Samstag, 26. Januar 2013

Transsexuelle in Italiens Parlament: "Wir tragen beide hohe Schuhe und schminken uns"


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Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2013

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Transsexuelle in Italiens Parlament: "Wir tragen beide hohe Schuhe und schminken uns"
Sie ist die erste Transsexuelle in einem europäischen Parlament. Ein Jahr nach ihrer Wahl in die italienische Abgeordnetenkammer wird Kommunistin Vladimir Luxuria auch von ihren Gegnern respektiert - und entdeckt einige Gemeinsamkeiten mit Silvio Berlusconi.

Das Leben in der Politik begann für Vladimir Luxuria mit fliegendem Fenchel: Fenchel heißt auf Italienisch "Finocchio" und ist außerdem ein Schimpfwort für Schwule. Wahlkampfhelfer der rechten Partei Alleanza Nazionale bewarfen Luxuria mit dem rohen Gemüse. Wochen später keifte die Enkelin des Duce, Alessandra Mussolini, in einer Talkshowrunde: "Besser Faschistin als Schwuchtel." Schließlich kam die Sache mit dem Klo: Elisabetta Gardini, Sprecherin von Berlusconis Partei Forza Italia, ereiferte sich, weil Luxuria im Abgeordnetenhaus die Damentoilette benutzt.

Dass Vladimir Luxuria, 1965 im süditalienischen Foggia in einem männlichen Körper als Wladimiro Guadagno geboren, für die Neo-Kommunisten in die Abgeordnetenkammer einzog, löste in Italien heftige Irritationen aus. Das rechte Lager konzentrierte sich darauf, die Kandidatur der ehemaligen Dragqueen als Skandal zu inszenieren.
Ein Jahr später müssen bei öffentlichen Auftritten Luxurias größere Räume gebucht werden. Inzwischen meutern auch die rechten Politiker nicht mehr, wenn sie der Parlamentspräsident mit "Frau Abgeordnete" ruft, statt mit "Herr". "Sie nennen mich sogar selbst so", sagt Luxuria. "Mittlerweile bekomme ich viel Respekt auch von meinen politischen Gegnern."

In Italien, wo die Haartransplantationen und Herzschrittmacher Silvio Berlusconis und die Körper aller anderen Mächtigen anders als politische Inhalte leidenschaftlich diskutiert werden, legte die Schwulenikone Vladimir Luxuria einen rasanten Aufstieg zum Politstar hin.

Es ist später Abend in Roms alternativem Pigneto-Viertel: Luxuria alias Guadagno - wie es unten am Klingelschild steht - öffnet die Tür zur Altbauwohnung, langer dunkelgrauer Strickmantel, lockige schwarze Haare, ausgetretene Turnschuhe, schlaksiger Gang, das Gesicht ungeschminkt, die Hände auffällig schmal. Auf der Couch schläft eine langhaarige Katze.

An einem langen Holztisch sitzt Luxurias Schwester und trinkt Bier.

Luxuria - der Künstlername bedeutet Üppigkeit oder Wollust - bezeichnet sich selbst als Transgender, als übergeschlechtlich, will als Frau angesprochen werden und hat nie eine Geschlechtsumwandlung gemacht hat. Verwirrung bleibt: Auf der Homepage der italienischen Abgeordnetenkammer wird Luxuria als Schauspieler bezeichnet.

"Angst vor Auftritten mit all den förmlichen Leuten"

Es war Fausto Bertinotti, Neo-Kommunist und Präsident der Abgeordnetenkammer, der der bekannten Künstlerin, Schauspielerin und Schwulenaktivistin den Weg in die große Politik öffnete: Als Bertinotti sie fragte, ob sie für den Spitzenplatz der "Rifondazione Communista" kandidieren wolle, habe sie nächtelang nicht schlafen können.

"Ich hatte schreckliche Angst vor den Fernsehauftritten, darüber, über wirtschaftliche Fragen sprechen zu müssen, vor Reden mit all diesen förmlichen Leuten." Luxuria lacht ein dunkles Lachen. "Dazu kommt: Ich habe keinen politischen Lebenslauf, deshalb muss ich sehr hart arbeiten", sagt sie, steht auf, irrt in der Wohnung umher und zündet sich eine Zigarette an. "Ich versuche es sehr ernsthaft zu machen, ich bin ein zuverlässiger Mensch." Als sie dann ins Parlament gewählt wurde, habe sie sich gefühlt, wie die erste Frau, die jemals Präsidentin wurde oder der erste Muslim im amerikanischen Senat. "Es ist eine riesengroße Verantwortung", sagt Luxuria.
Eine bekennende Transgender im Parlament hat sonst nur noch Neuseeland: Das Glückwunschtelegramm von ihr, von Georgina Beyer, kam am Tag nach der Wahl in Italien an.

Luxuria lehnt auf dem türkisen Leinensofa in ihrem Wohnzimmer, das Handy klingelt, ein Freund ist dran. Nebenbei kramt die 41-Jährige in einer Papiertüte nach Unterlagen. Am nächsten Tag soll im Abgeordnetenhaus die Debatte über die Befreiung des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo stattfinden, der gegen fünf Talibanhäftlinge ausgetauscht wurde. Ärgerlich fände sie es, dass die italienische Hilforganisation Emergency jetzt unter Beschuss gerate, weil sie angeblich mit Taliban zusammengearbeitet haben soll. "Das sind doch diejenigen, die mit der schmutzigen Seite des Krieges zu tun haben. Mit dem, was Präsident Bush so schön Kollateralschäden nennt."
Kriegs-Kritik, Reden im Kulturausschuss über Korruption im Fussball - vor allem aber versteht sich Luxuria als Vertreterin Homosexueller und Transgender und deren Angehöriger in der Politik. In einem Land, in dem es wohl "für alle außer für heterosexuelle Männer schwieriger als in anderen europäischen Ländern ist, in der Politik respektiert zu werden", sagt sie. Sie selbst sei weil sie in Italien so populär sei, "in einer wahnsinnig privilegierten Situation, ich habe ein viel einfacheres Leben als die meisten Transgender".

Heute scheint es, als ob ihr die Angriffe wegen ihrer sexuellen Identität und Vergangenheit mehr genutzt als geschadet haben. Als Rednerin stecke sie viele in die Tasche, raunt man sich unter Kennern der italienischen Politik zu. Italiens Frauen müssen ihr für ihre emanzipatorischen Initiativen dankbar sein, die Neokommunisten haben mit Luxuria einen Star. Im Parlament gibt sie sich sehr seriös - wo Andere versuchen, Luxuria als schrille Transvestitin abzutun, kann sie ihren Studienabschluss in Literaturwissenschaften aufweisen.

Mit den gleichen Waffen wie ihre Gegner zurückzuschlagen, hat Luxuria indes vermieden: "Ich habe keine Lust, aus dem Vorleben und den Strafprozessen meiner Kollegen politisches Kapital zu schlagen." Auch wenn es einem manchmal in den Fingern jucke, diejenigen, die am meisten über Schwule schimpfen, als Stammgast in einschlägigen Homosexuellendiscos zu enttarnen. "Ich ziehe ein Coming Out allerdings einem Outing vor", sagt Luxuria. Für ein Coming Out allerdings müsse erst einmal die Gesellschaft freier werden. "Auch dafür will ich arbeiten."

Nur einmal konnte sie nicht widerstehen. Als Silvio Berlusconi sie mit den Worten in der Politik begrüßte: Wenigstens kein Mann und deshalb keine Konkurrenz für mich, schickte Luxuria in Richtung des damaligen Ministerpräsidenten: "Wir tragen beide hohe Schuhe und schminken uns, wenn wir ausgehen."

Botschafterin für Schwule in muslimischen Ländern

Eine ehemalige Dragqueen als seriöse Politikerin im Parlament: eine Revolution vielleicht für das machoaffine Italien - für Luxuria selbst war ein persönlicher Moment im Urlaub mit ihren Eltern in Süditalien direkt nach der Wahl das Wichtigste. Menschen liefen ihr auf der Straße entgegen, schüttelten ihr die Hand, riefen ihren Eltern zu: "Sie können sehr stolz sein auf ihre Tochter." - "Und dann", sagt Luxuria, "sah ich, wie mein Vater, der sich eigentlich immer für mich schämt und Angst hat, was die Leute über uns sagen könnten, Freudentränen in den Augen hatte." Es sei der Moment gewesen, in dem ihr Vater begonnen habe, sie dafür lieben zu können, was sie ist: der politische Erfolg als Geburtshelfer des Familienfriedens.

Eine Woche noch, dann bringt die Kommunistin ihren ersten Gesetzesentwurf in der Abgeordnetenkammer ein. Es geht um die rechtliche Anerkennung von Transgender - darum, dass auch Menschen, die keine Geschlechtsumwandlung haben vornehmen lassen, bei den italienischen Behörden als das Geschlecht geführt werden, als das sie sich fühlen. Auch mit den Regierungen gemäßigter muslimischer Ländern will Luxuria in Dialog treten und sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzen. "Das ist ein Aspekt der Menschenrechte, der sehr selten zur Sprache kommt", sagt sie.

Nach einem Jahr in der Politik wandelt Luxuria noch immer zwischen den Welten: Morgen hält sie in Verona eine politische Rede, einen Tag später tritt sie in Mantua im Theater auf. "Aber die Lücke zwischen Politik und Kunst ist ja auch nicht groß", sagt sie.


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