Donnerstag, 13. September 2012

Transsexuellengesetz verfassungswidrig?



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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Kleine und große Lösung und das Transsexuellengesetz

Das Verhältnis von §§ 1 und 8 TransSG ist nicht zwingend ein solches von “kleiner” zu “großer” Lösung, weil entgegen den Erkenntnissen zur Zeit des Gesetzeserlasses (1980) für das Vorliegen der Transsexualität nicht mehr eine geschlechtsanpassende Operation für notwendig erachtet wird, sondern nach neuerer Forschung die Stabilität des transsexuellen Wunsches ausschlaggebend ist.

Angesicht der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse stehen dem Gesetzgeber mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, an welche Voraussetzungen er die Stabilität des transsexuellen Wunsches knüpfen kann; diese reichen von Beratungs- und/oder Therapiepflichten bis zu Vorgaben hinsichtlich des Erscheinungsbildes, soweit nur nicht ausnahmslos eine Operation verlangt wird, die die Geschlechtsmerkmale verändert und zur Zeugungsunfähigkeit führt.

Gelangt deswegen das Bundesverfassungsgericht nach Feststellung eines untrennbaren Teils der Normteile zu einer unbefristeten Unanwendbarkeitserklärung, geschieht dies, um dem pflichtigen Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit zu belassen.

Anhängige Verfahren, bei denen die Entscheidung von der/dem verfassungswidrigen Norm/-teil abhängen, sind bis zum Erlass des verfassungsrechtlich gebotenen neuen Rechts auszusetzen. Gegenteiliges wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn das BVerfG für die Übergangszeit konkrete Anordnungen getroffen hätten.

Amtsgericht Mannheim, Beschluss vom 4. April 2011 – Ke 2 UR III 4/11

Transsexuellengesetz verfassungswidrig?

Unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Transsexuellengesetz1 ist es nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe nicht zulässig, Verfahren zur Feststellung der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit (§ 8 TSG) bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen.

Das Verfahren darf nicht ausgesetzt werden, da der hierfür erforderliche wichtige Grund (§ 21 Absatz 1 FamFG) fehlt – so das Oberlandesgericht Karlsruhe im hier entschiedenen Fall. Ein solcher Grund kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber das Transsexuellengesetz bisher nicht reformiert hat, nachdem es vom Bundesverfassungsgericht als teilweise mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt worden ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 11. Januar 20111 das Transsexuellengesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die Feststellung der Zugehörigkeit zu dem anderen Geschlecht in § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG davon abhängig gemacht wird, dass die oder der Betroffene dauernd fortpflanzungsunfähig ist und sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist. Es hat dabei2 „angesichts der Schwere der Beeinträchtigung, die ein Transsexueller dadurch erfährt, dass sein empfundenes Geschlecht personenstandsrechtlich nicht anerkannt wird“ ausdrücklich angeordnet, dass § 8 Absatz Nr. 3 und 4 TSG bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar seien. Eine Zurückweisung des Antrags wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG ist vor diesem Hintergrund nicht möglich.

Das Verfahren darf auch nicht ausgesetzt werden. Es ist zwar zutreffend, dass das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Norm wegen der verschiedenen in Betracht kommenden Regelungskonzepte nicht für nichtig, sondern (lediglich) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat3, weil der Gesetzgeber die Möglichkeit habe, für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts spezifiziertere Voraussetzungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit des Bedürfnisses, im anderen Geschlecht zu leben, aufzustellen, als sie in § 1 Absatz 1 TSG geregelt seien. Es hat aber zugleich – wie ausgeführt – angeordnet, dass die für verfassungswidrig gehaltenen Normen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung nicht angewendet werden dürften.

Anders als in anderen Fällen der Unvereinbarkeitserklärung4 liegt hier keine Situation vor, in denen die Nichtanwendung einer beanstandeten Vorschrift zu einer Vertiefung der Grundgesetzverletzung führen würde. Vielmehr führt die Nichtanwendbarkeit einer Vorschrift über eine von mehreren Voraussetzungen für den Erfolg eines Antrags dazu, dass diesem unter erleichterten Voraussetzungen entsprochen werden kann.
Eine Aussetzung des Verfahrens, wie sie das Amtsgericht verfügt hat, stünde zu der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtanwendung der Norm im Widerspruch. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung, § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung für unanwendbar zu erklären, mit der Schwere der Beeinträchtigung für den betroffenen transsexuellen Menschen. Das kann nicht anders verstanden werden, als dass es davon ausgegangen ist, dass bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung Anträgen nach § 8 Absatz 1 TSG zu entsprechen ist, auch wenn die Voraussetzungen in Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG nicht erfüllt sind. Die in der Entscheidung angestellte Güterabwägung würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Nichtanwendung der Nummern 3 und 4 des § 8 Absatz 1 TSG zur Folge hätte, dass in der Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung überhaupt keine Personenstandsänderungen vorgenommen werden könnten.

Dieses Verständnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird gestützt durch den Umstand, dass dem Gesetzgeber keine bestimmte Frist für eine Neuregelung gesetzt worden ist. Eine solche Fristsetzung wäre geboten gewesen, wenn die Unvereinbarkeitserklärung bezüglich einer Voraussetzung der Personenstandsänderung zu einer Aussetzung der Verfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung hätte führen sollen5. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Schwebezustand mit zunehmender Dauer seinerseits verfassungswidrig werden würde. Folgte man nämlich der Auffassung des Amtsgerichts, hätte dies zur Folge, dass die betroffenen Antragsteller es für eine unabsehbare Zeit hinnehmen müssten, dass ihrem Antrag nicht entsprochen wird. Sie könnte sogar dazu führen, dass ihnen dauerhaft eine Entscheidung versagt wird, wenn es nämlich nicht gelingen sollte, einen mehrheitsfähigen Entwurf für eine Reform des TSG vorzulegen.

Die Nichtanwendung von § 8 Absatz 1 Nr. 3 und 4 TSG hat zur Folge, dass bis zu einer etwaigen Neuregelung durch den Gesetzgeber eine Personenstandsänderung bereits dann vorgenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen für eine Vornamenänderung vorliegen. Die Voraussetzungen der „kleinen“ und der „großen“ Lösung stimmen damit – entgegen der vom Gesetzgeber ursprünglich gewollten Differenzierung – überein. Dieser Rechtszustand muss, nachdem das Bundesverfassungsgericht die vom Gesetzgeber geschaffenen zusätzlichen Voraussetzungen für verfassungswidrig erachtet hat, derzeit hingenommen werden. Soweit der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass dies nicht tunlich ist und eine Personenstandsänderung von weitergehenden Voraussetzungen – etwa einer längeren als der in § 1 Absatz 1 Nr. 1 TSG genannten dreijährigen Frist – abhängig gemacht werden muss, hat er es in der Hand, die vom Bundesverfassungsgericht im Januar 2011 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Teile des § 8 Absatz 1 TSG durch neue zu ersetzen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2011 – 11 Wx 44/11

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