation‘ führen könnte? Und inwieweit sind
Transgenderists bereit, die Souveränität ihres Lebensentwurfs aufzugeben, um
medizinische Eingriffe zu bekommen?
Die Frage, ob das Aufbrechen der tradierten bipolaren
Geschlechterrollen dazu führen könnte, dass Menschen diesen Zwang zur
Geschlechtsumwandlung nicht mehr entwickeln würden, ist bereits ab den 1970er
Jahren diskutiert worden. Die einen meinten, dass auch eine größere
Flexibilität der Geschlechterrollen Transsexualität nicht zum Verschwinden
bringen würde, denn diese Flexibilität impliziere nicht die Gleichheit der
Körper, so dass Transsexuelle weiterhin einen spannungsreichen Identitätssinn
hätten: „The loosening of definitions would
probably affect the transsexual not at all, in terms of the persistent feeling
of ‚wrong
Sigusch (1991a und b). Sigusch versteht Transsexuelle
als ‚transitorische‘ Minderheit. Das ist ein wichtiger Unterschied zur
Transgender-Bewegung.
Vergleichbar dem Versuch von Homosexuellengruppen, die in
den USA in den 1960er Jahren versuchten, mit progressiven Ärzten die Streichung
der Homosexualität als psychische Krankheit zu erreichen, waren Strukturen
einer Selbstorganisation von Transsexuellen, die ab Ende der 1960er Jahre in
den USA bestanden und letztlich auf Benjamins Initiative zurückgingen. Ende der
1970er Jahren lösten sich diese Strukturen wieder auf. (Meyerowitz (2002), S.
226-241, 255) Diese Form der Selbstorganisation entsprach der Strategie der
Emanzipation mit Hilfe der Medizin im Sinne der medizinischen Konstruktion der
Transsexualität.
Ich benutze den Begriff ‚transgender‘, um eine Überschreitung der
Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit zu bezeichnen. Ekins / King (2006) benutzen
ihn dagegen als Oberbegriff, um nicht nur Formen der Transgression, sondern
auch des „Crossing“ (Transsexualtiät) und der „Transformation“ (dauerhaften
Transvestitismus) der Geschlechterordnung zu bezeichnen.
Der Titel der Monographie von Ekins / King
– The Transgender Phenomenon – spielt auf Benjamins Standardwerk – The
Transsexual Phenomenon - an. 538 body‘.“
Äußerungen der
gegenteiligen Meinung sind beispielsweise die Verwunderung eines OP-kritischen
Psychiaters darüber, dass sich gerade in einer Zeit, „in der
Geschlechterrollenstereotype fragwürdig gemacht wurden,“ die Transsexuellen
vermehrt hätten.
Oder die feministische Kritik, die meint, dass die rigiden
Geschlechterrollen als soziale Pathologie behandelt werden sollten, anstatt
Transsexualität als individuelle Pathologie und Effekt dieser Rollen zu
korrigieren, und prognostiziert: “Were the
notions of masculinity and femininity less rigid, sex change operations should
be unnecessary.”
Statistiken von durchgeführten Geschlechtsumwandlungen legen
nahe, dass Männer häufiger den ‘Zwang’ verspürt haben, eine Frau zu sein, als
umgekehrt. Ist das männliche Rollenmodell also rigider als das weibliche? Oder
finden Frauen andere Wege als die Operation, um mit dem Rollendruck umzugehen,
obwohl sie laut Umfragen viel häufiger lieber ein Mann wären als umgekehrt
Männer eine Frau?
Vielleicht konnten Männer aber auch nur ihren Wunsch
häufiger umsetzen als Frauen oder haben ihn konsequenter verfolgt, weil die
Möglichkeiten der Genitaltransformation weiter entwickelt sind?
Oder weil die Massenmedien hauptsächlich Mann-zu-Frau-Transsexuelle als
Vorbilder angeboten haben?
Oder weil die diagnostischen Hürden für einen Wechsel
zum privilegierten männlichen Geschlecht
höher liegen als beim umgekehrten Geschlechtswechsel?
Das Verhältnis von Mann-zu-Frau Transsexuellen zu
Frau-zu-Mann-Transsexuellen hat sich zwar bis in die 1980er Jahre mehr und mehr
angeglichen, jedoch nicht ausgeglichen.
Verschiedene zwischen
1967 und 1993 durchgeführte statistische Erhebungen stellen durchweg ein
unterschiedlich deutliches Übergewicht der Mann-zu-Frau-Transsexuellen fest.
Doch der ‚transsexuelle Zwang’ basiert nur mittelbar auf den
gesellschaftlichen Geschlechterrollen, unmittelbar jedoch auf der imaginären
Qualität, die die Geschlechtsidentität für das Individuum in unserer
Gesellschaft hat, sowie auf der leiblich-affektiven Dimension des Geschlechts.
Feinbloom (1976), S. 249. Vgl. auch die Position von Doctor,
dass eine größere Androgynie bezüglich der Geschlechtsrollen nicht notwendig
eine Unterstützung einer Art männlich-weiblich gemischten Geschlechtsidentität
bedeuten würde. (Docter (1988), S. 83.)
Langer (1985), S.
69. Eichler (1980), S. 75. Benjamin zeigte sich 1966 überrascht, dass
Frau-zu-Mann-Transsexuelle seltener waren, wo doch laut einer Gallup-Umfrage zwölfmal
mehr Frauen lieber ein Mann wären als umgekehrt (Benjamin (1966), S. 148.) Halberstam
meinte, aufgrund der mit Männlichkeit verbundenen sozialen Macht würde auch
noch in den 1990er Jahren „female masculinity“ für abstoßender und pathologischer
gehalten als „male femininity“.
Benjamin hatte 1966 in seinem Sample das extreme Verhältnis
von 8:1 festgestellt. Doch er vermutete, dass ein Verhältnis von 3:1
signifikanter sei. Dies war das Verhältnis der Briefzuschriften selbst
diagnostizierter Transsexueller, die Hamburger nach der Publikation des
Jorgensen-Falles bekommen hatte. (Benjamin (1966), S. 147f.) Das Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association
gibt in seinen unterschiedlichen Ausgaben das von Klinikern genannte Verhältnis
von Mann-zu Frau-Transsexuellen zu Frau-zu-Mann-Transsexuellen wie folgt an:
von 8:1 bis 2:1 (DSM-III (1980), S.263), von 8:1 bis 1:1 (DSM-III-R (1987), S.
75), bei Kindern 5:1, bei Erwachsenen 2:1 bis 3:1. (DSM-IV (1994), S. 535.)
Die Extreme des Übergewichts von Mann-zu-Frau-Transsexuellen
im Verhältnis zu den Frau-zu-MannTranssexuellen: für Australien wurde ein
Verhältnis von 6,1:1 ermittelt, für die Bundesrepublik Deutschland dagegen nur
ein Verhältnis von 2,3:1. (Osburg / Weitze (1993), S. 103. 539 Geschlechts.
So deutet sich – diskursiv wie in der gesellschaftlichen
Praxis – als Konsequenz der Flexibilisierung der Normalitätsgrenzen des
Weiblichen und Männlichen kein Verschwinden des Geschlechtswechsels, sondern
eine Flexibilisierung seiner Formen an: neben die Transsexualität – als
medizinischer Konstruktion geschlechtlicher Eindeutigkeit auf der Grundlage eines
diagnostizierten Zwangs – tritt der Transgenderismus – als soziale und/oder
medizinische Konstruktion vielfältiger, auch ambiger Geschlechtlichkeiten auf
der Grundlage einer mehr oder minder freien Entscheidung.
Der Hinweis, dass traditionell z. B. dem männlichen
Geschlecht zugeschriebene Attribute heute in ein Leben in der weiblichen
Geschlechtsrolle integrierbar sind, wird, so meine ich, der Person nicht
weiterhelfen, für die – warum auch immer – eine männliche Geschlechtsidentität
zur Funktionsbedingung ihrer Existenz geworden ist und die so ihren Leib als ‚falsch‘
empfindet. Die kognitive Dissonanz zwischen dem Wissen um die eigene
Körpermorphologie und der Geschlechtsidentität kann in vielen sozialen
Kontexten überspielt werden, wird aber insbesondere beim Sex virulent – trotz
der berichteten Fähigkeit vieler Transsexueller, sich beim Sex als das andere
Geschlecht zu phantasieren oder mit hochgradiger Beteiligung der Imagination
Rollen zu spielen.
„Teilweise besteht die Strategie
des Begehrens gerade in der Verwandlung des begehrenden Körpers selbst“.
Mit Butler ist zu betonen, dass es notwendig sein kann und
für Transsexuelle notwendig ist, „an ein alteriertes KörperIch zu glauben, das
den Anforderungen eines Körpers (...) gemäß den durch die Geschlechtsidentität
bestimmten Regeln des Imaginären (gendered rules of imaginary) entspricht“, um überhaupt
zu begehren. An dieser subjektiven Notwendigkeit ändert auch die Tatsache
nichts, dass „das Geschlecht keine vordiskursive anatomische Gegebenheit“ ist
und dass es so „keinen Rückgriff auf den Körper [gibt], der nicht bereits durch
kulturelle Bedeutungen interpretiert ist“.
Die Bemerkung von Sulcov, dass “the
level of sex drive reported by transexuals and the availability of surgical
techniques to construct a vagina were apparently closely related”,und
die Bemerkung von Lothstein, dass Frau-zu-Mann-Transsexuelle nach einer
phalloplastischen Operation feststellen könnten, dass „her
real penis was not as powerful as her imaginary one“, weisen auf
den Zusammenhang von medizinisch-technischen Möglichkeiten,
Geschlechtsidentität und Körperbild hin, auf den Zusammenhang dessen, was
allgemein möglich und was individuell nötig ist.
Inwieweit eine operative Geschlechtsumwandlung die kognitive
Dissonanz reduzieren oder auflösen kann, ist individuell verschieden.
1995 erwähnt Sophinette Becker, Sexualwissenschaftlerin und
Psychologin aus Frankfurt, die an Behandlungsstandards für Transsexuelle
mitgearbeitet hat, in einem Interview nicht nur
Money / Primrose
(1968), S. 479; Money / Brennan (1968), S. 493. Tully (1992), S. 239. Butler (1991), S. 112. Butler (1991), S. 26. Sulcov (1973), S. 87. Lothstein (1983), S. 73. 540
„die Frau-zu-Mann-Transsexuellen, die immer noch mehrheitlich auf
diese Phalloplastik verzichten, was ihrer psychischen Stabilität keinen Abbruch
tut“, sondern auch, dass es „in Amerika (...) mittlerweile auch eine relevante
Gruppe von Transsexuellen [gibt], die die Operation nicht zufriedenstellend
findet, und die interessiert ist an
einem ‚als-Frau-leben‘, ohne sich dem
Medizinapparat völlig auszuliefern“.
In den 1990er Jahren entwickelten diejenigen, die von der
Medizin normalisiert und diszipliniert werden, um wieder in die Ordnung der
Zweigeschlechtlichkeit zu passen, eine Gegenmacht: Transgenderists und
Intersexuelle. Diese zweifache Gegenmacht hat sich zuerst in den USA als Bewegung in der
nicht-diskursiven Praxis herausgebildet.
Die Intersex-Bewegung plädiert dafür, keine frühkindlichen
das Geschlecht vereindeutigenden Eingriffe durchzuführen und die Entwicklung
des Kindes abzuwarten, das an den Eingriffen, die den als Norm gesetzten natürlichen Körper erst herstelle, leide.
Vielleicht empfindet das intersexuelle Individuum keines der
zwei Norm-Geschlechter als für sich passend. Transgenderists entscheiden sich
gegen das ihnen bei Geburt zugewiesene Geschlecht,ohne deswegen voll und ganz
das ‚andere‘ Geschlecht sein zu wollen.
Der wesentliche Differenzpunkt zwischen beiden Phänomenen
ist die Frage, wieweit sich das Subjekt
an die Macht Medizin ausliefert.
Der Gegendiskurs der Transgender- und Intersex-Bewegung ist
zunächst von Aktivistinnen und Aktivisten geführt worden. Erst gegen Ende der
1990er Jahre wurde er im sozialwissenschaftlichen Kontext der
Geschlechterforschung und vereinzelt auch vom medizinischen Diskurs
wahrgenommen. Die Position des Transgenderismus möchte ich abschließend als
Möglichkeit von Alternativen zur medizinischen Konstruktion der Transsexualität
andeuten.
Im Transgender-Diskurs dominiert der Diskurs von ‚weiblichen
Männer‘ über ‚weibliche Männer’, die keine Imitation und perfekte Performanz
von Männlichkeit anstreben. „Female masculinity“, so lautet der von Judith
Halberstam benutzte Begriff, zeige stattdessen, wie Männlichkeit als
Männlichkeit konstruiert werde. Es gehe um eine queere Subjektposition, die das
hegemoniale ‚gender‘-Konformitäts-Modell selbst in Frage stellen kann.
Im Gegensatz zu Frau-zu-Mann-Transsexuellen würden „FTMs“, also FemaleToMales, dieses Label bewusst
beibehalten, um ihr Nicht-Aufgehen in
der Männlichkeit zu demonstrieren. FTMs hätten eher einen ambigen Körper.
Obwohl auch sie zum Teil somatische Eingriffe machen lassen würden,
definiert
Halberstam Transgender als Kategorie wie folgt: „at
least partially defined by transitivity but that may well stop short of
transsexual surgery.“
Halberstam kritisiert Transsexuelle zwar als
gender-konservativ, erkennt jedoch den Unterschied an zwischen den “real and
desperate desires” von Transsexuellen und dem “playful desire” und der “casual
form” der Butch als Variante von ‘female masculinity’
.
So kann es meiner Meinung nach nicht darum gehen, die
Transgender-Lebensform als progressivere Variante oder als Möglichkeit der
Erlösung von der Ordnung der Heteronormativität präskriptiv zu setzen, sondern
darum, die Perspektive zu individualisieren und Möglichkeiten für Geschlechterformen
neben dem medizinischen Konzept der Transsexualität zu eröffnen.
All die, die nicht in dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht
weiterleben wollen oder können, müssen sich entscheiden, wieweit sie sich der
Medizin ausliefern, um ihre Identität in dem ihrem Empfinden nach ‚richtigen‘
Körper leben zu können. Das kann eine TransIdentität sein in einem Körper
zwischen den Geschlechtern.
Das kann eine gegengeschlechtliche Identität sein in einem entsprechend
den technischen Möglichkeiten weitgehend dem anderen Geschlecht angepassten
Körper.
Die Medizin muss sich entscheiden, ob sie sich darauf einlässt,
Eingriffe auch bei Personen durchzuführen, die nicht unter dem Zwang stehen,
körperlich das andere Geschlecht zu werden, sondern die ein Leben führen
wollen, das sich unter Umständen den geschlechtlichen und sexuellen
Eindeutigkeiten entzieht und das sich quer zur heteronormativen Ordnung stellt.
Zu den Mitgliedern der Harry Benjamin International Gender Dysphoria
Association (HBIGDA), der „major medical and clinical voice of comtemporary
western transsexualism“, gehören mittlerweile auch eine beachtliche Anzahl „transgendered professionals“, die das im Namen
der Gesellschaft festgeschriebene pathologische Konzept als „gender dysphoria“
kritisieren und darauf bestehen, nicht krank, sondern anders zu sein.
Ekins qualifiziert die medizinische Konstruktion der
Transsexualität als Modell, dass all die Transgender-Formen behindere, die das
binäre Geschlechtersystem negierten oder transzendierten, und appelliert an die
Kliniker, auch denen zu helfen, die sich entschieden hätten „to put themselves on the front line by living daily in
ways that challenge the binary devide“.
Vielleicht wiederholt sich die Geschichte und die nach der
Entpsychiatrisierung gewissermaßen zweite Entpathologisierung des
Geschlechtswechsels – diesmal von der durch körperliche Eingriffe zu
behandelnden Identitätsstörung Transsexualität zur Vielfalt von
Transgender-Lebensformen –beginnt wieder in den USA. Bereits 1993 stellte das
„gender committee“der Universität Minnesota sein Behandlungskonzept um und
anerkannte das Spektrum von „transgender identities“. Das Behandlungsangebot
erfolgt in Form eines Anbieter-Konsumenten-Team-Zugangs.
Im selben Jahr, 1993, also zwei Jahre nach Siguschs Versuch,
Transsexuelle als Minderheit zu konstruieren, machte Friedemann Pfäfflin, einer
der renommiertesten deutschen Psychiater und Psychotherapeuten auf dem Gebiet
der Transsexualität, die polemische Anmerkung, dass sich „in jüngster Zeit
(...) Veröffentlichungen [mehren], die Transsexualität unter
sozialpsychologischen und politischen Aspekten thematisieren, vom
Geschlechtswechsel reden, als ließe sich das Geschlecht jederzeit wie in einer
Wechselstube konvertieren und ebenso rasch wieder zurückumtauschen.“
Dieser Einwand verdeutlicht die psychiatrische Skepsis einer Laisser-faire-Haltung
den Patienten gegenüber, die selber wissen, was sie wollen oder was gut für sie
ist, und die keinen Psychiater brauchen, sondern gegebenenfalls nur einen
Endokrinologen und einen plastischen Chirurgen. Der Psychiatrie
geht es um die Definitionsmacht bezüglich des Phänomens Transsexualität und um
die Überzeugung, dass es im Interesse zumindest vieler Geschlechtswechsler sei,
wenn das Geschlecht als der vielleicht wichtigste Faktor der persönlichen
Identität und die Geschlechtsumwandlung als irreversibler Eingriff der
psychiatrischen Kontrolle unterliegt.
Dass bislang Versuche, das bereits durch mehrere Urteile des
Bundesverfassungsgerichts liberalisierte bundesdeutsche Transsexuellengesetz
grundlegend zu reformieren, gescheitert sind, zeigt, dass Geschlecht und
Personenstand zu den grundlegenden Ordnungskategorien unserer Gesellschaft
gehören. Money hat Mitte der
1970er Jahre nachgedacht über „some sort of
ceremony or celebration that formally marks the occasion of a redeclaration of
sex, analogous to that which marks a change of citizenship“.
Hirschauer meint knapp zwanzig Jahre später, “eine
juristische Erneuerung des Geschlechtseides”, durch den bis ins 19. Jahrhundert
die Geschlechtszugehörigkeit von Zwittern festgelegt worden ist, “könnte auch
für heutige Geschlechtswechsler ein Verfahren bieten, für das sich zu streiten
lohnt”.
Tertium non datur?
Die biologistische Ursachenforschung muss
Transgender-Phänomene ignorieren. Denn wie soll für Geschlechter, die weder als
Zwangsphänomen zu verstehen noch in die bipolare Geschlechterordnung
einzuordnen sind, eine deterministische Ätiologie konstruiert werden? Die denkbare
Behauptung einer z. B. (neuro-)endokrinologischen Prädisposition zur
psychischen Vermännlichung oder Verweiblichung wäre für mich jedenfalls kein
plausibles dazu allgemeines Erklärungsmodell, weil es alles Mögliche und damit
nichts erklärt. Eine weitere Beforschung der Hormone, des Gehirns, der Gene und
ein Wechsel von Verlautbarungen und Widerrufungen, nun doch und endgültig den
biologischen dimorphen Kern der Geschlechts
Hartmann / Becker
(2002), S. 213. Pfäfflin (1993), S. 1. Wie Pfäfflin halten Hartmann / Becker am
klinischen Konzept von Geschlechtsidentitätsstörungen fest und halten es auch
für „dringend geboten, dass es nicht zu einer unzulässigen Beliebigkeit oder
Entdifferenzierung entsprechender Phänomene kommt“. (Hartmann / Becker (2002),
S. 216) Von einer Entpathologisierung „ex Cathedra“, wie sie Sigusch vollzogen
habe, halten sie nichts. (a.a.O.,
S. 218.) Money [u. a.] (1975), S. 196. Hirschauer (1993), S. 334. 543 identität gefunden zu haben – als Strategie
des Geschlechtsdispositivs – und ein operatives Management von
Geschlechtsumwandlungen, das auf der
Basis eines diagnostizierten Zwangs eindeutige Geschlechter herstellt – als
Strategie des Sexualitätsdispositivs – ist wahrscheinlicher als ein Rückzug der
Normalisierungsinstanzen Medizin und Justiz aus der Bestimmung der
Geschlechter.
Welche Ordnungen wären in Gefahr, wenn
in Urkunden kein Geschlechtsvermerk vorhanden wäre? Würden Individuen deswegen
ohne Geschlechtsidentität aufwachsen oder später in eine Identitätskrise
geraten? Es geht mir nicht um ein Plädoyer für die Abschaffung der Geschlechtsidentität,
sondern um die Eröffnung von Optionen. Es geht darum, das radikal Andere
anzuerkennen.
Das Geschlecht kann sich ändern. Der Körper muss nicht die
Geschlechtszugehörigkeit bestimmen. Es gibt mehr Optionen als nur Mann oder
Frau. Und muss jeder Mensch überhaupt ein ‘bestimmtes’ Geschlecht haben?
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