Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle
Rechte vorbehalten!
Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2012
Bitte kopiert den Link und gebt
diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Türkei: Eine
transsexuelle Diva regt auf
Die Sängerin Bülent Ersoy steht bereits seit über 40 Jahren
auf der Bühne, ist transsexuell und erfolgreich. Ein Mysterium in der Türkei.
So schrill kann ein echter Paradiesvogel gar nicht sein.
Bülent Ersoy, Grande Dame der türkischen Volksmusik, sitzt während der
populären Talkshow „Beyaz Show“ auf einem mondänen Fauteuil, in einem neonblauen
Federkleid und pompösen Kunstwimpern, erblickt das Glas auf dem Beistelltisch
und fragt den Moderator vorwurfsvoll: „Was ist das? Wasser?“ – woraufhin dieser
das Showpersonal um einen Früchtetee bittet, aber auch damit ist Ersoy nicht
zufrieden zu stellen: „Was, Früchtetee?“
Und bevor sie aussprechen kann, was sie eigentlich möchte,
Schnaps nämlich, liefert sie den Zuschauern auch gleich die Antwort, warum das
wohl nicht klappen wird: „Das geht bei RTÜK (Regulierungsbehörde für den
privaten Rundfunk, Anm.) wohl nicht durch.“ Freilich hat das ganze Land über
diesen Auftritt Mitte Mai gesprochen. Manche bekritteln ihr grausames Outfit,
andere finden Alkoholscherze daneben, wiederum andere lachen darüber. Ersoy
selbst ist sämtliche Reaktionen längst gewohnt. So kontrovers wie sie – am
heutigen Samstag feiert sie ihren 60. Geburtstag – ist kaum ein Showstar in der
Türkei.
Ersoy wurde als Mann geboren und stand bereits mit 18 Jahren
auf der Bühne. In London unterzog er sich einer Geschlechtsumwandlung, nur kurze
Zeit später – nach dem Militärputsch 1980 – erhielt sie Bühnenverbot (wie
andere trans- und homosexuelle Künstler auch). Die Sängerin verbrachte
anschließend mehrere Jahre in Deutschland, bis der ehemalige Ministerpräsident
Turgut Özal das Verbot wieder aufhob. Ihrer Karriere haben das Exil und die
Umwandlung nicht geschadet. Und dieser Umstand darf ruhig als Mysterium
bezeichnet werden, schließlich ist die Türkei nicht für ihre Offenheit
gegenüber Trans- und Homosexuellen bekannt.
In Sachen Musik aber scheint die türkische Gesellschaft eine
gewisse Toleranz an den Tag zu legen: Vor Ersoy trat der beliebte Sänger Zeki
Müren in Minikleidern und Netzstrümpfen auf – und das in den 1960er-Jahren.
Ersoy hingegen veröffentlichte erfolgreich ein Album nach dem anderen, trat auf
so ziemlich jeder Bühne des Landes auf (obwohl sie nach einem Auftritt
angeschossen und schwer verletzt wurde) und war zuletzt Jurorin der Castingshow
„Popstar Alaturka“. Während der ersten Staffel lernte sie den damals
25-jährigen Teilnehmer Armagan Uzun näher kennen, die beiden heirateten kurze
Zeit später und sorgen damit für ein mediales Donnerwetter. Nur ein paar Monate
später folgte die ebenfalls medienwirksame Scheidung.
Eines hat Ersoy nämlich immer schon getan, ob nun freiwillig
oder nicht: der türkischen Klatschpresse Futter gegeben. Dabei sind ihr
Schminkkästchen genauso ein Thema wie ihre angebliche Vorliebe für jüngere
Männer und ihre Aussagen zur Tagespolitik. Vor vier Jahren sorgte die Sängerin
für einen Eklat, als sie nach dem Einmarsch der türkischen Armee in den
Nordirak bekundete, dass sie ihren Sohn sicher nicht in den Einsatz und damit
„unter die Erde“ schicken würde. Der konservativ-nationalistische Teil des
Landes reagierte mit Entsetzen, der liberale mit Applaus. Selbst ein
Strafverfahren wurde eingeleitet, wegen „Entfremdung des Volkes vom
Militärdienst.“ Und erst kürzlich schaltete sich Ersoy in die aktuelle Debatte
über Abtreibungen ein (die Regierung will das Recht zur Abtreibung
einschränken): Nein, sie würde nicht abtreiben lassen, sagte Ersoy. Diesmal
applaudierten die Konservativen und die Liberalen verdrehten die Augen.
Wie auch immer sie sich äußert, Ersoy setzt sich jedes Mal
gekonnt in Szene – nicht umsonst wird sie „Diva“ genannt. Ob sie nun wirklich die
transsexuelle Diva einer teils homophoben Nation ist oder ein schrulliges
Original oder eine verblichene Sängerin mit seltsamer Garderobe – darüber ist
sich die türkische Gesellschaft trotz all ihrer Erfolge noch nicht einig.
AUF EINEN BLICK
Bülent Ersoy wurde am 9. Juni 1952 in Istanbul als Mann
geboren. 1980 unterzog sich Ersoy in London einer Geschlechtsumwandlung. Ihrer
Karriere hat dieser Schritt nicht geschadet, sie gilt als eine der beliebtesten
Sängerinnen in der Türkei. Nach einem Auftritt 1989 wurde die Sängerin
angeschossen und verlor dabei eine Niere. Lange Zeit galt sie als unpolitisch,
neuerdings kommentiert sie häufiger die aktuelle Tagespolitik – und sorgt damit
entweder für Applaus oder Kopfschütteln.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen