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Rothenbächer 2012
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Kleine und große
Lösung und das Transsexuellengesetz
Das
Verhältnis von §§ 1 und 8 TransSG ist nicht zwingend ein solches von “kleiner”
zu “großer” Lösung, weil entgegen den Erkenntnissen zur Zeit des
Gesetzeserlasses (1980) für das Vorliegen der Transsexualität nicht mehr eine
geschlechtsanpassende Operation für notwendig erachtet wird, sondern nach
neuerer Forschung die Stabilität des transsexuellen Wunsches ausschlaggebend
ist.
Angesicht
der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse stehen dem Gesetzgeber mehrere
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, an welche Voraussetzungen er die
Stabilität des transsexuellen Wunsches knüpfen kann; diese reichen von
Beratungs- und/oder Therapiepflichten bis zu Vorgaben hinsichtlich des
Erscheinungsbildes, soweit nur nicht ausnahmslos eine Operation verlangt wird,
die die Geschlechtsmerkmale verändert und zur Zeugungsunfähigkeit führt.
Gelangt
deswegen das Bundesverfassungsgericht nach Feststellung eines untrennbaren
Teils der Normteile zu einer unbefristeten Unanwendbarkeitserklärung, geschieht
dies, um dem pflichtigen Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit zu belassen.
Anhängige
Verfahren, bei denen die Entscheidung von der/dem verfassungswidrigen
Norm/-teil abhängen, sind bis zum Erlass des verfassungsrechtlich gebotenen
neuen Rechts auszusetzen. Gegenteiliges wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn
das BVerfG für die Übergangszeit konkrete Anordnungen getroffen hätten.
Amtsgericht
Mannheim, Beschluss vom 4. April 2011 – Ke 2 UR III 4/11
Transsexuellengesetz
verfassungswidrig?
Unter
Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum
Transsexuellengesetz1 ist es nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe
nicht zulässig, Verfahren zur Feststellung der Änderung der
Geschlechtszugehörigkeit (§ 8 TSG) bis zu einer gesetzlichen Neuregelung
auszusetzen.
Das
Verfahren darf nicht ausgesetzt werden, da der hierfür erforderliche wichtige
Grund (§ 21 Absatz 1 FamFG) fehlt – so das Oberlandesgericht Karlsruhe im hier
entschiedenen Fall. Ein solcher Grund kann insbesondere nicht darin gesehen
werden, dass der Gesetzgeber das Transsexuellengesetz bisher nicht reformiert
hat, nachdem es vom Bundesverfassungsgericht als teilweise mit dem Grundgesetz
nicht vereinbar erklärt worden ist.
Das
Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 11. Januar 20111 das
Transsexuellengesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die
Feststellung der Zugehörigkeit zu dem anderen Geschlecht in § 8 Absatz 1 Nr. 3
und 4 TSG davon abhängig gemacht wird, dass die oder der Betroffene dauernd
fortpflanzungsunfähig ist und sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale
verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche
Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist.
Es hat dabei2 „angesichts der Schwere der Beeinträchtigung, die ein
Transsexueller dadurch erfährt, dass sein empfundenes Geschlecht
personenstandsrechtlich nicht anerkannt wird“ ausdrücklich angeordnet, dass § 8
Absatz Nr. 3 und 4 TSG bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung
nicht anwendbar seien. Eine Zurückweisung des Antrags wegen Nichterfüllung der
Voraussetzungen des § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG ist vor diesem Hintergrund
nicht möglich.
Das
Verfahren darf auch nicht ausgesetzt werden. Es ist zwar zutreffend, dass das
Bundesverfassungsgericht die angegriffene Norm wegen der verschiedenen in
Betracht kommenden Regelungskonzepte nicht für nichtig, sondern (lediglich) für
mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat3, weil der Gesetzgeber die
Möglichkeit habe, für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen
Geschlechts spezifiziertere Voraussetzungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit
des Bedürfnisses, im anderen Geschlecht zu leben, aufzustellen, als sie in § 1
Absatz 1 TSG geregelt seien. Es hat aber zugleich – wie ausgeführt –
angeordnet, dass die für verfassungswidrig gehaltenen Normen bis zu einer
gesetzlichen Neuregelung nicht angewendet werden dürften.
Anders als
in anderen Fällen der Unvereinbarkeitserklärung4 liegt hier keine Situation
vor, in denen die Nichtanwendung einer beanstandeten Vorschrift zu einer
Vertiefung der Grundgesetzverletzung führen würde. Vielmehr führt die
Nichtanwendbarkeit einer Vorschrift über eine von mehreren Voraussetzungen für
den Erfolg eines Antrags dazu, dass diesem unter erleichterten Voraussetzungen
entsprochen werden kann.
Eine
Aussetzung des Verfahrens, wie sie das Amtsgericht verfügt hat, stünde zu der
Anordnung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtanwendung der Norm im
Widerspruch. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung, § 8
Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung für
unanwendbar zu erklären, mit der Schwere der Beeinträchtigung für den
betroffenen transsexuellen Menschen. Das kann nicht anders verstanden werden,
als dass es davon ausgegangen ist, dass bis zum Inkrafttreten einer
gesetzlichen Neuregelung Anträgen nach § 8 Absatz 1 TSG zu entsprechen ist,
auch wenn die Voraussetzungen in Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG nicht erfüllt sind.
Die in der Entscheidung angestellte Güterabwägung würde in ihr Gegenteil
verkehrt, wenn die Nichtanwendung der Nummern 3 und 4 des § 8 Absatz 1 TSG zur
Folge hätte, dass in der Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung überhaupt
keine Personenstandsänderungen vorgenommen werden könnten.
Dieses
Verständnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird gestützt durch
den Umstand, dass dem Gesetzgeber keine bestimmte Frist für eine Neuregelung
gesetzt worden ist. Eine solche Fristsetzung wäre geboten gewesen, wenn die
Unvereinbarkeitserklärung bezüglich einer Voraussetzung der
Personenstandsänderung zu einer Aussetzung der Verfahren bis zu einer
gesetzlichen Neuregelung hätte führen sollen5. Andernfalls bestünde die Gefahr,
dass der Schwebezustand mit zunehmender Dauer seinerseits verfassungswidrig
werden würde. Folgte man nämlich der Auffassung des Amtsgerichts, hätte dies
zur Folge, dass die betroffenen Antragsteller es für eine unabsehbare Zeit
hinnehmen müssten, dass ihrem Antrag nicht entsprochen wird. Sie könnte sogar
dazu führen, dass ihnen dauerhaft eine Entscheidung versagt wird, wenn es
nämlich nicht gelingen sollte, einen mehrheitsfähigen Entwurf für eine Reform
des TSG vorzulegen.
Die
Nichtanwendung von § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG hat zur Folge, dass bis zu
einer etwaigen Neuregelung durch den Gesetzgeber eine Personenstandsänderung
bereits dann vorgenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen für eine
Vornamenänderung vorliegen. Die Voraussetzungen der „kleinen“ und der „großen“
Lösung stimmen damit – entgegen der vom Gesetzgeber ursprünglich gewollten
Differenzierung – überein. Dieser Rechtszustand muss, nachdem das
Bundesverfassungsgericht die vom Gesetzgeber geschaffenen zusätzlichen
Voraussetzungen für verfassungswidrig erachtet hat, derzeit hingenommen werden.
Soweit der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass dies nicht tunlich ist und eine
Personenstandsänderung von weitergehenden Voraussetzungen – etwa einer längeren
als der in § 1 Absatz 1 Nr. 1 TSG genannten dreijährigen Frist – abhängig gemacht
werden muss, hat er es in der Hand, die vom Bundesverfassungsgericht im Januar
2011 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Teile des § 8 Absatz 1 TSG
durch neue zu ersetzen.
Oberlandesgericht
Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2011 – 11 Wx 44/11
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