Montag, 3. September 2012

Transsexuellensysteme



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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2012

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Transsexuellensysteme

„Der einzige Weg …diesem Drillsystem zu entkommen, ist die kollektive Aktion, die politische Organisierung, die Rebellion.“

Menschenrechtsverletzungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Psychiatrie seit ihrer Entstehung als medizinischem Fachgebiet im 17. Jahrhundert.
Angesichts der Praktiken der Anstaltspsychiatrie (bis in die 1970er Jahre hinein), der Militärpsychiatrie (z.B. Folterähnliche 'Behandlung' sog. 'Krieg Neurotiker' im ersten Weltkrieg) und der NS-Psychiatrie, ließen sich – historisch betrachtet – bei Psychiater_innen im wesentlichen vier Muster des kognitiv-emotionalen und praktischen Umgangs mit den psychiatrischen Menschenrechtsverletzungen erkennen williges Vollstrecken: aktive Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen, z.B. NS-Psychiater wie Werner Heyde.
Sich Anpassen und Mitmachen: eher 'Mitschwimmen' im System, befangen in der Illusion, Verschärfungen und Auswüchse individuell verhindern zu können, mit der Tendenz sich in einer Nische einzurichten und Alibihandlungen zu setzen, um das eigene Gewissen zu beruhigen.
Sich Unterwerfen: Angstvoll versuchen zu funktionieren, um ja nicht den Eindruck von Widerständigkeit zu erwecken und sich damit eventuell zu gefährden.
Expliziter Widerstand gegen diesen psychiatrischen Ungeist und die Praktiken, Zusammenschluss mit anderen Psychiater_innen und Menschenrechtsaktivist_innen, um gemeinsam gegen die Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen. Beispiele sind der italienische Psychiater Franco Basaglia, der die demokratische Psychiatrie begründete oder Psychiater  wie Ronald Laing, David Cooper und Thomas Szasz (typische Vertreter der Antipsychiatrie).

Die historische Analyse belegt aber auch, dass insbesondere die kritischen Psychiatriebewegungen (siehe o. Punkt 4) in der Vergangenheit bedeutsame Erfolge erzielen konnten. Die grundlegenden Reformen und Veränderungen der 1970er Jahre, die partiell zum „Ende der Anstalt“ (wie es der bekannte Sozialpsychiater Asmus Finzen einmal formuliert hat) führten, sind ein direkter Erfolg und historischer Verdienst dieser psychiatriekritischen Bewegungen.
Zu diesen vier Grundtypen gab es viele Varianten: die Grundtypen sind eher als Eckpfeiler eines Spektrums von Möglichkeiten aufzufassen - mit vielen Zwischenformen und Mischtypen. Sie unterliegen auch der historischen Veränderung, sind Bestandteile der diskursiven Entwicklung.
Im diesem und den folgenden Postings möchte ich ableiten, dass die vier Grundtypen auch heute noch dem Prinzip nach, wenn gleich auch in neuen veränderten Formen durchaus Relevanz und heuristischen Wert besitzen, will man den subjektiven Umgang mit Menschenrechtsverletzungen analysieren. Insbesondere der vierte Grundtyp scheint, so meine These (in Anlehnung an die Kritische Psychologie von Klaus Holzkamp), sowohl für transsexuelle Menschen wie auch für Therapeut_innen die gesündeste Alternative darzustellen, um gegen diesbezügliche Menschenrechtsverletzungen adäquat vorzugehen und angesichts der massiven Transfeindlichkeit die eigene Handlungsfähigkeit zu erweitern.

Transsexuellensysteme
In vielen europäischen Ländern wurden medizinisch-juristische Systeme installiert, um transsexuelle Menschen bei ihrem Wechsel des juristischen Geschlechts zu überwachen, zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Diese Systeme sind Ausdruck menschenrechtsverletzender Diskurse und Praktiken (s. Posting „Medizin ohne Menschlichkeit?“) und stellen transsexuelle Menschen wie auch Berater_innen in ein Feld von zunächst unauflösbaren grundlegenden Widersprüchen. Jede Beratung und Therapie erhält durch diese "Maschinerie" im Hintergrund unausweichlich ihr Gepräge, ihre Machteffekte dringen in die Ritzen jeder Beratungssituation (auch bei Beratungen, die explizit nicht direkter Bestandteil des Transsexuellensystems sind, sich also bewusst über eine kritische Distanz zur herkömmlichen 'Therapie' im Rahmen der Transsexuellensysteme zu definieren). Sie beeinflussen in der Tiefe jeden transsexuellen Diskurs (auch im Alltag) und formieren grundsätzlich jede Alltagspraxis von transsexuellen Menschen. Das Transsexuellensystem hat die Bedeutung einer unhintergehbaren Tatsache für jede Beratungs- und Therapiesequenz (ich werde aus Gründen der Vereinfachung im Folgenden das Wort 'Transsexuellensystem' mit 'TSS' abkürzen).

Daher muss am Anfang jeder Überlegung über die Möglichkeiten einer bedürfnisgerechten Beratung transsexueller Menschen eine kritische Auseinandersetzung mit dem TSS stehen. Dies sei am Beispiel des 'paradigmatischen' deutschen Transsexuellengesetzes (TSG) und der deutschen Standards of 'Care' näher beleuchtet. Ausgangspunkt für meine Überlegungen sind die Diskursanalyse von Foucault (vor allem seines Werks "Überwachen und Strafen") und die Kritisch-Psychologischen Ausführungen von Wiebke Ramm ("Transsexualität als Problem interdisziplinärer Produktion 'authentischer' Geschlechtlichkeit", FU-Berlin, Dipl.-Arb. 2002).

Transsexuelle Menschen stellen noch immer für die Gesellschaft – schon alleine durch ihre Existenz und später ihre 'geoutete' Lebensweise, eine ungeheure Provokation dar. Sie 'verstoßen' nämlich gegen einen 'heiligen' bzw. 'natürlichen' Grundsatz, entsprechend dem in dieser Gesellschaft gedacht und gehandelt wird: nämlich gegen das Prinzip, dass es ausschließlich von Natur aus Männer und/oder Frauen gibt (Diskurs der binären Geschlechtlichkeit). Dieser Mythos ist ganze 300 Jahre alt, hat sich aber in der modernen bürgerlichen Gesellschaft machtvoll durchgesetzt. Der Mythos wird energisch verteidigt, denn er ist ein wichtiger Kitt, um eine widersprüchliche und auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenzuhalten ("Was immer mir in meinem armseligen Leben zustoßen mag - Arbeitslosigkeit, Armut - ich bin in jedem Fall ein richtiger Mann" - "Was immer mir zustößt, das Lächeln meines Kindes wiegt es auf"). Der Mythos wird, da enorm wichtig für das Funktionieren der Gesellschaft, mit 'Klauen und Zähnen verteidigt': und alle dazu konträren Lebensweisen begegnen einer Feindlichkeit in der Gesellschaft. Insbesondere transsexuelle Menschen sind mit dieser Feindlichkeit konfrontiert, ihr Alltag ist häufig von Gewaltdrohungen, Hass, Diskriminierung, Mobbing usw. durchsetzt.

Die faschistische 'Lösung' - die Alternativen "Kastration oder Eliminierung im Konzentrationsslager" - wurde allerdings durch 'modernere' Varianten des Umgangs mit Transsexualität ersetzt (auf die Kastration mag man jedoch immer noch nicht verzichten). Mit dem 'Wegtherapieren' ist man auch nicht weiter gekommen, transsexuelle Menschen widerstehen solchen Versuchen.

Was man nicht eliminieren kann, sollte man zumindest kontrollieren und 'im Griff haben': Heute dürfen sich transsexuelle Menschen einer genormten Prozedur freiwillig unterwerfen, nämlich einem von den staatlichen Instanzen/Expert_innen abgesegneten und genau reglementierten Prozess des 'Geschlechtswechsels' - mit dem Ergebnis, dass dabei möglichst normale, echte Frauen oder Männer 'herauskommen' sollen (authentische Männer oder Frauen).

Wichtiger Baustein der "Umwandlungsprozeduren" sind die 'Behandlungsstufen', die es zu erklimmen gilt: Diagnosestellung - Hormonindikation - Gutachten zur Vornamensänderung - Operationsindikation - Gutachten zur Personenstandsänderung. Dazu gibt es einen genauen Zeitplan, ab wann die Beförderung/Versetzung auf eine höhere Stufe erfolgen kann. Die Beförderung wird durch ein Zeugnis von Expert_innen ermöglicht, denn als geistig- und verhaltensgestörte Individuen (s. ICD) kann und darf transsexuellen Menschen auf keinen Fall die Verantwortung für ihren eigenen Körper überlassen werden.

Am Anfang des Prozesses steht die Selektion: zunächst steht die strenge und genaue Prüfung der Echtheit und Authenzität der Zugehörigkeit zum 'anderen' Geschlecht an. 'Wirklich' transsexuell sind nur Personen, die den Wunsch äußern, sich operativen Eingriffen unterziehen zu wollen. Dies ist notwendig, um die echten Transsexuellen aus einem Meer von Transvestiten und effeminierten Homosexuellen 'herauszufischen'. Die erste Hürde/Stufe gilt als bestanden, wenn die Diagnose "Transsexualität" feststeht, also die Gestörtheit des transsexuellen Individuums etikettiert worden ist.

Eine weitere Hürde gilt es zu nehmen: den Alltagstest. Die Standards fordern, dass transsexuelle Menschen ein Jahr 24 Stunden täglich "sich in der angestrebten Geschlechtsrolle in allen Bereichen des Alltags erproben". Dies soll ohne Einnahme von Hormonen erfolgen (die gibt's erst danach); weniger begüterte transsexuelle Frauen können sich zudem auch keine kostenintensive Epilation leisten, die Prozedur findet ohne eingeleitete somatische Maßnahmen statt. Angesichts der Transfeindlichkeit können hier die Betroffenen im Alltag reichlich Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen sammeln. Dies wird von den Schöpfern der Standards offenbar bewusst in Kauf genommen, denn es gilt ja noch einmal unverfälscht zu überprüfen, wie echt der Wunsch denn nun ist. Solche Praktiken machen klein und demütig. Und sie verweisen auf den Zynismus ihrer Konstrukteure.

Die normierte Abrichtung nimmt ihren Lauf. Wichtig ist das Prinzip der stetigen Überwachung: Unter dem strengen, überwachenden Blicken von Therapeut_innen und Gutachter_innen, den sog. Transsexuellen-Spezialisten. Dazu sind Bekenntnisse und Geständnisse abzulegen, auf der Basis des unhinterfragten Mythos der binären Geschlechtlichkeit. Vor den 'Experten' hat sich 'der Patient' zu bewähren. Dabei ist stetes Misstrauen wichtig: "Die Heftigkeit des Geschlechtsumwandlungswunsches und die Selbstdiagnose allein können nicht als zuverlässige Indikatoren für das Vorliegen einer Transsexualität gewertet werden". Unter solchen Bedingungen werden 'Therapeut_innen' zu "Bewährungshelfern" (Hirschauer). Kurz gesagt: von gleichberechtigten, vertragsähnlichen, kooperativen Beziehungen kann im TSS nicht die Rede sein, es dominieren Unterwerfungsverhältnisse. Auch der sog. Alltagstest dient der Überwachung. Man gibt sich modern: in die Überwachungsaktivitäten werden auch andere transsexuelle Menschen und Selbsthilfegruppen einbezogen. Kockott, einer der bekannten Standardisierungs-'Experten', meint:
"Zu Beginn des Alltagstests beobachten wir häufig, dass der Transsexuelle die spezifischen Verhaltensweisen des angestrebten Geschlechts überzeichnet. Andere Transsexuelle oder Angehörige des gewünschten Geschlechts können korrigierend helfen" (Zit. nach Ramm ebda. S. 88).

Auch Therapeut_innen und Gutachter_innen werden genau überwacht. Im Transsexuellensystem überwachen und kontrollieren sich die Expert_innen gegenseitig (interdisziplinär). Beispielsweise wird bei uns in der Schweiz dieses System von wechselseitigen Überwachern durch "interdisziplinäre universitäre Kompetenzzentren" exekutiert und als Leistung von "Kompetenzteams" verklärt.

Das TSS dient dazu, die Norm der ausschließenden Zweigeschlechtlichkeit durchzusetzen. Um die Durchsetzung auch wirklich abzusichern, wurde der Normierungsprozess der 'Umwandlung' in möglichst echte Männer oder Frauen mit der Macht eines Gesetzes fixiert (TSG). Danach gibt es uniform eine große und eine kleine Lösung, die für alle transsexuellen Subjekte pauschal zu passen hat. Der Behandlungs-, Begutachtungs- und juristische Entscheidungsapparat hat nur das durch- bzw. umzusetzen. Juristisch relevant für den 'Geschlechtswechsel' ist ausschließlich, ob sich jemand exakt den vorgeschriebenen Prozeduren unterwirft, nur dann erhält er/sie uniform die kleine oder große Lösung.
Die Disziplinierung von transsexuellen Menschen auf die Norm hin hat vor allem über den Status eines Operationskandidaten zu erfolgen. Ein Widersetzen oder Ausbrechen aus dem Behandlungsprogramm wird mit Ausschluss sanktioniert, dadurch verbleibt dann die transsexuelle Person im Rahmen des zugewiesenen Geschlechts. Es besteht in diesem Sinne ein Zwang zur Konformität. Bei dieser Zurichtung und Disziplinierung ist auch die Kastration obligatorisch:
Transsexuelle Männer sind für eine Änderung ihres Personenstandes zu einer operativen Brustverkleinerung und einer Entfernung von Gebärmutter, Eileitern und Eierstöcken verpflichtet
transsexuelle Frauen werden juristisch als 'weiblich' anerkannt, wenn die Keimdrüsen und das Genital entfernt worden sind und die Anlage eines äußeren weiblichen Genitals durch die Bildung einer Neovagina durch Implantation der invertierten Penishaut erfolgt ist. Dabei ist darauf zu achten, dass eine ausreichende Tiefe der Vagina erreicht wird.
Eine besondere Machttechnik hilft die Überwachung und normierende Sanktionierung zu perfektionieren: die TSS-Prozeduren sind von Prüfungen durchsetzt. Angesichts der Tatsache, dass sich viele transsexuelle Menschen nicht als krank erleben, werden Diagnostik und Begutachtung zum Prüfungsritual. Der prüfende Blick nimmt die gesamte Biographie ins Visier:
"Die Begutachtung dient dazu, 'DIE ENTWICKLUNG DER GESCHICHTE DER GESCHLECHTSIDENTITÄT UND IHRER STÖRUNG [...] IM PSYCHOSOZIALEN UMFELD MIT SEINEN JEWEILIGEN EINFLUSSFAKTOREN IN DEN AUFEINANDERFOLGENDEN LEBENSPHASEN NACHZUZEICHNEN.' (Becker). Das gesamte bisherige Leben hat innerhalb des therapeutischen Kontextes zu einer kohärenten, nach spezifischen Ereignissen gegliederten, chronologischen Entwicklung zu werden, die der Biographie eines ,Transsexuellen´ zu entsprechen hat: 'Die Gutachtenbiographie ist eine gewissermaßen zu Entscheidungszwecken 'eingefrorene' Geschichte, die auch auf bestimmte Merkmale hin getrimmt wird' (Hirschauer ...). Entscheidend ist daher auch zur Identifikation eines, Transsexuellen´ nicht, was in seinem Leben tatsächlich passiert ist, sondern 'was passiert sein muss, damit das jetzige Phänomen entstehen konnte (ebd.). Wesentlich sind demnach für die Erstellung von Diagnosen und Gutachten sozusagen 'symptomatische' Ereignisse, so dass die Biographie bereits als 'Fall von' Transsexualität erfragt wird: 'DIE BIOGRAPHISCHE ANAMNESE SOLL MIT SCHWERPUNKT AUF DEM INDIVIDUELLEN GESAMTVERLAUF DER TRANSSEXUELLEN ENTWICKLUNG UND DEN IHN BEEINFLUSSENDEN FAKTOREN IN DEN WESENTLICHEN ASPEKTEN DARGESTELLT WERDEN.' (Becker)'" (Zit. n. Ramm ebda. S.98).
Der sich den Ritualen unterwerfende transsexuelle Mensch ist dazu angehalten, im Sinne einer echten Geschlechtlichkeit normgerecht und regelkonform gelebt und empfunden zu haben.

Das TSS führt also summa summarum zur Entmündigung transsexueller Menschen. Dabei interessiert primär, inwieweit der Anpassungsprozess der 'Selbstnormalisierung' vorangeschritten ist. Die subjektive Befindlichkeit und die Lebenswirklichkeit spielen beim Hinsteuern auf die kleine oder große Lösung eine eher untergeordnete Rolle. Als Ergebnis der Prozeduren erscheint
"Ein geschlechtlich transformierter Mensch .... gewissermaßen als ein Produkt dessen, was andere zum Standard erklärt haben, als ein vom Behandlungsapparat verfertigtes Individuum, dessen Geschlechtlichkeit nach vorgegebenem Maß normiert und normalisiert wurde." (Ramm ebda. S.103)

Insbesondere wird transsexuellen Menschen das Recht abgesprochen, über ihren Körper selbstbestimmt zu verfügen.

Das TSS pathologisiert transsexuelle Menschen. Auch dadurch wie die Subjektivität transsexueller Menschen innerhalb des 'therapeutischen' Geschehens ignoriert. Ein gesunder Mensch wird pathologisiert, damit gesellschaftliche transfeindliche Bedingungen im System nicht vorkommen müssen und verdrängt werden können. Die Therapeut_innen können sich so als Heiler, Helfer und Geburtshelfer zur "Normalität" gerieren.

Unter solchen Machtverhältnissen wird echte "Verständigung" in der Beratungs- und Therapiesituation enorm erschwert. Im Vordergrund können Verdächtigungen stehen, der/die jeweils andere wolle täuschen. Strategisch-instrumentalisierendes Verhalten ist an der Tagesordnung: "Wie komme ich ihm/ihr auf die Schliche?" oder "Was muss ich ihm/ihr erzählen, damit ich grünes Licht zur OP bekomme?". 

Beratung I: Herumdeuten und erste Selbstmanagement-Versuche
Angesichts der massiven Transfeindlichkeit in der Gesellschaft und dem zunächst naturhaft vorgegeben erscheinenden Transsexualitätssystem mit seinen noch undurchschauten Vorschriften, Ritualen kommt ein transsexuelles Subjekt sich reichlich verloren und defensiv vor. Wenn es dann noch auf Berater_innen / Therapeut_innen stößt, welche sich als verlängerten Arm des Systems sprich als Transsexualitäts-Spezialisten verstehen (und das ist wohl die Regel), dann werden in der Regel zunächst kognitive Muster des Deutens (ein)geübt. Holzkamp stellt die Muster des Deutens und Begreifens einander gegenüber (Holzkamp, K.: Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/M 1985 S.383 ff.).
Deutendes Denken ist für ein Subjekt immer dann 'interessant', wenn Passivität, Ohnmacht und Defensive beim Handeln auf der Tagesordnung stehen. Das ist beim Einstieg in die Trans-Beratung meistens der Fall. Wenige transsexuelle Menschen kommen selbstbewusst - strotzend voller TransPride - in die erste Beratungssitzung. Meist sind sie verschüchtert bzw. eingeschüchtert, aber zu Bekenntnissen und Geständnissen 'bereit'. Um die Misere und Unsicherheit erträglich zu halten, wird zunächst 'gedeutet' und weniger 'begriffen'. Dabei haben 'Therapeut_innen zunächst die Definitionsmacht inne, es zählt also vor allem, was sie denken und wie sie über Transsexualität reden. Einige typische Deutungsmuster von Therapeut_innen sind 
Faktizität: geistige Orientierung am Faktischen: "das ist einfach so, das kann man nicht verändern!". Transfeindlichkeit wird als unabänderlich hingenommen.
Naturalismus: gesellschaftliche Interessen, Widersprüche und Machtverhältnisse werden als natürlich-unveränderbar deklariert.
Neigung zur Mystifizierung, also zum 'Hineingeheimnissen': transsexuelle Gesundheit wird zur Identitätsstörung mystifiziert.
Individualisierendes Denken: Tendenz z.B. übergreifende gesellschaftlich bedingte  Diskriminierung zum lediglich individuellen Problem von Einzelnen herunter zu stilisieren, mit dem die Einzelnen angeblich nicht zurechtkommen.
Interaktionsverkürzung: Probleme und Widersprüche, die in gesellschaftlichen vorgeformten Machtverhältnissen begründet sind (z.B. Gutachter-, Therapeuten-Macht) werden verkürzt auf die persönliche Interaktionsebene (" ... es ist wichtig zu helfen und zu unterstützen") ("man muss nur miteinander vernünftig reden ...").
Unmittelbarkeitsverhaftetheit: Fehlen einer (gesellschaftlichen) Metaebene (Background) beim Denken, alles erscheint unmittelbar aus der momentanen Situation im Hier zu entspringen: "Wie fühlen Sie sich im Moment?". Nichts hat mit dahinter stehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun. .
Operationalismus: menschliche Handlungen werden auf Operationen verkürzt, Geschlechtsangleichung erscheint dann beispielsweise nur als Problem, das Verfahren entsprechend den Standards 'korrekt' abzuwickeln, der gesellschaftlich-historische Hintergrund solcher Prozesse wird ausgeblendet. Die Lösungen erscheinen immer ganz einfach.
Oberflächenbezug: übergreifende Strukturen oder Hintergründe werden negiert, die Dinge 'sind', wie sie unmittelbar an der Oberfläche wahrgenommen werden. Der 'Patient' wird nach Äußerlichkeiten beurteilt (z.B. Erwartung einer überbetonten 'weiblichen Performance').
Statisches Denken: Vergangenheit und Zukunft sind ausrechenbar, logische Ausläufer der Gegenwart. Entwicklungssprünge, revolutionäre Umbrüche, Krisen und Zusammenbrüche kommen nicht vor und können auch nicht kollektiv herbeigeführt werden. "Die Transition verläuft ohne große Probleme“.
Standpunkt außerhalb: "Als Therapeut bin ich neutral"
Personalisierendes Denken: Gesellschaftliche Hintergründe / Widersprüche werden ignoriert, die Patienten haben lediglich persönliche Probleme.
Fokussierung auf Instrumentalbeziehungen: z.B. Einstellungen wie „es ist wichtig, sich in der Therapie vom Patienten nicht hinters Licht führen zu lassen und entsprechend aufmerksam zu sein“.
Verinnerlichung und Psychisierung: Objektiv bedingte Schwierigkeiten, etwa gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse (z.B. Transfeindschaft) und ihre psychischen Auswirkungen werden umgebogen zu einem der Psyche 'des Patienten' innewohnenden Identitätskonflikts. Oder es liegt an seiner unangemessenen 'Einstellung'
Im Rahmen dieser deutenden Denkweisen von Therapeut_innen und der Defensivität / Ängstlichkeit werden zaghafte defensive Handlungsmuster thematisiert und versuchend realisiert. Dabei spielen als Handlungsmatrix die Vorgaben des Transsexuellensystems und der Standards eine große Rolle: erste tastende Versuche z.B. sich 'en femme' in der angstvoll erlebten transfeindlichen Gesellschaft zu bewegen, 'en-femme'-Realisierungsversuche (z.B. am Passing feilen, Schminken lernen usw.) in häuslichen und anderen Nischen (falls nicht durch Partner_in sanktioniert), Besuch von geschützten Räumen wie Selbsthilfegruppen, kommunikative Forenteilnahme und Internetrecherche, um den Informationshunger zu stillen, Bios von transsexuellen Frauen und Männern lesen, die es bereits 'geschafft' haben ... 

 Je nach individueller Position/Lebenslage, kann sich der Prozess im weiteren in unterschiedliche Richtungen entwickeln: es kann einen Unterschied bedeuten, ob eine gut verdienende transsexuelle Frau mit unternehmerischer Attitüde das Reglement 'souverän' umschifft und einfach die OPs z.B. in Thailand durchführen lässt ("Suporn ist zwar teuer, aber er ist der Beste") oder eine weniger begüterte transsexuelle Frau / Mann auf das TSS und die Krankenkassen (inkl. MDK) angewiesen ist.

Wesentlich für die weitere Entwicklung sind Voraussetzungen wie erlerntes Handeln-Können, erworbenes Wissen, Erfahrungen mit theoretischen Begrifflichkeiten, Gewohnheiten wie kritisches Denken und bereits bestehende gesellschaftsverändernde Handlungsbereitschaften, aber auch praktische Erfahrungen mit Widerstand und kollektiven Widerstandskulturen.
Nicht zuletzt kann es bedeutsam sein, ob der/die Therapeut_in sich als verlängerten Arm des TSS versteht (und damit die Herumdeuterei eher bekräftigt bzw. vorexerziert) oder eine kritisch-emanzipatorische Perspektive einbringt (wenn dies die zu beratende transsexuelle Person wichtig findet).
Die möglichen weiteren Richtungen / Ergebnisse des Beratungsprozesses könnten sein:
Sich schließlich dem TSS zu unterwerfen und dabei Krisen in Kauf zu nehmen oder
die Handlungsfähigkeit relativ zu erweitern durch aktive engagierte Anpassung (z.B. unter Zuhilfenahme geschickter unternehmerischer Attitüden) oder
Zusammenschluss mit anderen transsexuellen Personen, um eine kollektive Bedingungsverfügung zu antizipieren, sprich Entwicklung einer kollektiven (politischen) Widerstandskultur gegen Transfeindlichkeit und TSS, damit Erweiterung der eigenen Handlungsfähigkeit und Förderung der eigenen Gesundheit/Entwicklung trotz (zunächst) widriger Bedingungen.
Dies sind Möglichkeiten, Richtungen, die eingeschlagen werden können.

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