Copyright © 2011-2021 Nikita Noemi Rothenbächer- Alle
Rechte vorbehalten!
Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2013
Bitte kopiert den Link und gebt
diesen euren Verwandten, Freunde, Bekannten und Familie denn Information beugt
vor, einer Minderheit anzugehören!
Alternative
Konzeptionen der Geschlechter – Das dritte Geschlecht
Vorstellungen eines dritten Geschlechts, das eine Art
Zwischenstufe zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht darstellt,
finden sich weltweit. Burton (1909) identifiziert eine bestimmte Region, in der
sich gehäuft Brauchtum findet, das Burton als ›transsexuelles Brauchtum‹
bezeichnet, und nennt diese Region ›sotadische Zone‹ (nach Sotadeus von
Maroneia, 306 bis 246 v. Chr.). Innerhalb dieser sotadischen Zone findet nach
Burton eine Vermischung von männlichen und weiblichen Merkmalen statt, die
sonst auf der Welt nur sporadisch vorkommt. »…there is a blending of the
masculine and feminine temperaments, a crasis which elsewhere occurs only
sporadically« (Burton 1909, S. 202). Die sotadische Zone ist durch die
Randgebiete des Mittelmeeres begrenzt, verengt sich nach Osten hin und umfasst
dort Kleinasien, Mesopotamien, Afghanistan, Sind, Pandschab und Kaschmir,
verbreitert sich dann in Indochina und umfasst China, Turkestan, Japan,
sämtliche Südseeinseln und die neue Welt. […]
Die Gründe bzw. die Antriebe, aus denen heraus ein sog.
Geschlechtswechsel bzw. die Übernahme der Rolle eines Mitglieds des ›dritten
Geschlechts‹ erfolgen, sind regional (und individuell) verschieden. Man kann
diese Reihe unterschiedlicher Geschlechtskonzeptionen als Anomalien in bezug
auf das uns aus unserer abendländischen Kultur heraus selbstverständlich
erscheinende Paradigma der zwei sich ausschließenden Geschlechter verstehen.
Wie Andritzky (1993) ausführt, kann ein solcher Wechsel der
Geschlechtsrolle als normatives Erfordernis unabhängig vom Willen des
Betroffenen erfolgen.
»Kapitan Fernando Alarcon berichtet im Jahr 1540 aus
Anicanda, dass es dort bei dem Stamm der Yuma immer vier Weibmänner gäbe. Wenn
einer von diesen gestorben ist, werden alle schwangeren Frauen des Landes
gezählt. Die erste, welche einen Sohn zur Welt bringt, muss ihn hergeben, damit
er die Stelle eines Weibes ausfülle. Die Frauen kleiden ihn dann nach ihrer
Tracht ein und bedeuten ihm, dass er auch ihre Arbeit zu leisten verpflichtet
sei. Später darf der Transvestit nur mit Männern verkehren, er erhält keinen
Lohn, hat aber das Recht, sich alles von anderen Männern zu nehmen, was er zum
Leben braucht.« (zit. nach Baumann 1955, S. 23)
»Die Zuni-Indianer suchen in jedem Dorf einen oder mehrere
Stammesgenossen aus, um sie geschlechtlich impotent zu machen und bei den
religiösen Orgien der Frühlingsfeste päderastischen Zwecken zuzuführen«
(Andritzky 1993, S. 28)
Ein anderes Beispiel berichtet Pater Domingo de Santo
Thomas, der die sog. ›heiligen Kulturtransvestiten‹ der Yuuca erwähnt. Sie
seien in den Tempeln beschäftigte, wie Weiber gekleidete junge Männer, die von
Kindheit an auf diesen Beruf hingewiesen und auf ihn vorbereitet würden. (vgl.
Karsch-Haack, 1911)
Bleibtreu-Ehrenberg (1984) berichtet, dass es bei den
Sononuco Indianern um 1680 n. Chr. Brauch war, dass das sechste männliche Kind,
das eine Frau ohne dazwischenliegene Geburt eines Mädchens gebar, als Mädchen
aufgezogen wurde.
Der Wechsel der Geschlechtsrolle kann und konnte aber auch
auf Wunsch des Betroffenen erfolgen. So zitiert Baumann (1955) einen
Beobachter, der über die Situation eines bote (d.h. eines
Nicht-Mann-Nicht-Weib) folgendes berichtet: »Trotz aller etwaiger Abhaltungen
von seiten der Erwachsenen kann man ein Kind, das Weiberkleider annehmen will,
nicht von seinem Vorsatz abbringen« (Baumann 1955, S. 23). Ebenso zitiert
Baumann (1955) einen gewissen Pater Marquette (um 1674), dass es bei den
Illinois Knaben gäbe, bei denen der Wunsch, ein Mädchen zu werden, schon sehr
früh beginnt, wobei die Väter versuchen, sie davon abzuhalten. Männer, bei
denen die Transformation in höherem Alter stattfände, erklärten, »dass sie
einen Traum oder eine höhere Eingebung hätten und beharren auf ihrem
Entschluss, der sie einerseits einer gewissen Verachtung preisgibt, sie
gleichzeitig aber als heilig gelten lässt. Sie spielen eine große Rolle im Rat,
nehmen an den Kalumet-Festen teil und gelten als manitus oder auserlesene Menschen«
(zit. nach Baumann 1955, S. 221 f.).
Andere Beispiele finden sich bei den Mohave (s.
Bleibtreu-Ehrenberg, 1984; Devereuy, 1937) und den Dayak auf Borneo (s.
Ling-Roth, 1896). Auch bei den Sioux gabe es Fälle von freiwilligem
Geschlechtsrollenwechsel, den sog. Otos (vgl. Irving, 1835).
Auch eine dritte Form des Geschlechtswechsels, und zwar als Folge
systematischer Förderung durch die Eltern oder die Stammesgruppe, ist bekannt.
Nach Lasnet gibt es bei den Sakalauen Westmadagaskars
Männer, »… welche sich vollkommen als Frauen fühlen; schon in früher Jugend als
Frauen angesehen, legen sie auch deren Kleidung, Charakter und Gewohnheiten an.
Große Sorgfalt legen sie auf die Tracht. Ihr Haar tragen sie lang, Handgelenke
und Fußwurzeln werden mit Bändern geschmückt. Um dem Weibe noch ähnlicher zu
sehen, bilden sie Brüste durch Lappen nach und entfernen alle Behaarung
sorgfältig vom Körper; auch der wiegende weibliche Gang ist ihnen eigen«
(Lasnet zit. nach Karsch-Haak 1911, S. 178 f.). Holmberg (1856) berichtet über
die sogenannten achnutschik der Konjagen, einem Eskimovolk in Alaska. Es
handelt sich um Männer mit tatauiertem Kinn, die nur weibliche Arbeiten
verrichten, stets mit den Frauen zusammenwohnen und selbst Männer haben. Sie
sind hoch angesehen und meist Zauberer. Die Eltern bestimmten einen Sohn zum
achnutschik, wenn er ihnen mädchenhaft erscheint; auch kommt es vor, dass
Eltern, die sich wünschten, eine Tochter zu bekommen und sich in ihren
Hoffnungen getäuscht sehen, den Sohn zum achnutschik machen (zit. nach
Karsch-Haak, 1911).
Formen des kultischen Geschlechtswechsels von Frau zu Mann
bilden die Ausnahme, kommen bzw. kamen aber dennoch vor. So schildert
Schneeweis (1935) das sog. ›serbokroatischer Transvestitenwesen‹: »Fehlten in
einer Familie männliche Nachkommen, die allein zur Durchführung des Ahnenkultes
berechtigt waren, dann wurde eine der Töchter als momak devoijka
(Bursche-Mädchen) bestimmt. Sie bekam Männerkleider und Waffen, rauchte und
nahm an Jagd- und Kriegszügen teil.« (Schneeweis 1935, S. 236 f.)
Die wesentlichen Veränderungen bei den verschiedenen Formen
des Geschlechtswechsels umfassen eine Übernahme der konträrsexuellen
gesellschaftlichen Rolle, d.h. die Übernahme von traditionell
gegengeschlechtlichen Arbeiten und Aufgaben, das Tragen entsprechender
Kleidung, Veränderung der Stimmhöhe und der Intonation, außerdem einer
Veränderung der Gangart. Dabei waren verschiedene Stufen des
Geschlechtsrollenwechsels bekannt. So beschreibt Bogoraz die folgenden Stufen
der Transsexualisierung des Mannes bei den Tschuktschen:
Männer, die nur ihr Haar in weiblicher Art flechten. Dies
ist ein weit verbreiteter Brauch, der nicht nur von Schamanen auf den Befehl
bestimmtest Geister hin angenommen wird, sonder auch von Kranken auf Anordnung
eines Schamanen, um ihn für die Krankheitsgeister unkenntlich zu machen.
Die Annahme weiblicher Tracht als Heilmittel bei
schamanischer Behandlung.
Eine vollständige Wandlung der sexuellen Identität findet
etwa bei 5 von 2000 Tschuktschen statt. Diese vollständige Umwandlung geschieht
mit Worten BOGORAZ, »… wenn ein Jugendlicher plötzlich auf den Traumbefehl
eines Geistes hin Büchse und Lanze, den Lasso des Rentreibers und die Harpune
des Seehundjägers fortwirft und zur Nadel und zum Fellschabeisen greift. Seine
Sprechweise und körperlicher Ausdruck verändert sich (…), er geht der
männlichen Stärke und Ausdauer im Kampfe verlustig und erwirbt die
Hilflosigkeit eines Weibes. Er verliert seine Streitlust, wird scheu gegen
Fremde, interessiert sich für die Pflege kleiner Kinder und sucht sich einen
Ehemann, den er in seiner Jurte aufnimmt« (Bogoraz 1907, S. 448 f.).
Neben diesen verschiedenen Stufen der Übernahme weiblichen
Verhaltens finden sich auch unterschiedliche Veränderungen im somatischen
Erscheinungsbild. Dabei handelt es sich jedoch hauptsächlich um einen Wechsel
der sexuellen Identität im Sinne der Psychosexualität. Das genitale
Erscheinungsbild spielt dabei nur einer untergeordnete Rolle. Von daher finden
häufig keine körperlichen Veränderungen statt. Vereinzelt finden sich jedoch
bei den Männern mit veränderter Geschlechtsidentität eine
geschlechtsspezifische weibliche Fettverteilung bis hin zur Ausbildung von
Brustdrüsen, über deren Ursache Andritzky spekuliert, »dass auf rein
psychischem Wege, etwa autosuggestiv und über konditionierte Lernprozesse,
spezifische Nervenbahnen zwischen Cortex und Hypophyse aktiviert werden und die
rituellen Transsexuellen so das gleiche Ziel erreichen wie in unserer
Gesellschaft mittels Hormonzuführung von außen« (Andritzky 1993, S. 35).
Aber auch über bewusste Veränderungen des männlich-genitalen
Erscheinungsbildes wird berichtet. So beschreibt Hammond den Ritus der
Zuni-Indianer, ihre kultischen Geschlechtswechsler impotent zu machen und eine
Atrophisierung des Hodengewebes zu erreichen:
»Zum mujerado wird einer der kräftigsten Männer jedes Dorfes
ausgesucht und an ihm täglich vielmals Masturbation vorgenommen. Zugleich wird
er gezwungen, fast ununterbrochen zu reiten, wodurch seine Geschlechtsorgane in
einen Zustand reizbarer Schwäche geraten, dass schon die Bewegung auf dem
Pferderücken hinreicht, eine Pollution hervorzurufen. Diese Schwäche schreitet
fort, bis keine Samenentleerungen mehr eintreten. Penis und Hoden beginnen zu
schrumpfen und die Erektionsfähigkeit erlischt. Der mujerado verliert die Lust
an seinen früheren Betätigungen, er gesellt sich den Frauen zu und braucht
nicht mehr zu arbeiten« (Hammond 1881, S. 38).
Neben dieser forcierten Atrophisierung des Hodengewebes
finden sich beispielsweise bei den Hijras in Indien (einer Art
Eunuchen-Transvestiten) der Brauch der Entfernung der männlichen Genitalien, um
dem Ideal der Geschlechtslosigkeit (»neither male nor female«) gerecht zu
werden:
»emasculation
is the dharm (case duty) of the hijras, and the chief source of their
uniqueness. The hijras carry it out in a ritual context, in which the client
sits in front of a picture of the doddness Bahuchara and repeats her name while
the operation is being performed. A person who survives the operation becomes
one of Bahuchara Mata’s favorites, serving as a vehicle of her power through
their sybolic rebirth« (Nanda 1985, S. 39 f.).
Eine dritte Form der genitalverändernden Maßnahmen stellt
die sog. mika-Operation bei den australischen Ureinwohnern dar, bei der eine
Art Pseudo-Vagina angelegt wird:
»Es handelt sich hierbei um eine Subincision des Penis, der
anlässlich der Jünglingsweihe vom Hoden bis zur Eichel an der Unterseite
aufgeschlitzt wird. Diese Jünglinge heißen dann »Vulvabesitzer«. Sie gehen mit
Knaben, die ihren Penis in den incisierten Penis des Vulvabesitzers einführen,
ein Liebesverhältnis auf Zeit ein. Dies geschah bei den Kimberley Melanesiens
z.B. immer dann, wenn für einen Jüngling keine Frau zur Verfügung stand, was
wegen der Polygynie der Kimberley oft vorkam« (Karsch-Haack 1911, S. 74 f.).
Bei etwa zwei Dritteln der männlichen australischen Ureinwohnern soll die
mika-Operation durchgeführt worden sein.
Die geschilderten Beispiele machen deutlich, dass die für
uns Nordeuropäer (und US-Amerikaner) so vertraute Geschlechterdichotomie
keineswegs selbstverständlich ist. Besonders vor dem Hintergrund alternativer
Geschlechtskonzeptionen, wie sie über die ganze Welt verbreitet nachgewiesen
werden konnten, wird die Aussage Hirschauers, über das Wesen der Geschlechterdichotomisierung
als »kulturelle Leistung« deutlich. […] Die Unterscheidung entweder in zwei
oder aber in mehrere Geschlechter ist weder falsch noch wahr, sie ist ein
Konstrukt bzw. eine Setzung einer (wissenschaftlichen) Gemeinschaft, die die
jeweilige Annahme als Grundlage weiterer Untersuchungen betrachtet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen