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Bearbeitet von Nikita Noemi
Rothenbächer 2013
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I. Das Paradigma der
zwei sich ausschließenden Geschlechter
Es gibt zwei verschiedene Geschlechter, das männliche und
das weibliche. Jeder Mensch gehört entweder dem einen oder dem anderen
Geschlecht an, ist also entweder Mann oder Frau. Diese Feststellungen sind aber
keineswegs so selbstverständlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. So
bezeichnet Hirschauer (1992, S. 56) diese Unterscheidung als »eine kulturelle
Leistung« und verdeutlicht damit ihre Konstruiertheit, bzw. ihren Charakter
einer Setzung.
Es lässt sich zeigen, dass der Annahme von den zwei sich
ausschließenden Geschlechtern Paradigmencharakter zukommt.
Als wissenschaftliche Gemeinschaft, die diese Annahme
vertreten hat und vertritt, können die wissenschaftlichen Vertreter des
abendländischen Kulturraums seit der römischen Antike betrachtet werden, wozu
noch die in den letzten 500 Jahren europäisch geprägten Regionen Amerikas
hinzuzurechnen sind.
Wenn man auch im römischen Reich ein androgynes Prinzip in Kunst und
Philosophie verherrlichte, so wurden doch die Menschen, die sich bei ihrer
Geburt als abweichend von der traditionellen Geschlechter-Dichotomie
darstellten (und damit Anomalien des Paradigmas der zwei sich ausschließenden
Geschlechter waren), als ›monstra‹ und als fatales Omen in einem
Reinigungszeremoniell getötet (vgl. Hirschauer 1992, S. 57).
In der abendländischen Kultur wurden zur Aufrechterhaltung
der Geschlechter-Dichotomisierung Regeln aufgestellt, die eine Zuweisung zu
einem der beiden Geschlechter ermöglichen sollten. So wurde im 6. Jahrhundert
in die Gesetzessammlung des Justitian ein Vorschlag römischer Juristen des 3.
Jh. aufgenommen, der speziell für Fälle genitaler Uneindeutigkeit bei der
Geburt galt: Das ›Überwiegen‹ der Merkmale sollte entscheiden. Die Grundlage
dieser allgemein akzeptierten theoretischen Annahme war, dass die Frage nach
dem Geschlecht eines Menschen eine Frage nach anatomisch-genitalen Strukturen
sei. Das Geschlecht sei das Ergebnis einer körperlichen Erscheinung, das im
seltenen Zweifelsfall durch intensive Inspektion der Genitalen zu erkennen ist.
Da aber auch die Regelung der ausführlichen Begutachtung
bzw. der Abschätzung der überwiegenden Anteile nicht immer zu eindeutigen
Entscheidungen führte, entwickelte das mittelalterliche kanonische Recht eine
zusätzliche Lösung:
Ein geschlechtliches Wahlrecht für
Zwitter. Der Vater legte bei der Taufe das vorerst beizubehaltende Geschlecht
fest (s. Foucault 1980: VIII), aber im heiratsfähigen Alter konnte sich ein
Zwitter selbst für ein Geschlecht entscheiden, indem er sich in einem
›promissorischen Eid‹ (Wacke 1989, S. 22) zu dem einen, gewählten Geschlecht
bekannte und gleichzeitig dem anderen abschwor. Wenn diese Regelung auch als
Kompromiss in schwierig zu entscheidenden Fällen angesehen wurde, so war doch
die Ausschließlichkeit der Geschlechter, mit dem Zugeständnis der
Verwechselbarkeit im Zweifelsfalle, gewährleistet.
Das dem Zivilrecht
folgende Kirchenrecht löste das Problem der Namensgebung bei der Taufe
dahingehend, dass man sich im Zweifelsfall für eine Zuordnung zum männlichen
Geschlecht entschied. Diese Position schien darin begründet, dass man Zwitter
nicht von den männlichen Privilegien ausschließen wollte, die ihnen
möglicherweise zukamen. Stellte die Möglichkeit der Geschlechtswahl bei
Vollendung der Volljährigkeit noch eine Art Lücke der vorkirchlichen
Rechtsprechung in bezug auf die Regelung der Unveränderlichkeit der
Geschlechter dar, so wurde im Rahmen der neuen Rechtsprechung ein Bruch des
Geschlechtseides bis ins späte 17. Jh. als Sodomie mit dem Tode bestraft.
Später wurde dann die Frage diskutiert, ob ein Zwitter, der
sich für ein Leben als Frau entschieden hatte, nach dem Tode des Gatten das
Mannsein wählen könne, »weil er von der Natur der Gestallt begabet worden, dass
er beyderley Geschlechte succesiue eine völlige Genüge leisten könne« (Zedler
1735, S. 1725).
Bedeutsam ist daran vor allem, dass man sich zwar eine
Doppelgeschlechtlichkeit vorstellen konnte, diese aber »succesiue«, also
›nachfolgend‹ bzw. ›sich ablösend‹ stattfinden sollte.
Eine Doppelgeschlechtlichkeit als eine Vereinigung weiblicher und
männlicher Eigenschaften im Sinne einer Androgynie war nicht vorstellbar. Wenn
ein solcher Wechsel des Geschlechts auch für schimpflich, eine solche Ehe aber
für gültig gehalten wurde (Wacke 1989, S. 23), blieb trotz Geschlechtswechsels
die Verpflichtung bestehen, sich (wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum)
auf ein bestimmtes Geschlecht festzulegen.
Außerdem stand diese Wahlfreiheit nur den
Personen mit genitaler Uneindeutigkeit offen.
Eine Anomalie der allgemein üblichen Entscheidungspraxis im
Sinne Kuhns stellt im 16. Jh. der Fall der/des Thomas(ine) Hall dar.
Thomas(ine) Hall wurde 1570 in Newcastle upon Tyne geboren und zog in seiner
Jugend als Soldat für England in den Krieg. Anschließend setzte sie ihr Leben
als Frau fort, um daraufhin als Mann auf Reisen zu gehen, bevor sie in Virginia
als Kammerzofe arbeitete. Das Gericht, vor das Thomas(ine) 1629 zitiert wurde,
fand, dass eine fixierte Doppelgeschlechtlichkeit leichter zu akzeptieren sei
als eine ständige Metamorphose und stellte öffentlich fest: »Hall is a man and
a woman.« (vgl. Greenblatt 1986, S. 329 f.)
Ab dem 18. Jh. wurde dann die Vorstellung einer Zuordnung zu einem
der beiden Geschlechter aufgrund des ›Überwiegens‹ geschlechtstypischer
Merkmale, worunter man die Ausformung der Genitalien und der
Geschlechtszuschreiben aufgrund von Kleidung, Mimik, Habitus usw. verstand (s.
Lindemann, 1992), durch die Vorstellung abgelöst, es gäbe ein ›wahres‹ Geschlecht,
das scheinbar selbstverständlich entweder männlich oder aber weiblich sei.
Dieses
›wahre‹ Geschlecht galt es herauszufinden.
Das Phänomen des Hermaphroditismus, das bis dahin einen
Problemfall der Geschlechter-Dichotomie darstellte, wurde nun als
›Pseudo-Hermaphroditismus‹ in das Schema der zwei Geschlechter eingeordnet.
So wurde 1. in Zwitter
männlichen Geschlechts unterschieden, deren Exemplare von bartlos-zarten
Weibmännern mit schwachen Neigungen zu Frauen bis hin zu Individuen mit
außerordentlichen Genitalien reichen sollten; und 2. die Zwitter weiblichen Geschlechts, die neben den durch
Ausbleiben der Menstruation entstehenden Mann-Weibern auch Individuen mit
vergrößerter Klitoris umfassten, die die Ausschweifung der Tribadie ermögliche.
Allerdings war auch diese Kategorisierung nicht ausreichend, so dass Thon als
dritte Kategorie die Zwitter mit zweideutigem Geschlecht einführen musste. Thon
schätzte die meisten Berichte über diese dritte Kategorie jedoch als »unsichere
Beobachtung« ein, wobei er aber gleichzeitig detaillierte Schilderungen der
anatomisch observierten Geschlechtsteile eines gewissen Hubert Jean Pierre gab.
Es bestand jedoch Übereinstimmung darüber, dass diese dritte
Kategorie letztlich nur ein Problem der genauen juristisch-medizinischen
Bestimmbarkeit darstellte. »Mitunter wird der gerichtliche Arzt den
Hermaphroditismus wohl einräumen müssen […] oft wird ein vollständiges Urtheil
sogar erst nach dem Tode des betreffenden Individuums durch die Sextion zu
erlangen seyn« (Ersch & Gruber 1829, S. 285 f.).
Daher folgte der Code Civil
von 1804 und das gut sechzig Jahre später erlassene BGB der medizinischen
Erkenntnis, dass es keine echten Hermaphroditen gäbe, und verzichtete auf eine
entsprechende Regelung für die Geschlechterzuordnung.
Damit wurde nicht nur die Tradition der zwei sich
ausschließenden Geschlechter fortgeschrieben, sondern gleichzeitig auf eine
Problematisierung dieser Setzung, wie sie in den mittelalterlichen
Sonderregelungen deutlich wird, verzichtet.
Statt
dessen überließen die Gerichte die Geschlechtsbestimmung weitgehend den
Medizinern.
Mit der Fortentwicklung der medizinischen Diagnostik wurde jedoch keine
Lösung des Problems erreicht, da sich mit der Entwicklung der Hormon- und
Chromosomenanalyse weitere Probleme ergaben.
»So wurde z.B. zwischen 1952 und 1958 etwa ebenso viele
echte Hermaphroditen veröffentlicht wie in den Jahren 1900–1951« (Overzier
1961, S. 537). Die medizinische Terminologie hat auf der Basis der neuen
Geschlechtsbestimmungsmethoden ihren Gegenstand in viele Syndrome aufgefächert:
Man kennt nun neben dem echten Hermaphroditismus die ›testikuläre Feminisierung‹, das ›Swyer-‹ und das ›Reifenstein-Syndrom‹, das
›Mayer-Rokiansky-Küster-Hauser-Syndrom‹ und das ›Klinefelter-Syndrom‹. Da diese
Syndrome nicht mit zweideutigen Genitalien einhergehen, erfolgt einer
Geschlechtszuweisung der Tradition der letzten 2000 Jahre folgend unabhängig
vom hormonellen und chromosomalen Befund auf der Basis der Inspektion der
Genitalien.
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