Montag, 7. Januar 2013

JENSEITS VON MANN UND FRAU, KRANK DURCH DISKRIMINIERUNG


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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013

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JENSEITS VON MANN UND FRAU

Das erste Gebot der heteronormativen Zwei-Geschlechter-Ordnung lautet in etwa: „Es gibt den Mann, die Frau und sonst nichts; beide sind von Grund auf verschieden, ergänzen einander und ziehen sich deshalb an, wie entgegengesetzte Pole.“ Der Glaube an die Stabilität dieses Systems scheint zu schwanken – vielleicht durch Phänomene wie eine besonders androgyne Ästhetik, metrosexuelle Idole oder kleine Erfolge in den Bestrebungen, Männern und Frauen gleiche Chancen zu verschaffen. Sonst müsste wohl nicht so penetrant die Relevanz des berühmten kleinen Unterschieds beschworen werden, und es müsste nicht permanent jemand von einer genetischen Programmierung erzählen, die angeblich seit der Steinzeit dafür sorgt, dass Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können und dass wir alle nur in den traditionellen Rollen wirkliche Erfüllung finden werden.

KRANK DURCH DISKRIMINIERUNG

Obwohl solche Überzeugungen gern mit „biologischen Tatsachen“ begründet werden, äußern gerade kritische Stimmen aus Humanbiologie und Medizin immer häufiger Zweifel daran, ob tatsächlich genau zwei Geschlechter und eindeutige, allgemeingültige Unterschiede zwischen beiden existieren. Vor allem aber sind es transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Menschen, die selbst körperlich oder psychisch nicht in die Zwei-Geschlechter-Ordnung passen und mit wachsendem Selbstbewusstsein auf die Unzulänglichkeiten des bipolaren Denkschemas hinweisen.
Eines gleich zu Anfang: Transgeschlechtlichkeit kann man als Identität, als Lebensentwurf oder als Veranlagung bezeichnen, aber nicht als Krankheit. Auch nicht, wenn sie immer noch als psychische Störung im ICD-Verzeichnis der WHO steht (das noch bis 1992 auch die Homosexualität enthielt). Die Selbstzweifel und Diskriminierungen allerdings, denen Transmenschen durch die normierten Geschlechtervorstellungen ausgesetzt sind, können durchaus krank machen. Weil in einer so denkenden Gesellschaft ein Leben gemäß der eigenen Geschlechtsidentität kaum anders möglich ist, brauchen viele medizinische Unterstützung, zum Beispiel in Form von Operationen oder Hormontherapie.

MANN, FRAU ODER BEIDES?

Bei Begriffen wie Transgender, Transsexualität oder Transgeschlechtlichkeit meldet sich gern das typische Transen-Klischee: exaltierte und übertrieben weiblich zurechtgemachte (Ex-)Männer, die vergeblich versuchen, als Frau durchzugehen. In Wahrheit sind die meisten Transmenschen ziemlich unauffällig und werden selten als solche erkannt.
Viele Transfrauen (Mann-zu-Frau Transmenschen), die daran zweifeln, als Frau überzeugen zu können, vertrauen ihre Geschlechtsidentität lange niemandem an und spielen öffentlich weiterhin den Mann, besonders im Job. Oder sie zeigen ihre Weiblichkeit nur sehr dezent, etwa mit androgyner Kleidung, der man nicht ansieht, dass sie aus der Damenabteilung stammt. Schließlich gilt ein Mann in Frauenkleidung immer noch als lächerlich oder pervers. Zudem werden an die ästhetische Erscheinung einer Frau besonders hohe Ansprüche gestellt, und die wenigsten Transfrauen entsprechen denen so perfekt wie eine Dana International.
Anders geht es den meisten Transmännern. So lange sie nicht vollständig als Mann durchgehen, können sie in der Öffentlichkeit so männlich auftreten, wie sie wollen. Sie fallen in die Schublade „maskuline Lesbe“ und damit (zumindest in weltoffenen Metropolen) nicht weiter auf. Durch einen perfektionierten männlichen Habitus und kaschierte weibliche Körperformen, spätestens aber nach längerer Einnahme von Testosteronpräparaten (die bewirken irgendwann einen Stimmbruch und „männliche“ Körberbehaarung, Muskulatur, Körperformen und Bartwuchs) gehen sie ziemlich glatt als Männer durch. Oder wenigstens als Jungs, denn schlimmstenfalls wird man auch als Mittdreißiger noch für einen Teenager gehalten, was nicht immer angenehm ist.
Neben den Transmännern und -frauen fallen auch diejenigen Transmenschen „unsichtbar“ aus dem Zwei-Geschlechter-System, die weder Mann noch Frau darstellen wollen. Egal wie uneindeutig sie sind, man ordnet sie von außen augenblicklich einem der klassischen Geschlechter zu. Diesen Automatismus haben wir von frühester Kindheit an gelernt, er scheint uns elementar für die Kommunikation. Damit nehmen wir die Menschen um uns herum höchstens als „Mann in Frauenkleidung“ oder „maskuline Frau mit Hormonstörung“ wahr, aber eben immer noch als Männer und Frauen.

MULTI-, POLY- ODER PANSEXUELL?

Die Erkenntnis, dass die Einteilung der Menschheit in Männer und Frauen der bestehenden Geschlechtervielfalt bei weitem nicht gerecht wird, eröffnet auch neue Horizonte. Ohne diesen engen Blickwinkel eröffnet sich jedem Menschen eine größere Bandbreite möglicher Selbstdefinitionen und sexueller Orientierungen. Die Bezeichnungen Homo-, Hetero- und Bisexualität reichen in diesem Fall nicht mehr aus. Immer häufiger fallen Begriffe wie Poly-, Multi-, oder Pansexualität, die eine Ausrichtung des Begehrens auf mehrere, auf viele(s) beziehungsweise auf alle(s) benennen. Theoretisch schließen diese auch die Ausrichtung auf Fetische und ausgefallene Praktiken ein, praktisch verwendet man sie in Bezug auf das begehrte Geschlecht. „Beispielsweise kann sich eine Person als pansexuell verstehen, die neben Männern und Frauen auch ein sexuelles Interesse an Transgendern oder Intersexuellen zeigt“, sagt ein kurzer, gern zitierter Eintrag in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia.
Multi-, Poly- und Pansexualität sind allerdings zu allgemein, um die sehr differenzierten menschlichen Orientierungen zu beschreiben. Kaum jemand steht wohl im wörtlichen Sinn auf alles. Ob einer nun ein, zwei oder fünf Geschlechter attraktiv findet, sucht er in ihnen doch immer etwas Bestimmtes. Das kann Maskulinität, Femininität oder Androgynie sein, Stärke, Schönheit, Unschuld, Jugend, Knabenhaftigkeit, Dominanz oder was auch immer. Die begehrte Eigenschaft ist sicher nicht in allem und jedem zu finden, dafür aber prinzipiell in allen möglichen Geschlechtern.

VIEL VERWIRRUNG IM BETT

Konkret führen mehr als zwei potenziell begehrenswerte Geschlechter zu viel Verwirrung und einer Menge Fragen. Wie soll man es zum Beispiel nennen, wenn ein schwuler Mann eher Transmänner als geborene Männer begehrt? Ist ein heterosexueller Mann, der eine Transfrau liebt, nicht einfach latent schwul – oder nur dann, wenn sie nicht operiert ist? Wie soll einer reagieren, der erfährt, dass seine neue Eroberung etwas anderes in der Hose hat als erwartet?
Und kann ein Transmann überhaupt schwulen Sex haben? Natürlich kann er. Und nicht nur passiv, schließlich gibt es Dinge wie einen Klitorispenoid (aus einer durch Hormone stark angewachsenen Klitoris), einen chirurgischen Penisaufbau mit mehr oder weniger guten Erektionsmöglichkeiten und perfekt funktionierende Dildos. Aber wenn er nicht operiert ist und beim Sex auch kein Problem damit hat, mit seinen „weiblichen“ Körperteilen Spaß zu haben?
Auch Transmänner mit unveränderten weiblichen Körpern können schwulen Sex haben. Sofern sie für sich selbst und für den Partner ein Mann sind, zählt das. Guter Sex hängt schließlich nicht in erster Linie von der körperlichen Ausstattung ab. Weder was die Intensität angeht noch in Bezug auf die Ausrichtung. Nur die Kommunikation muss funktionieren, damit auch das „Kino im Kopf“ funktioniert, auf das es eigentlich ankommt. Wenn die Qualität dieses Films stimmt, ist das die Basis für jeden guten Sex – nicht nur für den mit Transmännern, sondern in allen Kombinationen.

DAS TRANS-COMING-OUT

Noch bis vor kurzem ging die Medizin davon aus, dass Transmenschen in ihrem Wunschgeschlecht ausnahmslos heterosexuell leben wollen würden. Die umwerfende Logik dahinter: Eine Transfrau zum Beispiel, die als Frau dann lesbisch lebt, hätte gleich ein Mann bleiben können. Inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass sogar der größere Anteil der Transfrauen in der alten wie auch in der neuen Geschlechtsrolle auf Frauen steht. Bei Transmännern, die dagegen zum größeren Teil aus der Lesbenszene kommen, läuft es häufig anders: sie entdecken nach ihrem Coming-out oft, dass sie Männern durchaus etwas abgewinnen können, sobald sie selbst als einer wahrgenommen werden. Homos können also zu Heteros und Schwule zu Lesben (oder andersherum) werden, andere werden bi-, multi- oder asexuell. Alles ist möglich, nur keine sicheren Vorhersagen.

Nicht so erfreulich sind die Folgen für eine feste Partnerschaft, wenn sich ein Partner als transgeschlechtlich outet. Kaum eine schwule Beziehung überlebt es, dass einer von beiden kein Mann mehr sein möchte. Wenn in einer heterosexuellen Partnerschaft der ehemals weibliche Part das Frau-Sein aufgibt, beendet das ebenfalls fast immer die Beziehung. Ein klein wenig hoffnungsvoller fällt die Prognose für Heterobeziehungen aus, in denen Er sich zu einer Sie entwickelt, und für Lesbenpaare, bei denen die eine Sie plötzlich ein Er ist. Es scheint als würden Frauen einen Geschlechtswechsel des Partners oder der Partnerin eher verkraften.
Manche ehemals heterosexuelle Frau, die ihre Beziehung nach dem Trans-Coming-out ihres Partners fortführen will und ihn/sie auch weiterhin begehrt, bezeichnet sich dann als bisexuell. Wenn sie aber nicht plötzlich auch Frauen im Allgemeinen attraktiv findet, sollte sie sich vielleicht besser polysexuell nennen. Übrig bleibt die Frage, warum sie sich überhaupt neu definieren muss und ob es prinzipiell sinnvoll ist, die Art der momentan gelebten Sexualität zur Identitätsfrage zu machen.
Es ist sicher gut, die Ausrichtung der eigenen Sexualität so differenziert wie möglich zu kennen. Möglicherweise aber ließen sich dafür noch andere, sinnvollere Kategorien finden als nur die des Geschlechts. Und bestimmt kommt man dabei ohne die strikte Begrenzung eines binären Schemas weiter.


TRANSGENDER & INTERSEXUELLE

„Transgeschlechtliche Menschen“ (auch Transgender, Transmenschen) ist der Oberbegriff für alle, die nicht in dem Geschlecht leben können oder wollen, welchem sie bei ihrer Geburt zugeordnet wurden. Dazu zählen Transsexuelle, Transidenten, Transgender, Transvestiten, Dragkings und -queens, Cross-Dresser und viele mehr – die Bandbreite der Geschlechtsentwürfe wächst ständig. Einige verändern ihren Körper mittels Hormonen und chirurgischen Eingriffen, manche wählen den Weg der Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem so genannten Transsexuellengesetz, andere ziehen es vor, ganz ohne medizinische Maßnahmen und gerichtliches Verfahren im Geschlecht ihrer Wahl zu leben.

„Intergeschlechtliche Menschen“ („Intersexuelle“, „Zwitter“, „Hermaphroditen“) bezeichnet hingegen Personen, die mit körperlichen Merkmalen geboren werden, welche als geschlechtlich uneindeutig eingestuft werden. Nach deutschem Recht müssen diese Kinder innerhalb von zwei Wochen nach ihrer Geburt zu Männern oder zu Frauen erklärt werden. Daraufhin wird in den meisten Fällen die körperliche Uneindeutigkeit so weit wie möglich chirurgisch behoben, was häufig die Entfernung oder Verstümmelung von Fortpflanzungsorganen einschließt. Diese rechtlich fragwürdige Praxis garantiert nicht, dass sich die Personen auf Dauer mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Wer das nicht kann oder will, dem geht es in vielerlei Hinsicht wie einem Transmenschen.

1 Kommentar:

  1. Ich habe den ganzen Tag beobachtet, die Reaktion auf das was Russland gerade vollzieht gegen jegliche Menschenrechte!
    Meine Beobachtung bestätigt meine Annahme jeder ist sich selbst der nächste!
    Nun meine Damen und Herren, das Ergebnis ist Erschreckend und ein Zeichen, der Blamage was die Menschlichkeit unter uns Menschen eigentlich bedeutet!
    Jeder denkt an seinen Scheiß. Jedoch je mehr diese so beschied...

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